In einer Rede vor dem diplomatischen Korps in Paris hat sich der französische Präsident Nicolas Sarkozy am 26. August für ein starkes Frankreich in einem starken Europa eingesetzt, das in der Lage sei, mit den Vereinigten Staaten auf Augenhöhe umzugehen.
"Europa muss sich nach und nach als Akteur ersten Ranges für Frieden und Sicherheit in der Welt positionieren, in Kooperation mit den Vereinten Nationen, dem Atlantische Bündnis und der Afrikanischen Union", sagte er.
Sarkozy bezog sich ausdrücklich auf den Verteilungskampf zwischen den Großmächten um die Rohstoffe der Welt, besonders um Energie, und warnte: "Die Welt ist multipolar geworden, aber diese Multipolarität, die ein neues Konzert der Großmächte ankündigen könnte, driftet eher in ein Aufeinanderprallen machtpolitischer Strategien ab."
Wiederholt ging er in seiner Rede auf die militärische, ökonomische und politische Hegemonie der USA ein.
Sarkozy schlug vor, die G8-Gruppe der reichsten Nationen der Welt zu einer G13 auszuweiten und China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika mit einzubeziehen. Er schlug auch vor, die permanente Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von den aktuellen fünf Ländern (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) um Deutschland, Japan, Indien, Brasilien und Afrika ("eine gerechte Vertretung Afrikas", wie er es nannte) auszuweiten.
Seine wichtigste Antwort auf die "Gefahren einer antagonistischen multipolaren Welt" lief jedoch darauf hinaus, durch die Militarisierung Europas ein neues Mächtegleichgewicht zu schaffen. Würde Europa seine Rolle als Großmacht nicht annehmen, behauptete er, dann wäre die Welt eines notwendigen Gleichgewichtsfaktors beraubt.
Dies erfordere eine mächtige Militärpräsenz der Europäischen Union in der Welt, und dabei müsse Frankreich die Führungsrolle übernehmen: Deshalb "möchte ich, dass wir in den kommenden Monaten gezielt auf die Stärkung des Europas der Verteidigung und die Erneuerung der Nato und folglich ihres Verhältnisses zu Frankreich hinarbeiten."
Er forderte auch eine Stärkung der Nato selbst, in der Frankreich wie die meisten EU-Länder Mitglied sind, aber er machte klar, dass er eine Partnerschaft unter Gleichen im Auge habe: "Beides zusammen. Ein unabhängiges Verteidigungseuropa und ein Atlantisches Bündnis, in dem wir den uns gebührenden Platz einnehmen."
Während er das Ziel der Vereinigten Staaten unterstützt, die imperialistische Ausbeutung der Welt abzusichern, besteht er darauf, dass Frankreich und die EU sich ihren Anteil an der Beute sichern. Er versprach, dass Frankreich sich mit zusätzlichen 150 Militärausbildern an der Afghanistan-Besatzung beteiligen werde, und betonte, dass "die Europäische Union an die fünfzehn Militäreinsätze durchgeführt (hat), auf unserem eigenen Kontinent, in Afrika, im Nahen Osten, in Asien".
Sarkozy forderte die weitere Entwicklung der europäischen Rüstungs- und Sicherheitskapazitäten. "Zu diesem europäischen Konzept haben Frankreich und Deutschland mit der deutsch-französischen Brigade und dann dem europäischen Korps die Grundlagen gelegt", sagte er. Er wies darauf hin, dass Großbritannien und Frankreich zwei Drittel Mal so viel für militärische Zwecke ausgeben, wie die anderen 25 EU-Länder zusammen, und forderte: "Alle unsere anderen Partner sollen sich an dieser gemeinsamen Anstrengung beteiligen."
Anderntags sprach Sarkozy vor einer Kommission, die ein Weißbuch zur Verteidigungspolitik vorbereiten soll, und sagte, er veranschlage den nationalen Aufwand zur Verteidigung bei etwa zwei Prozent des Nationaleinkommens: "Dieses Ziel sollte es Frankreich ermöglichen, die notwendigen Kapazitäten aufzubauen, um zusammen mit dem Vereinigten Königreich an der Spitze der europäischen Nationen zu bleiben."
Sakozys freundliche Worte über Großbritannien markieren eine deutliche Wende in der französischen Außenpolitik, die das Königreich lange Zeit als Interessenvertreter der USA aufgefasst und sich eher auf die französisch-deutsche Allianz gestützt hat. Es ist ein Hinweis darauf, dass Sarkozy militärischer Macht für die Sicherung europäischer Wirtschaftsinteressen große Bedeutung beimisst.
Frankreich und Großbritannien sind die einzigen EU-Länder, die Nuklearwaffen besitzen, ein Faktor, der in Sarkozys Rede unausgesprochen mitschwingt. Der französische Imperialismus stützt sich durchaus auf diesen Faktor, um den EU-Bündnispartnern und Rivalen gegenüber seinen Führungsanspruch geltend zu machen.
Aber auch an der wirtschaftlichen Front möchte Sarkozy erreichen, dass Europa die notwendigen Maßnahmen ergreift, um seine Interessen auf Weltebene wahrzunehmen. Der Versuch des französischen und europäischen Imperialismus, "ein Akteur ersten Ranges" zu sein, erfordert vor allem die verstärkte Ausbeutung der Arbeiterklasse und die Fähigkeit, im eignen Land die Ordnung aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund drängt Sarkozy auf neue, weit reichende Gesetze, um Polizei und Justiz zu stärken und Arbeiterrechte einzuschränken. Gleichzeitig kürzt er massiv die öffentlichen Sozialleistungen.
In seiner Rede betonte er: "[Frankreichs] Botschaft wird nur dann in der Welt weiterhin gehört werden, wenn sie von einem Volk getragen wird, das ehrgeizige Ziele hat und zuversichtlich ist; von einer mit sich selbst versöhnten Gesellschaft; und von einer leistungsfähigen Wirtschaft."
Sarkozy beglückwünschte sich dazu, den "Vereinfachten Vertrag", eine abgespeckte Version der marktliberalen Europäischen Verfassung, im Europäischen Rat durchgesetzt zu haben. Es war für die EU ein herber Rückschlag, als 2005 die Europäische Verfassung durch Referenden in Frankreich und Holland abgelehnt wurde; was den Aufbau einer geeinten, marktwirtschaftlich und unternehmerfreundlich orientierten Europäischen Union ins Stocken brachte und den Angriff auf soziale Rechte erschwerte.
Sarkozys offener Appell an den Militarismus, besonders seine Forderung, Europa müsse eine größere Rolle im Irak spielen, wurde als Versöhnungsgeste an die Adresse der USA aufgefasst. Sicherlich geht er davon aus, dass eine Niederlage der USA im Irak sämtliche imperialistischen Mächte in Gefahr brächte. Dennoch verfolgt Frankreich seine eigenen Interessen im Nahen Osten, besonders im Iran, und Sarkozy hat durchaus die Absicht, diese wahrzunehmen, auch wenn es ihn auf Konfrontationskurs mit Washington bringt.
Er wiederholte, die von den USA geführte Invasion im Irak habe zu einer "Tragödie" geführt, und erklärte, Frankreich sei "auch weiterhin gegen diesen Krieg". Er kritisierte die Entscheidung der USA, ohne UN-Mandat zu handeln, und erklärte: "Die Vereinigten Staaten konnten der Versuchung einer einseitigen Anwendung von Gewalt nicht widerstehen, aber beim Umweltschutz beweisen sie leider nicht die Führungskraft’, die sie ansonsten beanspruchen."
Er rief nach einer politischen Lösung und forderte einen "klaren Zeithorizont für den Rückzug der ausländischen Truppen.... Dann, erst dann, wird die internationale Gemeinschaft, beginnend mit den Ländern der Region, nutzbringender agieren können. Frankreich wird dazu bereit sein. Dies ist die Botschaft, die [Außenminister] Bernard Kouchner soeben in Bagdad überbracht hat, eine Botschaft der Solidarität und der Bereitschaft."
Sarkozy hat zudem die Beziehungen mit Syrien wieder neu aufleben lassen, die sein Vorgänger Jacques Chirac abgebrochen hatte, was ihn zwar mit dem Weißen Haus in Konflikt bringt, ihm jedoch erlaubt, in der Region die Rolle eines Unterhändlers zu spielen.
Er bevorzugt eine Stellung, die es ihm erlaubt, je nach Situation sowohl als Verbündeter als auch als Rivale der USA aufzutreten. Dies wird in der Iran-Frage besonders deutlich, die er als "die ernsteste, die heute die internationalen Ordnung belastet", bezeichnet. Der Iran besitzt wichtige Gas- und Ölressourcen und stellt für Frankreich und Europa, wie für andere Rivalen der Vereinigten Staaten, eine wichtige Investitions- und Handelsregion dar.
Sarkozy stimmt vollkommen mit der Bush-Regierung überein, wenn es darum geht, Druck auf die iranische Regierung auszuüben, um sie zur vollständigen Aufgabe ihres Nuklearprogramms zu nötigen. Auch er geht so weit, zu warnen, dass der Iran, falls er sich weigert, bombardiert werden könnte. Der Iran müsse sein Nuklearprogramm beenden, um "einer katastrophalen Alternative zu entrinnen: die iranische Bombe oder Bombardierung Irans", sagte Sarkozy.
Aber Sarkozy machte auch klar, das er eine diplomatische Lösung bevorzugt, und versprach: "Frankreich wird keine Anstrengung scheuen, um den Iran davon zu überzeugen, dass er viel dabei zu gewinnen hätte, wenn er ernsthafte Verhandlungen mit den Europäern, Chinesen und Russen, und natürlich den Amerikanern aufnehmen würde." Dass Amerika in dieser Aufzählung an letzter Stelle kommt, drückt Sarkozys Wunsch aus, dass Europa und andere Mächte als Gegengewicht zur US-Vorherrschaft auftreten sollten.
Bezüglich des Kosovo drückte er seinen Wunsch aus, Europäische Interessen zu verteidigen, und appellierte an beide, "an die Russen und die Amerikaner, damit sie begreifen, dass diese äußerst schwierige Angelegenheit in erster Linie eine europäische Angelegenheit ist; ... und dass im Übrigen die Zukunft des Balkanraums langfristig in der Europäischen Union liegt."
Sarkozys Rede wurde in den USA positiv aufgenommen und als Hinweis auf ein Tauwetter in den Beziehungen zu Frankreich verstanden. Voice of America legte das Gewicht auf Sarkozys Auftreten gegen den iranischen Nuklearwaffenbesitz und fügte hinzu, "der Präsident bestätigte außerdem die Bedeutung guter Beziehungen zu den Vereinigten Staaten".
Das Wall Street Journal bemerkte: "Er gab außerdem zu verstehen, dass Frankreich auf der internationalen Bühne mehr zu sein beabsichtige als ein Gegenspieler Amerikas. Das ist schon einen Applaus wert."
Die amerikanischen Medien gehen davon aus, dass die Ambitionen Frankreichs am Ende kontrollierbar sein werden. Sie halten die plakativen Avancen gegenüber Amerika offenbar für wichtiger als das nationalistische Trommeln für innenpolitische Zwecke. Dennoch werden sich die USA letztlich nicht damit abfinden, dass Frankreich und Europa ihre eigenen Interessen wieder entschlossener vertreten. So sind Zusammenstöße in Zukunft unvermeidlich, besonders in Afrika und im Nahen Osten, wo die historische Präsenz und die Interessen Frankreichs nicht nur von den Vereinigten Staaten, sondern auch von China herausgefordert werden.
Der amerikanische Imperialismus ist entschlossen, eine Infragestellung seiner Vormachtstellung mit allen, auch militärischen Mitteln zu verhindern. Washington möchte auch, dass Europa militärisch eine größere Rolle spielt, aber nur in einer untergeordneten Position. Momentan gehen die USA davon aus, dass sie es sich leisten können, zu Sarkozys vollmundigen Ansprüchen für Frankreich und Europa eine wohlwollende Haltung einzunehmen. Sie stützen sich dabei auf ihre überwältigende militärische Übermacht und verlassen sich darauf, mittels ihrer direkten Verbündeten Großbritannien und Polen Europa spalten zu können.
Libération wies auf die objektive Begrenztheit von Sarkozys Frankreich-Träumen hin und schrieb in einem Leitartikel: "Wenn man an der Spitze eines mittelgroßen Landes steht, das durch zahlreiche Verträge mit weit größeren Gruppierungen verbunden ist, dann sind diplomatische Reden nicht entscheidend.... Der Wunsch, alle Puppen zum Tanzen zu bringen, ist zweifellos allzu ehrgeizig."
Die Reaktion aus Deutschland ist Ausdruck der starken Spannungen innerhalb der EU und der Ansicht, Frankreich versuche, seine eigene Hegemonie über Europa zu errichten. So zitiert der Spiegel in einem giftigen Rundumschlag aus einem Artikel des Handelsblatts, der den Titel "Rambo im Elysée" trägt: "So schlecht er über manche andere redet, so wichtig nimmt Sarkozy sich selbst. Der Staatschef hat gestern gleich mehrfach einen französischen Führungsanspruch formuliert, sowohl in Europa als auch weltweit."
Die konservative Tageszeitung Die Welt schrieb: "Paris [will] sich als Weltspieler behaupten. Den Versuch, die Europäische Union in Richtung Afrika auszudehnen, kann als Antwort auf den vergrößerten Einfluss der Deutschen nach der Wiedervereinigung und der EU-Erweiterung verstanden werden."
Die Zeitung tut Sarkozys Ruf nach einem ständigen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat mit den Worten ab, er gehöre "ins Reich der Rhetorik. Er rührt die Deutschen - und lässt sich nicht durchsetzen."
Das politische Establishment Deutschlands reagiert verärgert auf den seiner Meinung nach übermäßigen französischen Nationalismus und mehrere unilaterale Initiativen der Sarkozy-Regierung, die nicht mit der EU oder Berlin abgesprochen waren: Die Intervention in Libyen zur Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern, die Sarkozy mit dem Verkauf eines Atomkraftwerks an das ölreiche Land verband, wie auch den Appell an die Europäische Zentralbank, den Euro abzuwerten, um französische Exporte anzukurbeln.
Es ist auch möglich, dass Sarkozys Rüge an die Adresse Russlands, es sei bereit, die Preise für sein Öl und Gas "notfalls mit einer gewissen Brutalität durchzusetzen", als eine Gefährdung der engen Beziehungen Berlins zu Moskau aufgefasst wird. Deutschland bezieht ein Drittel seiner Öl- und Gasimporte aus Russland, während sich Frankreich mehr auf Afrika und den Nahen Osten orientiert.
Die Financial Times Deutschland kommentierte: "Was seine Idee angeht, die EU zu einem starken Akteur der globalen Sicherheitspolitik zu machen, wird er schon bald folgende Lektion lernen können: Einige EU-Partner werden dem Neuen in Paris und seinem Plan schnell eine Abfuhr erteilen."