Buchbesprechung:

Hitlers "erklärbare Reaktion" auf die Widersprüche des globalen Kapitalismus

Ökonomie der Zerstörung von Adam Tooze

Adam Tooze: "Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus" (Verlag: Siedler 2007, 928 S.)

75 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland gibt die von Hitler geführte Partei und die gewaltige Zerstörung, die seine Bewegung in kaum mehr als einem Jahrzehnt anrichtete, vielen Kommentatoren immer noch Rätsel auf.

So hat das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einem Sonderheft zum Jahrestag der Machergreifung (14. Januar 2008) dem Hauptbeitrag den Titel gegeben: "Der Triumph des Wahnsinns".

Und der alt gediente stalinistische Historiker Eric Hobsbawm schlug in einem Beitrag für die London Book Review (24. Januar) in die gleiche Kerbe: "Es ist eine Tatsache, dass niemand, auf der Rechten, der Linken oder in der Mitte Hitlers Nationalsozialismus richtig einschätzen konnte, eine Bewegung, wie es sie zuvor nicht gegeben hatte und deren Ziele rational nicht begreiflich waren..."

Zweifellos war der Hitler-Faschismus für ein Maß an menschlicher Verkommenheit und Brutalität verantwortlich, das zu Recht heute noch schockiert und Entsetzen auslöst; allerdings bedeutet das nicht, dass diese Bewegung sich dem Verständnis entzog. Auch gab es in den letzten Jahren eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, die wichtige neue Erkenntnisse über Entstehung und Aufstieg des Nationalsozialismus erbrachten.

Unter Verwendung neuer Quellen, darunter wichtiges Archivmaterial, das nach dem Fall des Stalinismus in der früheren UdSSR und in Osteuropa zutage gefördert wurde, haben die britischen Historiker Ian Kershaw und Richard Evans mehrbändige Werke veröffentlicht, die unser Verständnis der gesellschaftlichen und politischen Hintergründe von Hitlers Aufstieg zur Macht deutlich erweitern: Kershaws zweibändige Biographie über den Diktator (Hitler: 1889-1936 und Hitler: 1936-1945, Deutsche Verlags Anstalt, München 1998 und 2000) sowie die drei Bände von Richard J. Evans über das Dritte Reich (der dritte Band ist noch in Arbeit).

Ein dritter, und sehr wertvoller Beitrag zu den gegenwärtigen Forschungsbemühungen über den Nationalsozialismus ist das Buch des britischen, an der Universität Cambridge lehrenden Historikers Adam Tooze, das inzwischen in deutscher Übersetzung vorliegt: Ökonomie der Zerstörung. Tooze versucht die ökonomischen Triebkräfte des nationalsozialistischen Projekts zu identifizieren und zu untersuchen. Damit legt er die erste ausführliche Forschungsarbeit dieser Art seit vielen Jahrzehnten vor.

Tooze beginnt sein Buch mit dem berühmten Zitat von Karl Marx, wonach die Menschen ihre eigene Geschichte machen, aber "nicht aus freien Stücken, nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen". Tooze legt dann dar, dass Marx in seinem berühmten Buch Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852) viele mit dem Regime von Louis Bonaparte verbundene politische und ideologische Aspekte behandelt, und sich nicht nur mit wirtschaftlichen Fragen und Produktionsweisen befasst. Tooze fährt fort, es habe "auch seinen guten Grund, dass sich die jüngsten Schriften über das ‚Dritte Reich’ so ausschließlich mit Politik und Ideologie befassen". (S. 10)

Diese Konzentration auf Politik und Ideologie hat allerdings ihren Preis. Viel zu lange wurde nicht ernsthaft erforscht, wie wichtig ökonomische Fragen dabei waren, den Nationalsozialisten zu politischer Bedeutung und Macht zu verhelfen. Tooze möchte dies korrigieren und untersucht die explosiven ökonomischen Widersprüche, die bei der Entwicklung des Nationalsozialismus eine derart bedeutende Rolle spielten.

Nur wenn man die Bedeutung dieser ökonomischen Fragen studiert, kann man erklären, weshalb Hitlers Bewegung von wichtigen Teilen der deutschen Wirtschaft und der politischen Elite Unterstützung erhielt.

Im Vorwort zu seinem Buch stellt Tooze seinen grundlegenden Ansatz vor:

"Das Originäre am Nationalsozialismus war, dass er sich nicht kleinlaut bereit zeigte, sein Land einer ökonomischen Weltordnung unterzuordnen, die von wohlhabenden englischsprachigen Staaten dominiert wurde. Hitler wollte sich vielmehr die aufgestauten Frustrationen seines Volkes zunutze machen, um dieser Ordnung Paroli zu bieten. Damit das gelänge, sollte sein Land letztlich nichts anderes tun, als es Europäer im Laufe der vergangenen drei Jahrhunderte in aller Welt getan hatten, nämlich sein eigenes imperiales Hinterland abzustecken. Mit einem letzten gewaltigen Griff nach Land im Osten sollte sich das Reich die Grundlagen für wirtschaftliche Unabhängigkeit und Wohlstand verschaffen und die notwendige Plattform erwerben, um im bevorstehenden Wettkampf der Großmächte mit den Vereinigten Staaten obsiegen zu können.

Die Aggression des Hitlerregimes kann als eine Reaktion auf die Spannungen verstanden werden, die durch die ungleichen Entwicklungen im globalen Kapitalismus entstanden waren und bis heute spürbar sind." (S. 15-16)

Nur wenn man diese "erklärbare Reaktion" des Hitler-Regimes versteht, die große Kreise der deutschen herrschenden und militärischen Elite teilten, kann man den wahnwitzigen Charakter von Hitlers militärischem Feldzug erklären, in dessen Verlauf Deutschland und seine faschistischen Verbündeten mehrere Kriege gleichzeitig gegen alle wichtigen imperialistischen Mächte führten.

Wie Tooze an späterer Stelle erklärt, können andere Aspekte der nationalsozialistischen Strategie, die ebenfalls häufig als schlichtweg unverständlich bezeichnet werden - etwa der Feldzug gegen das europäische Judentum und die schließliche Massenvernichtung der Juden -, nur in Verbindung mit den imperialistischen Zielen vollständig verstanden werden, die führende Nationalsozialisten in ihren programmatischen und politischen Erklärungen darlegten. Im Vorwort schreibt Tooze: "...mein Schwerpunkt wird auf den Zusammenhängen zwischen Hitlers Krieg gegen die Juden und den weiterreichenden imperialistischen Plänen des NS-Regimes liegen, für deren Umsetzung es sich der Zwangsarbeit bediente und das Projekt der willentlichen Aushungerung ganzer Völker ins Leben rief." (S. 18)

Zur Bekräftigung seines Arguments zitiert Tooze ausführlich aus Hitlers wenig bekanntem Zweiten Buch, ein Manuskript mit wichtigen Passagen aus Wahlkampfreden des NS-Führers, das Hitler 1928 fertig gestellt hatte. Darin geht Hitler verstärkt auf ökonomische Fragen ein, insbesondere auf die größer werdende soziale und wirtschaftliche Kluft zwischen Europa und Amerika. Tooze führt eine Schlüsselpassage aus dem Zweiten Buch an:

"Der heutige Europäer träumt von einem Lebensstandard, den er ebenso sehr aus den Möglichkeiten Europas wie den tatsächlichen Verhältnissen Amerikas ableitet. Die internationalen Beziehungen der Völker sind durch die moderne Technik und den durch sie ermöglichten Verkehr so leichte und innige geworden, dass der Europäer als Maßstab für sein eigenes Leben, ohne sich dessen oft bewusst zu werden, die Verhältnisse des amerikanischen Lebens anlegt." (S. 29)

Hitler weist darauf hin, dass Amerika, im Unterschied zu den ungleichen europäischen Nationen, über den Vorteil eines riesigen Binnenmarktes und Rohstoffe im Überfluss verfügte. Er nennt speziell die Autoindustrie als hervorstechendes Beispiel für die überlegene Produktivität Amerikas. Angesichts des Vorteils der schieren Größenordnung und der überlegenen Produktionsformen würde Deutschland in seinen gegebenen nationalen Grenzen niemals der amerikanischen Konkurrenz Paroli bieten können.

Nach Hitlers Einschätzung lag Deutschland hinsichtlich des Produktionsniveaus und des Lebensstandards um 25 bis 30 Jahre hinter Amerika zurück. Statistiken der Zeit bestätigen dies. So kommt die Volkszählung von 1933 zu dem Ergebnis, dass beinahe 30 Prozent der Beschäftigten in Deutschland immer noch in der Landwirtschaft arbeiteten. Tooze legt zusätzliches Material vor, das den niedrigen Stand der Löhne in der deutschen Industrie und die begrenzte Entwicklung seiner Mittelklasse im Vergleich zu Großbritannien und Amerika erhellt.

Im Zweiten Buch ging es Hitler darum, diese Lücke zu schließen. Er kam zu dem Ergebnis, das Deutsche Reich müsse eine gewaltige Ausdehnung nach Osten erfahren, um den Zugang zu Rohstoffen zu gewährleisten und der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte wesentlich auszuweiten. Oder wie Tooze schreibt: "Mit anderen Worten: Eine Produktion à la Ford erforderte Lebensraum." (S. 30)

Gleichzeitig wendet sich Tooze energisch gegen etwaige Illusionen, Hitler habe als überzeugter Europäer gesprochen oder gehandelt. "Nicht, dass Hitler ein Anhänger paneuropäischer Ideen gewesen wäre." Solche Vorstellungen waren für ihn dummer, jüdischer Unsinn. "Die europäische Antwort auf die Vereinigten Staaten musste vielmehr von der 'kraftvollsten Nation' Europas kommen..." - d.h. von Deutschland.

Tooze unterstreicht die Darstellung der ökonomischen Faktoren, die Hitler seinen Plan zur imperialistischen Expansion durch militärische Stärke entwickeln ließen, indem er den Diktator mit dem Weimarer Reichskanzler (1923) und Außenminister (1924-1929) Gustav Stresemann vergleicht. Stresemann und Hitler waren erbitterte Gegner - ersterer wollte unbedingt die Weimarer Republik verteidigen, während Hitler ein bösartiger Gegner der Republik war. Beide Männer aber, das zeigt Tooze auf, wiesen auch Gemeinsamkeiten im politischen Denken auf, und jeder der beiden befasste sich intensiv mit den Standpunkten des anderen.

Auch Stresemann war sich des ökonomischen und sozialen Rückstands Deutschlands und Europas gegenüber Amerika sehr bewusst, strebte aber danach, dieses Problem vor allem durch verstärkte Zusammenarbeit mit den USA zu lösen. Übereinstimmung zwischen Stresemann und Hitler gab es, was die Ausdehnung Deutschlands nach Osten betraf. Nach dem Vertrag von Brest-Litowsk, mit dem der Erste Weltkrieg im Osten endete, war Stresemann ein vehementer Befürworter einer Ausdehnung des Deutschen Reiches nach Osten (Großraum) - insbesondere einer Annektion großer Teile Polens durch Deutschland, wenn auch durch Diplomatie und Handel statt durch Krieg und imperialistische Besetzung.

Nationalsozialismus und deutsches Großkapital

Stresemanns "atlantische Strategie" wurde durch den Börsenkrach der Wall Street 1929 und die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise zunichte gemacht, die Hitlers viel radikalerer Lösung der deutschen Probleme die Tür öffneten. Charakteristisch für den politischen Richtungswechsel innerhalb der deutschen Elite war die Entwicklung von Hjalmar Schacht, unter Stresemann Präsident der Reichsbank, der sich zunehmend enttäuscht von der Weimarer Republik abwandte.

1932 unterstützte Schacht das Ersuchen von Wirtschaftsführern an den Reichspräsidenten Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, und 1933, nach der Machtergreifung der Nazis, wurde Schacht wieder als Präsident der Reichsbank eingesetzt. In dieser Funktion spielte er eine entscheidende Rolle dabei, in den wegweisenden ersten Jahren der Herrschaft Hitlers die Interessen des deutschen Großkapitals und der Banken mit der nationalsozialistischen Strategie in Einklang zu bringen - insbesondere sorgte er dafür, dass Kapital für ein umfangreiches Programm zur Wiederaufrüstung und zur Kriegsvorbereitung bereitgestellt wurde.

In dem Kapitel "Regime und Unternehmertum" fasst Tooze die Beziehung zwischen der deutschen Großindustrie und den Nazis zusammen: "Einmal ganz abgesehen von seinen Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar (1933) zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen. Die Beweise dafür sind nicht aus der Welt zu schaffen. Es deutet zwar nichts darauf hin, dass die Industriekapitäne Deutschlands allesamt zu absolut linientreuen Parteigenossen geworden wären, andererseits wurden Krupp und Konsorten von Hitler nie gezwungen, sich seinen gewalttätigen Antisemitismus anzueignen oder sich seinen Eroberungsplänen anzuschließen... Doch was Hitler den Industriellen in der Tat bereits versprochen hatte, war genau das, was seine Regierung dann auch durchsetzte: das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken. Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung." (S. 129)

Die verheerende politische Linie des "Sozialfaschismus", die der deutschen Kommunistischen Partei von der stalinistischen Dritten Internationale aufgezwungen wurde, spaltete die deutsche Arbeiterklasse und beraubte sie der Möglichkeit, ihren eigenen Kampf gegen die Faschisten zu führen. Im April 1933 konnte Hitler seine Versprechungen gegenüber den deutschen Wirtschaftsführern erfüllen. Die Büros der Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaften wurden von den Nazis gestürmt und Tausende von Linken in die Konzentrationslager abtransportiert.

Die maßgeblichen Wirtschaftsführer beobachteten diesen Prozess wohlwollend und im Wissen, dass die "Zerstörung der deutschen Linken" nie dagewesene Möglichkeiten eröffnete, die Profite durch eine intensivere Ausbeutung der Arbeiterklasse zu erhöhen. Dies führte schließlich zum massiven Einsatz von Zwangsarbeit, um die militärischen Ziele des Dritten Reiches zu verwirklichen.

Unter Hitler konzentrierten sich die fieberhaften Bemühungen, das Produktionsniveau der USA und Großbritanniens zu erreichen, immer mehr auf die Produktion für den Krieg. Gleichzeitig verschleierte Hitler seine Absichten, indem er den Deutschen die Verbesserung ihres Lebensstandards versprach. In typisch demagogischer Weise benutzte Hitler die zweite Internationale Automobilausstellung 1934, um zu verkünden, er wolle, in Massenproduktion und für die Masse, ein "Auto für das Volk" bauen lassen, das sich jeder sollte leisten können. In Zusammenarbeit mit der Firma Porsche wurde der erste deutsche Volkswagen entwickelt. Allerdings, so Tooze, wurde während der gesamten Dauer des Dritten Reiches kein einziges Auto an einen zivilen Kunden ausgeliefert.

Obwohl Zehntausende von Deutschen Hunderte von Millionen Reichsmark für dieses Auto als Anzahlung geleistet hatten, war die gesamte Produktion des Volkswagen-Käfers in Kriegszeiten für die Nazi-Bürokratie und ihre Gefolgsleute bestimmt. Gleichzeitig konzentrierte sich die Produktion in den Porsche-Fabriken immer mehr auf Panzer und gepanzerte Transportfahrzeuge, während das Straßennetz, das in ganz Deutschland gebaut wurde, gedacht war, um den schnellen Transport von militärischem Material an die verschiedenen Kampffronten zu ermöglichen, die sich nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 bildeten.

Hinter einem Schwall von Reden in den 1930er Jahren, in denen die friedlichen Absichten des Dritten Reiches hervorgehoben wurden, betrieben Hitler und die NS-Führung systematisch die Reorganisation der deutschen Industrie und Wirtschaft, um eindeutig militärische Ziele zu verwirklichen. Anfänglich kalkulierte Hitler, dass die deutsche Wirtschaft erst in den 1940er Jahren, in denen er den Krieg beginnen wollte, in der Lage sein werde, ihre Produktionsziele zu erreichen und Krieg zu führen. Tooze schreibt, dass Hitler während der 1930er Jahre die Zahlen für die Stahl- und Kohleproduktion, die für die militärische Aufrüstung des Reichs von entscheidender Bedeutung waren, genauestens verfolgte. Bis 1939 hatte Hitler gehofft, einen Krieg gegen Großbritannien vermeiden oder die Imperialmacht gar als Verbündeten gewinnen zu können.

Die schnelle und erfolgreiche militärische Besetzung der Tschechoslowakei, verbunden mit Anzeichen einer Wirtschaftskrise in Deutschland, woran eine besonders schlechte Ernte ihren Anteil hatte, zwangen Hitler früher als gewollt in die Offensive zu gehen. Die deutsche Armee marschierte in Polen ein und damit war die Entscheidung gefallen. Die Schlächterei des Zweiten Weltkrieges begann.

Nach dem scheinbar mühelosen Vormarsch der Wehrmacht in Frankreich nutzte Hitler die Unentschlossenheit Stalins und der Bürokratie in Moskau, um eine dritte Front in Richtung Osten zu eröffnen. Gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 lieferte die Sowjetunion noch 1941, als der deutsche Diktator seine Truppen in die Sowjetunion einmarschieren ließ, Güter, die große Bedeutung für Hitlers Kriegsvorbereitungen hatten.

Zwangsarbeit, der Hungerplan und die Vernichtung des europäischen Judentums

Der Einsatz Hunderttausender deutscher Soldaten in Ost- und Westeuropa und Nordafrika wirkte sich zwangsläufig auf die deutsche Wirtschaft aus. Anfang 1940 zählte die deutsche Armee mehr als fünf Millionen Mann. Nach mehreren Einberufungsaktionen wies die Wirtschaft wiederholt auf den Arbeitskräftemangel in deutschen Fabriken hin. Die Arbeitskräfte wurden für die Produktion von alltäglichen Gütern benötigt, besonders aber, um die ständig wachsenden Produktionsvorgaben für militärische Güter zu befriedigen.

Nachdem 1940 der Versuch, polnische Arbeiter auf freiwilliger Basis zur Arbeit in deutschen Fabriken zu bewegen, kläglich gescheitert war, arbeitete die NS-Führung Pläne zur gewaltsamen Deportation Hunderttausender osteuropäischer Arbeiter aus. Gleichzeitig hing die "arische" Besetzung Osteuropas (Generalplan Ost) von einer großen Zahl von Arbeitssklaven ab. Auf einer Versammlung der SS sprach deren Führer Heinrich Himmler die Pläne der Führung zur Kolonisierung Osteuropas deutlich aus:

"Wenn wir nicht unsere Lager mit Sklaven füllen - in diesem Raum sage ich die Dinge sehr deutlich und sehr klar -, mit Arbeitssklaven, die ohne Rücksicht auf irgendeinen Verlust unsere Städte, unsere Dörfer, unsere Bauernhöfe bauen, dann werden wir auch nach einem jahrelangen Krieg das Geld nicht haben, um die Siedlungen so auszustatten, dass wirklich germanische Menschen dort wohnen und in der ersten Generation verwurzeln können." (S. 546)

Die anfängliche Zahl der für nötig erachteten Arbeitskräfte zur Umsetzung des Generalplans Ost lag zwischen 400.000 und 800.000 "Juden, Polen und sowjetischen Kriegsgefangenen". Die ersten in Osteuropa errichteten Lager sollten das Reserveheer von Sklavenarbeitern bereitstellen, das für die Verwirklichung der zunehmend irrsinnigen Pläne der NS-Führung benötigt wurde. Tooze geht in dem Kapitel "Arbeit, Brot und Völkermord" ausführlich darauf ein.

Hitler hatte zwar den Antisemitismus schon seit Beginn der 1920er Jahre zu einem festen Bestandteil seiner Politik gemacht [1], doch kann die Auslöschung des europäischen Judentums im Verlauf des Zweiten Weltkrieges nur in Verbindung mit der zunehmenden Krise der NS-Führung und ihrer Pläne zur Kolonisierung Osteuropas nach einer Reihe von militärischen Rückschlägen an der Ostfront angemessen verstanden werden. Tooze schreibt: "Wenn man davon ausgeht, dass die Zwangsfixierung der NS-Führung auf den Judeozid die Ermordung des Judentums zu einem eigenständigen ideologischen Endziel machte, dann erkennt man, dass das Zwangsarbeiterprogramm und der Völkermord in Wahrheit keine einander widersprechenden, sondern vielmehr sogar einander ergänzenden Projekte waren: Die Erfolge, die Gauleiter Sauckel bei der Rekrutierung von Millionen von Arbeitskräften in ganz Ost- und Westeuropa verbuchen konnte, ließen Juden als Arbeitskräfte ganz einfach entbehrlich erscheinen." (S. 603)

Als die Verluste der deutschen Armeen stark anstiegen, geriet Hitler unter verstärkten Druck, den Einsatz von Zwangsarbeitern voranzutreiben. Von Anfang 1942 bis Mitte 1943 wurden 2.8 Millionen ausländische Zwangsarbeiter zum Arbeitseinsatz in deutsche Fabriken verschleppt. Die körperlich stärksten von denen, die in den Arbeits- und Konzentrationslagern in ganz Osteuropa gefangen gehalten wurden, wurden zum Arbeitseinsatz ausgewählt. In einem Absatz, der einen schaudern lässt, führt Tooze die Kriterien an, mit denen die Wehrmacht festlegte, in welchem Verhältnis Zugang zu Nahrungsmitteln und Arbeitskraft standen:

"Die Begriffe Arbeit, Schwerarbeit und Schwerstarbeit müssen von der völkischen Zugehörigkeit losgelöst objektiv als Umsatz von Kalorien in Muskelkraft betrachtet werden. Es ist ein Trugschluss, dass man mit 200 ungenügend ernährten Menschen dieselbe Arbeitsleistung vollbringen könne, wie mit 100 Vollernährten. Im Gegenteil: die 100 Vollernährten schaffen weit mehr, und ihr Einsatz ist wesentlich rationeller. Dagegen sind die zur bloßen Erhaltung des Lebens ausgegebenen Mindestrationen, da ihnen kein Gegenwert an Arbeitsleistung gegenübersteht, volks- und kriegswirtschaftlich als reiner Verlust zu buchen, der sich um die aufgewendeten Transport- und Verwaltungsmittel noch erhöht." (S. 621)

Die grauenerregende Logik dieses Standpunktes war klar. Bei Nahrungsmittelknappheit würde man sich eher einen Teil der Zwangsarbeiter vom Halse schaffen, als unterernährte Arbeiter am Leben zu erhalten, die die Produktionsziele nicht erreichen konnten. Die im Lauf des Krieges auftretende Nahrungsmittelknappheit gab daher einen mächtigen Anstoß zur systematischen Dezimierung eines Teils der Zwangsarbeiter, die im Sinne der Nazi-Ideologie einer minderwertigen Rasse angehörten - die Juden Mittel- und Osteuropas. Tooze schreibt: "Doch am unmittelbarsten und unfehlbarsten hatte die konzertierte Aktion zum Zweck der Vernichtung des polnischen Judentums im Sommer 1942 dafür gesorgt, dass 'Nährmittel' für Lieferungen ins Reich freigesetzt werden konnten." (S. 632)

Nazi-Ideologen hatten bereits 1941 Pläne zur Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen ausgearbeitet. Während die Endlösung und der Generalplan Ost geheim gehalten wurden, hatte es bereits Anfang 1941 ausgiebige Diskussionen in nationalsozialistischen Führungskreisen über den so genannten Hungerplan gegeben. Der Plan aus der Feder des rassistischen Ideologen Herbert Backe sah die systematische Vernichtung von 30 Millionen Menschen in der westlichen Sowjetunion vor, um mit ukrainischem Getreide (die ukrainische Brotkammer) die deutsche Bevölkerung versorgen zu können. Nur die militärischen Rückschläge der deutschen Armee an der Ostfront verhinderten die Umsetzung des Plans.

In diesem Zusammenhang widmet Tooze ein Kapitel der Rolle Albert Speers. Speer wurde zum Rüstungsminister ernannt, nachdem der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt, 1942 einem Flugzeugabsturz zum Opfer gefallen war. In neueren Forschungsbeiträgen zur deutschen Geschichte ist Speer eine umstrittene Figur, insbesondere seit der bekannte deutsche Hitler-Biograph Joachim Fest ihn teilweise rehabilitiert hat. Tooze dagegen macht deutlich, dass Speer keineswegs nur ein gehorsamer Befehlsempfänger der NS-Führung war, den man über viele der abscheulichsten Verbrechen der Nazis im Unklaren ließ. Speer spielte vielmehr eine wichtige Rolle bei der massiven Ausweitung des Systems der Zwangsarbeit in Deutschland und Osteuropa, und arbeitete dabei aufs engste mit der SS zusammen.

Das abschließende Kapitel in Toozes wichtigem Buch handelt von den zunehmenden Rückschlägen und Niederlagen der Nationalsozialisten, als sich ihre Pläne für ein Tausendjähriges Reich in nur wenigen Monaten zerschlugen. Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, die über eine enorme Produktionskapazität verfügten, stärkte das Bündnis der westlichen kapitalistischen Länder gegen Hitler zwar außerordentlich, doch die verheerendsten Schläge erlitt die Wehrmacht an der Ostfront. Ungeachtet der verräterischen Politik und der Unentschlossenheit der stalinistischen Führung stemmten sich die sowjetische Bevölkerung und Armee mit grimmiger Entschlossenheit gegen die Invasion der Nazis. Westliche Historiker haben oft von einem "Rüstungswunder" gesprochen, um die Verwandlung der deutschen Wirtschaft in eine vorwiegend auf Kriegszwecke ausgerichtete Produktion zu beschreiben.

Tooze vertritt eine andere Sicht der Dinge und schreibt: "Wenn es 1942 denn ein echtes ‚Rüstungswunder’ gab, dann hat es nicht in Deutschland, sondern in den Rüstungsfabriken des Urals stattgefunden. Obwohl die Sowjetunion Zerstörungen und Territorialverluste erlitten hatte, die das Bruttosozialprodukt um 25 Prozent verringerten, gelang es ihr, das Dritte Reich bei der Produktion von praktisch jeder Waffengattung zu übertreffen." (S. 674) Die Schläge, die die sowjetischen Truppen den deutschen Armeen an der Ostfront zufügten, läuteten das Ende des Dritten Reiches ein.

Im abschließenden Kapitel kommt Tooze auf die Unterstützung der deutschen Wirtschaft für das nationalsozialistischen Projekt zurück und zeigt auf, dass es zwar Spannungen zwischen den Wirtschafts- und Finanzbossen wegen Hitlers Kriegs- und Weltmachtpolitik gab, "doch der autoritäre Stil, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten." (S. 757)

Tooze widerspricht den Thesen Götz Alys

Toozes Buch ist eine wohltuende und notwendige Erwiderung auf einige eher absurde Theorien über den Charakter der nationalsozialistischen Diktatur, die gegenwärtig in der Diskussion sind. Insbesondere wendet sich Tooze direkt gegen die lächerliche These des deutschen Historikers Götz Aly in dessen Buch Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus (Fischer Verlag, 2005 ).

Während Tooze unmissverständlich über die Klassenkräfte und Elite-Interessen spricht, die dem Nationalsozialismus in den Sattel verhalfen, unterscheidet sich Götz Alys Herangehensweise deutlich davon. Gegenüber der Tageszeitung Die Welt sagte er: "Weil ich es besser wusste, störte mich von Anfang an das einseitige Abschieben der Schuld auf die deutsche Industrie, auf Banken, usw...."

Für Aly stellte der Nationalsozialismus ein völlig neues Experiment zur gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums dar. Der Nationalsozialismus schuf "ein bis dahin unbekanntes Niveau der Gleichheit und der sozialen Aufwärtsmobilität".

Das Besondere am Nationalsozialismus ist, nach Aly, nicht die Brutalität eines Regimes, das sich auf Konzentrationslager und die Folterkammern der SS stützt, sondern Hitlers gefährliches Streben nach einem Wohlfahrtsstaat zum Nutzen aller Deutschen. Aly schreibt: "Wer den zerstörerischen Erfolg des Nationalsozialismus verstehen will, muss auch die Kehrseite der Politik der Zerstörung untersuchen,... die moderne, sozialpolitische Wohlfühldiktatur, die sich auf Gefälligkeiten stützt."

Eine genaue Lektüre von Toozes Buch zeigt, wie unsinnig Alys Versuch ist, die Rolle der deutschen Wirtschaft und Industrie beim Erfolg der Nationalsozialisten zu leugnen. In einzelnen Artikeln und Vorträgen (in jüngster Zeit an der Humboldt-Universität in Berlin) hat Tooze außerdem Alys verzerrte Darstellung der Geschichte direkt angegriffen. Alys völlig abwegige Behauptungen, so Tooze, "widersprechen allen empirischen Daten und wirtschaftstheoretischen Auffassungen".

Tooze weist nach, dass Aly Quellenmaterial äußerst selektiv und einseitig verwendet, um nachzuweisen, dass die deutsche Industrie dem Zwang der Nazis nachgab, und dass gewöhnliche Deutsche während des Krieges einen angenehmen Lebensstandard auf Kosten der enteigneten Juden und anderer Volksgruppen genießen konnten.

In seiner Polemik gegen Aly führt Tooze aus: "Neuere Forschungen... zeigen, dass Zwang bei weitem nicht die Norm war, und dass die Industriepolitik des Dritten Reiches insgesamt auf einer wechselseitig profitablen Partnerschaft zwischen staatlichen Organen und der Wirtschaft beruhte..."

Auch Alys Behauptung, die deutsche Wirtschaft sei während des Krieges großenteils durch konfiszierte ausländische Guthaben gestützt worden, wird von den geschichtlichen Fakten nicht bestätigt. Stattdessen, so Tooze, "(ist) der relative Beitrag, den ausländische und einheimische Quellen (zur deutschen Wirtschaft) leisteten, genau das Gegenteil von dem, was Aly behauptet, nämlich 25 Prozent ausländisch zu 75 Prozent deutsch".

Im Weiteren zieht Tooze eine Parallele zwischen den Argumenten Alys und denen des berüchtigten amerikanischen Historikers Daniel Goldhagen: "Wo Goldhagen die Deutschen undifferenziert als vernichtungswütige Antisemiten bezeichnet, verdammt Aly nicht weniger pauschal die Deutschen als geistlose, apolitische Tiere."

Schließlich macht Tooze auf die politischen Motive Alys aufmerksam: Anders als Goldhagen "instrumentalisiert Aly ganz offen die grausame Geschichte des Dritten Reiches für heutige polemische Zwecke". Aly verkörpere "einen Teil der deutschen Linken, die sich heute schnell auf eine vollständige Ablehnung des Sozialstaates zu bewegt, legitimiert durch Alys Verknüpfung von sozialer Gleichheit mit dem Nationalsozialismus." [2]

In Ökonomie der Zerstörung untersucht Tooze die ökonomischen Wurzeln und Motive des Nationalsozialismus mit der Treue zum Detail und zu den historischen Tatsachen, die man von einem führenden Historiker erwartet; er verdeutlicht aber auch, dass das System, das den Faschismus hervorbrachte, noch heute Bestand hat. In dem bereits angeführten Zitat heißt es: "Die Aggression des Hitlerregimes kann als eine Reaktion auf die Spannungen verstanden werden, die durch die ungleichen Entwicklungen im globalen Kapitalismus entstanden waren und bis heute spürbar sind".

Sein Buch ist wärmstens zu empfehlen.

Anmerkungen:

1. Hitlers Form des Antisemitismus war entscheidend mit seiner heftigen Opposition und seinem Hass auf die organisierte sozialistische Arbeiterbewegung verbunden: "Als ich feststellte, dass die Sozialdemokratie von Juden geführt wird, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ein langer Seelenkampf war an seinem Ende angelangt." (Mein Kampf).

2. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre war Götz Aly in maoistischen politischen Zirkeln aktiv. "Er war Mitglied der Roten Zellen und Gründer des Magazins Hochschulkampf. Zwischen 1971 und 1973 gehörte Aly der maoistischen Roten Hilfe an und sympathisierte damals, seiner eigenen Erinnerung zufolge, mit der Roten Armee Fraktion." (taz) In vielerlei Hinsicht ähnelt Alys politische Entwicklung der französischer Radikaler und ehemaliger Maoisten und Stalinisten, die später zu den erbittertsten Gegnern des Sozialismus wurden (siehe das Schwarzbuch des Kommunismus).

Siehe auch:
1. Mai 2005: 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges
(4. Mai 2005)
Vierzig Jahre nach dem Frankfurter Auschwitzprozess
( 26. März 2004)
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