Syriza und ihr Parteichef Alexis Tsipras konnten die Unzufriedenheit der Massen gegenüber den brutalen Sparmaßnahmen ausnutzen, die der griechischen Bevölkerung seit 2010 aufgezwungen wurden. Doch Syrizas Wahlsieg ist kein Ausdruck einer politischen Entwicklung der Arbeiterklasse, oder ein Schritt vorwärts oder ein Fortschritt für die Arbeiterklasse..
Syriza ist von ihrem Ursprung, ihrer sozialen Zusammensetzung und ihrer Politik eine bürgerliche Partei, die - wie die amerikanischen Demokraten unter Präsident Barack Obama und viele ähnliche Parteien - mit dem Versprechen auf "Hoffnung" und "Wandel" an die Macht kommen konnten, dann jedoch Austeritäts- und Kriegspolitik betrieben haben. Sie wird die Hoffnungen auf ein Ende des sozialen Elends und Leidens, das sie zynisch ausgenutzt hat, unweigerlich enttäuschen und verraten, eher früher als später.
Nichts macht den wahren politischen Charakter Syrizas besser deutlich als die Entscheidung zu einer Koalition mit den Unabhängigen Griechen, einer rechten, nationalistischen Partei, die im Jahr 2012 von dem ehemaligen stellvertretenden Schifffahrtsminister und Mitglied der konservativen Nea Dimokratia, Panos Kammenos, und zehn weiteren ND-Abgeordneten gegründet wurde. Kammenos wurde von dem gaullistischen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy geehrt.
Die Unabhängigen Griechen hetzen gegen Zuwanderung und Multikulturalismus und fordern ein christlich-orthodoxes Bildungssystem und die Bildung einer patriotischen "Demokratischen Front". Kammenos hetzt gegen "Geldverleiher aus dem Ausland" und behauptete vor kurzem, die griechischen Juden würden weniger Steuern zahlen und eine Vorzugsbehandlung genießen.
Die Medien stellen Tsipras' Entscheidung zugunsten der Unabhängigen Griechen als "überraschend“ da, doch der Syriza-Parteichef betrieb seinen Wahlkampf mit genau dieser Koalition im Blick. Seine letzte Wahlveranstaltung war dominiert von Forderungen nach einer "neuen sozialen und patriotischen Allianz“, einem Ende der "nationalen Demütigung" und chauvinistisch-antideutscher Stimmung. Einer von Tsipras ersten öffentlichen Terminen nach der Wahl war ein Empfang beim Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, Ieronymos II - auf eigenen Wunsch.
Tsipras und Syriza haben noch weitere nennenswerte Freunde im rechtsextremen Lager. Marine Le Pen, Parteichefin des französischen Front National, bezeichnete Syrizas Sieg als "scharfen demokratischen Schlag der griechischen Bevölkerung" ins Gesicht der Europäischen Union.
Die New York Times bezeichnete Syrizas Sieg als praktisch die einzige Möglichkeit, den griechischen Kapitalismus und die Europäische Union zu retten. In einem Leitartikel, der am Montag auf ihrer Webseite erschien, erklärte die Times zustimmend, Tsipras habe "den Europäern signalisiert," dass er bereit sei, "seine Ambitionen zu mäßigen", sobald er im Amt sitzt.
Die Zeitung forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, neu über Griechenlands Schulden zu verhandeln und mit Syriza zusammenzuarbeiten: "Griechenland braucht eine Atempause, nicht nur um Tsipras eine Chance zu geben, das Land zu sanieren, sondern auch mit Rücksicht auf den Rest Europas." Danach gab sie dem neuen Premierminister seine Marschbefehle und erklärte: "Natürlich muss Tsipras sein Mandat nutzen, um die grundlegenden inneren Reformen durchzusetzen, die sein Vorgänger Antonis Samaras begonnen hat."
Syrizas zahlreiche Verteidiger unter den kleinbürgerlichen Gruppen werden das alles als irrelevant abtun. Sie haben Syriza als "links" oder "sozialistisch" oder sogar als Spitze einer "Arbeiterregierung" (die Worte der britischen Left Unity) bezeichnet, die, wie es die amerikanische International Socialist Organisation formuliert, "die Unterstützung der Arbeiter und sozialen Bewegungen von ganz Europa" braucht.
Syriza selbst behauptet nichts dergleichen. Tsipras erklärte kurz vor der Wahl: "Syriza will nicht den Zusammenbruch des Euro, sondern seine Rettung... Und die Mitgliedsstaaten können den Euro nicht retten, wenn die Staatsschulden außer Kontrolle sind." Sein damaliger Schatten-Entwicklungsminister Georgios Stathakis sagte der Financial Times: "Wir wollen den Geschäftsleuten das Leben leichter machen, ihnen helfen, Probleme mit der Bürokratie zu beseitigen, über die sie sich beklagen."
Wenn Syriza sozialistisch ist, hat die Finanzoligarchie das nicht bemerkt. Am Wahltag erholte sich der Euro vom tiefsten Stand im Vergleich zum US-Dollar seit elf Jahren und alle wichtigen Aktienmärkte der Welt verzeichneten Kursgewinne. Die internationalen Investoren glauben eindeutig, dass Tsipras jemand ist, mit dem sie Geschäfte machen können (wie es Margaret Thatcher einst über Michail Gorbatschow formulierte).
Syriza ist mit einem Programm an die Macht gekommen, das die Interessen eines mächtigen Teils der griechischen Bourgeoisie und privilegierter Teile des Kleinbürgertums formuliert. Sie sucht Unterstützung bei noch mächtigeren Kräften: den Imperialisten in Europa und den USA.
Die Sparmaßnahmen, die vor allem Deutschland fordert, haben die Wirtschaftskrise, die 2008 ausgebrochen ist, nicht gelöst, sondern nur verstärkt. Die Zerstörung des Lebensstandards der Arbeiter und die weitere Bereicherung der großen Banken und globalen Investoren, drohen, die europäische- und damit die Weltwirtschaft in eine Deflationsspirale und eine noch tiefere Rezession zu stürzen.
Anfang des Monats warnte die New York Times, die europäische Wirtschaft habe mit ihrem ersten Eintritt in die Negativinflation seit dem Tiefpunkt der globalen Finanzkrise 2009 einen "psychologischen Wendepunkt" erreicht. Die Times warnte, die jüngsten Zahlen stärkten "die Befürchtung, dass Europa auf eine neue Finanz- und Wirtschaftskrise zusteuert."
Deshalb hat die Europäische Zentralbank am 22. Januar trotz Widerstand aus Deutschland, ein Programm zur quantitativen Lockerung angekündigt, in dessen Rahmen sie bis ins Jahr 2016 monatlich Wertpapiere in Höhe von 60 Mrd. Euro aus der Privatwirtschaft und von Staaten aufkauft, unter anderem Staatsanleihen, für einen Gesamtwert von 1,1 Billionen Euro.
Die Entscheidung, die Tsipras unterstützt und begrüßt, hat nichts mit einem Ende des Sparkurses zu tun. Ihr Architekt, EZB-Chef Mario Draghi, forderte, die QL mit "Fortschritten bei den wichtigen Strukturreformen" zu kombinieren "flexiblere Arbeitsmärkte, weniger Bürokratie, niedrigere Steuern," vor allem in den hochverschuldeten Ländern Südeuropas. Draghi erklärte, dort habe man sich zuviel Zeit mit Reformen gelassen. "Jetzt ist es Zeit, sie umzusetzen. Das ist meine Botschaft."
Genau wie bei früheren Konjunkturmaßnahmen wird der Großteil des Geldes, das in die Wirtschaft gepumpt wird, an die Banken und Konzerne gehen, während die Arbeiterklasse dafür bezahlen muss. Syriza wird angewiesen werden, alle Angriffe umzusetzen, die die Europäische Union, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds für notwendig erachten.
Wenn es überhaupt zu Neuverhandlungen über das "Memorandum" kommt, das die Bedingungen regelt, unter denen Griechenland seine Schulden zurückzahlen muss, dann werden sie darauf beschränkt bleiben, Syriza etwas mehr Zeit zu verschaffen, einer politisch unruhigen und sozial verzweifelten arbeitenden Bevölkerung eine reaktionäre Politik aufzuzwingen.
"Wir sind sehr motiviert, mit der neuen griechischen Regierung zusammenzuarbeiten, um den Kurs auf einen Aufschwung beizubehalten“, sagte Jeroen Dijsselbloem, der im Auftrag der Finanzminister der Eurozone spricht. Er fügte hinzu: "Wir alle - und auch die griechische Bevölkerung - müssen verstehen, dass die großen Probleme der griechischen Wirtschaft nicht verschwunden sind und sich auch wegen einer Wahl nicht über Nacht geändert haben."
Tsipras macht vielleicht zu Anfang ein paar kleine oder symbolishe Zugeständnisse an die Stimmung der Bevölkerung. Allerdings werden sie darauf ausgerichtet sein, ihm die Zeit zu verschaffen, die Politik der Bourgeoisie umzuorientieren, den Staat umzugestalten und die Arbeiterklasse zu desorientieren und zu demoralisieren und danach eine noch entschlossenere Offensive zu beginnen.
Während Tsipras' Besuchen in den USA, und bei verschiedenen Diskussionen mit amerikanischen Staatsvertretern wird die CIA ihn vermutlich um Garantien ersucht haben, dass Griechenland seine Außenpolitik an den grundlegenden Interessen der amerikanischen Bourgeoisie ausrichtet. Griechenland ist durch seine Lage im Mittelmeer und seine Nähe zum Nahen Osten wichtig für die Konfrontation der USA mit China und Russland.
Tsipras wird über Syrizas Haltung zu den zunehmenden Investitionen Chinas in Griechenland befragt worden sein, ebenso wie zur Krise in der Ukraine und der Einkesselung Russlands durch die Nato. Die kommenden Monate werden die gefährlichen Folgen der Garantien enthüllen, die er zweifellos angeboten hat.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale weist die politische Ausrede, mit der die kleinbürgerlichen Pseudolinken ihre Unterstützung für Syriza und ihre prokapitalistische Agenda recchtfertigen, mit Verachtung zurück – Die Ausrede lutet, dass die Tsipras-Regierung eine notwendige "Erfahrung" für die Arbeiterklasse sei, durch die sie schließlich die Notwendigkeit wirklich sozialistischer Politik verstehen werde.
Das einzige Ziel solcher Spitzfindigkeiten ist es, die Entstehung einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern, d.h. eine Entwicklung, die nur durch eine unablässige politische Enthüllung Syrizas möglich ist. Die World Socialist Web Site übernimmt diese Aufgabe, um Arbeiter und Jugendliche auf die entscheidenden Kämpfe vorzubereiten, die in Griechenland und weltweit bevorstehen.