In der vergangenen Woche einigten sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Nordrheinwestfalen auf die Fortführung ihrer gemeinsamen Landesregierung und verabschiedeten einen neuen Koalitionsvertrag. Zuvor hatte Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) die Grünen wochenlang vorgeführt und keinen Hehl daraus gemacht, dass er viel lieber mit der FDP ins Koalitionsbett gestiegen wäre.
Doch diesen Ambitionen schob Kanzler Schröder (SPD) einen Riegel vor und sprach ein Machtwort. Denn ein Machtwechsel zur FDP an Rhein und Ruhr hätte auch in Berlin das Ende von Rot-Grün eingeläutet, und das sollte nicht sein. Noch werden die Grünen in der Bundesregierung gebraucht, um einige sehr spezifische Aufgaben zu erledigen. Eine davon lautet: Unterstützung der Bundeswehrreform und der damit verbundenen Aufrüstung der Armee.
Hätte diese Partei nicht längst jedem Beobachter das Staunen über ihre politische Verwandlung abgewöhnt, man wäre über die vollständige Umkehr ihrer Standpunkte in der Militärfrage ernsthaft überrascht. Der Salto vom Pazifismus zum Militarismus ist wahrhaft atemberaubend.
Es ist noch keine zwei Jahre her, da konnte man im Wahlprogramm der Bündnisgrünen unter der Überschrift "Außenpolitischer Aufbruch ins 21. Jahrhundert" folgendes lesen: "Bündnis 90/Die Grünen wenden sich ... gegen die Außenpolitik der konservativ-liberalen Regierung, in der Deutschland die traditionelle Rolle einer Großmacht in der internationalen Politik spielen soll." Dann folgt der Ruf nach "machtpolitischer Selbstbeschränkung" und "zivilen Formen des internationalen Interessenausgleichs". "Wir wollen mit der Entmilitarisierung der internationalen Politik bei uns anfangen."
Nach der Feststellung, eine dauerhafte Friedensperspektive könne nur durch wirtschaftliche und politische Integration erreicht werden, stellt das Wahlprogramm kategorisch fest: "Bündnis 90/Die Grünen sind nicht bereit, militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen." Ziel grüner Politik bleibe die "Entmilitarisierung der Politik - bis hin zur Abschaffung der Armee und zur Auflösung der Nato".
Die kurze Halbwertzeit von Wahlprogrammen war schon vor den Grünen bekannt, aber ausgerechnet die Partei, die für mehr Glaubwürdigkeit in der Politik angetreten war, hat der Unglaubwürdigkeit eine neue Dimension hinzugefügt. Noch bevor die grünen Bundesminister vereidigt waren, stimmte ihre Parlamentsfraktion der Drohung der Nato zu, Serbien zu bombardieren. Vier Monate später folgte die Zustimmung zur Teilnahme der Bundeswehr am ersten Angriffskrieg seit 1945.
Gegenwärtig melden sich grüne Politiker auf verschiedenen Ebenen der Partei zu Wort, die betonen, der Kosovokrieg müsse eine "absolute Ausnahme" bleiben, und eine Zustimmung zu militärischen Kampfeinsätzen dürfe sich nicht wiederholen. Doch das zeigt nur, wie wenig die Grünen die Bedeutung ihrer eigenen Entscheidungen verstehen und mit welchem Opportunismus sie politische Prinzipien betrachten.
In politischer Hinsicht war der Kosovokrieg ein Dammbruch. Er hat die politische Situation grundlegend verändert. Unter der verzerrten Maske von Humanität und Menschenrechten hat die deutsche Elite den Anspruch erhoben, ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen militärisch Nachdruck zu verschaffen. Die Wahrung "deutscher Interessen" ist seitdem zum ständig hervorgehobenen Dreh- und Angelpunkt der Außen- und Innenpolitik geworden. Nur so ist zu verstehen, mit welcher Hemmungslosigkeit und Selbstverständlichkeit über die Umwandlung der Bundeswehr in eine hochgerüstete Interventionsarmee diskutiert und entschieden wird.
Der Rechtsruck, der mit dem Kosovokrieg durch die Parteien ging, zeigt sich bei den Grünen am allerdeutlichsten. Nur drei Monate nach Kriegsende legte die verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Angelika Beer, ein 12-seitiges Papier mit dem Titel "Weniger ist mehr! Überlegungen zu einer sicherheitspolitischen und technologisch orientierten Modernisierung der Bundeswehr" vor. Bisher hatten die Grünen ihre Opposition gegen die Wehrpflicht immer mit der Ablehnung der Armee verbunden. Nun fordern sie die Abschaffung der Wehrpflicht und die Bildung einer schlagkräftigen Berufsarmee, die schnell und zuverlässig rund um die Welt eingesetzt werden kann.
Nach Ansicht von Angelika Beer muss die Bundeswehrreform darauf ausgerichtet sein, einen starken deutschen Beitrag zum Aufbau einer eigenständigen europäischen Verteidigungsidentität zu leisten: "Bündnisverteidigung und Krisenmanagement erfordern die Restrukturierung der Bundeswehr hin zu einer Armee, die angemessene, hervorragend ausgebildete und adäquat ausgestattete Kräfte von geringer Mobilisierungsabhängigkeit in Europa sowie seinen Rand- und Nachbargebieten zum Einsatz bringen kann."
Erforderlich hält Beer Streitkräfte, "die durch hohe Mobilität, technische und operative Überlegenheit, Führbarkeit und flexible Einsatzmöglichkeiten im Kontext multinationaler und internationaler Einsätze gekennzeichnet sind". Nach detaillierten technischen Vorschlägen zur Umgestaltung der Armee, um "leistungsfähigere und kostengünstigere Streitkräfte" zu schaffen, schließt Beer ihren Text mit einem deutlichen Bekenntnis zu den nationalen deutschen Interessen und der Warnung, es bestehe die Gefahr, "dass wir die Chance eines deutschen Beitrags zum Wandel der internationalen Beziehungen verpassen".
In der Einleitung ihrer Thesen wiederholt Beer einige Phrasen aus ihrer pazifistischen Vergangenheit. Sie spricht viel von der "Stärkung der präventiven Elemente in der Außen- und Sicherheitspolitik" und von "Konfliktfrüherkennung und Prävention". Doch das tun auch führende Militärs, wie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann, der schon oft die "Beseitigung der Konfliktursachen als Zentrum der Krisenbewältigung" hervorgehoben hat.
Gestützt auf das Thesenpapier von Angelika Beer haben sich die Grünen zu den Hauptbefürwortern einer hochgerüsteten Berufsarmee gemacht. Sie loben den Bericht der Weizsäcker-Kommission, der für die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee eintritt, als "Schritt in die richtige Richtung" und kritisieren die Pläne von Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), weil dieser nicht weit genug gehe und an der Wehrpflicht festhalte.
Die hilflosen Versuche von Mitgliedern der grünen Bundestagsfraktion, kritische Stimmen aus den eigenen Reihen durch den Hinweis zu besänftigen, die Reduzierung der Soldatenzahl, die Stillegung von einigen Kasernen und die Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht seien Schritte zur Abrüstung, wirken nur noch lächerlich. Nichts kann über zwei grundlegende Dinge hinwegtäuschen: erstens, dass die gegenwärtige Umstrukturierung der Bundeswehr mit einem gigantischen Aufrüstungsprogramm von 120 Milliarden Mark bis zum Ende des Jahrzehnts verbunden ist. Und zweitens, dass die Grünen ihren Standpunkt in der Militärfrage um 180 Grad geändert haben.
Wie in vielen anderen politischen Fragen sind ihre Argumente durch und durch opportunistisch. In der Debatte über den Wehrdienst vertreten sie einen völlig engstirnigen Standpunkt, der nur vom Gesichtspunkt des einzelnen Individuums ausgeht, für das die Wehrpflicht entfällt, und die gesellschaftlichen Folgen völlig ignoriert.
Durch die Bildung einer Berufsarmee wird der Einfluss des Militärs in der Gesellschaft nicht reduziert - wie die Grünen behaupten -, sondern gestärkt, während der Einfluss der Gesellschaft auf die Armee zurückgeht. Wie stark eine Berufsarmee mit der Gefahr verbunden ist, dass eine Militärkaste entsteht, die nach gesellschaftlicher Anerkennung und politischem Einfluss strebt und damit zu einem eigenständigen Machtfaktor wird, hat die deutsche Geschichte in dem gerade zuende gegangenen Jahrhundert überaus deutlich gezeigt.
Doch all diese Fragen interessieren die Grünen nicht. Wortreich behaupten sie, die demokratische Kontrolle über die Armee sei durch das Parlament gesichert. Sie selbst haben vor einem Jahr vorgeführt, was davon zu halten ist. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen haben alle Parlamentarier einem Krieg zugestimmt, in dem 15 hochgerüstete Nato-Staaten ein unterentwickeltes Land wochenlang bombardierten. Längst ist bekannt, dass die unmittelbaren Kriegsgründe, die damals dem Parlament vorgelegt wurden, allesamt fabriziert und gefälscht waren.
Auch bei zukünftigen militärischen Abenteuern wird das Parlament kein Hindernis sein. Kehren dann Soldaten in Zinksärgen nach Hause, wird es nur noch heißen: Berufsrisiko - auch bei der Feuerwehr und in anderen Berufen setzen Menschen ihr Leben ein, werden dafür aber auch angemessen bezahlt. So sinkt mit einer Berufsarmee die Hemmschwelle für militärische Eskapaden im Rahmen einer neuen deutschen Großmachtpolitik.
Die grüne Wende vom Pazifismus zum Militarismus hat mehrere Ursachen.
Erstens ist sie eine Reaktion auf die zunehmende soziale Polarisierung nicht nur der Gesellschaft insgesamt, sondern gerade auch der sozialen Schichten, aus denen die Grünen vor zwanzig Jahren hervorgingen. Die Bezeichnung "Mouseclick-Proletariat" weist darauf hin, dass viele Beschäftigte in technischen Berufen, nicht wenige sogar mit akademischer Bildung, unter immer schwierigeren Bedingungen leben und arbeiten. Die Grünen wurden zum Sprachrohr derjenigen, denen durch Rücksichtslosigkeit und Egoismus der gesellschaftliche Aufstieg gelang, den sie nun mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Zweitens gibt es einen politischen Zusammenhang zwischen den früheren Anti-Kriegsprotesten und dem heutigen Ruf nach einer schlagkräftigen Berufsarmee. Der grüne Pazifismus der siebziger und achtziger Jahre war stark durch die damalige Lage Deutschlands geprägt, das, eingeklemmt zwischen den beiden nuklearen Großmächten, zur außenpolitischen Ohnmacht verdammt war. Die herrschenden Kreise versuchten dieser Lage zu entkommen, indem sie sich an die USA und die Nato klammerten, die Grünen durch den Ruf nach Abrüstung.
Sie trennten die Kriegsfrage völlig von der Klassenfrage. Niemals fragten sie, welche gesellschaftliche Klasse einen Krieg anstrebe und welche politischen Ziele und Absichten sie damit verfolge. Der Protest gegen die hochgerüsteten Waffensysteme diesseits und jenseits des "Eisernen Vorhangs" war allgemein und erfasste alle gesellschaftlichen Schichten. Nicht wenige der ehemaligen Friedensmarschierer waren in Pfarrhäusern aufgewachsen und kamen aus wohlhabenden Familien. Jahrelang bewegte sich der grüne Pazifismus so im Gleichklang mit den "deutschen Interessen".
Mit der Wiedervereinigung änderte sich die Situation. Die deutsche Außenpolitik gewann ihren Handlungsspielraum zurück. Mit der deutschen Ohnmacht verblasste auch der Grüne Pazifismus. Zur Regierungspartei aufgestiegen, entdeckten die Grünen, dass es nun nicht mehr darum ging, den Irrsinn des Krieges anzuprangern, sondern den Frieden zu "gestalten" - wobei sich diese Aufgabe auf wundersame Weise mit den Interessen und Gelüsten der deutschen Außenpolitik deckte.
Das Amt des Außenministers, sonst der politischen Elite vorbehalten, ging an Joschka Fischer, den ehemaligen Sponti ohne Abitur. Was bei vielen ausländischen Bobachtern Verwunderung auslöste, sollte sicherstellen, dass sich die Grünen auf dem internationalen Parkett voll mit den deutschen Interessen identifizierten. Die Mahnung von Angela Beer, dass die Gefahr bestehe, "die Chance eines deutschen Beitrags zum Wandel der internationalen Beziehungen" könne verpasst werden, ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich.
Mit der Übernahme der Verantwortung für die deutsche Außenpolitik hat sich auch die Haltung der Grünen zu den unterentwickelten Ländern verändert. Die Verelendung ganzer Regionen, die gegenwärtig rasch fortschreitet, birgt die wachsende Gefahr von unkontrollierbaren Gewaltausbrüchen und Flüchtlingsströmen. Waren die Grünen einst unter dem Stichwort "Hilfe zur Selbsthilfe" für eine Erhöhung der Wirtschaftshilfe eingetreten, so kennen sie heute nur noch eine Antwort auf die soziale Krise und ihre Folgen: den Ruf nach militärischer Intervention.
Damit erreicht diese Partei aber auch das Ende ihres Weges. Mit der Integration der Friedensbewegung in die neue deutsche Großmachtpolitik ist ihre Mission erfüllt. Wer braucht noch die Partei der grünen Wendehälse? Als Alternative haben sie nichts mehr zu bieten und als neue Law-and-Order Partei taugen sie nicht, da gibt es andere, die das bereits länger und überzeugender vertreten.