Gründung der Linkspartei in Hessen

Abgehalfterte Gewerkschafter, enttäuschte Sozialdemokraten und alte Stalinisten

Beim Betreten der Konferenzhalle im Frankfurter Stadtteil Bornheim schlug dem Beobachter am vergangenen Samstag die verstaubte Atmosphäre einer gewerkschaftlichen Routinekonferenz entgegen. Die überwiegende Mehrheit der knapp 300 Delegierten und Gäste, die zum Gründungsparteitag der Linkspartei in Hessen gekommen waren, kannten sich offensichtlich seit vielen Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten. Die meisten hatten bereits das Pensionsalter erreicht oder überschritten.

Auffallend war das Fehlen jüngerer Gesichter, die Neugier, Begeisterung, oder Enthusiasmus ausgestrahlt hätten, wie man dies bei einer Gründungskonferenz eigentlich erwartet hätte. Die wenigen anwesenden Jugendlichen sprachen als Jungfunktionäre der Gewerkschaften. Es war kein neuer frischer Ton zu hören, stets nur das bekannte gewerkschaftliche Einerlei.

Der Vorsitzende des hessischen Gewerkschaftsbundes (DGB) sprach langatmige Begrüßungsworte, als Oskar Lafontaine mit seinem Tross die Halle betrat. Die Delegierten erhoben sich, klatschten rhythmisch und riefen: "Oskar! Oskar!"

Es ist bezeichnend, dass die "neue" Partei einen Mann frenetisch als Idol feiert, der vierzig Jahre lang in führender Funktion in der SPD tätig war und noch vor acht Jahren an deren Spitze stand. In der Bornheimer Konferenzhalle trat der Charakter der Partei "Die Linke" greifbar in Erscheinung: sie ist ein Verein abgehalfterter Gewerkschafter, enttäuschter Sozialdemokraten und alter Stalinisten östlicher und westlicher Prägung, die jahrzehntelang die Sozialpartnerschaft organisiert und gut davon gelebt haben. Nun reagieren sie erschreckt auf das Aufbrechen scharfer Klassengegensätze.

Die Perspektive der Linkspartei ist nicht nach vorn gerichtet, auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft, die gestützt auf moderne Technologien und die internationalen Produktivkräfte eine höhere soziale und kulturelle Entwicklung der Menschheit ermöglicht, sondern nach hinten, in die Vergangenheit, als sich die Klassengegensätze friedlich versöhnen ließen und der Nationalstaat noch weitgehend intakt war. Sie bemüht sich zu verhindern, dass breite Bevölkerungsschichten Lehren aus dem Schiffbruch der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften ziehen und sich einer neuen politischen Perspektive zuwenden.

Oskar Lafontaine versteht es, diese Haltung auf den Punkt zu bringen. Das macht in zum unbestrittenen Führer der Linkspartei. In seinen immer gleichen Reden beschwört er endlos die unsoziale Politik der gegenwärtigen und vorangegangenen Bundesregierung, prangert den "Wahnsinn" der internationalen Wirtschaftspolitik im allgemeinen und der deutschen im besonderen an - und tischt die alte sozialdemokratische Soße von vorgestern auf.

Auch in Frankfurt hielt er eine dieser altbekannten demagogischen Reden: Wenn der amtierende SPD-Vorsitzende Kurt Beck neuerdings davon spreche, das Rentenniveau anzuheben, dann könne man das nur als Ergebnis "geistiger Verwirrung" bezeichnen. "Wo war denn Kurt Beck, als seine Partei im Bündnis mit den Grünen die Renten gesenkt hat? Und wer, wenn nicht Franz Müntefering, hat gerade die Anhebung des Rentenalters durchgesetzt?" Und so weiter...

Die alternden Delegierten waren begeistert. Sie benahmen sich wie Jugendliche auf einem Popkonzert. Jeder zweite Satz Lafontaines wurde mit Beifall und Bravorufen quittiert. Es erfordert wirklich nicht viel, enttäuschte Sozialdemokraten und frustrierte Gewerkschaftsbürokraten mit ein paar sozialkritischen Phrasen in Begeisterung zu versetzen.

Doch damit sind die Delegierten weitgehend unter sich. Die Linkspartei mag gegenwärtig zwar Wählerstimmen gewinnen, weil keine andere politische Alternative zur Großen Koalition sichtbar ist, doch zwischen ihr und der Maße der Arbeiter und Jugendlichen besteht eine tiefe Kluft.

Letztere sind täglich mit Fragen und Problemen konfrontiert, auf die sie ernsthafte politische Antworten suchen - und nicht die abgestandenen Phrasen eines Lafontaine, der ihnen die Rückkehr in das goldene Zeitalter sozialer Reformen verspricht. Sie erleben die Auswirkungen der sozialen Krise täglich am eigenen Leib. Sie wissen auch ohne Lafontaines aufgesetzte Rhetorik, wer Hartz IV eingeführt hat und dafür verantwortlich ist.

In den Betrieben und den Verwaltungen sind sie damit konfrontiert, dass die Angst vor Hartz IV benutzt wird, um Lohnsenkung und Sozialabbau durchzusetzen. Sie erfahren ständig, dass die Globalisierung der Produktion die politischen Rahmenbedingungen grundlegend verändert und der Politik des sozialen Ausgleichs den Boden entzogen hat.

Und sie erleben, wie sich die Politik der Sozialpartnerschaft direkt gegen ihre eigenen Interessen richtet. Ob bei Opel, Siemens, der Telekom oder der Bahn - überall spielen Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte eine Schlüsselrolle dabei, Entlassungen und Sozialabbau durchzusetzen und jeden Widerstand dagegen im Keim zu ersticken.

Gewerkschaftsbürokratie als Bündnispartner

Es ist bezeichnend, dass die Linkspartei den Schulterschluss mit diesen Funktionären sucht, die in den Gewerkschaftszentralen und vor Ort die Drecksarbeit verrichten. Schon auf dem Gründungsparteitag der Bundespartei in Berlin war eine hochrangige DGB-Delegation zu Gast, darunter auch Transnet-Chef Norbert Hansen, der seit Wochen den Streikbruch gegen die Lokführer organisiert. In Frankfurt bezeichnete Lafontaine die Gewerkschaften ausdrücklich als "wichtigsten Bündnispartner" der Linkspartei.

Während sich die Linkspartei im Osten auf den Restbestand der stalinistischen SED-Bürokratie stützt, ist die Gewerkschaftsbürokratie im Westen tatsächlich ihr wichtigstes Standbein. Viele führende Mitglieder sind im Hauptberuf vollamtliche Gewerkschafter oder Betriebsräte.

Auf dem Frankfurter Parteitag sollte sogar der ehemalige Vorsitzende des hessischen DGB, Dieter Hooge, zum Spitzenkandidaten für den Landtagswahlkampf 2008 gekürt werden. Lafontaine hatte sich persönlich dafür eingesetzt,

In Hooges Person verkörpern sich der Niedergang und die Rechtswende der Gewerkschaften. Ende der sechziger Jahre hatte er die Frankfurter Kaderschmiede der Gewerkschaftsbürokratie, genannt "Akademie der Arbeit" (AdA), absolviert und war dann jahrzehntelang die bürokratische Karriereleiter hochgeklettert, bis an die Spitze des hessischen DGB. Obwohl er immer der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) nahe stand, war er 40 Jahre lang SPD-Mitglied. Erst vor drei Jahren trat er aus der Partei aus, um die WASG in Hessen zu gründen.

In Absprache mit Lafontaine ließ sich Hooge schon in den Tagen vor dem Frankfurter Landesparteitag in den Medien als Spitzenkandidat feiern. Während des Parteitags gab er ein Medieninterview nach dem anderen.

Doch dann machten die Delegierten Lafontaine und Hooge in letzter Minute einen Strich durch die Rechnung. Bei der Kandidatenwahl fiel Hooge zweimal durch. Danach lehnte er jede weitere Kandidatur ab. Statt seiner wurde der langjährige DKP-Stalinist Pit Metz aus Marburg gewählt. Während Hooge in seiner Kandidatenrede eine Regierungsbeteiligung an der Seite der SPD nicht ausgeschlossen hatte, legte sich Metz "klipp und klar" darauf fest, dass es für ihn im kommenden Landtag "eindeutig um die Oppositionsrolle" gehe. Er betrachte sich "immer noch als Kommunisten" und strebe "perspektivisch einen Systemwechsel" an, auch wenn der Weg dorthin "sehr weit und steinig" sei.

Der Mehrheit der Delegierten hatte offenbar gedämmert, dass die Radikalisierung der Arbeiterklasse die Linkspartei schnell hinter sich lassen könnte, wenn sie sich zu offen auf ein Zusammengehen mit der diskreditierten SPD festlegt. Wie der Spiegel treffend feststellte: "Offenbar befürchteten einige Delegierten, man werde nur noch als Partei der frustrierten Sozialdemokraten und Gewerkschafter wahrgenommen."

Am Kurs der Linkspartei ändert der Wahlerfolg der DKP-Truppe aus Marburg allerdings nichts. Vor der Wende hatte die DKP als westdeutscher Ableger der DDR-Staatspartei fungiert und war aus Ostberlin massiv subventioniert worden. Obwohl sie in den meisten Gewerkschaften ein Pariah-Dasein führte, übernahm sie die Rolle des Wachhunds für die Gewerkschaftsbürokratie. Wer immer die Gewerkschaftsführung von links angriff, musste mit den Ordnern oder sogar den Schlägertrupps der DKP rechnen. Vor allem im Kampf gegen wirkliche oder angebliche Trotzkisten konnte sich die Gewerkschaftsbürokratie stets auf die DKP verlassen.

Mit dem Ausbluten der Gewerkschaften in den achtziger und neunziger Jahren zogen aktive und ehemalige DKP-Mitglieder zunehmend in die Spitzegremien der Gewerkschaften ein. Auch Pit Metz ist langjähriger Funktionär der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und seit anderthalb Jahrzehnten freigestellter Betriebsratsvorsitzender in einer Blindenstudienanstalt in Marburg.

Das Problem der Glaubwürdigkeit

Wer schon einmal mit rechten Gewerkschaftsbürokraten aneinander geraten ist, weiß, wie unverschämt sie lügen und die Dinge auf den Kopf stellen können. Auch in dieser Hinsicht ist Lafontaine ihnen allen überlegen.

In Frankfurt ritt er heftige Attacken gegen die "Unglaubwürdigkeit der Politik", die in der Bevölkerung mit einer "immer größeren Abwendung von Parteien und Stimmenthaltung" quittiert werde. "Man kann nicht gleichzeitig für und gegen etwas sein", rief er. "Man kann nicht gegen Sozialabbau sein, aber Hartz IV unterstützen. Man kann nicht für Tarifverträge und anständige Löhne sein und gleichzeitig Lohndumping organisieren. Man kann nicht gegen Krieg sein und dann im Parlament für Krieg stimmen."

Doch wie ist es mit seiner eigenen Glaubwürdigkeit und der der Linkspartei bestellt?

Als Vorsitzender der SPD war Lafontaine 1998 der Architekt der rot-grünen Koalition, die Hartz IV und die umfassendsten Steuersenkungen für die Reichen in der Geschichte der Bundesrepublik einführte. Als Finanzminister und stellvertretender Regierungschef hätte er es in der Hand gehabt, einige der sozialen Maßnahmen zu verwirklichen, die er nun lautstark fordert. Stattdessen warf er ohne Erklärung seine Ämter hin und überließ das Feld Gerhard Schröder.

Man muss aber gar nicht in die Vergangenheit gehen, um die Doppelzüngigkeit und Heuchelei zu sehen, die jeden Aspekt der Linkspartei prägt. In Berlin sitzt sie seit sechs Jahren in der Landesregierung und tut exakt das Gegenteil dessen, was sie in programmatischen Erklärungen fordert.

Unter der Regentschaft von SPD und Linkspartei wurden in der Bundeshauptstadt 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die Gehälter um zehn Prozent gesenkt, drastische Stellen- und Gehaltskürzungen in den Verkehrsbetrieben, an den Universitäten und Schulen durchgesetzt sowie Gebühren und Personalschlüssel an den Kitas und Horten stark erhöht. Ferner wurde die städtische Wohnbaugesellschaft GSW mit 65.000 Wohnungen an den US-Investor und Spekulanten Cerberus verkauft. Berlin besetzt bei den Kürzungen im öffentlichen Bereich den Spitzenplatz unter den Bundesländern.

Soviel zu Lafontaines Appell, man dürfe "nicht gleichzeitig für und gegen etwas sein".

Die Linkspartei ist keine Antwort auf die Verlogenheit der offiziellen Politik, sondern hat der allgemeinen politischen Unglaubwürdigkeit eine neue Dimension hinzugefügt. Sie ist keine Alternative zur Sozialdemokratie, sondern ein Instrument, um möglichst viele enttäuschte Sozialdemokraten aufzufangen und im Bannkreis sozialdemokratischer Politik zu halten.

Seit die SPD 1914 den Krediten für den ersten Weltkrieg zustimmte, ist sie eine der wichtigsten Stützen der bürgerlichen Herrschaft in Deutschland. 1918 unterdrückte sie blutig die beginnende proletarische Revolution. Fünf Jahre später rettete sie die bürgerliche Herrschaft angesichts von Hyperinflation und revolutionärer Krise. Anfang der dreißiger Jahre unterstützte sie die reaktionäre Brüningregierung auch dann noch, als diese mit Notverordnungen regierte und der Nazidiktatur den Weg bahnte.

Nach Weltkrieg und Faschismus blockte die SPD die Sozialisierungsbewegung der Nachkriegsjahre ab. Ende der sechziger Jahre lenkte sie die radikalisierten Studenten mit Parolen wie "Mehr Demokratie wagen!" in harmlose Bahnen und besänftigte die Arbeiter durch soziale Zugeständnisse. Unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders zerschlug sie schließlich, was von den sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit übrig geblieben war.

Der massive Mitglieder- und Wählerschwund, der darauf einsetzte, hat Lafontaine und die Gewerkschaftsführer alarmiert. Sie halten es für falsch, die Sozialdemokratie als wichtiges Instrument der bürgerlichen Herrschaft leichtfertig aufzugeben und zu zerstören. Sie sind überzeugt, dass die Aufrecherhaltung der Sozialdemokratie - und sei es in der neuen Form der Linkspartei - für den Erhalt der bürgerlichen Ordnung nach wie vor wichtig ist. Wo immer sich die Möglichkeit ergibt, streben sie ein Regierungsbündnis von Linkspartei und SPD an.

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