Die CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei der vorgezogenen nordrhein-westfälischen Landtagswahl vom Sonntag eine massive Niederlage erlitten. Sie verlor 8,3 Prozentpunkte und erzielte im einwohnerstärksten Bundesland mit 26,3 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
Bei der letzten Landtagswahl vor zwei Jahren hatte die CDU noch knapp vor der SPD gelegen. Nun ist die SPD, die 4,7 Prozentpunkte hinzu gewann, mit 39,1 Prozent wieder stärkste Partei im Düsseldorfer Landtag. Gemeinsam mit den Grünen, mit denen sie bisher eine Minderheitsregierung bildete, hat sie nun eine deutliche Mehrheit. Die Grünen mussten leichte Stimmenverluste hinnehmen und erzielten 11,3 Prozent.
Die FDP konnte ihren Stimmenanteil von 6,7 auf 8,6 Prozent erhöhen. Weil die Liberalen vor wenigen Monaten in den Umfragen noch bei 2 Prozent lagen, gilt das als Sensation. Sie erklärt sich zum Teil damit, dass 160.000 Wähler, die 2010 die CDU gewählt hatten, ihr Kreuz diesmal bei den Liberalen machten. Jede vierte FDP-Stimme kam auf diese Weise zustande.
Der Spitzenkandidat der FDP, der 33-jährige Christian Lindner, hatte sich zudem im Wahlkampf deutlich von der Bundespartei distanziert und gilt als erklärter Gegner des Bundesvorsitzenden Philipp Rösler. Er war wegen Differenzen mit Rösler erst vor einem halben Jahr als Generalsekretär der FDP zurückgetreten.
Insgesamt verloren CDU und FDP, die in Berlin die Bundesregierung bilden, 6,4 Prozentpunkte. Nur noch gut jeder dritte Wähler stimmte für Schwarz-Gelb. Da Landtagswahlen in NRW schon öfter den Trend für einen Regierungswechsel im Bund setzten, gilt dies auch als Vorzeichen für die Bundestagswahl 2013.
Neben der SPD sind die Piraten die großen Gewinner der NRW-Wahl. Mit 7,8 Prozent der Stimmen ziehen sie nach Berlin, dem Saarland und Schleswig-Holstein in den vierten Landtag ein. Sie gewannen Stimmen aus allen Lagern – 90.000 von der SPD, je 80.000 von den Grünen und der Linkspartei, 70.000 von Nichtwählern, 60.000 von der CDU und 40.000 von der FDP.
Diese bunte Zusammensetzung widerspiegelt sich auch im Programm der Piratenpartei. Obwohl sie von der Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien profitiert, unterscheidet sie sich inhaltlich kaum von ihnen. Ihr einziger gemeinsamer Nenner ist das Eintreten für mehr Transparenz. Ansonsten ist das Programm der Piraten ein Sammelsurium von Forderungen, die man auch in den Programmen der Grünen, der FDP, der CDU, der SPD und der Linken wiederfindet. Der wiedergewählten Ministerpräsidentin Kraft haben die Piraten bereits ihre konstruktive Mitarbeit angekündigt. Sie wollen im Landtag in einzelnen Fragen mit der Regierung stimmen.
Großer Wahlverlierer in NRW ist neben der CDU die Linkspartei. Mehr als die Hälfte aller Wähler kehrten ihr den Rücken. Sie war vor zwei Jahren mit 5,6 Prozent erstmals in den nordrhein-westfälischen Landtag eingezogen und fliegt nun mit 2,5 Prozent wieder hinaus.
Das ist vor allem eine Folge ihrer eigenen, rechten Politik. Im Wahlkampf 2010 hatte die Linkspartei große soziale Versprechungen gemacht, sich dann aber im Landtag auf die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für die rot-grüne Minderheitsregierung beschränkt und deren massiven Kürzungen unterstützt. Das hat sie diskreditiert. Jeder fünfte Wähler der Linkspartei stimmte diesmal direkt für die SPD, ein weiteres Fünftel unterstützte die Piraten und ein geringerer Teil wanderte zu den Grünen.
Insgesamt ist das Ergebnis der NRW-Wahl – wie bereits das der griechischen Parlamentswahl und der französische Präsidentenwahl eine Woche zuvor – eine unmissverständliche Absage an die Sparpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
CDU-Spitzenkandidat Röttgen, der als Umweltminister in Merkels Kabinett sitzt, hatte seinen Wahlkampf darauf konzentriert, der rot-grünen Minderheitsregierung mangelnden Sparwillen vorzuwerfen und härtere Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben zu verlangen.
„Sie machen zu viele neue Schulden”, lautete das Mantra, das Röttgen bei jeder Gelegenheit vorbrachte. Kurz vor dem Wahltermin erklärte er die NRW-Wahl sogar zu einem Votum über Merkels Sparpolitik. Da sich seine Niederlage bereits abzeichnete, zwang ihn die entsetzte CDU-Zentrale in Berlin, diese Aussage zurückzunehmen.
In einem Bundesland, das von hoher Arbeitslosigkeit und chronischer Finanznot der Kommunen geprägt ist, musste Röttgens Beharren auf einen härteren Sparkurs auf massive Ablehnung stoßen. Den Wählern in NRW war auch nicht entgangen, welche verheerenden Auswirkungen die von Berlin und Brüssel diktierten Sparmaßnahmen in Griechenland, Spanien und anderen Ländern haben.
Da nicht eine einzige Partei zur Wahl antrat, die Merkels Sparkurs grundsätzlich ablehnte und die SPD von links angriff, profitierte die SPD von der Opposition gegen den Sparkurs der Bundesregierung. Ministerpräsidentin Kraft konnte sich als bessere Alternative darstellen, obwohl sich ihre Politik nur in Nuancen von jener Röttgens unterscheidet und auch sie sich zur Einhaltung der Schuldenbremse verpflichtet hat. Sie versprach lediglich, die Kürzungen etwas langsamer anzugehen und Ausgaben für Kinder und Bildung davon auszunehmen.
Dass vor allem die soziale Frage den Ausschlag zugunsten der SPD gab, spiegelte sich auch in einer Umfrage zur Kompetenz der Parteien wider. Während CDU und SPD bei „Schuldenprobleme lösen“ und „Wirtschaft“ etwa gleichauf lagen, erreichte die SPD bei „Soziale Gerechtigkeit“ eine Zustimmung von 55, die CDU dagegen nur von 16 Prozent.
Mit einer Mobilisierung neuer Wählerschichten war der Stimmenzuwachs der SPD allerdings nicht verbunden. Die Wahlbeteiligung lag, wie schon 2010, knapp unter 60 Prozent – der tiefste Stand seit Bestehen des Bundeslandes. Von den insgesamt 3 Millionen Stimmen für die SPD stammten nur 110.000 von bisherigen Nichtwählern. Im Wesentlichen fand also eine Umverteilung der Stimmen zwischen den etablierten Parteien sowie den Piraten statt, während vier von zehn Wählern den Urnen fern blieben.
Trotz ihres Wahlerfolgs in Düsseldorf genießt die SPD, die für die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze verantwortlich ist, unter Arbeitern wenig Vertrauen. Die kommenden Monate werden schnell deutlich machen, dass auch Krafts bescheidene Wahlversprechen auf Luft gebaut sind. Die Verschärfung der europäischen Schuldenkrise lässt keinen Spielraum für soziale Zugeständnisse. Kraft wird sich vor allem auf die enge Verbindung der SPD zu den Gewerkschaften stützen, um neue Angriffe gegen die arbeitende Bevölkerung durchzusetzen. Heftige soziale Konflikte sind vorprogrammiert.