Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, die bisherige Politik der militärischen Zurückhaltung sei zu Ende, bedeutet eine historische Zäsur. Sie leitet ein neues Stadium einer aggressiven imperialistischen Außenpolitik ein.
Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den ungeheuren Verbrechen der Nazi-Diktatur erklären Berliner Spitzenpolitiker, Deutschland werde künftig in den Krisengebieten und Brennpunkten der Weltpolitik stärker und eigenständiger eingreifen als bisher – ausdrücklich auch mit militärischen Mitteln. Die Zeit, in der Deutschland militärische Abstinenz üben musste, sei endgültig vorbei.
Den Auftakt machte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der vergangenen Woche im Bundestag. Steinmeier sagte, Deutschland sei „zu groß und zu wichtig“, als dass es sich noch länger darauf beschränken könne, die „Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“.
Aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht und geographischen Lage im Zentrum Europas trage Deutschland eine besondere Verantwortung für die Weltpolitik, sagte er und fügte hinzu: „Wir erkennen unsere Verantwortung an.“ Deutschland wolle und werde Impulsgeber für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik sein. Der Einsatz von Militär sei dabei zwar immer nur Ultima Ratio, dürfe aber nicht ausgeschlossen werden.
Unterstützt wird diese außenpolitische Wende von der gesamten Bundesregierung. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärte, Deutschland werde „mehr Verantwortung in der Nato und anderen Bündnissen“ übernehmen, und kündigte eine deutliche Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr an. Außerdem sagte Frau von der Leyen, sie habe begonnen, gemeinsam mit Steinmeier und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) eine „Afrikastrategie“ zu entwickeln.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende stellte sich Bundespräsident Joachim Gauck an die Spitze der Kampagne und forderte unumwunden die Stärkung der deutschen Militärmacht. In einer demagogischen Rede bezeichnete er die bisherige Politik der militärischen Zurückhaltung als Duckmäusertum und Trittbrettfahrerei.
Deutschland müsse endlich seiner internationalen Verantwortung gerecht werden und von „einem Nutznießer zu einem Garanten internationaler Sicherheit und Ordnung“ werden, forderte Gauck. In einer abstoßenden Mischung aus pastoralem Geschwätz und Kriegspropaganda predigte der ehemalige DDR-Kirchenmann Militarismus im Namen der Humanität.
Er warnte davor, dass „aus Zurückhaltung so etwas wie Selbstprivilegierung entstehen“ könne, und forderte ein klares Bekenntnis zur Nato, „gerade wenn die Vereinigten Staaten nicht ständig mehr leisten können“. Es müsse für Deutschland selbstverständlich sein, militärisch einzugreifen, „wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden.“
Diese humanitäre Kriegspropaganda wird in führenden Zeitungen und auf allen TV-Kanälen wiederholt. So lobt Die Welt die Gauck-Rede als rhetorischen Meilenstein gegen das „deutsche Ohnemicheltum“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht von einer „fulminanten Rede des Bundespräsidenten“, die noch lange nachhallen werde, weil sie den „Abschied von der altbundesrepublikanischen Selbstverzwergung in der Außen- und Sicherheitspolitik“ einleite. Die Süddeutsche Zeitung preist Gauck als Mahner gegen die „defensive Bequemlichkeit“ Deutschlands.
Diese mediale Einheitsfront macht das Ausmaß der Korruption in den Redaktionsstuben deutlich und zeigt, wie stark die Medien in die imperialistische Offensive der deutschen Politik eingebunden sind.
Es gibt buchstäblich niemanden in Politik und Medien, der die historische Dimension der außenpolitischen Wende beim Namen nennt. Knapp siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Verbrechen der Nazis und 25 Jahre nach dem Fall der Mauer wird die militärische Zurückhaltung der Nachkriegsperiode beendet. Der deutsche Imperialismus zeigt sich wieder so, wie er historisch entstanden ist. Er drängt nach Osteuropa, in die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion und knüpft an seine Kolonialpolitik in Afrika an.
Die Ereignisse in der Ukraine entlarven die Propagandalüge, die außenpolitische Offensive diene der Demokratie und Freiheit. Die Bundesregierung arbeitet dort mit einer Oppositionsbewegung zusammen, zu deren Führern mit Oleh Tjahnybok von der Allukrainischen Vereinigung „Swoboda“ ein offener Faschist zählt.
Seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 versucht die Bundesregierung, die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich zu lösen und in ihren eigenen zu ziehen. Sie will die Ukraine in eine Niedriglohnplattform für deutsche und europäische Konzerne verwandeln und gleichzeitig den Druck auf die russische Regierung erhöhen.
Die Wiederkehr des deutschen Imperialismus und Militarismus ist nicht auf die Außenpolitik beschränkt. Sie richtet sich auch nach innen gegen die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, die die Kriegspolitik und die vermehrten Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt und die Kosten dafür bezahlen muss.
Daher wurde die außenpolitische Wende, die bereits seit langem geplant war, im Wahlkampf nicht thematisiert, sondern hinter dem Rücken der Bevölkerung vorbereitet. Trotz endloser Fernsehdebatten und Wahlveranstaltungen wurden die wirklichen politischen Pläne in einer regelrechten Verschwörung gegen die Bevölkerung verheimlicht.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Es ist kein Zufall, dass die SPD in der Großen Koalition die Initiative für die außenpolitische Wende ergriffen hat. Mehr als jede andere Partei ist sie eng mit dem Staatsapparat verbunden und stellt die Staatsinteressen über die Parteiinteressen.
Schon vor fünfzehn Jahren waren es die Sozialdemokraten, damals im Bündnis mit den Grünen, die Bundeswehreinheiten für einen Kampfeinsatz außerhalb des Nato-Vertragsgebietes einsetzten und die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee einleiteten. Damals war die militärische Offensive direkt mit der Ausarbeitung der massiven sozialen Angriffen der Agenda 2010 verbunden.
Heute ist es ebenso. Die Bundesregierung plant parallel zur militaristischen Aufrüstung eine Agenda 2020, die weit über die bisherigen Sozialkürzungen hinausgeht.
Sie hat dabei die Unterstützung aller anderen Bundestagsparteien. Die Grünen, die in Hessen mit der CDU regieren und gerade über ein drastisches Sparprogramm verhandeln, haben der Bundesregierung bereits Unterstützung signalisiert. Auf der Bundestagssitzung, auf der Außenminister Steinmeier das Ende der militaristischen Zurückhaltung verkündete, stimmte die grüne Parlamentsfraktion für die Verlängerung des Mandats für 400 Bundeswehrsoldaten und zwei Einheiten des Patriot-Luftabwehrsystems in der Türkei.
Die Linkspartei stimmte zwar gegen die Verlängerung des Türkeimandats, weil auch ohne ihre Zustimmung eine Mehrheit gesichert war, signalisierte aber ebenfalls Unterstützung für eine aggressivere deutsche Außenpolitik. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich veröffentlichte Mitte Januar gemeinsam mit der Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger ein Strategiepapier, das Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstützt, wenn sie von einem Mandat der Vereinten Nationen gedeckt sind und „der Stärkung der Menschenrechte“ dienen.
Im Herbst hatte Liebich bereits ein Strategiepapier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zum Thema „Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“ mit verfasst, das für die gegenwärtige außenpolitische Wende eintritt.
Die Arbeiterklasse muss die Wiederkehr des deutschen Imperialismus und Militarismus sehr ernst nehmen. Um eine Katastrophe wie im vergangenen Jahrhundert mit zwei Weltkriegen, faschistischer Diktatur und Holocaust zu verhindern, muss der Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau verbunden und auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms geführt werden. Darin besteht die Bedeutung des Wahlkampfs der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) zur Europawahl.