Genossen und Freunde,
Ihr alle wisst, dass diese Maifeiertagsversammlung nur wenige Tage nach dem Massenmord in Odessa stattfindet, wo faschistische Unterstützer des Kiewer Regimes Dutzende Menschen töteten, sowie inmitten des militärischen Vorgehens gegen Slawjansk, Kramatorsk und andere Städte.
Das sind schreckliche Verbrechen. Und die meisten von Euch werden das Übelkeit verursachende Videomaterial von den Menschen gesehen haben, die aus dem brennenden Gebäude sprangen und dann von den Nazis des Rechten Sektors verprügelt wurden; oder die Berichte über friedliche Demonstranten, auf die geschossen wurde.
Die Schuld für dies alles tragen unmittelbar die Obama-Regierung und ihre Verbündeten. Sie haben bewusst die Bedingungen für den Ausbruch eines Bürgerkrieges herbeigeführt, um einen Vorwand für eine militärische, gegen Russland gerichtete, Intervention in die Region zu konstruieren. Damit wird Präsident Obamas an Orwell erinnerndes Lob für die „bemerkenswerte Zurückhaltung“ erklärt, die die „ordnungsgemäß gewählte Regierung in Kiew“ zeige.
Jeder Tag bringt weitere Nachrichten über die Aufrüstung der Nato-Kräfte an der ukrainischen Grenze, flankiert von Kriegsdrohungen gegen Moskau.
Drei Nato-Kriegsschiffe wurden in das Schwarze Meer entsandt. Zusätzlich wies Obama das Pentagon an, die Zahl der amerikanischen Bodentruppen zu erhöhen, die die Nato unterstützen und zusätzliche Düsenjäger nach Litauen und Polen zu verlegen. Etwa 600 Mann starke Infanterietruppen des Luftlandekampfbataillons Nr. 173 wurden in Polen und den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen stationiert.
Außerdem hat Washington, so geistesgestört dies auch klingen mag, die Wahnphantasien eines „gewinnbaren“ Atomkrieges aus der Reagan-Ära vollständig wiederbelebt.
Milliarden Dollar werden aufgewendet, um ein Raketenabwehrsystem zu errichten, das sich ausdrücklich gegen Russlands eigene Atomwaffenfähigkeit richtet. Es existieren Pläne, das System in Rumänien bis 2015 und in Polen bis 2018 verwendungsfähig zu haben.
Im Lichte von alldem kann niemand mehr ernsthaft darauf beharren, dass die jetzige Situation sich aus einer improvisierten Antwort der Westmächte auf die russische Annexion der Krim ergab, ganz zu schweigen von den gegen Kiew gerichteten Demonstrationen in den russischsprachigen Gebieten der Ukraine.
Vielmehr waren die Maidan-Proteste eine politische Operation, die von Washington, Berlin und einem Bündnis von Oligarchen und Faschisten geplant und ausgeführt sowie von den USA mit 5 Milliarden Dollar bezuschusst wurde.
Mit der Ausführung dieses Staatsstreichs wurde bezweckt, Moskau zu einer Antwort zu provozieren, die die notwendige Rechtfertigung für eine seit langem geplante Politik liefert: die Ausdehnung der Nato bis an die Grenzen Russlands.
Die herrschende Klasse der Vereinigten Staaten ist nicht weiter bereit, selbst die beschränkte Unabhängigkeit zu tolerieren, welche die russische und die chinesische Bourgeoisien genießen, weil sie diese als nicht hinnehmbares Hindernis für ihre unangefochtene globale Hegemonie betrachtet.
Überdies sind alle europäischen Mächte begierig darauf, Amerika zu folgen, denn sie fürchten, bei der Neuaufteilung der globalen Märkte und Ressourcen, beginnend mit denen Russlands und Chinas, zu kurz zu kommen.
Ihr gemeinsames Ziel besteht darin, Russland einzukreisen sowie wirtschaftlich, politisch und militärisch zu isolieren, das Putin-Regime zu destabilisieren und an seiner Stelle eine in jeder Hinsicht der in Kiew installierten ähnliche Regierung einzusetzen.
Die Arbeiterklasse in der Ukraine und in Russland wird einen wirklich furchtbaren Preis für diese Machenschaften zu zahlen haben. Alles kommt jetzt darauf an, dass die Arbeiter ihre eigene politische Antwort formulieren.
Dies zu tun heißt, die Verbindung mit den tiefgreifenden revolutionären Traditionen wiederherzustellen, die die Geschichte beider Völker geprägt haben, und die ihren Ausdruck in der Schaffung der Sowjetunion fanden, die auf die Russische Revolution vom Oktober 1917 folgte.
Momentan tritt die Opposition gegen das Kiewer Regime regional auf und unterstützt eine Form von Autonomie oder Angliederung an Russland, wie im Falle der Krim. Doch weder die russischen Oligarchen, die Putin repräsentiert, noch ihre Unterstützer vor Ort oder gar dessen Sponsoren im Westen können mit der Aufgabe betraut werden, dem Regime in Kiew Widerstand zu leisten,.
Was wir in der Ukraine sehen, sind die schrecklichen Folgen der Zerstörung der Sowjetunion.
Die Auflösung der stalinistischen Regime in Osteuropa und der Sowjetunion selbst, die in den Jahren 1989 bis 1991 stattfand, stellte den Höhepunkt des historischen Verrats der stalinistischen Bürokratie an der internationalistischen Perspektive der sozialistischen Weltrevolution dar, auf welche die Oktoberrevolution begründet wurde.
Dies hat die Grundlage für die gegenwärtige Umzingelung Russlands gelegt.
Man rufe sich in Erinnerung, wie der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow damals mit seinem „neuen Denken“ prahlte – einem Denken, das auf der Behauptung beruhte, dass der „Imperialismus“ eine Fiktion sei, die Lenin erfunden habe, und dass die kapitalistische Restauration bedeute, Russland würde als vollwertiges Mitglied in einer Weltfamilie demokratischer Nationen seiner Entwicklung nachgehen können.
Was war das für ein bornierter Unverstand!
Es war Leo Trotzki, der größte Sohn der Ukraine, dessen Einschätzung von den Ereignissen bestätigt wurde, als er warnte, dass die Auflösung der Sowjetunion dazu führen würde, dass Russland zu einer Halbkolonie der imperialistischen Großmächte werden würde.
Die Arbeiter Russlands und der Ukraine müssen sich jetzt eben diesem Trotzki und der trotzkistischen Bewegung zuwenden, um die räuberischen Pläne zu vereiteln, die in Washington, Berlin, London und Paris entworfen werden.
Das IKVI verkörpert in seinem Programm alle historischen Lehren, die aus dem Kampf der Linken Opposition gegen Stalins reaktionäres nationalistisches Programm des „Sozialismus in einem Lande“ gezogen werden müssen. Durch Stalins Programm wurde die sowjetische und internationale Arbeiterklasse den Interessen der Bürokratie und der Verteidigung ihrer privilegierten Position innerhalb der UdSSR untergeordnet.
Wir halten das unbefleckte Banner hoch, unter dem die Vierte Internationale im Jahr 1938 gegründet wurde, um für den Sturz des Profisystems und die Errichtung einer sozialistischen Welt zu kämpfen.
Putins Regime ist das verkommene Endprodukt der Restauration des Kapitalismus. Es repräsentiert nichts außer einer Bande käuflicher Oligarchen, die sich durch Diebstahl, Plünderung und skrupellose Angriffe auf die Arbeiterklasse immensen Reichtum verschafft haben.
Wenn man Putin und ein russisches nationalistisches Programm unterstützen würde, dann wäre man nur dabei behilflich, den Weg für einen ethnischen oder sprachlichen Unterschieden beruhenden Bürgerkrieg zu bereiten, gleich jenem, der das frühere Jugoslawien in Stücke riss. Ein derartiger Krieg ist das von Washington und seinen Helfershelfern ersehnte Ergebnis.
Wir sind gegen diesen katastrophalen Kurs. Wir wollen die Vereinigung der ukrainischen, russischen und internationalen Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus.
Wir rufen zur Einheit auf – zu einer gemeinsamen Offensive der Arbeiterklasse gegen die niederträchtige Verbindung aus Faschisten, Oligarchen und imperialistischen Schurken. Wir sind zuversichtlich, dass dieser Aufruf gewaltige Unterstützung erhalten wird.
Die Situation in der Ukraine birgt revolutionäre Möglichkeiten, die zu einem Aufbäumen der Arbeiterklasse gegen die Oligarchen führen werden, welche bis jetzt das politische Leben diktieren.
Zweifellos gibt es tiefgreifende Besorgnis unter Ukrainisch sprechenden Arbeitern darüber, dass das verhängnisvolle Bündnis von Gangsterkapitalisten und faschistischen Schlägern zu ihrer Regierung erklärt wurde sowie Wut darüber, dass sie jetzt zusehen müssen, wie ihre Klassengenossen im Osten einer solch brutalen Unterdrückung ausgesetzt werden.
Darüber hinaus beharren die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten auf einer Politik, die den Lebensstandard der Arbeiter, die bereits jetzt kaum über die Runden kommen, weiter zerstören wird.
Dank jener Politik der verbrannten Erde, die auf die kapitalistische Restauration folgte, befindet sich die Ukraine heute auf Rang achtzig der ärmsten Länder der Welt. Über ein Viertel ihrer Bevölkerung (elf Millionen Menschen) lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, die lediglich 127 Dollar monatlich beträgt.
Jetzt verlangen der Internationale Währungsfond (IWF) und die Europäische Union von der Ukraine, dass sie ihre Schulden in geschätzter Höhe von achtzig Milliarden Dollar im Gegenzug für ein „Rettungs“-Paket über lediglich fünfzehn Milliarden Dollar zurückzahle. Das Paket selbst wird vollständig zur Befriedigung internationaler Gläubiger aufgebraucht.
Das erfordert weitere Ausgabenkürzungen im öffentlichen Sektor, etwa bei der unverzichtbaren Energiesubventionierung. Es überrascht daher nicht, dass der ukrainische Marionettenministerpräsident Arseni Jazenjuk sein Regime eine „Kamikaze-Regierung“ nannte.
In der kommenden Periode wird der Klassenkampf explodieren. Und er wird alle Versuche durchkreuzen, die Arbeiterklasse der einen oder anderen Fraktion der Bourgeoisie unterzuordnen. In diesem Kampf müssen die Arbeiter der Ukraine und Russlands in der Arbeiterklasse Europas und Amerikas ihre Verbündeten erkennen.
Dass eine solche Ausrichtung sich verwirklicht, hängt von der wichtigen und in der Tat entscheidenden Rolle ab, die die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale spielen.
Wir stützen uns dabei auf etwas ungemein Machtvolles: die Antikriegsstimmung, die in der Arbeiterklasse jeden Landes existiert, welche aber absolut keinen politischen Ausdruck innerhalb der Parteien – unabhängig von ihrer jeweiligen Färbung – findet, weil diese allesamt Instrumente der herrschenden Elite sind.
Überall gibt es soziale und politische Unzufriedenheit der Massen, die sich gegen jene Politik richtet, die als siamesischer Zwilling erscheint: brutalste Austerität und imperialistischer Militarismus. Der Kampf gegen beide muss jetzt zur Basis für die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse werden, um den Kapitalismus ein für alle Mal zu seinem Ende zu bringen.
Wir wollen denen eine Stimme geben, die ohne Stimme sind, und wir wollen die gesellschaftliche Macht jener entfesseln, die nur darum machtlos erscheinen, weil keine Partei sie repräsentiert.
Diejenigen von Euch, die aus aller Welt an dieser Maifeiertagskundgebung teilnehmen, repräsentieren die fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse. Ihr seid diejenigen, die durch verschiedenste persönliche Erfahrungen zum Verständnis gelangt sind, dass der Weg vorwärts über die Errichtung des IKVI als Weltpartei der sozialistischen Revolution führt.
Aber ihr alle seid Repräsentanten einer Klasse, die durch ähnliche Erfahrungen ging, welche in Wirklichkeit von welthistorischen Ausmaßen waren. Und viele, viele weitere werden in der kommenden Periode zu derselben Schlussfolgerung gelangen.
Ich danke Euch.