Die anfängliche offizielle Darstellung des Massakers von Orlando als ein vom IS gelenkter Anschlag auf die USA hatte keine 48 Stunden Bestand. Wie die Regierung mittlerweile bestätigt hat, gibt es keine Hinweise darauf, dass Omar Mateen vom IS oder einer ähnlichen Organisation gelenkt wurde. Ob er aufgrund von Sympathien für den islamistischen Terror zum Sturmgewehr griff, um einen Massenmord in der Schwulenbar Pulse zu verüben, ist eine offene Frage.
Darüber hinaus ist bekannt geworden, dass Mateen emotional und psychisch extrem belastet war. Er litt an seiner zwiespältigen sexuellen Identität und hatte rückständige, reaktionäre und rassistische Ansichten, die den Einstellungen reaktionärer, weißer rassistischer Gruppen sehr ähnlich sind.
Diese Enthüllungen haben den Präsidenten der Vereinigten Staaten, die voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten beider großer Parteien und die kommerziellen Medien nicht davon abgehalten, auch weiterhin den Tod von 49 Opfern, die zum Teil schweren Verletzungen von 53 Menschen und den Schmerz von Tausenden Familienmitgliedern und Freunden zu missbrauchen, um ihre Kriege im Ausland und die Unterdrückung im Inneren weiter voranzutreiben.
Ohne ernsthaft zu versuchen, ihre Rezepte mit den bisher über den Mörder und seine Tat bekannten Fakten in Einklang zu bringen, benutzen sie auch diesen Amoklauf – den letzten einer schier endlosen Serie von Massenmorden in den USA – um weiterhin den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ zu forcieren. Dabei hat gerade dieser Krieg wesentlich dazu beigetragen, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für solche furchtbaren Vorfälle zu schaffen.
Wie man mittlerweile weiß, verband Mateen seine offensichtliche Homophobie mit häufigen Besuchen in der Pulse-Bar und einer aktiven Beteiligung an sozialen Medien, die von Homosexuellen benutzt werden. Ehemalige Kollegen des Mörders haben sich gemeldet und seine extrem rechten und rassistischen Ansichten beschrieben. Daniel Gilroy, der von März 2014 bis März 2015 mit Mateen zusammengearbeitet hat, schildert in einem Interview auf der Website der New York Times seine Begegnung mit dem zukünftigen Massenmörder.
Er sei „nicht überrascht“ gewesen, als er erfuhr, dass Mateen das Massaker von Orlando verübt hatte, so Gilroy. „Er war sehr rassistisch, sehr sexistisch, judenfeindlich, feindlich gegenüber Homosexuellen. Er verkündete diese Ansichten mit abfälligen Bemerkungen, so oft er konnte.“ Mateen habe oft darüber gesprochen, Schwarze umzubringen. Als Gilroys Arbeitgeber seinen Beschwerden über Mateen keine Beachtung schenkte, verließ Gilroy das Unternehmen.
Omar Mateens Blutrausch war zwar der schlimmste Massenmord in der modernen amerikanischen Geschichte, aber keinesfalls eine Anomalie. Die Website „Gun Violence Archive“ verzeichnet für den diesjährigen Juni bereits 18 Massenmorde mit Schusswaffen. Gemäß den Angaben des US-Bundeskriminalamts kam es im Jahr 2014 zu 8124 Tötungsdelikten mit Schusswaffeneinsatz.
Durch Schusswaffen kommen in den USA etwa genauso viele Menschen ums Leben wie durch Autounfälle, weitaus mehr als in jedem anderen entwickelten Industrieland. In den USA kommen auf 1 Million Menschen 31 Schusswaffenopfer, in Deutschland zwei und in England nur eines. In Japan ist die Wahrscheinlichkeit, mit einer Pistole getötet zu werden, so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass ein Amerikaner vom Blitz erschlagen wird – 1 zu 10 Millionen.
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Welche Besonderheiten der amerikanischen Gesellschaft führen dazu, dass psychisch instabile Menschen zu Massenmördern werden, oft verbunden mit Selbstmord? Das ist eine Frage, die das Establishment in Politik und Medien sich nicht stellen will oder nicht zu stellen wagt. Denn auf der Suche nach einer Antwort stößt man sehr schnell auf die Fäulnis der amerikanischen kapitalistischen Gesellschaft.
Stattdessen werden in zynischer und verlogener Manier altbekannte Rechtfertigungen für ein System geboten, das soziale Verwerfungen und Gewalt in ungeheuerlichen Ausmaßen hervorbringt. Die offizielle Reaktion auf jeden neuen Massenmord besteht aus einer stereotypen Mischung aus Kriegshetze und Forderungen nach noch mehr Überwachung der Bevölkerung und anderen Polizeistaatsmaßnahmen. Die Demokraten steuern noch die Forderung nach Waffenkontrollen bei – als ob die Verbreitung von Schusswaffen die Ursache und nicht ein Symptom der Krankheit wäre.
Vonseiten der Republikaner, und speziell deren voraussichtlichem Präsidentschaftskandidaten, dem faschistoiden Milliardär Donald Trump, kommen neue und noch wüstere Angriffe auf Einwanderer im Allgemeinen und auf Muslime im Besonderen.
All dies wurde am Dienstag besonders deutlich, als Präsident Obama nach einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrats eine Rede hielt. Flankiert von seinem Verteidigungsminister, dem Chef des Generalstabs, dem Chef des Heimatschutz-Ministeriums, dem Direktor des nationalen Geheimdienstes und anderen Sicherheitsbeamten erklärte Obama, die wichtigste Schlussfolgerung aus dem Massaker von Orlando sei eine Intensivierung des Kriegs zur „Vernichtung“ des IS.
Er propagierte seine jüngsten Maßnahmen zur Ausweitung der Militärgewalt im Irak und in Syrien, u. a. die Stationierung von zusätzlichen Spezialeinheiten und Kriegsmaterial wie Kampfhubschraubern. Er prahlte damit, mehr als 120 hohe IS-Führer „entfernt“ zu haben, und spielte auf Pläne an, die Militärintervention der USA in Libyen auszuweiten.
Des Weiteren forderte er den Kongress, sprich die Republikaner auf, Gesetze zur Einschränkung des Waffenbesitzes zu verabschieden. Er schloss mit einer Verurteilung von Trump, der ein Einwanderungsverbot für Muslime und andere diskriminierende Maßnahmen gegen Einwanderer gefordert hatte. In erster Linie war diese Kritik jedoch auf die Erfordernisse des „Kriegs gegen den Terror“ und der neokolonialen Operationen der USA in muslimischen Ländern abgestimmt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Wie üblich sagte Obama kein Wort über den direkten Beitrag, den seine eigene Politik und die Kriege der letzten 25 Jahre in Zentralasien und im Nahen Osten zum Aufstieg des IS geleistet haben. Die Ursprünge des IS liegen in der Katastrophe, die die USA mit ihren Massenmorden und ihrer Zerstörung angerichtet haben, und im bewussten Schüren von Konflikten zwischen verschiedenen Volksgruppen. Obendrein hat die CIA den IS und seine Vorgänger ganz unmittelbar unterstützt, und er wurde von den mit Washington verbündeten Despoten der Region bewaffnet und finanziert.
Das Ganze ist ein Versuch, die wirklichen Ursachen für die Massengewalt in den USA zu vertuschen, die in der Fäulnis und der bösartigen Krise des amerikanischen Kapitalismus liegen. Obama führt die ununterbrochene Folge an Kriegen fort, die vor 25 Jahren mit dem ersten Golfkrieg 1991 begann, und treibt im Inland die brutalen Angriffe auf die soziale Lage und die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse weiter voran, die sowohl von demokratischen als auch von republikanischen Regierungen durchgeführt wurden.
Der Dauerkrieg wurde von einer Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens und der Politik in den USA begleitet. Die Auswirkungen dieser täglichen Realität innerhalb der Vereinigten Staaten kann man schwerlich übertreiben. Besonders die instabilsten Teile der Gesellschaft bekommen sie zu spüren. Politische Reaktion, nationaler Chauvinismus, immigrantenfeindlicher Rassismus – die rückständigsten Stimmungen werden systematisch kultiviert, um eine Politik imperialistischer Kriege und der Verelendung der Arbeiterklasse durchzusetzen.
Um sich auf das unvermeidliche Anwachsen des gesellschaftlichen Widerstands vorzubereiten, wurde die Polizei in den Arbeiterwohngebieten zu einer militarisierten Besatzungsmacht gemacht, die Terror, Brutalität und offenen Mord einsetzt.
Der Verrat und der Zusammenbruch der Gewerkschaften, ihr Bündnis mit der herrschenden Klasse gegen die Arbeiter und die Unterdrückung des Klassenkampfs haben das soziale Elend noch vergrößert.
Allerdings erleben wir heute sowohl in den USA als auch international den Beginn eines neuen Aufschwungs des Klassenkampfs, angetrieben von einer enormen Wut über die ungeheuerliche Zunahme der soziale Ungleichheit und die unverfrorene Kriminalität der herrschenden Elite. Diese Entwicklung ist ein unverkennbarer Vorbote für das Wiederaufleben der sozialen Revolution.
Umso wichtiger ist es für die amerikanische herrschende Klasse, innere gesellschaftliche Spannungen mit Hilfe von Nationalismus und Krieg nach außen zu lenken.
Für die Arbeiterklasse gibt es nur eine Antwort auf die ständig wiederkehrenden Ausbrüche von Mord und Gewalt in Amerika: den Weg der sozialistischen Revolution, um dem kranken System, das solche Gräuel hervorbringt, ein Ende zu setzen.