Frankreich: Sakozy bereitet Schocktherapie vor

Der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy will den Schwung seines Wahlerfolgs nutzen, um noch im Sommer eine Reihe reaktionärer Gesetzesvorhaben durchzupeitschen. Das verkündete sein Premierminister François Fillon am Mittwoch im Sender Europe 1.

Fillon sparte dabei nicht mit drastischen Worten. Er sagte, Frankreich benötige nicht nur einen "Bruch" (Sarkozys Wahlkampfparole), sondern einen "Elektroschock". Er verglich das Land mit einem Formel-1-Rennwagen: "Man muss es bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten fahren, damit es sich im internationalen Wettbewerb an vorderster Stelle befindet."

Unter Anspielung auf Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac erklärte Fillon: "Frankreich hat zu viele Politiker gesehen, die Wahlen mit Vorhaben gewonnen haben, die dann am Widerstand von Gruppeninteressen gescheitert sind."

Nun sieht er eine einmalige Chance, die von den Finanzmärkten geforderten, aber immer an heftigem Widerstand gescheiterten "Reformen" endlich zu verwirklichen. "Mit einer Beteiligung von 84 Prozent und über 53 Prozent der Stimmen," sagte er, "bietet der Wahlsieg von Nicolas Sarkozy eine historische Gelegenheit, Frankreich von Grund auf zu verändern."

Das neue Parlament, das am 10. und 17. Juni gewählt wird, soll sich vom 26. Juni bis zum 10. August zu einer außerordentlichen Sitzungsperiode treffen, um die vorrangigen Gesetzesvorhaben der Regierung zu verabschieden. Fillon rechnet dabei mit einer sicheren Mehrheit. Der Bankrott der so genannten "Linken", die nach ihrer Wahlniederlage demoralisiert und tief zerstritten sind, die Bereitschaft der Gewerkschaften, mit Sarkozy und Fillon zusammenzuarbeiten, sowie das Überlaufen ehemaliger "Linker" und Umweltaktivisten ins Lager des Wahlsiegers machen einen Wahlerfolg der konservativen UMP höchst wahrscheinlich.

Vor allem die Aufnahme ehemaliger Sozialisten wie Außenminister Bernard Kouchner in die Regierung rechnet sich Fillon als gelungenen politischen Coup an. Sie habe einen "unmittelbaren politischen Schock" ausgelöst, sagte er Europe 1. "Wir haben alle Parteigrenzen erschüttert, wir haben alle Vorurteile und vorgefertigten Szenarien zerschlagen."

Präsident Sarkozy hatte schon während seiner Amtsübernahme die Gewerkschaften umworben, die sich zu einer Zusammenarbeit mit der Regierung bereit erklärten. Am Montagmorgen empfing er dann gemeinsam mit Alain Juppé, dem Umweltminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Vertreter von neun Umweltverbänden im Präsidentenpalast. Diese zeigten sich begeistert.

"Es ist ein historischer Schritt", sagte Vogelschützer Allain Bougrain-Dubourg. "Erstmals konnte man über die Artenvielfalt reden, ohne als Fundamentalist behandelt zu werden." Der renommierte Umweltschützer und Schriftsteller Nicolas Hulot schwärmte: "Sie sind uns ohne Vorurteile begegnet. Der Umweltschutz ist aus seinem Ghetto getreten." Und selbst Yannick Jadot von Greenpeace stellte "Zeichen der Öffnung" fest.

Am Nachmittag erfolgte in Anwesenheit Hulots und des 85-jährigen Philosophen und Résistance-Kämpfers Edgar Morin ein weiteres Treffen mit Umweltwissenschaftlern und -experten. Auch sie ließen sich von Sarkozy und Juppé umgarnen. "Allein schon durch die Anwesenheit von Edgar Morin hat die Debatte eine humanistische Wendung angenommen und sich globalen Themen zugewandt," lobte der Spezialist für Artenvielfalt Yvon Le Maho. "Der Sachverstand und die Art und Weise, wie die Politik verschiedene Theorien austesten kann, standen im Mittelpunkt der Diskussion."

Sarkozy hat versprochen, im Herbst ein "Grenelle der Umwelt" zu veranstalten, ein Treffen von Regierungsvertretern, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, das konkrete Maßnahmen zum Umweltschutz aushandeln soll. Der Begriff "Grenelle" bezieht sich auf das Abkommen, mit dem Gewerkschaften, Unternehmerverbände und Regierung im Mai 1968 den damaligen Generalstreik abgewürgt hatten. Es war im Arbeitsministerium an der Pariser Rue de Grenelle ausgehandelt worden.

Die Hinwendung von Tier- und Umweltschützern und Verfechtern humanitärer Anliegen zur rechten Regierung Sarkozy ist eine Erscheinung, die einer genaueren Untersuchung bedarf. Sie stammen größtenteils aus der oberen Mittelklasse und haben ihre besonderen Anliegen völlig von weiterreichenden gesellschaftlichen Fragen getrennt. Dem Schicksal der Arbeiterklasse stehen sie gleichgültig oder feindlich gegenüber.

So verschaffen sie Sarkozy einen "progressiven" Deckmantel für seine Angriffe auf soziale Rechte und demokratische Errungenschaften. Die Regierung bemächtigt sich ihrer humanitären und Umweltthemen nicht ohne Eigennutz. So eignet sich die Klimapolitik, die in Juppés Ministerium eine wichtige Rolle spielt, hervorragend als diplomatisches Druckmittel gegen die USA, die sich bisher allen internationalen Klimaabkommen widersetzt haben. Und Außenminister Kouchner, der Mitbegründer der "Ärzte ohne Grenzen", gilt spätestens seit dem Bosnien- und Kosovokrieg als Experte für die Rechtfertigung imperialistischer Kriege mit "humanitären" Argumenten.

Gleichzeitig haben Juppé und Sarkozy deutlich gemacht, dass sie bei Umweltfragen, die Interessen französischer Konzerne berühren, nicht nachgeben werden. Das betrifft insbesondere die Entwicklung und Produktion genmanipulierter Nahrungsmittel und den Bau des neuen Kernreaktortyps EPR.

Zwischen Präsident Sarkozy und Regierungschef Fillon besteht eine gewisse Arbeitsteilung. Während sich ersterer um eine breitere Basis für seine Politik bemüht, ist letzterer für die harte Praxis zuständig.

Zu den Gesetzen, die noch in diesem Sommer verabschiedet werden sollen, gehört die Einführung einer festgelegten Mindeststrafe für jugendliche Wiederholungstäter. Ein solches Gesetz verstößt gegen die französische Verfassung und die europäische Menschenrechtskonvention, die beide eine individuelle Strafzumessung durch das Gericht von Fall zu Fall vorsehen. Außerdem will die Regierung das Jugendstrafrecht für Wiederholungstäter von 18 auf 16 Jahre absenken. Bereits 16-Jährige würden dann wie Erwachsene bestraft. Experten erwarten, dass dies zu einer drastischen Erhöhung der Zahl jugendlicher Gefängnisinsassen führt.

Hohe Priorität im Gesetzgebungskatalog Fillons haben auch Maßnahmen zur Beschränkung des Streikrechts und zur Flexibilisierung der Arbeit. So soll bei Streiks etwa im Verkehrswesen eine Mindestversorgung gesetzlich erzwungen werden. Fillon hat allerdings zugesagt, solche Maßnahmen mit den Gewerkschaften zu diskutieren, und diese aufgefordert, bis Ende Sommer entsprechende Vorschläge zu machen. Er fügte hinzu: "Falls sie das bis Ende Sommer nicht tun, werden wir Anfang September einen Text vorlegen."

Keine Priorität im Regierungsprogramm hat dagegen die Konsolidierung des Haushalts. Obwohl Frankreich damit gegen die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union verstößt, kündigte Haushaltsminister Eric Woerth an, bei der Konsolidierung des Haushalts werde eine "Pause" eingelegt. Die Schulden müssten bis zum Ende der Legislaturperiode warten, die im Wahlkampf versprochene Senkung der Steuern habe Vorrang.

Die Regierung Sarkozy-Fillon folgt damit dem Beispiel anderer konservativer Regierungen (Berlusconi in Italien, Bush in den USA), die mit vollen Händen öffentliche Gelder in Form von Steuersenkungen an ihre reichen Freunde verteilt und in Militärausgaben gesteckt haben, während vorgeblich linke Regierungen (Schröder in Deutschland, Prodi in Italien) die Aufgabe übernahmen, den Haushalt auf Kosten ihrer Wähler in der Arbeiterklasse zu konsolidieren.

Die linksliberale Zeitung Libération fasste das Programm Sarkozys für die ersten sechs Monate mit den Worten zusammen: "Er geht daran, den Charakter des so verschrienen ‚französischen Sozialmodells’ umzustürzen. Das erste Semester seiner Präsidentschaft wird sich gegen den Kern seines Fundaments richten: den Anspruch auf Gleichheit, die in ‚Egalitarismus’ umbenannt wurde, damit sie sich besser auf Immobilismus reimt."

Sarkozy versucht die Desorientierung, die die rechte Politik der Sozialistischen Partei und ihrer "linken" Satelliten in der Arbeiterklasse ausgelöst hat und die letztlich seinen Wahlsieg ermöglichte, für eine rechte Offensive auszunutzen. Er weiß, dass er dafür nur beschränkte Zeit zur Verfügung hat, da sein Programm immens unpopulär ist und unweigerlich auf Widerstand stoßen wird.

Die Sozialistische Partei bereitet sich inzwischen auf eine interne Abrechnung vor. Die Messer dafür sind längst gewetzt und werden nur mühsam zurückgehalten, bis die Parlamentswahl vorbei ist. Parteichef François Hollande hat angekündigt, auf dem nächsten Parteitag nicht mehr für den Vorsitz zu kandidieren, ohne allerdings einen Termin für den Parteitag zu nennen.

Um seine Nachfolge streiten sich mehrere Rivalen, die alle in der einen oder anderen Form einen weiteren Rechtsruck vorbereiten. Da ist Ségolène Royal, die Präsidentschaftskandidatin, die schon im Wahlkampf die rechtsliberale UDF François Bayrous umwarb. Dann gibt es den ehemaligen Finanzminister Dominique Strauss-Kahn, der die Wahlniederlage darauf zurückführt, dass die Wahlkampagne nicht rechts genug war. Und schließlich tritt Laurent Fabius, lange Zeit ein notorischer Vertreter des rechten Parteiflügels, als Vertreter der "Linken" auf

Die Arbeiterklasse kann keinen Schritt gegen Sarkozy unternehmen, ohne mit der Sozialistischen Partei, ihren linken Anhängseln und den Gewerkschaften zu brechen und eine unabhängige Bewegung auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms aufzubauen.

Siehe auch:
Weitere Artikel zu Frankreich
Loading