In den letzten Monaten gab es immer wieder Spekulationen, dass sich ThyssenKrupp von seinem Stahlbereich mit derzeit etwa 26.000 Arbeitsplätzen trennen könnte. Ein Szenario, das mit dem Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen und weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbunden wäre.
Die ThyssenKrupp AG entstand aus der Fusion dreier traditionsreicher deutscher Stahlunternehmen. 1999 schlossen sich Thyssen und Krupp zusammen, das 1991 bereits den Hoesch-Konzern geschluckt hatte. ThyssenKrupp ist das größte Stahl- und Technologieunternehmen Deutschlands.
Verstärkt werden die Befürchtungen über eine Abtrennung des Stahlbereichs, seit der schwedische Finanzinvestor Cevian Capital vor einem Jahr seinen Anteil bei ThyssenKrupp auf mehr als 15 Prozent steigerte und hinter der Krupp-Stiftung zum zweitgrößten Aktionär aufstieg. Cevian ist mit seinem Deutschland-Chef Jens Tischendorf im Aufsichtsrat vertreten.
Als der Finanzinvestor im Herbst 2013 bei ThyssenKrupp einstieg, erklärte Tischendorf: „Über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren sehen wir ein signifikantes Potential, den Unternehmenswert zu steigern.“
Das Geschäftsmodell von Cevian beruht darauf, in Unternehmen einzusteigen, die es für unterbewertet hält, durch einen Sitz im Aufsichtsrat Einfluss auf die Geschäftspolitik zu erlangen und dann durch massive Einschnitte auf Kosten der Belegschaft den Unternehmenswert zu steigern.
So war Cevian für kurze Zeit an dem Baufahrzeuge- und Kranhersteller Demag Cranes beteiligt. Der Finanzinvestor sorgte für einen massiven Arbeitsplatzabbau, um dann seine Anteile zum doppelten Preis an das US-Unternehmen Terex zu verkaufen, das Demag Cranes vollständig übernahm.
Zuletzt hat Cevian dieses rücksichtslose Vorgehen beim Bauunternehmen Bilfinger durchgezogen. Hunderte Arbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Auch der Vorstandschef (der ehemalige Ministerpräsident von Hessen Roland Koch) und der Aufsichtsratsvorsitzende mussten kurz hintereinander gehen, weil sie die von Cevian vorgegebenen Renditeziele nicht erreichten.
Die Süddeutschen Zeitung schrieb am 26. März zum Vorgehen von Cevian: „Der Finanzinvestor steigt meist bei Unternehmen ein, die er für unterbewertet hält. Er misst den Erfolg dieser Unternehmen am jeweils besten Konkurrenten. Bei diesem Vergleich schneidet ThyssenKrupp nicht in allen Sparten gut ab. ‚Dann suchen wir nach Wegen, wie unser Zielunternehmen ebenso gut und erfolgreich werden kann‘, sagte Tischendorf unlängst in einem Interview und ergänzte: ‚Genauso haben wir es auch bei ThyssenKrupp gemacht, und wir sind überzeugt, dass mit den richtigen Entscheidungen viel Potential gehoben werden kann.‘“
Laut Süddeutscher Zeitung soll ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger den Verbund aller Bereiche des Konzerns, einschließlich des Stahlbereichs, bevorzugen. Er will durch immer neue und härtere Sparprogramme auf Kosten der Belegschaft das Unternehmen wieder profitabler machen. Für dieses Vorgehen hat er die vorbehaltlose und aktive Unterstützung von IG Metall und Betriebsräten.
Überlegungen, den Stahlbereich komplett abzustoßen, spielen im Vorstand von ThyssenKrupp dennoch immer wieder eine Rolle. Als der Konzern im Herbst 2012 einen Verlust von fünf Milliarden Euro für das abgelaufene Geschäftsjahr meldete, zu dem vor allem das Debakel beim Neubau von Stahlwerken in Alabama (USA) und bei Rio de Janeiro (Brasilien) beigetragen hatte, brachte der neue Konzernchef Heinrich Hiesinger das erste Milliarden schwere Sparprogramm auf den Weg.
Die Wirtschaftswoche berichtete damals unter Hinweis auf Aufsichtsratskreise, Hiesinger erwäge für die Stahltochter alle Optionen, von der organisatorischen Ausgliederung bis zum Börsengang der deutschen Stahlwerke.
Die ehemaligen Edelstahlwerke von ThyssenKrupp sind (mit Ausnahme der Werke AST in Terni, Italien, und VDM in Deutschland) bereits an den Konkurrenten Outokumpu verkauft worden, was die Schließung mehrerer Werke und den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen zur Folge hatte.
Jetzt gibt es neben Cevian auch Stimmen von Vertretern der Stahlindustrie selbst, die die Schließung oder Fusion weiterer Stahlunternehmen in naher Zukunft für unvermeidbar halten. So bezweifelte Ende Februar Wolfgang Eder, Präsident des Weltstahlverbands Worldsteel und Chef des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine, auf einer Konferenz des Handelsblatts zum Thema „Stahlmarkt 2015“, dass es in zwanzig Jahren noch aktive Hochöfen in Europa geben werde.
ThyssenKrupp Steel-Vorstandschef Andreas Goss erklärte: „Über kurz oder lang wird es eine weitere Konsolidierung geben müssen, weil schlicht und einfach nicht alle Anbieter überleben können.“ ThyssenKrupp wolle diesen Prozess aus einer Position der Stärke angehen.
Goss betonte, die zuletzt vorgenommenen Investitionen im Stahlbereich und der im letzten Quartal erzielte Gewinn von 79 Millionen Euro in der europäischen Stahlsparte von ThyssenKrupp seien vor allem das Ergebnis eines harten Sparprogramms. Dieses wurde mit Hilfe von IG Metall und Betriebsräten zu Lasten der ThyssenKrupp-Belegschaft durchgesetzt.
Als der Konzern Ende 2012 sein Milliarden-Sparprogramm ankündigte, machte er Oliver Burkhard (bis dahin IG Metall-Bezirkschef von Nordrhein-Westfalen) zum Personalvorstand, um die geplanten Angriffe gegen die Beschäftigten durchzusetzen. ThyssenKrupp zahlt Burkhard für seine Dienste rund 170.000 Euro im Monat. Er arbeitet bei der Ausarbeitung und Umsetzung der Kürzungen eng mit dem Konzernbetriebsrat unter Wilhelm Segerath zusammen.
Eine Maßnahme, die die Stahlarbeiter bei ThyssenKrupp besonders hart trifft, ist die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 34 auf 31 Stunden ab Oktober 2014 für die Dauer von vier Jahren. Diese erzwungene Arbeitszeitverkürzung bedeutet eine Lohnsenkung von etwa 10 Prozent und erhöhten Stress für die betroffenen Arbeiter im Schichtbetrieb, da die Schichten noch knapper besetzt sind.
Diese Maßnahme haben der Arbeitsdirektor von ThyssenKrupp Steel, Thomas Schlenz (vorher Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats), und Wilhelm Segerath (sein Nachfolger an der Spitze des Gesamtbetriebsrats) bereits im September 2013 vereinbart. Die Tarifkommission der IG Metall segnete sie als Bestandteil eines drastischen Kürzungsprogramm ab.
Als Ende letzten Jahres Äußerungen von ThyssenKrupp-Chef Hiesinger zum Stahlbereich Unruhe auslösten, organisierten die IG Metall und der Betriebsrat am 3. Dezember eine kurze Protestaktion vor der ThyssenKrupp Steel-Hauptverwaltung in Duisburg-Hamborn. Vertreter von IG Metall und Betriebsrat forderten mit demagogischen Worten ein Bekenntnis des Unternehmensvorstands zum Stahl und verwiesen auf ihre eigenen Anstrengungen, mit Sparmaßnahmen und erzwungenen Opfern der Stahlarbeiter zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beizutragen. Mit solchen Protesten versuchen sie, ihre eigene Rolle bei den Angriffen auf die Arbeiter zu verschleiern, was kaum noch gelingt.