Siemens baut weltweit 7.000 Stellen ab

Der Siemens-Konzern hat am Dienstag angekündigt, weltweit fast 7.000 Stellen bei seinem Tochterunternehmen Siemens Enterprise Communications (SEN) abzubauen. SEN bietet Telekommunikations-Lösungen für Firmen an.

Rund 3.000 Arbeitsplätze werden gestrichen, von weiteren fast 4.000 will sich Siemens durch Verkäufe trennen. Allein in Deutschland sollen 2.000 Arbeitsplätze beseitigt werden und 1.200 weitere durch Verkäufe wegfallen. Dies würde den Abbau von über der Hälfte der bislang 6.200 Arbeitsplätze bedeuten. Weltweit arbeiten derzeit etwa 17.500 Menschen bei SEN, davon 1.900 in den USA sowie jeweils 1.500 in Großbritannien und Brasilien.

Die SEN-Sparte soll künftig Telefone, Modems, Kabel oder Gehäuse nicht mehr selbst herstellen, sondern wie viele seiner Konkurrenten ausschließlich Software-Lösungen für Unternehmen anbieten. Vom Verzicht auf eine eigene Fertigung ist in Deutschland das SEN-Werk in Leipzig mit rund 530 Siemens-Arbeitern betroffen. Das Werk dort soll verkauft oder "in Lösungen mit Dritten eingebracht werden". Gleiches gilt für die Fertigungsstätten in Thessaloniki (Griechenland) und Curitiba (Brasilien), wobei hier auch eine Schließung der Produktionsstätten "nicht ausgeschlossen" ist.

Siemens will sich schon seit längerem von SEN trennen. Mit dem Job-Kahlschlag soll nun der Verkauf vorbereitet und die Sparte für mögliche Käufer attraktiver gemacht werden. Die Sparte wurde deshalb bilanztechnisch bereits aus dem Kerngeschäft des Konzerns ausgegliedert. Die Verhandlungen mit drei Interessenten sind dem Konzern zufolge weit fortgeschritten. Die Presse nennt als potentielle Käufer unter Berufung auf "Insider" den US-französischen Telekom-Ausrüster Alcatel-Lucent, das deutsche Unternehmen Nortel sowie den US-Finanzinvestor Cerberus.

SEN ist ursprünglich aus der Com-Sparte hervorgegangen, in der die Schmiergeldaffäre im Siemens-Konzern ihren Ausgang nahm. Die Com-Sparte wurde 2006 in die eigenständigen Gesellschaften Siemens Networks und Siemens Enterprise Communications (SEN) aufgeteilt. Siemens Networks ging im April 2007 ins Joint Venture Nokia Siemens Networks (NSN) über.

SEN kooperiert global vorrangig mit dem US-amerikanischen Telekom-Konzern AT&T, dem IT-Unternehmen IBM, Chip-Hersteller Intel, der British Telecom und dem Software-Giganten Microsoft. Die Siemens-Sparte stellt bislang auch Telefonanlagen für Unternehmen her, die meist unter dem Namen "HiPath" vertrieben werden. Doch diese elektronischen Telefonanlagen gelten als veraltet. Die meisten Unternehmen wollen für ihre Kommunikation das Internet nutzen.

SEN hatte zuletzt bei einem Umsatz von rund 3,2 Milliarden Euro einen Jahresverlust vor Steuern von 602 Millionen gemacht, wie Finanzchef Joe Kaeser mitteilte. Die Kosten für den Arbeitsplatzabbau bei SEN, Kaeser nennt sie "Restrukturierungskosten", lägen im niedrigen dreistelligen Millionenbereich. Die Börse begrüßte daher den Abbau mit einem Kursanstieg der Siemens-Aktien.

Betroffene sehen den Abbau und geplanten Verkauf als Anfang vom Ende bei SEN. "Bei dieser Operation bleibt der Patient endgültig auf der Strecke", zitiert die Frankfurter Rundschau einen Betroffenen. Nach jahrelanger Dauersanierung sowie stetigen Verlust von Know-how sei die Sparte mit ihren 17.500 Beschäftigten heute am Existenzminimum angelangt. Bei einem neuerlichen Aderlass sei die Pleite vorprogrammiert.

Die Telekommunikationstechnik bildete vor 160 Jahren den Ursprung von Siemens. Mit einem Verkauf von SEN würde der Konzern einen der letzten Bereiche aus seiner Traditionssparte loswerden. Heute ist Siemens vor allem im Industrie-, Energie- und Gesundheitssektor aktiv.

Bereits vor zweieinhalb Jahren war die Siemens-Handysparte an den taiwanesischen Konzern BenQ verkauft worden. Später kündigte BenQ einen massiven Stellenabbau an und ging schließlich mit zuletzt rund 3.000 Beschäftigten Pleite.

Übrig bleiben würde im Telekommunikationsbereich nur noch der Hersteller der Gigaset-Telefone SHC (Siemens Home and Office Communication Devices). Doch auch dieser wird laut Finanzchef Kaeser einer Überprüfung unterzogen.

IG Metall und Betriebsrat

Der strategische Rückzug aus der Telekom-Branche ist nur der Anfang eines grundlegenden Umbaus des Siemens-Konzerns. Alle Konzernbereiche müssen den Nachweis erbringen, dass sie ihre Gewinnziele von jeweils rund 15 Prozent erreichen können, und bereits im letzten Jahr gab es öffentliche Spekulationen, dass dies nicht alle Bereiche schaffen würden.

Die Süddeutsche Zeitung hielt damals auch Milliardenverkäufe für möglich. Sie brachte als Beispiel den zweitgrößten Leuchtenhersteller der Welt, Osram, ins Spiel, der sich seit 30 Jahren im Besitz von Siemens befindet. "Trotz öffentlicher Bekenntnisse zum Lichtkonzern Osram scheint dessen Verbleib nicht in Stein gemeißelt", spekulierte die Zeitung.

Ende November 2007 hatte der Aufsichtsrat des Siemens-Konzerns mit den Stimmen der Arbeitnehmervertreter einstimmig einen radikalen Umbau der bisherigen Konzernstruktur beschlossen. IG-Metall-Chef Berthold Huber, der persönlich im Aufsichtsrat von Siemens sitzt, rechtfertigte die Zustimmung von Gewerkschaft und Betriebsrat damit, dass das Unternehmen als "weltweit führender, integrierter Konzern mit allen wesentlichen Bereichen" erhalten bleibe.

"Siemens wird nicht zerschlagen oder durch Finanzinvestoren ausgeschlachtet werden. Die Entscheidung sichert den Erhalt maßgeblicher Bereiche, " behauptete Huber. Er musste allerdings zugeben, dass die Frage des Stellenabbaus auf der Aufsichtsratssitzung gar nicht behandelt worden war.

Gewerkschaft und Betriebsrat haben aber offenbar mit dem Siemens-Vorstand bereits hinter verschlossenen Türen über den Arbeitplatzabbau bei SEN verhandelt. Denn als die Pläne bekannt wurden, kommentierte ein IGM-Sprecher, zuletzt sei nur vom Abbau von 600 Stellen die Rede gewesen, und gab sich "bestürzt".

Der bayerische IGM-Vorsitzende Werner Neugebauer erklärte sich sofort bereit, über "Lösungen mit echten Perspektiven" zu verhandeln. Siemens-Finanzvorstand Kaeser betonte, der Stellenabbau solle unverzüglich beginnen und "so sozialverträglich wie möglich" gestaltet werden.

Die von Vorstand, Gewerkschaft und Betriebsrat geleisteten Schwüre, es werde "kein zweites BenQ geben", sind nicht ernst zu nehmen und sollten jedem Beschäftigten eine Warnung sein.

Siemens-Personalchef Siegfried Russwurm sagte, der Konzern bemühe sich, die Menschen in andere freie Stellen im Konzern zu vermitteln. Derzeit seien rund 3.000 Arbeitsplätze bei Siemens unbesetzt. Doch für diese Stellen werden meist hochqualifizierte Ingenieure und Software-Experten gesucht. Die Beschäftigten der SEN-Produktionsstätten werden dagegen wie jene von BenQ leer ausgehen. Russwurm hat bereits eine Transfergesellschaft für die SEN-Beschäftigten ankündigte. Mit diesem Mechanismus war auch die BenQ-Belegschaft in die Arbeitslosigkeit verschoben worden.

Die IG Metall fordert außerdem von jedem möglichen Investor eine "tragfähige Strategie", die die Arbeitsplätze der Mitarbeiter langfristig sichere. "Wir hoffen, dass Siemens aus dem Desaster bei BenQ gelernt hat", erklärte Bayerns IG-Metall-Chef Neugebauer. Auch das ist Augenwischerei. Bei den ehemaligen Siemens-Töchtern, die der Konzern an "seriöse" Investoren verkauft hat, geht der Arbeitsplatzabbau unvermindert weiter. Bei Nokia Siemens Networks (NSN) sollen bis 2010 als Folge von "Synergieeffekten" 9.000 der weltweit 60.000 Stellen wegfallen.

Auch der Automobilzulieferer Continental AG, der erst vor drei Monaten von Siemens die Autozulieferer-Sparte VDO gekauft hat, kündigte letzte Woche trotz eines Rekordergebnisses und guter Geschäftserwartungen den weiteren Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland an. Der Vorstandsvorsitzende Manfred Wennemer schloss dabei auch betriebsbedingte Kündigungen nicht aus.

Continental hatte VDO mitsamt 60.000 Beschäftigten für rund 11,4 Milliarden Euro von Siemens übernommen. Schon vor der Übernahme war der Abbau von 500 Stellen beschlossene Sache. 1.800 weitere Arbeitsplätze sind seitdem durch "natürliche Fluktuation" und die Nicht-Besetzung von Stellen weggefallen. Weitere 450 Beschäftigte im VDO-Werk Wetzlar werden ihre Arbeit verlieren, da es keine neuen Aufträge mehr für die Fabrik gibt. Über die Streichung von weiteren 1.500 Arbeitsplätzen verhandelt das Management derzeit mit dem Betriebsrat.

Siehe auch:
Siemens: Aufsichtsrat beschließt radikalen Konzernumbau
(1. Dezember 2007)
Nokia Siemens Networks streicht Tausende von Arbeitsplätzen in Finnland und Deutschland
( 17. Mai 2007)
Der schrittweise Tod von Siemens/BenQ: Ein abstoßendes Spektakel
( 26. Januar 2007)
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