Erstmals seit dem Ende der rot-grünen Bundesregierung vor eineinhalb Jahren ziehen die Grünen in Bremen wieder in eine Landesregierung ein. Zurzeit verhandeln sie mit der SPD, die den Stadtstaat zwölf Jahre lang in einer Großen Koalition mit der CDU regiert hat, über die Bildung eines rot-grünen Senats.
Im Selbstverständnis der Grünen geht es dabei nicht um eine Neubelebung der viel beschworenen "rot-grünen Ära". Vielmehr betrachten sie das Bündnis mit der SPD als Übergangsstadium für zukünftig Koalitionen mit der Union auf Landes- und auf Bundesebene. Aus diesem Grund übernehmen sie, erstmals in der Parteigeschichte, in dem überschuldeten Kleinstaat das Finanzressort. Hier wollen sie beweisen, dass sie genauso "verantwortungsvoll" Sozialkürzungen und Sparmassnahmen durchsetzen können, wie die anderen bürgerlichen Parteien.
SPD und CDU waren bei den Bremer Wahlen vor einem Monat empfindlich abgestraft worden. Die SPD verlor 5,5, die CDU 4,1 Prozentpunkte. Die SPD erhielt in ihrer einstigen Hochburg nur noch 36,8, die CDU 25,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Nutznießer der Abneigung gegen die Große Koalition waren die Linkspartei, die mit 8,4 Prozent erstmals in ein westdeutsches Landesparlament einzog, sowie die Grünen, die mit 16,4 Prozent ihr bislang bestes Landtagswahlergebnis erreichten.
Unter diesen Umständen konnte die Große Koalition nicht einfach weitermachen wie bisher. Schweren Herzens entschloss sich die SPD, Koalitionsverhandlungen mit den Grünen aufzunehmen. Diese frohlockten, witterten sie doch die Chance, auch in anderen Ländern und im Bund wieder an die Fleischtröge der Regierungsmacht zu gelangen. Das Wichtigste an den Koalitionsgesprächen in Bremen sei, vertraute der Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion Fritz Kuhn dem Radiosender WDR 5 an, dass die Grünen jetzt "wieder einen Fuß in der Tür haben".
Führende Grüne verwahrten sich ausdrücklich gegen die Vorstellung, sie strebten lediglich Koalitionen mit der SPD an. Das "rot-grüne Projekt" sei Geschichte. "Diese Bremer Koalition bedeutet nicht gleich ein neues rot-grünes Projekt", betonte die grüne Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin-Göring Eckardt. Die Spitzenkandidatin Karoline Linnert pflichtete ihr bei: "Das wird eine Regierung wie jede andere auch."
Bremen zeige, so Fritz Kuhn, dass Große Koalitionen nur ein "Übergangsphänomen" seien. Falls die Grünen auch bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr in Hamburg, Niedersachsen und Hessen dazu gewännen, werde es auch in anderen Ländern wieder grüne Regierungsbeteiligung geben. In Hessen und Niedersachsen werden Ende Januar 2008, in Hamburg Ende Februar und in Bayern dann im Herbst 2008 neue Landtage gewählt
Kuhn sagte nicht, an wessen Seite die Grünen Regierungsverantwortung übernehmen wollen. Die Wirtschaftswoche zitiert aber einen anderen Grünenpolitiker mit den Worten: "Hamburg wäre ein idealer Ort, um Schwarz-Grün auszuprobieren."
Dass es schon länger starke Bestrebungen innerhalb der Grünen gibt, sich der CDU anzunähern, ist bekannt. Oswald Metzger, früher haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag und heute Finanzpolitiker im Stuttgarter Landtag, trommelt seit Jahren für Bündnisse mit der Union. In zahlreichen Kommunen und Städten gab und gibt es auch schon schwarz-grüne Bündnisse. In Tübingen wurde der Grüne Boris Palmer sogar mit den Stimmen der CDU zum Oberbürgermeister gewählt.
Doch nun werden derartige Bündnisse auch auf Landes- und Bundesebene vorbereitet. "Früher hieß es immer, wir schließen die CDU kategorisch aus", zitiert die Wirtschaftswoche eine nicht namentlich genannte grüne Bundestagsabgeordnete. "Doch auf Basis des aktuellen Koalitionsvertrages, wenn es also beim Atomausstieg bleibt, dann sind wir auch für die Union offen."
Dies wird von führenden Grünen bestätigt. So erklärte sich die Bundestagsfraktionsvorsitzende Renate Künast für alle Optionen offen: "Der Kopf ist schließlich rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können."
In einem Interview mit dem Rheinischen Merkur vom 7. Juni präzisierte Künast: "Optionen zu haben ist immer gut. Ich bin durch Schwarz-Grün nicht zu erschrecken. Wir wären ja verrückt, wenn wir für die nächste Wahl nur auf ein rot-grünes Modell setzen würden, für das es nach den einfachen Regeln der Schulmathematik derzeit kaum eine Mehrheit geben wird. Entscheidend ist, dass wir mit einem Partner grüne Inhalte durchsetzen können - bei Ökologie, Bildung und Familienpolitik. Darauf kommt es an. Und nicht auf die Farben."
Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin glaubt gar, die CSU in Bayern, wo der rechtslastige Innenminister Günther Beckstein demnächst Regierungschef wird, sei die einzige konservative Partei, die eine grüne Beteiligung möglich machen könnte.
Sollte die wacklige Große Koalition in Berlin vorzeitig auseinander brechen, könnten die Grünen gebraucht werden, um der Union gemeinsam mit der FDP eine neue Mehrheit zu verschaffen. Rechnerisch wäre eine sogenannte Jamaika-Koalition jederzeit ohne Neuwahlen möglich. Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt dem Rechnung und trifft sich schon seit langem regelmäßig zu vertraulichen Gesprächen mit grünen Spitzenpolitikern.
Die zukünftigen grünen Bremer Senatoren Karoline Linnert und Reinhard Loske
Die Grünen sollen in Bremen zwei Senatorenposten erhalten, das Finanz- und das Umweltressort.
Als Finanzsenatorin übernimmt Karoline Linnert ein Ressort, das Grüne auf Landes- und Bundesebene bislang noch nicht innehatten. Ziel der Koalitionsverhandlungen sei "eine Koalition der Vernunft", die im überschuldeten Kleinstaat "eine Stimmung erzeugt, aus der heraus die Menschen Lust haben, mit uns an Lösungen zu arbeiten", sagte Linnert der taz.
Susan Mittrenga, Vorstandssprecherin der Grünen in Bremen, unterstreicht, dass man die schwierige Haushaltslage angehen wolle. Der neue regierende Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) lobt die Grünen ausdrücklich, sie hätten sich zum eingeschlagenen Sparkurs bekannt.
Dieser Sparkurs gehörte zu den wichtigsten Ursachen für die Stimmenverluste von SPD und CDU. Volker Beck, Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, warf ihnen trotzdem vor, sie hätten nicht rigoros genug gespart. "Die Große Koalition [in Bremen] hat, anstatt den Haushalt zu sanieren, viel Geld in verschwenderische Projekte gesteckt, für die die Menschen in Bremen noch jahrzehntelang bezahlen müssen", sagte er.
Als die Grünen 1998 in die Bundesregierung eintraten, bewiesen sie der herrschenden Elite ihre Zuverlässigkeit, indem sie den Nato-Krieg gegen Jugoslawien unterstützten. Nun versuchen sie ein Comeback, indem sie ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, harte und unpopuläre Sparmaßnahmen durchzuführen.
Das Umweltressort soll der Grüne Reinhard Loske übernehmen. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion steht auf dem äußersten rechten Flügel der Partei und tritt offensiv für Bündnisse mit der Union ein.
Am 13. März 2007 erklärte Loske in einem Interview mit dem Nachrichtensender ntv, er beobachte schon seit Jahren, dass die Union sich auch personell den Grünen annähere: "Wenn ich mir zum Beispiel angucke, welche Leute zum näheren Umfeld von Angela Merkel gehören - Norbert Röttgen, Peter Altmaier, Ronald Pofalla, Friedbert Pflüger - das sind ja durchaus Leute, mit denen wir zwar weiß Gott nicht in jedem Punkt einer Meinung sind, aber auch Leute, die für Schwarz-Grün anschlussfähig sind." In einer schwarz-grünen Koalition ginge es rationaler zu als im Bündnis mit der SPD, fügte Loske hinzu.
Auch er sieht in Bayern gute Möglichkeiten für eine schwarz-grüne Landesregierung: "Schwarz-Grün in Bayern, für mich wäre das eine Art Dream-Team", sagte Loske. "Eine Partei, die für sich reklamiert wertkonservativ zu sein, und eine ökologische Partei - da ginge vielleicht was."
Loske betrachtet sich seit langem als Vorkämpfer "langfristiger Koalitionen", die "Umwelt- und Wirtschaftsinteressen bündeln". Vor zwei Jahren hatte er den Herbert-Gruhl-Preis von der gleichnamigen Gesellschaft erhalten. Gruhl verkörperte den rechten Rand der Umweltbewegung, wo die grüne Farbe ins Braune umschlägt.
Die Herbert-Gruhl-Gesellschaft stellt sich die Aufgabe, den "naturkonservativen Ansatz" ihres Namensgebers und deren "endzeitphilosophischen Folgerungen" weiterzuentwickeln. Mit Letzterem ist vor allem Gruhls reaktionäre Bevölkerungspolitik gemeint. Er beschreibt die angebliche Überbevölkerung der Erde mit Begriffen aus dem ultrarechten Lager wie "Menschenflut" oder "Menschenlawinen" und hetzt gegen Einwanderer.
Gruhl selbst war von 1954 bis 1978 Mitglied der CDU. 1980 gehörte er zu den Gründern der Grünen. Zwei Jahre später gründete er die ÖDP, eine rechte Abspaltung von den Grünen, die er von 1982 bis 1989 leitete. Als die ÖDP einen Abgrenzungsbeschluss zu rechtsextremen Parteien fasste, lehnte Gruhl dies als einen von "linken Chaoten und Teilen der Grünen aufgezwungenen Richtungsstreit" ab und trat aus der ÖDP aus, um gemeinsam mit Baldur Springmann eine eindeutig rechtsextreme Organisation zu bilden.
Springmann fürchtete eine "geplante Abschaffung des deutschen Volkes", gegen die er zum Widerstand aufrief. Später gründete Springmann die "Aktionsgemeinschaft Deutschlandliebender" und propagierte ein bäuerliches Leben, weg vom "Wachstumswahn". Herbert Gruhl starb 1993, zwei Jahre nachdem ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen worden war.
In seiner Laudatio zur Preisverleihung stellte Volker Kempf, der Vorsitzende der Herbert-Gruhl-Gesellschaft, Reinhard Loske in Gruhls Tradition: "Von der Ökologiebewegung der 1970er/1980er Jahre wurde der Wert des Verzichts wiederentdeckt; an die Stelle des Wachstumsfetischismus sollte das rechte Maß treten, [...] Doch gerade dieses Denken war, wie Sie Ende 2003 in der FAZ schreiben, nie aktueller als heute, wo es in vielen Bereichen um ein Zurückschrauben von Anspruchshaltungen geht’. Und weiter: Nur wenn der einzelne realistisch einschätzt, was er von der Solidargemeinschaft erwarten darf..., wird der Sozialstaat zu erhalten sein.’"
Sein erstes Ziel als Bremer Senator sieht Loske denn auch darin, von der "unfruchtbaren Konfrontation zwischen Wirtschaft und Umweltschutz" wegzukommen.