Fall Snowden: Wie der deutsche Geheimdienst das Internet überwacht

Offizielle deutsche Stellen haben mit großer Zurückhaltung auf die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die Abhörmaßnahmen amerikanischer und britischer Geheimdienste reagiert, obwohl Millionen deutsche Staatsbürger davon betroffen sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach das Thema beim Staatsbesuch von US-Präsident Barack Obama zwar an und vereinbarte einen „Dialog“ – was keine politischen Folgen hatte. Das Bundesinnenministerium schickte einen Fragebogen an den britischen Botschafter. Dabei blieb es. Regierungssprecher Steffen Seibert hat ausdrücklich betont, die Kanzlerin werde das Thema auf dem EU-Gipfel Ende der Woche nicht ansprechen.

Die deutsche Zurückhaltung kommt daher, dass auch der Bundesnachrichtendienst (BND) intensiv das Internet ausspioniert und seine entsprechenden Kapazitäten massiv ausbaut. Der deutsche Auslandsgeheimdienst wusste zudem – zumindest teilweise – über die amerikanischen und britischen Spähprogramme Bescheid und profitierte selbst davon.

Spätestens seit 1968, als er offiziell die Befugnis zur strategischen Aufklärung erhielt, überwacht der BND systematisch den internationalen Telefon- und Fernmeldeverkehr. Im Rahmen des Kalten Kriegs wurde praktisch jedes Telefongespräch von Ost nach West und von West nach Ost von den Geheimdiensten auf beiden Seiten der Mauer abgehört.

Nach dem Fall der Mauer wurde das internationale Überwachungsprogramm nicht etwas eingestellt, sondern ausgeweitet. Ab 1994 durchforstete der BND die internationale Kommunikation unter anderem nach Hinweisen auf terroristische Anschläge, Geldfälschung, Drogen- und Waffenhandel. Dagegen klagten der Hamburger Strafrechtprofessor Michael Köhler und die Zeitung taz beim Bundesverfassungsgericht, das die Klage 1998 nach zweitägiger Verhandlung abwies.

2001 erweiterte der Bundestag die Überwachungsbefugnisse des BND auf den E-Mail-Verkehr von und nach Deutschland, mit der Einschränkung, dass maximal 20 Prozent der internationalen Kommunikation überprüft werden dürfen. Angeblich ist der BND aber nur in der Lage, 5 Prozent zu kontrollieren.

Wie die amerikanischen und britischen Dienste greift der BND die Informationen direkt an wichtigen Knotenpunkten des Internets ab. Die umfangreichste Kontrolle, berichtet Der Spiegel, „findet in Frankfurt am Main statt, in einem Rechenzentrum des Verbands der Deutschen Internetwirtschaft. Über dieses Drehkreuz, das größte Europas, fließen Mails, Telefonate, Skype-Gespräche und SMS-Botschaften aus Regionen, für die sich der BND interessiert.“

Im vergangenen Jahr überwachte der BND so jedes zwanzigste Telefongespräch, jede zwanzigste Mail und jede zwanzigste Facebook-Unterhaltung und durchsuchte sie nach mehr als 16.000 Suchbegriffen. Offiziell dürfen dabei deutsche Internet-Nutzer nicht berücksichtigt werden, um ihre Grundrechte nicht zu verletzen. In der Praxis erweist sich aber diese Trennung als undurchführbar. Berücksichtigt man, dass auch andere Behörden (wie das Bundesamt und die 16 Landesämter für Verfassungsschutz, der Militärische Abschirmdienst und die Kriminalämter der Polizei) Telefongespräche und Internet-Kommunikation abhören, gehört Deutschland zu den meistüberwachten Ländern der Welt.

Der BND expandiert derzeit massiv. In der Berliner Chausséestraße baut er eine neue Zentrale von der Größe eines Stadtviertels, um von Pullach bei München in die Hauptstadt umzuziehen. In den kommenden fünf Jahren will er 130 Mitarbeiter in einer neuen Unterabteilung für Internetüberwachung und Cyberabwehr einstellen und allein zur Verbesserung der Überwachung der Kommunikation 100 Millionen Euro investieren. Diese Summe wurde bisher allerdings nur teilweise bewilligt. Ursprünglich hatte der BND sogar 360 Millionen Euro verlangt.

Sowohl die Bundesregierung wie der BND behaupten, sie hätten nichts über die Programme „Prism“ des US-Geheimdiensts NSA und „Tempora“ des britischen Abhörzentrums GCHQ gewusst, bevor diese von Snowden entlarvt wurden. Das ist offensichtlich unwahr, wie ein hoher Beamter des Bundesinnenministeriums bestätigt hat.

Es sei „in allgemeiner Form bekannt“ gewesen, dass es Programme dieser Art gebe, erklärte Ministerialrat Ulrich Weinbrenner am Montag vor einer Ausschusssitzung des Bundestags. „Niemand, der sich ein wenig mit der Materie beschäftigt“, könne sagen, dass er über diese Art der strategischen Aufklärung „grundsätzlich überrascht“ sei.

Der BND täuscht nur deshalb Ignoranz vor, weil ihm daran gelegen ist, „dass seine eigene Arbeit nicht durch Berichte über Programme der Amerikaner und Briten diskreditiert wird“, wie die Frankfurter Allgemeine bemerkte.

Dennoch ist die Aufregung über die massiven US-amerikanischen und britischen Abhörprogramme in Deutschland nicht nur gespielt. Während die massive Verletzung demokratischer Grundrechte wenig Bedenken auslöst, sorgen sich Vertreter der herrschenden Klasse, die gesammelten Daten könnten eingesetzt werden, um wirtschaftliche und politische Vorteile zu erlangen. Dieses Thema zieht sich durch zahlreiche Artikel und Kommentare.

So sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag Wolfgang Bosbach dem Deutschlandfunk: „Hier geht es ja nicht ‚nur’ um den Schutz von privaten Kommunikationsinhalten; hier geht es um die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, von Betriebsgeheimnissen von hoch sensiblen Forschungsergebnissen. Wenn in diesem Umfang Spionage betrieben wird, ist das auch ein Problem für deutsche Unternehmen weltweit.“

Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) bezeichnete Großbritannien als „Daten-Blutegel der Europäischen Union“. Man komme sich vor, wie in einem schlechten Bond-Film, sagte er dem Handelsblatt: „Kann man der britischen Regierung etwa bei Handelsfragen noch trauen, dass sie nicht ihr Spionagenetzwerk zu Lasten der Partner einsetzt?“

Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Ulrich Maurer, sprach von einem „Bedrohungs- und Erpressungspotenzial ungeahnten Ausmaßes“. Sein Fraktionskollege Steffen Bockhahn appellierte an die Bundesregierung, sie habe „die Pflicht, das informationelle Schutzbedürfnis der Deutschen durchzusetzen“. Wie stets beim Aufkommen internationaler Konflikte stellt sich die Linkpartei auch hier an die Seite der deutschen Bourgeoisie.

Wie scharf diese Konflikte mittlerweile sind und wie rücksichtslos die „Partner“ dies- und jenseits des Atlantiks ihre Wirtschafts- und Finanzinteressen austragen, zeigt das Beispiel der Schweiz.

Dort hat die Regierung kürzlich ein Eilgesetz vorgelegt, das die Schweizer Banken entgegen der geltenden Rechtslage ermächtigt, dem US-Justizministerium interne Informationen über Bankgeschäfte mit US-Kunden sowie die Namen von Bankmitarbeitern und Rechtsanwälten auszuliefern, die diese Kunden beraten haben. Diese werden so der Verfolgung durch die amerikanische Justiz ausgeliefert.

Der verfassungsmäßig höchst fragwürdige Gesetzentwurf wurde schonungslos erpresst. Wird er nicht rechtzeitig verabschiedet, droht die US-Regierung Schweizer Banken, darunter auch öffentliche in Kantonsbesitz, mit Strafen in Milliardenhöhe in den Bankrott zu treiben.

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