Wer dachte, das Freund-Feind-Denken und die Verachtung für demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien seien eine Besonderheit der aus dem Amt geschiedenen US-Regierung von George W. Bush gewesen, hat sich getäuscht. Niemand anderes als Bundeskanzlerin Angela Merkel hat seit Jahren einen erklärten Bewunderer von Carl Schmitt, einem geistigen Ahnherrn dieser Denkschule, an ihrer Seite.
Erich Vad, CDU-Mitglied und Bundeswehroffizier, ist Merkels sicherheitspolitischer Berater. Nach einer kurzen Tätigkeit im Auswärtigen Amt - das damals unter der Führung des Grünen Joschka Fischer stand - wurde er 2001 verteidigungspolitischer Referent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und lernte dort Merkel kennen. Diese holte ihn 2006 nach ihrer Regierungsübernahme zu sich ins Kanzleramt. Dort wurde er 2007 auf ihren ausdrücklichen Wunsch Gruppenleiter im Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
In den Potsdamer Neuesten Nachrichten hieß es damals unter der Überschrift "Der Mann im Hintergrund" über ihn: "Vad liefert Merkel ein Lagebild, um sich im Interessendschungel von Uno, EU und Nato, von sicherheitspolitischen Interessen der G 8 und den Lagern im politisch-parlamentarischen Raum in Berlin zurechtzufinden. Er liefert ihr Pro und Kontra für verschiedene Wege, gibt ihr Empfehlungen, denen sie meistens folgt’, schreibt Argumente, Reden."
Zum 1. April sollte Vad eigentlich versetzt werden, doch Merkel wollte ihn unbedingt behalten und beförderte ihn vom Oberst zum Brigadegeneral. Einen Brigadegeneral als Berater im Kanzleramt hat es seit der Regierungszeit Helmut Schmidts (SPD) nicht mehr gegeben. Nach FOCUS -Informationen wollte Merkel den Offizier, "der sie seit Jahren in militärischen Fragen berät und sie auch regelmäßig bei Truppenbesuchen in Einsatzländern begleitete, über die zunächst geplante Zeit hinaus an ihrer Seite wissen".
Die taz machte in ihrer online-Ausgabe vom selben Tag darauf aufmerksam, wes Geistes der oberste Militärberater der Kanzlerin ist. Unter anderem verlinkte sie auf einen Aufsatz des Offiziers, den er sieben Jahre vorher für die neurechte Zeitschrift Sezession geschrieben hatte. Bereits 1996 hatte er ein Buch mit dem Titel "Strategie und Sicherheitspolitik. Perspektiven im Werk von Carl Schmitt" geschrieben. Der Aufsatz in Sezession, von dem er sich offenbar bisher nicht distanziert hat, trägt den programmatischen Titel: "Freund oder Feind. Zur Aktualität Carl Schmitts".
Vad distanziert sich dort mit keiner Silbe vom einstigen Kronjuristen des Dritten Reiches. Im Gegenteil, er rechtfertigt Schmitts "zeitweise Kollaboration mit dem NS-Regime" unter Verweis auf den rechten Historiker Ernst Nolte damit, dass diese "allein in der Lage schien, den vollständigen Zusammenbruch zu verhindern".
Schmitts "epochemachende Leistung" habe vor allem in seiner Lehre vom Politischen bestanden, "das er im Kern bestimmt sah durch die Unterscheidung von Freund und Feind". Diese gelte, so Vad ausdrücklich, "auch heute noch". Er zitiert Schmitt mit den Worten: "Solange ein Volk in der Sphäre des Politischen existiert, muß es, wenn auch nur für den extremsten Fall - über dessen Vorliegen es aber selbst entscheidet - die Unterscheidung von Freund und Feind selber bestimmen. Darin liegt das Wesen seiner politischen Existenz."
Schmitt ließ keinen Zweifel daran, was er meinte: "Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten."
Eine solche Feinderklärung, die Vad nicht erwähnt, war zu Schmitts Zeiten beispielsweise die "Nacht der langen Messer", in der Hitler 1934 seinen einstigen Mitstreiter, SA-Chef Ernst Röhm, mit Dutzenden weiteren ihm missliebigen Politikern ermorden ließ. Schmitt feierte "die Tat des Führers" umgehend in einem Aufsatz mit der Überschrift "Der Führer schützt das Recht" mit den Worten, sie sei "echte Gerichtsbarkeit" und "höchste Justiz". Eine gerichtliche Überprüfung dieses Aktes von Staatsterror wies er dementsprechend als "Staats- und Rechtszerstörung" zurück.
Später pries Schmitt die Nürnberger Rassengesetze als "Verfassung der Freiheit" und unterstützte "den großartigen Kampf des Gauleiters Julius Streicher", des Herausgebers des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer, gegen die nun ebenfalls zum Feind erklärten Juden.
Vad benutzt Schmitt, um die Außenpolitik der damaligen rot-grünen Bundesregierung anzugreifen, die sich weigerte, den Irakkrieg zu unterstützen. Er verhöhnt den "Glauben an einen herrschaftsfreien Diskurs auch in den Außenbeziehungen" und greift "die kritischen Fragen Schmitts" auf: "Wer hat jetzt das Recht, den Feind zu definieren und gegen ihn mit allen Mitteln - das heißt unter den gegebenen Umständen auch mit Massenvernichtungswaffen - vorzugehen? Wer darf Strafen gegen den definierten Feind verhängen und sie - notfalls präventiv - durchsetzen? Und wie schafft man ein internationales Recht und die Fähigkeit, es notfalls mit Hilfe von Gewalt durchzusetzen?"
Im Irak-Krieg wurde die Bedeutung solcher Sätze schnell klar: Mit Verbrechen, die unter den Stichworten "Shock and awe", Abu Ghraib und Fallujah in die Geschichte eingingen, bekämpften die USA und ihre "Freunde" unter Missachtung des Völkerrechts den "Feind" Irak. In Guantanamo wurden die zum Feind erklärten Menschen ohne Gerichtsverfahren eingekerkert und gefoltert, wenn sie nicht gleich in "targeted Killings" durch Bomben oder Raketen getötet wurden. Es ist passend, dass Brigadegeneral Vad nun Kanzlerin Merkel vor dem Untersuchungsausschuss unterstützen soll, der wegen des Massakers von Kundus in Afghanistan eingerichtet wurde.
Bemerkenswert ist auch, wie offen ein ranghoher Militär und Sicherheitspolitiker für Großmacht- und Interessenpolitik eintritt. Vad lobt Schmitt ausdrücklich, er habe "die Bedeutung des Großraums und einer entsprechenden Ordnung" erkannt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Er fährt fort: "Die amerikanische Monroe-Doktrin von 1823, die die westliche Hemisphäre als Interessengebiet der USA bestimmt hatte, gewann für Schmitt Vorbildcharakter im Hinblick auf eine europäische Konzeption. Daß dieses Projekt eines europäischen Großraums’ seitdem immer wieder gescheitert ist, sagt wenig gegen seine Notwendigkeit. Europa bildet wie andere geopolitische Räume eine Einheit auf Grund von Weltbild und Lebensbedingungen, Traditionen, Überlieferungen, Gewohnheiten und Religionen. Es ist nach Schmitt verortet’ und geschichtlich konkret’ und es muß deshalb, um auf Dauer zu bestehen, einen adäquaten Machtanspruch erheben und weltanschaulich begründen. Im Bereich des Politischen sind solche Weltanschauungen nichts anderes als Sinn-Setzungen für Großplanungen’, entworfen von Eliten in einem bestimmten historischen Moment, um sich selbst und den von ihnen zu lenkenden Massen den geistigen Bezugsrahmen politischen Handelns zu schaffen."
Hinter dem anmaßenden Geschwurbel steht nichts anderes als deutsche Großmannssucht. Der wirtschaftlich dynamische, aber mit wenig eigenen Rohstoffquellen ausgestattete deutsche Kapitalismus betrachtet Europa als seinen Hinterhof, seinen "Raum". Carl Schmitts maßgebliche Schriften zu diesem Projekt, auf die Vad direkten Bezug nimmt, erschienen nicht zufällig in den Jahren ab 1939, als Hitler mit Krieg und Zerstörung sein Großraumprojekt umsetzte.
So jubelte Schmitt 1941 denn auch in der 4. Auflage der von Vad angeführten Schrift "Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte": "Die Tat des Führers hat den Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen." Vorausgegangen war ein Aufsatz von 1937 namens "Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat".
Vad soll nicht unterstellt werden, er sei Nazi, Faschist oder Antisemit. Aber auch Carl Schmitt war dies bis 1933 nicht. Vad kritisiert die faschistischen und antisemitischen Tendenzen und Implikationen in den Konzepten Schmitts allerdings auch mit keinem Wort. Er beschimpft vielmehr den Antifaschismus, von dem er nur verächtlich als "reeducation", "erstarrte Rituale der Vergangenheitsbewältigung und Achtundsechziger-Mythologie" spricht.
Er schließt seinen Aufsatz mit den Worten: "Diese geistigen Verirrungen bedürfen eines Gegenmittels, und in der politischen Philosophie Carl Schmitts könnte das zur Verfügung stehen. Wie Hobbes im 17. entfaltete Schmitt im 20. Jahrhundert ein politisches Denken, das von der unnormierten Lage, das vom Ausnahmezustand und der ständigen Möglichkeit inner- und zwischenstaatlicher Anarchie und Gewalt ausging. Ein solcher Ansatz steht im Gegensatz zur idealistischen Utopie einer weltweiten Entfaltung der Menschenrechte, eines friedlichen Ausgleichs der Kulturen und Zivilisationen sowie freizügiger, offener und multikultureller Gesellschaften. Anders als viele hoffen, sind gerade diese Gesellschaftskonzepte potentielle Konfliktherde. Eine Gefahr, der man nicht durch moralische Appelle begegnen kann, sondern nur durch Gefahrensinn, politischen und militärischen Realismus und durch rationale Antworten auf die konkreten Herausforderungen der Lage."
Feinderklärung und präventive Gewalt, auch mit Massenvernichtungswaffen, Interessengebiete und Großraumprojekte an Stelle von Menschenrechten und friedlichem Ausgleich - das sind die ideologischen Pfeiler, auf die sich Merkels oberster Militärberater stützt.