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Die schrecklichen Bilder von hunderten vor der Mittelmeerinsel Lampedusa ertrunkenen Flüchtlingen zeigen das wahre Gesicht der Europäischen Union. Einundzwanzig Jahre nach der Unterzeichnung der Verträge von Maastricht erweist sich das Projekt der europäischen Einigung unter kapitalistischem Vorzeichen in jeder Hinsicht als Alptraum.
Nach außen gleicht die EU einer Festung, an deren Mauern tausende Flüchtlinge ihr Leben lassen, nach innen einem Gefängnis, in dem Armut, Ausbeutung und Unterdrückung rasant zunehmen und die Vorteile der „Einheit“ den Reichen und Mächtigen vorbehalten bleiben.
Die Toten von Lampedusa sind in doppelter Hinsicht ein Opfer der Europäischen Union.
Die von Europa unterstützten imperialistischen Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen, das gezielte Schüren des Bürgerkriegs in Syrien, sowie die Plünderung der Rohstoffe und die neokoloniale Ausbeutung der Länder des Mittleren Ostens und Afrikas haben Bedingungen geschaffen, unter denen für Viele Flucht die einzige Überlebenschance bleibt. Dabei tritt nur ein kleiner Bruchteil der Millionen Flüchtlinge aus den betroffenen Ländern den Weg nach Europa an.
Um ihnen den Weg zu versperren, hat die EU die Grenzschutzagentur FRONTEX aufgebaut, die über eine eigene Flugzeug-, Hubschrauber und Bootsflotte verfügt, modernste Drohnen- und Überwachsungstechnologie benutzt und jederzeit Grenzschutztruppen der Mitgliedsstaaten einsetzen kann. Sie hat die Landgrenzen durch meterhohe Zäune abgeschottet, so dass Flüchtlingen nur noch der lebensgefährliche Weg über das Mittelmeer bleibt.
Die Katastrophe vor Lampedusa, wo bisher 364 Leichen geborgen wurden, und das Kentern eines weiteren Boots wenige Tage danach, das nach Angaben des maltesischen Regierungschefs Joseph Muscat weitere 50 bis 200 Todesopfer forderte, sind die direkte Folge davon. Nach Schätzungen von Flüchtlingsorganisationen sind seit 1990 25.000 Menschen beim Versuch ertrunken, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen.
Die Verachtung, Brutalität und Rücksichtslosigkeit, mit denen die Europäische Union Flüchtlingen entgegentritt, sind nur der schärfste Ausdruck ihrer Angriffe auf die gesamte Arbeiterklasse. Die vergangenen Jahre waren von pausenlosen Spardiktaten geprägt, die die Lebensgrundlage von Millionen zerstört haben. Demokratische Rechte wurden dabei systematisch abgebaut und unterhöhlt.
Inzwischen sind in den 28 Mitgliedsländern der EU offiziell 27 Millionen Menschen ohne Arbeit. 120 Millionen sind arm, 43 Millionen erhalten nicht genug zu essen und 18 Millionen sind von Nahrungsmittelhilfen der EU abhängig. Besonders hart ist die Jugend betroffen. In Spanien, Griechenland und Kroatien sind über 60 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos.
Das Heer der Arbeitslosen wird benutzt, um die Löhne und Arbeitsbedingungen weiter zu senken. Selbst in einem „reichen“ Land wie Deutschland arbeiten inzwischen ein Viertel aller Beschäftigten in prekären Verhältnissen. Leih- und Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa werden zu Stundenlöhnen von 2 bis 3 Euro ausgebeutet. Hinzu kommen europaweit 880.000 Sklavenarbeiter, die laut einem Bericht des EU-Parlamentsausschusses CRIM in der Prostitution und anderen Gewerben von kriminellen Banden ausgeplündert werden.
Am anderen Pol der Gesellschaft wächst der Reichtum. Die Börsen erzielen trotz Rezession Rekordkurse und die Zahl der Millionäre, deren Einkommen und Vermögen wachsen.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind die Politiker, Parteien und Gewerkschaften, die die Europäische Union unterstützen und ihre Politik bestimmen – von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis zur Linkspartei und anderen pseudolinken Organisationen. Einige von ihnen mögen jetzt Krokodilstränen über die Opfer von Lampedusa vergießen, aber sie verteidigen alle die EU, die dafür verantwortlich ist.
Die Opposition gegen die EU überlassen sie ultrarechten Parteien, wie dem französischen Front National, die Nationalismus und Fremdenhass schüren, rückständige Elemente aufhetzen und die Arbeiterklasse einschüchtern.
In den 28 Mitgliedsländern der EU leben inzwischen über 500 Millionen Menschen. Der Umstand, dass sie sich hermetisch nach außen abschottet und nicht in der Lage ist, einige zehntausend Flüchtlinge aufzunehmen, ist ein Ausdruck ihres historischen Bankrotts. Er erinnert an die Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
Damals bemerkte Leo Trotzki: „Die Welt des verfallenden Kapitalismus ist überfüllt. Die Frage der Zulassung von hundert zusätzlichen Flüchtlingen wird ein großes Problem für eine Weltmacht vom Range der Vereinigten Staaten. In der Zeit des Flugzeugs, Telegraphs, Radios, Fernsehens wird das Reisen von Land zu Land durch Pässe und Visen lahmgelegt. Die Periode des schwindenden Außenhandels und verfallenden inneren Marktes ist gleichzeitig die Periode der monströsen Steigerung des Chauvinismus, insbesondere des Antisemitismus.“
Rechte Propagandisten schlachten seit Jahrzehnten die Opfer der Berliner Mauer als Beweis für das angebliche Scheitern des Sozialismus aus. Tatsächlich herrschte in der DDR kein Sozialismus, sondern eine stalinistische Diktatur. Doch legt man diesen Maßstab an die EU, dann ist sie tausendfach gescheitert.
In Lampedusa starben an einem Tag mehr als doppelt so viele Menschen wie an der Berliner Mauer in den 28 Jahren ihres Bestehens. Nach den Angaben des Zentrums für zeithistorische Forschung (ZZF) kamen insgesamt 98 DDR-Flüchtlinge bei dem Versuch ums Leben, die Berliner Mauer zu überwinden. Hinzu kamen 30 Personen aus Ost und West, die ohne Fluchtabsicht verunglückten oder erschossen wurden, und acht im Dienst getötete Grenzsoldaten.
Einen Ausweg aus der Sackgasse des europäischen Kapitalismus kann nur die Arbeiterklasse weisen, die überall in Konflikt mit der herrschenden Klasse gerät. Sie muss der Europäischen Union und ihren reaktionären Institutionen den unversöhnlichen Kampf ansagen, sich europaweit zusammenschließen und für Arbeiterregierungen kämpfen, die die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage reorganisieren. Ihr Ziel muss der Aufbau Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa sein. Die Verteidigung von Flüchtlingen und ihren Rechten muss ein untrennbarer Bestandteil dieses Kampfes sein.
Für diese Perspektive treten die Partei für Soziale Gleichheit und das Internationale Komitee der Vierten Internationale ein.