Berlin: Rektor protestiert gegen Polizeieinsatz in der Alice-Salomon-Hochschule

In einem Offenen Brief vom 7. April an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), protestierte der Rektor der Alice-Salomon-Hochschule gegen einen Polizeieinsatz während eines Aufmarschs von Rechtsradikalen. Es sei „ein beispielloser Zwischenfall, der für uns nicht hinnehmbar ist“, heißt es in dem Schreiben.

Was ist geschehen? Etwa dreißig Polizisten waren am 2. April in die Alice-Salomon-Hochschule im Bezirk Marzahn-Hellersdorf gestürmt, hatten die anwesenden Studenten und Dozenten in das Audimax gedrängt, alle Eingänge abgesperrt und die Personalien aufgenommen.

Die Einsatzleitung begründete den Angriff auf die international anerkannte Hochschule für Sozialarbeit mit einem Plakat an der Fassade des Gebäudes, das dazu aufrief, „RassistInnen und Nazis“ zu blockieren. Vor der Hochschule hatten sich gerade bekannte Gruppen von Rechtsextremen gesammelt, die danach unter dem Motto „Sicherheit statt Angst“ durch den Bezirk marschierten. An den Gegenkundgebungen beteiligten sich viele Hochschulangehörige.

Doch statt gegen die rund dreihundert martialisch auftretenden Rechten vorzugehen, die mehrfach den Hitler-Gruß zeigten, mit Kameras die Hochschule und deren Angehörige filmten und auf einem Transparent zu persönlichen Attacken auf Linke aufriefen („Linksfaschisten haben Namen und Adressen“), rissen die Polizeibeamten das Plakat der Hochschule herunter (siehe Bild) und erklärten, die Aufschrift sei eine Aufforderung zu „Straftaten“, nämlich zum „Blockieren einer vom Versammlungsrecht geschützten Demonstration“.

Zwei Studentinnen wurden festgenommen und aus dem Gebäude getragen. Einer wurde laut Tagesspiegel die mutmaßliche Beteiligung an „der Straftat“, einer anderen „Beleidigung“ von Polizeibeamten vorgeworfen.

Der Rektor der Alice-Salomon-Hochschule (ASH), Professor Dr. Uwe Bettig, zeigte sich entsetzt und kritisierte den Polizeieinsatz scharf. „Eine staatliche Hochschule als akademischer und geschützter Raum darf auf eine solche Weise nicht von der Polizei angegangen werden“, schreibt er in seinem Brief an den Senat.

Von dem Plakat sei keinerlei akute Gefahr ausgegangen. Er sei selbst an diesem Tag vor Ort gewesen und habe im Vorfeld der Demonstration dem Einsatzleiter seine Telefonnummer gegeben, um im Konfliktfall zu vermitteln. Doch habe man ihn nicht, wie verabredet, vorab benachrichtigt.

Dazu der Polizeisprecher Stefan Redlich auf Nachfrage des Tagesspiegel: „Eine Informationspflicht ist nicht vorgesehen.“

Gegenüber der WSWS sagte Uwe Bettig, der die ASH seit 2014 leitet, das Vorgehen der Polizei sei für ihn „erschreckend“. Das beanstandete Plakat habe zusammen mit anderen Plakaten gegen Rassismus bereits länger am Gebäude gehangen. Es sei ihm daher unerklärlich, warum die Polizei ausgerechnet zu Beginn des rechten Aufmarschs ohne Vorankündigung ins Gebäude stürmte und das Plakat herunterriss. Die Hochschulleitung wolle den Fall juristisch prüfen lassen, so Uwe Bettig weiter. „Wir haben hier schließlich auch Hausrecht.“

Die ASH, die 1998 von Berlin-Schöneberg nach Hellersdorf umgezogen ist, steht schon länger im Focus von rechten Gruppierungen. Sie ist für ihr großes Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und ihre Hilfsbereitschaft für geflüchtete Menschen bekannt. Viele Studenten und Dozenten kümmern sich um Flüchtlinge der nahegelegenen Unterkünfte und organisieren für sie kostenlose Seminare und Beratungen.

Im kommenden Sommersemester findet eine Ringvorlesung zum Thema Rassismus statt und sind Lehrveranstaltungen in der Flüchtlingsunterkunft geplant. Die Bibliothek und die Mensa der Hochschule stehen den Geflüchteten offen. Eine 2013 an der ASH eingerichtete „Antirassistische Registrierstelle“ dokumentiert akribisch die Fälle rechter Gewalt.

Diese Praxis, sagte Rektor Bettig gegenüber der WSWS, entspreche dem Leitbild der Schule und ihrer Geschichte. 1908 war sie als „soziale Frauenschule“ von Alice Salomon gegründet worden und hatte 1932 Hochschulstatus erhalten. 1933 wurde sie von den Nazis in „Schule für Volkspflege“ umbenannt, ihre jüdischen und sozialdemokratischen Dozenten entlassen. Heute bildet sie wieder unter dem alten Namen Studenten im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich aus und hat viele internationale Kontakte.

„Wissenschaft hat etwas mit internationalem und sozialem Austausch zu tun“, so Uwe Bettig. „Was hier passiert, schadet dem guten Ruf der Hochschule.“ Die jüngste Entwicklung in Marzahn-Hellersdorf beunruhige ihn daher sehr.

Rechte Parteien und Gruppen treten immer offensiver auf. Montag für Montag marschieren Neonazis und Hooligans durch die Straßen, immer wieder bedrohen sie Flüchtlinge, ausländische Studenten und Angehörige der Hochschule, die sich gegen Rassismus engagieren.

„Die Polizei schützt linke Gegendemonstranten nicht in ausreichendem Maße“, sagt Bettig. „Die Härte der Polizei gegen unsere Studierenden erfüllt mich mit großer Sorge.“

Schon im Dezember 2014 hatte Bettig deshalb an Innensenator Henkel (CDU) geschrieben und mehr Schutz für diejenigen gefordert, die sich für Asylbewerber und ihren Schutz vor Rechtspopulisten einsetzen. Er verwies damals auf einen Vorfall, bei dem Polizisten noch in der S-Bahn auf abfahrende Teilnehmer einer Gegenkundgebung eingeschlagen haben sollen. Auch habe die Polizei die Marschroute einer rechten Demonstration gegen Asyl gezielt zur Flüchtlingsunterkunft geleitet, um eine Blockade von Studenten und anderen Jugendlichen zu umgehen.

Henkel antwortete damals nicht. Stattdessen erhielt der Rektor einen „ziemlich bösen Brief“ von dessen Staatssekretär Bernd Krömer, der die Kritik an der Polizei zurückwies und dem Hochschulleiter vorwarf, Informationen, „deren Wahrheitsgehalt mindestens zweifelhaft ist“, nicht überprüft zu haben.

Jetzt hat Henkel seine Antwort nachgereicht: Im Abgeordnetenhaus am vergangenen Donnerstag rechtfertigte er den massiven Polizeieinsatz am 2. April gegen die Hochschule als „rechtsstaatliches Vorgehen“. Auf Anfragen von Abgeordneten der Linken und der Grünen antwortete er, bei dem Einsatz sei „alles richtig verlaufen“. Die Polizei habe nach dem „Legalitätsprinzip“ einschreiten müssen, weil die Aufschrift des Transparents „strafbewehrt“ sei.

Zum Hitlergruß aus den Reihen des braunen Mobs äußerte sich Henkel nicht. Zum Transparent der Neonazis „Linksfaschisten haben Namen und Adressen“ erläuterte er: Der Justitiar der Berliner Polizei habe die Transparente beider Seiten geprüft. „Das Transparent der Rechten mit einem ähnlichen Schriftzug wurde so eingeschätzt, dass es nicht den Straftatbestand erfüllt.“

Dies ist eine erstaunliche Aussage des Dienstherrn der Berliner Polizei und damit auch dessen Justitiars, wenn man bedenkt, dass die Aufforderung, sich der Namen und Adressen der „Linksfaschisten“ anzunehmen, nicht nur eine Drohung ist. Die rechtsextreme Kleinpartei „Der III. Weg“ hat gerade erst Hetz-Postkarten mit dem Slogan „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ an einen Verein für Geflüchtete und an einige Politiker geschickt, darunter auch an den SPD-Bezirksbürgermeister in Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß.

Vor dem Haus der Linken-Politikerin Petra Pau im selben Bezirk marschierten im vergangenen Jahr grölende Neonazis auf. Die Tatsache, dass sich Henkel auf die Auffassung des Justitiars beruft, wirft die Frage auf: War er selbst der Stichwortgeber des Polizeieinsatzes gegen die Alice-Salomon- Hochschule?

Das Ereignis ist eine Warnung: Monatelang hat der Berliner Senat Flüchtlinge an der mittlerweile berüchtigten Lageso-Aufnahmestelle schikaniert und sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in Turnhallen und Flughallen eingepfercht. Jetzt versucht er, die Vielzahl freiwilliger Helfer und Unterstützer in der Berliner Bevölkerung und Jugend mit Polizeirepression einzuschüchtern. Henkels Wahlslogan „Starkes Berlin“ für die kommenden Abgeordnetenhauswahlen muss daher als Drohung verstanden werden.

Das Vorgehen der Polizei gegen eine Hochschule, wie in Hellersdorf geschehen, weil diese sich gegen Fremdenfeindlichkeit engagiert, ist ein alarmierender Angriff auf Demokratie und ebnet rechten Kräften den Weg.

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