Die Entscheidung der deutschen Regierung, sich am Krieg in Syrien zu beteiligen, kennzeichnet ein neues Stadium der Wiederkehr des deutschen Militarismus. Hinter dem Rücken der Bevölkerung wird ohne jede öffentliche Diskussion ein neues, blutiges Abenteuer vorbereitet.
Am Donnerstag beschloss die Bundesregierung, sich mit sechs Tornado-Jets, mindestens einem Tankflugzeug, einem Kriegsschiff sowie Satellitenaufklärung an der von den USA angeführten internationalen Militärkoalition zu beteiligen, die in Syrien Stellungen des Islamischen Staats (IS) bombardiert. An der Zustimmung des Bundestags dürfte es keine Zweifel geben, da sowohl die CDU/CSU wie die SPD den Einsatz unterstützen.
Obwohl die Tornados keine Bomben tragen und ausschließlich der Aufklärung dienen, handelt es sich eindeutig um einen Kampfeinsatz. Nach dem Jugoslawienkrieg (1999) und dem Afghanistankrieg (seit 2001) ist es der dritte in der Geschichte der Bundeswehr.
Die von den Tornados gesammelten hochpräzisen Daten werden direkt an die anderen Mitglieder der Koalition weitergeleitet und dienen der Auswahl und Bestimmung der Angriffsziele. Der Verteidigungspolitiker Rainer Arnold (SPD) ließ keinen Zweifel am Charakter des Einsatzes. Auch Aufklärungstornados seien „ein Beitrag zum aktiven Kampf, da brauchen wir nicht herumreden“, sagte er. Es mache „ethisch keinen Unterschied, ob man Ziele definiert oder die Ziele bekämpft“.
Die Entsendung von Aufklärungsflugzeugen ist zudem nur der Anfang. Ist die Bundeswehr erst einmal am Krieg beteiligt, werden bald Forderungen nach einer Aufstockung folgen, bis hin zum Einsatz von Bodentruppen.
Deutschland mischt sich in einen Krieg ein, der – wie der Balkan vor dem Ersten Weltkrieg – zum Brennpunkt internationaler Konflikte und Interessengegensätze geworden ist. In einer hochexplosiven Gemengelage wird in Syrien seit mehr als drei Jahren ein „Stellvertreterkrieg“ geführt, der „sogar zu einem heißen Krieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten werden“ könnte, schrieb die konservative Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 18. Oktober.
Der Abschuss eines russischen Kampfbombers durch türkische Kampfflugzeuge, der offenbar mit amerikanischer Rückendeckung erfolgte, hat diese Gefahr bestätigt. Ein offener Krieg zwischen Russland auf der einen Seite und der Türkei und der Nato auf der anderen Seite könnte die Folge sein. Trotzdem – oder gerade deshalb – hat die Bundesregierung entschieden, sich an dem Krieg zu beteiligen.
Wie bei allen Kriegen muss man dabei zwischen den vorgeblichen und den tatsächlichen Gründen unterscheiden.
Offiziell wird das militärische Eingreifen mit einem Hilfsersuchen des französischen Präsidenten François Hollande nach den Anschlägen von Paris gerechtfertigt. Es gehe darum, so die offizielle Begründung, eine Allianz gegen den internationalen Terror zu schmieden und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu besiegen. Tatsächlich wurde das militärische Eingreifen Deutschlands im Nahen Osten seit Jahren vorbereitet. Die Anschläge von Paris boten lediglich den willkommenen Anlass, vorhandene Pläne in die Praxis umzusetzen.
Seit dem Libyenkrieg vor viereinhalb Jahren sind führende Vertreter in Politik und Medien der Auffassung, dass die deutsche Nichtteilnahme ein großer Fehler war. Über 50 führende Politiker aller Parteien, Journalisten, Akademiker, Militärs und Wirtschaftsvertreter arbeiteten unter Federführung der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) eine neue außenpolitische Strategie aus. Sie gipfelte in der Forderung, Deutschland müsse politisch und militärisch wieder eine internationale „Führungsrolle“ einnehmen, weil es als „Handels- und Exportnation“ wie kaum ein anderes Land auf „die Nachfrage aus anderen Märkten sowie Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen“ angewiesen sei.
Gestützt auf dieses Papier verlangten Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang 2014 ein „Ende der militärischen Zurückhaltung“. Deutschland sei „zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“ und müsse „bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“, erklärten sie.
Nun begründet von der Leyen in einem Interview mit dem Handelsblatt das militärische Eingreifen in Syrien ausdrücklich mit ihrer damaligen Forderung. „Im Frühjahr 2014 war die heutige Situation für niemanden absehbar“, erklärt sie. „Und dennoch war es gut, dass der Bundespräsident, der Außenminister und ich diese Debatte praktisch zeitgleich angestoßen haben: Wir haben dort Fragen diskutiert und Standpunkte erarbeitet, auf die wir uns nur wenige Monate später in realen Krisen stützen konnten.“
In die Praxis umgesetzt wurden diese „Standpunkte“ erstmals in der Ukraine, wo Deutschland gemeinsam mit den USA den rechten Putsch unterstützte, der ein pro-westliches Regime an die Macht brachte und einen scharfen Konflikt zwischen der Nato und Russland provozierte, der bis heute andauert.
Schon damals warnten wir vor einer Eskalation der Konflikte im Nahen Osten. Im September 2014 verabschiedete eine Sonderkonferenz der Partei für Soziale Gleichheit eine Resolution gegen Krieg, in der es heißt: „Unter dem Vorwand des Kampfs gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die von den USA und ihren Verbündeten Saudi-Arabien, Katar und Türkei aufgebaut und gefördert wurde, hat eine weitere Runde der gewaltsamen Neuaufteilung der rohstoffreichen Region begonnen, die noch blutiger und verlustreicher zu werden droht, als die bisherigen Kriege im Irak, Libyen und Syrien.“
Mittlerweile sind große Teile Syriens, des Iraks und Afghanistans zerstört. Millionen Menschen sind in benachbarte Länder und nach Europa geflohen. Die gesamte Region ist ein hochexplosives Pulverfass, in dem internationale und regionale Mächte gegensätzliche Interessen verfolgen. Die USA, Russland, die Türkei, Frankreich, mehrere arabische Länder und bald auch Großbritannien bombardieren Ziele in Syrien und Irak und bewaffnen lokale Hilfstruppen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die gegensätzlichen Interessen sind so komplex, dass es kaum mehr möglich ist, den Überblick zu behalten. Die USA wollen das Assad-Regime zu stürzen, das sich neben der eigenen Armee auf iranische Milizen und die libanesische Hisbollah stützt. Russland verteidigt des Assad-Regime und bombardiert dessen Gegner, darunter die Al-Nusra-Front, den syrischen Ableger von Al-Qaida, der von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wird.
Deutschland und Frankreich bemühen sich, die USA und Russland und einige der lokalen Kontrahenten an einen Tisch zu bringen, weil sie fürchten, ein unkontrollierter Kollaps des Assad-Regimes werde weitere Millionen Flüchtlinge nach Europa treiben und Syrien in einen permanenten Bürgerkrieg stürzen. Gleichzeitig verschlimmern sie die Lage, indem sie selbst den Krieg anheizen. Der Abschuss des russischen Kampfbombers durch die Türkei diente nicht zuletzt dazu, die deutsch-französischen Pläne zu durchkreuzen.
Die Türkei strebt wie die USA den Sturz Assads an, will aber gleichzeitig eine Stärkung der Kurden verhindern, die sowohl von den USA wie von Deutschland ausgebildet und bewaffnet werden. Deutschland wiederum ist auf türkische Unterstützung angewiesen, um den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa zu stoppen, der die Europäische Union zu sprengen droht.
Je verzwickter die Lage ist, desto aggressiver schlagen die Großmächte um sich. Napoleon, der ein genialer Feldherr war, wird der Satz zugeschrieben: „On s’engage et puis on voit“ – „Man geht ins Gefecht und wird sehen“. Im Nahen Osten scheint das Motto zu lauten: „Man bombt alles kurz und klein und wird sehen“.
Während immer schwereres Kriegsgerät aufgefahren wird, hat keine der kriegsführenden Mächte eine Vorstellung, wie der Konflikt beendet werden kann. Das fällt selbst vielen Kommentatoren in den Medien auf. So kommentierte die F.A.Z. am Donnerstag, um Syrien herum werde demnächst genügend militärisches Gerät vorhanden sein, um den IS empfindlich zu treffen. „Doch mangelt es den vielen Kriegsparteien nach wie vor an Einigkeit, zu welchem Zweck die massierte Militärmacht eingesetzt werden soll. Und was käme nach einem ‚Sieg‘ über den IS?“
Die USA, Deutschland und die anderen Großmächte reagieren mit der Eskalation des Kriegs im Nahen Osten auf die tiefe Krise des kapitalistischen Systems. „Die Wiederbelebung des Militarismus ist die Antwort der herrschenden Klasse auf die explosiven gesellschaftlichen Spannungen, auf die sich verschärfende ökonomische Krise und auf die wachsenden Konflikte zwischen den europäischen Mächten“, schrieben wir in der bereits zitierten Resolution. „Der Militarismus dient der Eroberung neuer Einflusssphären, Absatzmärkte und Rohstoffe, auf die die exportabhängige deutsche Wirtschaft dringend angewiesen ist. […] Und er zielt auf die Militarisierung der ganzen Gesellschaft: den Ausbau des staatlichen Überwachungs- und Repressionsapparats, die Unterdrückung von sozialer und politischer Opposition und die Gleichschaltung der Medien.“
Nur eine internationale Antikriegsbewegung, die die Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm mobilisiert, kann die Gefahr eines dritten, nuklearen Weltkriegs verhindern, die sich im Nahen Osten und anderen Weltregionen anbahnt. Der Kampf gegen Krieg und der Kampf gegen Kapitalismus sind untrennbar miteinander verbunden. Die Partei für Soziale Gleichheit und das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpfen dafür, eine solche Bewegung aufzubauen.