In London fand am Samstag erneut eine riesige Solidaritätsdemonstration gegen Israels Völkermord an den Palästinensern in Gaza statt.
Anlass war der 76. Jahrestag der Nakba, der brutalen ethnischen Säuberung des neu gegründeten Staates Israel von einer Dreiviertelmillion Palästinensern. Die Socialist Equality Party (SEP) verteilte ein Flugblatt mit dem Titel „Die Beendigung der zweiten Nakba erfordert die Mobilisierung der Arbeiter gegen die Tories und Labour!“ Darin wird erklärt:
„Die Massenvertreibung wurde durch systematischen Terror mit mindestens 31 Massakern erreicht. Den vertriebenen Palästinensern und ihren Nachkommen wurde die Rückkehr nach Israel verboten, ihre Häuser und ihr Eigentum wurden beschlagnahmt.
Heute führt Israel eine zweite Nakba mit noch zerstörerischen Massenmordwaffen und Terror durch, um erst den Gazastreifen und danach das Westjordanland ethnisch zu säubern. Und das Ausmaß des Grauens hat sich extrem vervielfacht – in Rafah sind 800.000 Menschen gefangen, und eine halbe Million musste zurück in das zerstörte Land fliehen, das sie erst vor kurzem verlassen haben. Die Zahl von mehr als 35.000 Toten und 80.000 Verwundeten wächst von Tag zu Tag.“
An der Spitze der Demonstration standen Palästinenser, die Schlüssel in der Hand hielten, als Symbol für ihre Absicht, in ihr gestohlenes Land zurückzukehren. An der Demonstration beteiligten sich viele Studierende, die an einigen der 25 Campus-Besetzungen im Vereinigten Königreich beteiligt sind. Am Piccadilly Circus kam es zu einer Konfrontation mit einer Gruppe von Zionisten, die israelische Flaggen schwenkten und versuchten, die Demonstration aufzuhalten, wobei die Demonstranten „Schande“ riefen, darunter Juden, die ebenfalls für die Verteidigung der Palästinenser demonstrierten.
Das Flugblatt der SEP stellte ein Programm vor, mit dem die Proteste gegen den Völkermord ihre Ziele erreichen können. Es erklärte, dass in den USA, Großbritannien und den anderen imperialistischen Mächten:
„alle großen Parteien, ob in der Regierung oder in der Opposition, Israels Völkermord uneingeschränkt unterstützen, die Israelischen Verteidigungskräfte mit Waffen beliefern, Demonstranten, die einen Waffenstillstand fordern, als Antisemiten verleumden, Proteste an Universitäten und auf den Straßen mit brutaler Gewalt unterdrücken und Gesetze zu ihrer Kriminalisierung vorbereiten, wie im Vereinigten Königreich.
Nach sieben Monaten dieses Grauen ist es an der Zeit, dass die Gaza-Proteste einen neuen Kurs einschlagen. Es reicht nicht aus, immer wieder einen Waffenstillstand zu fordern, als ob in den herrschenden Kreisen irgendjemand darauf hören würde. Die imperialistischen Mächte betrachten den Völkermord in Gaza als eine der Fronten in einem globalen Krieg um die Neuaufteilung der Welt und ihrer Rohstoffe, zu dem auch der Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine, die Pläne für einen regionalen Krieg im Nahen Osten gegen den Iran und die Verschärfung der Spannungen mit China gehören.
Notwendig ist daher ein systematischer politischer Kurswechsel, um die gesamte Arbeiterklasse gegen diese Kriegsverbrecher zu mobilisieren.“
In dem Flugblatt wurde festgestellt, dass Millionen von Arbeitern und Jugendlichen, die auf den Straßen gegen den Völkermord in Gaza protestierten, „wissen, dass es zwischen den Tories und Labour in den wichtigen Fragen keinen Unterschied gibt. ... Sie hassen Starmer und seine Abgeordneten, die unter Berufung auf Israels ,Recht auf Selbstverteidigung‘ den Massenmord unterstützen und sich sogar weigern, einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu fordern.
Doch diese breite Welle der Opposition wird auf verschiedene wirkungslose Proteste beschränkt – vor allem auf die Drohung, bei den Parlamentswahlen diejenigen Kandidaten zu unterstützen, die sich für einen Waffenstillstand aussprechen, in der Hoffnung, dass Starmer von einigen Labour-Abgeordneten, die ihre eigene Haut retten wollen, zu einem Kurswechsel gezwungen wird. Auf dieser Grundlage wird sich nichts ändern.
Es muss eine Hinwendung zu den Fabriken und Betrieben geben, um die Arbeiterklasse zu mobilisieren, um Blockaden und Arbeitskämpfe zu organisieren, die es der Regierung unmöglich machen, Israel mit Waffen und sonstigen Hilfsgütern zu beliefern. Dies ist nur möglich, wenn sich Arbeiter organisieren, um die Gewerkschaftsführung politisch herauszufordern, einschließlich der ,Freunde Palästinas‘, die trotz ihrer linken Rhetorik seit Oktober nichts unternommen haben, um ihre Mitglieder zu mobilisieren.“
Das Flugblatt schloss mit einem Appell an Arbeiter und Jugendliche, mit der SEP ihre eigene Partei aufzubauen, die mit Kandidaten bei den bevorstehenden Parlamentswahlen antreten wird. Ihr Ziel ist „die Entwicklung einer politisch unabhängigen Massenbewegung der Arbeiter und Jugendlichen gegen den Völkermord in Gaza, den Krieg in der Ukraine und die Pläne für einen Krieg gegen den Iran und China“.
Am Ende der Demonstration sprach die SEP an ihrem Stand noch mit mehreren Teilnehmern.
Arun hatte sich im Vereinigten Königreich und Indien an Demonstrationen beteiligt. Er betonte, die imperialistischen Mächte „unter Führung der USA wollen nur die Vorherrschaft und die Hegemonie im Nahen Osten... Israel ist ein Bollwerk, mit dem die imperialistischen Mächte ihre Interessen sichern. Ich glaube, keine imperialistische Nation wird das verhindern.
In Indien haben wir Kämpfe wegen der Regierung von Narendra Modi und des Hindu-Faschismus, wir sehen Ähnlichkeiten. Die indische herrschende Klasse unterstützt die israelische herrschende Klasse, die Waffenexporte steigen... Es gibt viele regionale Kriegsschauplätze – Ukraine, Palästina, Iran, möglicherweise Taiwan, und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs.
Was haben die weltweiten Proteste von Millionen Menschen gegen den Irakkrieg 2003 erreicht? Die humanitäre Frage wirft die politischen Fragen auf. Wenn es ein politisches Bewusstsein und eine Führung gibt, können wir Aktionen der Arbeiterklasse mobilisieren, um die Waffenlieferungen an Israel zu beenden. Wenn die Studierenden einen militanten Kampf führen, wenn die demokratische Bewegung mit der bewussten politischen Bewegung der Arbeiterklasse zusammenkommt, gibt es ein riesiges Potenzial.“
Ethan aus den USA erklärte: „Auf dem Campus meiner Universität in Colorado gab es wirklich große Proteste, und es kam zu schockierender Gewalt seitens der Polizei. Die Leute an der Macht – Netanjahu, Biden, Sunak – wegen des militärisch-industriellen Komplexes ist Krieg etwas geworden, was passieren muss, ob in der Ukraine oder in Gaza oder sonst wo. Und deshalb lassen sie schlechte Leute wie Netanjahu Unaussprechliches machen. Statt zu hören, was die Leute fordern, schicken sie ihnen die Polizei, die brutal unterdrückt, was in Richtung demokratische Bewegung geht.
Die Arbeiterklasse ist nicht auf ihrer Seite. Dessen sind sie sich voll bewusst, und deshalb versuchen sie, die Arbeiterklasse einzuschüchtern, damit sie sich nicht organisiert. Die Demokraten und Republikaner unterstützen größtenteils das harte Vorgehen der Polizei... Biden wird sagen: ,Ja, wir beenden die Waffenlieferung an Israel‘, und ein paar Wochen später: ,Ja, wir geben euch noch eine Milliarde Dollar.‘ Das System ist nicht für uns, und deshalb müssen sich die Dinge ändern.“
Rania, eine Studentin, erklärte: „Ich glaube, das Vereinigte Königreich hat genauso schreckliche Verbrechen begangen wie die USA. Obwohl so viele Leute eindeutig dagegen sind, was die israelische Regierung in den letzten sechs bis sieben Monaten getan hat, hat sich eigentlich nichts geändert.
Ich will nicht, dass unsere Studiengebühren zur Finanzierung dieses Völkermordes benutzt werden. Die weltweiten Studierendenproteste sind erstaunlich.
Uns wurde seit frühester Kindheit erklärt, der Westen sei angeblich die einzige Demokratie der Welt. Wir wissen, dass das nicht stimmt. Aber uns wurde das ganze Leben lang beigebracht, für freie Meinungsäußerung zu kämpfen. Meiner Meinung nach tun wir nur, was man uns beigebracht hat.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Es ist frustrierend, dass nichts passiert. Wir haben die Macht, etwas dagegen zu tun und zu versuchen, etwas zu verändern.“
Von den Rednern auf der Tribüne vertrat keiner eine Perspektive für eine politische Offensive gegen die pro-imperialistischen Parteien des Völkermords und des Kriegs. Darunter befanden sich mehrere palästinensische und muslimische Redner sowie eine Vertreterin des Jüdischen Blocks, Emilie Stevenson von der britischen antizionistischen Gruppe Na’amod.
Ahmed Alnaouq, ein Journalist und Organisator der palästinensischen NGO We Are Not Numbers, erklärte: „Es ist an der Zeit, die Labour-Partei und die Konservativen zu verlassen, die sich an Kriegsverbrechen an der Bevölkerung von Gaza mitschuldig gemacht haben.“ Leanne Mohamad, die unabhängige Kandidatin für Ilford North, die gegen den zionistischen Schatten-Gesundheitsminister Wes Streeting antritt, verurteilte Labour dafür, dass sie „alle Positionen ihrer imperialen US-Herren wiederholt“.
Andrew Murray, der stalinistische Anführer der Stop the War Coalition, rief jedoch nicht zum Aufbau einer politischen Alternative zur Labour Party auf, weil er die Redner Jeremy Corbyn und seinen ehemaligen Schatten-Finanzminister John McDonnell damit in eine unmögliche Lage gebracht hätte.
Auch Eddie Dempsey, ein führender Stalinist in der Rail, Maritime and Transport Union (RMT), schwieg sich aus. Er hatte ebenfalls die Aufgabe, zu vertuschen, dass keine Gewerkschaft Widerstand gegen die britische Zusammenarbeit beim Völkermord organisiert.
Er überbrachte eine „persönliche Botschaft“ der Solidarität von „meinem Generalsekretär Mick Lynch“ und bezeichnete die Studierenden, die „hier in London und auf der ganzen Welt die Universitätsgelände besetzen“ als „eine Inspiration“. Allerdings schlug er keine Aktionen von RMT-Mitgliedern vor, bis er zum Schluss rhetorisch erklärte: „Marschiert weiter, kämpft weiter, fordert eure Gewerkschaften auf, sich anzuschließen[!]. Und zusammen werden wir diese [nicht genannten] Politiker zur Verantwortung ziehen.“
Fran Heathcote, die Generalsekretärin der Public and Commercial Services (PCS), erklärte, sie wolle „darlegen, wie wichtig der Gewerkschaft, die ich leite, die Solidarität mit Palästina ist“. Allerdings konnte sie nur eine Spende von 11.700 Euro für Medical Aid for Palestine anführen. Die PCS hatte im letzten Jahr Einnahmen von fast 30 Millionen Euro und einen Überschuss von über 2,46 Millionen Euro. Heathcote erhielt in diesem Jahr eine zehnprozentige Gehaltserhöhung auf das 120.500-Euro-Gehalt ihres Vorgängers – mehr als die 11.700 Euro, die für die medizinische Hilfe gespendet wurden.
Corbyn erwähnte erneut die Labour Party oder Starmer mit keinem Wort. Die politische Situation im Vereinigten Königreich erwähnte er nur mit einer Zeile: „Wir werden nicht aufgeben, von der britischen Regierung die Einstellung der Waffenlieferungen zu fordern.“
McDonnell machte eine wichtige Ankündigung: „Am Montag wird [WikiLeaks-Gründer] Julian Assange zur wichtigsten Anhörung seines Lebens vor Gericht erscheinen. Wenn er sie verliert, wird er an die USA ausgeliefert, wo ihm eine 175-jährige Freiheitsstrafe droht. Kommt am Montagmorgen um 8:30 Uhr zu uns zum High Court in the Strand, um Julian Assange für seine Arbeit zu unterstützen.“
Allerdings erwähnte er nicht einmal die Unterstützung der Labour-Partei für die Verfolgung von Assange, geschweige denn, dass Starmer als ehemaliger Generalstaatsanwalt (2008–13) sogar eine entscheidende Rolle gespielt hat, als der Crown Protection Service (CPS) sich mit einem Auslieferungsantrag gegen Assange aus Schweden wegen fingierter Vorwürfe sexuellen Missbrauchs befasste. Von Schweden aus wäre er in die USA geschickt worden. Starmer reiste in den Jahren 2009, 2011, 2012 und 2013 nach Washington. Im Jahr 2013 riet der CPS Schweden davon ab, Assange in London zu befragen und betonte: „Wagen Sie es ja nicht, kalte Füße zu bekommen.“ McDonnell erwähnte auch nicht, dass er und Corbyn seit 2015 – als Corbyn Labour-Parteichef und McDonnell Schatten-Finanzminister war – fast fünf Jahre lang über Assanges Fall geschwiegen haben, um nicht in Konflikt mit dem rechten Flügel der Labour Party zu geraten.
Der Rest von McDonnells Rede war eine eigennützige Darstellung seiner „Kampagne“, Kinder aus Gaza zu ärztlicher Behandlung nach Großbritannien einreisen zu lassen. Dabei erklärte er nicht, warum er sich weigert, gegen Labours Unterstützung für Israel einzutreten.