Am vergangenen Wochenende traf sich im brandenburgischen Cottbus die Partei Die Linke zu ihrem ersten Parteitag, seit sie im Juni 2007 aus der Fusion von PDS und WASG hervorgegangen ist.
Die Linke hat sich seither zur drittgrößten Partei Deutschlands gemausert und sich auch im Westteil des Landes durch den Einzug in vier Landesparlamente festgesetzt. In den wöchentlichen Umfragen erzielt sie regelmäßig Werte um die 13 Prozent. Dieser Trend kann dazu führen, dass sich die Linkspartei vermehrt an Regierungen in den Bundesländern bis hin zur Bundesregierung beteiligen wird. In einigen Ländern liebäugelt sie sogar mit dem Posten des Ministerpräsidenten. Bisher ist die Linkspartei nur in Berlin an einer Landesregierung beteiligt.
Der Parteitag hatte vor allem zwei Aufgaben: Erstens durfte er die Entwicklungen, mit denen Die Linke den anderen Parteien ihre Regierungsfähigkeit und Verlässlichkeit beweisen will, unter keinen Umständen in Frage stellen. Zweitens durften die Widersprüche, die sich aus dem Anspruch der Linkspartei Opposition zu sein und ihrem Wirken als Ordnungspartei ergeben, nicht offen aufbrechen.
Sowohl die Parteitagsregie als auch der Opportunismus des angeblich linken Parteiflügels sorgten dafür, dass keines der Themen, die im Vorfeld des Parteitages die Gemüter erhitzt hatten, zur Sprache kam oder zu einer Auseinandersetzung führte.
Der Zeitplan des Treffens war so eng gehalten, dass außer den drei Führungsfiguren Lothar Bisky, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi kaum einer die Chance hatte, zu Wort zu kommen. Die Hälfte der Zeit war durch Vorstands- und andere Wahlen verplant und eine breite Debatte zur Tagesordnung und zur Geschäftsordnung sorgte dafür, dass die Tagung erst mit zwei Stunden Verzögerung richtig beginnen konnte.
Der Geschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, nahm den Zeitverlust mit Gelassenheit und sichtlicher Genugtuung zur Kenntnis. Derlei Vorgänge, kommentierte er, seien in einer jungen Partei nun mal üblich. Opfer war die Generaldebatte über den Leitantrag des Vorstandes, die einzige Möglichkeit zur politischen Auseinandersetzung. Die Rednerliste wurde aus Zeitgründen auf ein Drittel zusammen gestrichen, die Redezeit auf bloße drei Minuten reduziert. Kaum zwanzig Delegierte kamen insgesamt zu Wort.
Dabei hätte es brisante Themen genug gegeben. Obendrein hatten die Delegierten aus dem Westteil Deutschlands, die eher dem linken Parteiflügel zugerechnet werden, erstmals die Mehrheit gegenüber den gestandenen alten PDS-Mitgliedern.
So gab es keine Debatte über das Zukunftsinvestitionsprogramm, das 50 Milliarden Euro für soziale Zwecke veranschlagt und das den ehemaligen mecklenburg-vorpommerschen PDS-Minister Helmut Holter zu den Worten veranlasste, man dürfe die Linkspartei nicht nur als Umverteilungspartei wahrnehmen und der Sozialismus müsse auch gegenfinanziert werden.
Ebenso wenig fand der Vorstoß des stellvertretenden Bundestagsfraktionsvorsitzenden Wolfgang Neskovic Eingang in die Debatte, der zwei Wochen vor dem Parteitag ein militärisches Eingreifen zur Absicherung der Hilfslieferungen nach Burma gefordert hatte. Dass er damit einen Grundsatz der Partei einfach vom Tisch wischte, nötigte Niemanden auf dem Parteitag, dagegen Stellung zu beziehen.
Auch dem Versuch von Gregor Gysi, die Linke auf die Unterstützung Israels und die deutsche Staatsräson einzuschwören, widersprach nur Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform indirekt in einem Nebensatz. Das reichte aber aus, dass der ihr nachfolgende Redner, Stefan Liebich vom Berliner Landesverband, Gysi ausdrücklich für seine Rede zum 60. Jahrestag der Gründung Israels dankte. Liebich gehört zu den Gründern des rechten Forums Demokratischer Sozialisten in der Linkspartei.
Vor allem blieb der Berliner Landesverband auf dem Parteitag verschont, obwohl er seit sieben Jahre als Koalitionspartner der SPD eine Politik des Sozialabbaus mitträgt, die in krassem Widerspruch zu den offiziellen Bekundungen der Linkspartei steht. Noch kurz vor dem Parteitag hatten die Berliner Genossen an der Seite von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ihren Mann gegen die streikenden BVG-Arbeiter gestanden.
Die beiden Hauptredner des ersten Tages, Bisky und Lafontaine, lobten den Berliner Landesverband sogar ausdrücklich und unwidersprochen, weil er die Zustimmung des Landes im Bundesrat zum Lissabonner EU-Vertrag verhindert habe - eine Geste, die ihn wenig kostete, da eine große Mehrheit für den Vertrag im Bundesrat von vornherein fest stand.
Diese Liste unbehandelter Themen ließe sich noch lange fortsetzen. Doch es ging nicht um Klärung oder Auseinandersetzung. Es ging darum, den Schein einer geschlossenen Partei zu wahren, die in der Lage ist, die Wut der Bevölkerung gegen die etablierten Parteien aufzufangen und in harmlose Kanäle zu lenken. Man wollte den Parteitag ohne Blessuren überstehen.
Eine geschickte Parteitagsregie allein hätte allerdings nicht genügt, eine Debatte zu verhindern. Voraussetzung war auch, dass die angeblichen linken Strömungen der Partei - die Kommunistische Plattform, die Sozialistische Linke, usw. - zu den oben genannten Punkten freiwillig schwiegen. Sie stimmten dem Leitantrag des Vorstandes vorbehaltlos zu; er wurde bei nur sechs Gegenstimmen von 562 Delegierten angenommen. Der Antrag war in Form eines Wahlprogramms gehalten; er bestand aus einem Katalog von Forderungen und Versprechen und verlor über Mittel und Möglichkeiten der Verwirklichung kein Wort.
Vor allem die Kommunistische Plattform um Sahra Wagenknecht nimmt sehr bewusst ihre Rolle als linkes Deckmäntelchen der Linkspartei wahr. Sie ist sich sehr wohl im Klaren darüber, dass die Linkspartei der letzte Hafen der bürgerlichen Gesellschaft vor der Revolution ist. Sie wird nicht riskieren, dass dieses letzte Mittel durch interne Streitigkeiten untauglich wird.
Bezeichnend für diese Haltung ist ein Interview mit Sahra Wagenknecht in der Süddeutschen Zeitung. Sie bescheinigt darin nicht nur Oskar Lafontaine, für eine "anti-neoliberale und anti-kapitalistische Politik" zu stehen. Gefragt, warum sie ihre Kandidatur zur Vize-Vorsitzenden der Partei zurückgezogen habe, antwortet sie: "Der Grund, nicht anzutreten, war ja nicht die Sorge, durchzufallen. [...] Das Problem war, dass mich eine Minderheit [!] von Ex-PDS-Funktionären harsch abgelehnt hat."
Und weiter erklärt sie: "Ich habe mir anhören müssen, meine Kandidatur sei eine Kriegserklärung’ und werde zu einer Zerreißprobe’ für die Partei. Ich wollte eine solche Auseinandersetzung dieser jungen Partei auf ihrem ersten Parteitag nicht zumuten."
Der rechte Flügel braucht nur laut "Verrat" und "Spaltung" zu schreien, schon geht der linke Flügel zu Boden.
Dennoch fanden die Widersprüche, in denen die Partei steckt, Eingang in den Parteitag. Sie entzündeten sich vornehmlich an der Person Oskar Lafontaines. Allerdings nicht, wie allgemein in der Presse betont wird, an dessen Führungsstil, der autoritär oder gar stalinistisch sei. Niemand glaubt ernsthaft, dass die ehemalige PDS, die letztlich auch nur eine Umgründung der stalinistischen SED war, ein Problem mit autoritärem Führungsstil hätte. Die Spannungen entzünden sich an der Frage, wie man mit der wachsenden Opposition gegen die soziale Spaltung der Gesellschaft und die Verarmung breiter Massen umgehen soll.
Die in jahrelanger Parlaments- und Regierungsarbeit erfahrenen ostdeutschen Landesverbände haben eine Schicht von Funktionären kultiviert, die für die Arbeiterklasse nur Verachtung empfinden und sich mittlerweile im Forum Demokratischer Sozialisten organisiert haben. Sie denunzieren und attackieren die Kämpfe gegen den Sozialabbau. Sie sind in stalinistischer Manier überzeugt, dass man den armen Schluckern zeigen muss, wo es lang geht, und dass jede selbständige Regungen von unten problematisch ist. Die Stimmung der Bevölkerung spielt für sie keine Rolle. Deshalb konnte der Berliner Landesverband nach der Wahl 2006 die Koalition mit der SPD fortsetzen, obwohl er jede zweite Stimme verloren hatte. Deshalb verhinderte er Anfang des Jahres ein Volksbegehren gegen die Wasserprivatisierung.
Lafontaine ist sich der Gefahren bewusster, die aus der Ablehnung der etablierten Parteien erwachsen. Deshalb überzieht er das Land mit seiner Demagogie, beschimpft die Parteien der Großen Koalition, wettert gegen den "finanzmarktgetriebenen Kapitalismus", als sei dieser der "sozialen Marktwirtschaft" wesensfremd. Deshalb versucht er Illusionen in die Reformierbarkeit des Kapitalismus zu schüren und zu erhalten und stellt Verbesserungen des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung in Aussicht, die beim rechten Parteiflügel kaltes Grausen aufkommen lassen.
Lafontaines Strategie, die Linkspartei und sich selbst zu profilieren, mischt die bürokratische Routine der Genossen im Osten auf und sorgt für Ärger, schließlich haben sie 18 Jahre daran gearbeitet, die Opposition gegen die Folgen der Wiedervereinigung niederzuhalten. Er weiß um die Gefahren einer Beteiligung an der Regierung. Er zeigt mit dem Finger auf Italien, wo kürzlich das Mitte-Links-Bündnis nach zwei Jahren Regierung in der Bedeutungslosigkeit versank. Oder er erinnert an das Schicksal der französischen Kommunistischen Partei (KPF), die nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.
Doch auch Lafontaine zieht es mit allen Fasern zurück an die Regierungsmacht. Sein Ziel ist eine Koalition mit der SPD. Der ehemalige SPD-Vorsitzende, Bundesfinanzminister und Architekt des rot-grünen Wahlsiegs von 1998 weiß aber, dass es mit dem Einfluss der Linkspartei schnell vorbei ist, wenn sie sich zu früh und zu billig verkauft. Er versucht den Preis der Partei hochzutreiben, um sie dann umso wirkungsvoller einsetzen zu können, wenn es eine wirklich oppositionelle Bewegung zu ersticken gilt.