„Im Westen nichts Neues“: Eine vom Krieg zerstörte Generation

Noch sind die Jahrhundertfeiern des Ersten Weltkriegs nicht verklungen, da rüsten sich die herrschenden Eliten erneut zum Krieg. Die imperialistischen Regierungen von Amerika, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada und Australien zeigen ihr wahres Gesicht: Sie üben sich in Hurrapatriotismus und Polizeistaatsmethoden und bereiten neue, weltweite Kriege vor.

Die große Mehrheit der Weltbevölkerung lehnt diese gefährliche Politik ab. Doch bietet ihr das offizielle Kulturleben keinerlei kritische Anhaltspunkte, um die Kriegsentwicklung der letzten 25 Jahre zu verstehen. Auch werden die Antikriegsliteratur und das künstlerische Erbe des zwanzigsten Jahrhunderts nicht gewürdigt. Dabei kam darin der gewaltige Widerstand der Arbeiterklasse und von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen zum Ausdruck, die nicht nur den Krieg ablehnten, sondern auch das kapitalistische System, das ihn hervorbringt.

Aus dem Schrecken des Ersten Weltkriegs gingen die Werke von Dichtern und Schriftstellern hervor, wie zum Beispiel Isaac Rosenberg, Wilfred Owen, Henri Barbusse („Das Feuer“, 1916), Ernest Hemingway („In einem andern Land“, 1929), Robert von Ranke-Graves („Strich drunter!“ 1929), Charles Yale Harrison (Generals Die in Bed, 1930) und Dalton Trumbo („Johnny zieht in den Krieg“, 1939), sowie viele andere, weniger bekannte Künstler. Ihre Werke hatten fast immer großen Erfolg.

„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque gilt zu Recht als der Antikriegsroman schlechthin. In Remarques Werk geht es um die Rolle jener Personen, die den Krieg anpriesen und die Jugend direkt auf die Schlachtbank führten und sie den Schützengräben und anderen Grausamkeiten, denen Soldaten weltweit ausgesetzt waren, überließen.

Der Roman, der 1929 herauskam, hob Remarque in das nationale und internationale Rampenlicht, und das aus zwei Gründen: Das Buch erreichte größte Popularität, und gleichzeitig löste es in Deutschland eine politische Kontroverse aus. Remarques brutal ehrliche Beschreibung der deutschen Kriegsgesellschaft erwies sich als unvereinbar mit der rechtsextremen Ideologie des aufsteigenden Nationalsozialismus und der deutschen Armee.

Als der Roman 1930 (unter der Regie von Lewis Mileston) verfilmt wurde, organisierten die Nazis Proteste und sprengten die Filmvorführungen. Nachdem die NSDAP an die Macht gekommen war, ließ sie das Buch verbrennen. 1938 entzog das Hitler-Regime Remarque die deutsche Staatsbürgerschaft.

In Anbetracht der gewaltigen Reaktion, die der Roman auslöste, mag es überraschen, dass Remarque beim Schreiben von „Im Westen nichts Neues“ keine besonderen politischen Absichten verfolgte. Offenbar hatte er auch den Erfolg des Romans nicht vorausgesehen. Dem Schriftsteller Thomas Mann soll Remarque gesagt (und dabei gewissermaßen seine eigene Naivität konstatiert) haben, er sei mehr durch Glück als Verstand auf die richtige Seite geraten.

Der Roman hat seine Schwächen, und die Tatsache, dass Remarque politisch vage bleibt, trägt zweifellos dazu bei. Aber das Werk als Ganzes ist ein schonungslos ehrlicher Versuch, den Ersten Weltkrieg zu verstehen, mit all den Auswirkungen, die er auf seine Generation hatte.

In seinem kurzen Vorspann schreibt Remarque: „Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“

Der Romanheld Paul Bäumer ist ein zwanzigjähriger deutscher Soldat, der, wie so viele andere seiner Generation, der Armee beitritt. Der Erzähler Bäumer wird Zeuge, wie die Freunde seiner Kindheit in den Kämpfen dahinsterben, und ist deshalb von Grund auf pessimistisch, was seine Möglichkeiten betrifft, nach dem Krieg ein normales Leben zu führen.

Er drückt seine Trennung vom Vorkriegsleben in den Worten aus: „Seit wir hier sind, ist unser früheres Leben abgeschnitten, ohne dass wir etwas dazu getan haben.“

Bäumer erlebt tief verzweifelte Momente. Weder er selbst noch seine Kriegskameraden schenken der offiziellen Propaganda (die den andern Ländern die Schuld am Krieg zuweist) irgendwelchen Glauben. Sie sind der Meinung eines ihrer Kameraden: „Besser ist gar kein Krieg.“ Und darauf, so Bäumer, könne man „nichts Rechtes entgegnen“, denn damit höre auch das Verständnis für andere Zusammenhänge auf.

Bäumer knöpft sich die kleinen deutschen Bürokraten vor, die „alle überzeugt waren, auf eine für sie bequeme Weise das Beste zu tun“. Ein solcher Fall ist Bäumers Lehrer Kantorek, der sämtliche Schüler dazu gedrängt hatte, sich freiwillig zum Krieg zu melden. Ein anderer ist der Briefträger Himmelstoß, der als Unteroffizier und Ausbilder die neuen Rekruten schindet. Eine besonders denkwürdige Stelle im Roman (und im Film) ist die Anklage an Jene, die Remarques Generation wissentlich und sträflich belogen und in die Irre führten.

Wenn Bäumers Gruppe nicht gerade von den Offizieren und Bürokraten schikaniert wird, ist sie vor allem damit beschäftigt, den Krieg zu überleben. Der Frontsoldat Stanislaus „Kat“ Katczinsky, ein vierzigjähriger Schuster, wird für die Jungs zur Vaterfigur, weil er es versteht, überall etwas zu Essen aufzutreiben, da die Armee sie nicht ausreichend ernährt.

Das Ausmaß der Kriegsmaschinerie ist so gewaltig, dass sie jeden Aspekt der deutschen Gesellschaft durchdringt und beeinträchtigt. Auf Heimaturlaub erlebt Bäumer, wie die totale Mobilmachung auch das Leben weitab von der Front beeinträchtigt und eine Lebensmittelknappheit verursacht.

Unter dem Krieg leidet auch das Verhältnis zur Familie. Bäumers Vater, der alles über seine Fronterlebnisse wissen möchte, bringt ihn in Verlegenheit. Der Krieg hat einen Keil zwischen ihn und all jene getrieben, die die Kämpfe nicht selbst erlebt haben. Er erklärt: „Wenn ich sie so sehe, in ihren Zimmern, in ihren Büros, in ihren Berufen, dann zieht es mich unwiderstehlich an, ich möchte auch darin sein und den Krieg vergessen; aber es stößt mich auch gleich wieder ab, es ist so eng … Es sind andere Menschen hier, Menschen, die ich nicht richtig begreife, die ich beneide und verachte.“

Gleichzeitig fühlen sich die Frontsoldaten mit allen Kriegsteilnehmern weltweit verbunden. Remarque beschreibt das Grauen des Kriegs und schreibt dazu: „[M]it mir sehen das alle Menschen meines Alters hier und drüben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt das meine Generation.“

In einer unvergesslichen Episode schildert Bäumer, wie er in einem Bombenkrater gefangen ist, zusammen mit einem französischen Soldaten, den er gerade getötet hat. Voller Gram sagt er zu dem Toten: „Vergib mir, Kamerad. Wir sehen es immer zu spät. Warum sagt man uns nicht immer wieder, dass ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, dass eure Mütter sich ebenso ängstigen wie unsere, und dass wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben, und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz. – Vergib mir, Kamerad, wie könntest du mein Feind sein?“

Sobald dieser starke Roman erschienen war, erhielt Remarque tausende Briefe von Soldaten auf der ganzen Welt, die ihm dankten, weil er seine Meinung über den Krieg mitteilte und dieselben Erlebnisse schilderte, die auch sie durchgemacht hatten.

Remarques Herangehensweise an seine Generation und all jene, die im Krieg dienen mussten, wurzelte in einem menschlichen Internationalismus ohne tieferen politischen Inhalt. Seine Ansichten waren mit Militarismus und dem extremen Nationalismus unvereinbar, aber gleichzeitig konnten sie den größeren Zusammenhang des Zeitgeschehens nicht erklären.

Diese Schwäche trat in seinem nächsten Roman, „Der Weg zurück“ (1931), noch deutlicher hervor. Dieser Roman, die Fortsetzung von „Im Westen nichts Neues“, handelt davon, wie es den gleichen Soldaten dieser Kompanie im Jahr 1918 geht, als Deutschland revolutionäre Aufstände erlebte.

Remarque zufolge hatten die Nazis die Unterstützung einer neuen Generation, die zu jung war, um den Krieg selbst erlebt zu haben. Er konnte damit jedoch nicht erklären, wie Soldaten, die Seite an Seite im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, nun in den Straßen gegeneinander kämpften, als die einen sich an den revolutionären Kämpfen beteiligten und die andern halfen, sie zu unterdrücken.

Die Stärken und Schwächen von Remarques Werk sind das Resultat seiner persönlichen Herangehensweise an das große Geschehen seiner Zeit. Bäumer, wie auch Ernst in „Der Weg zurück“, verkörpern das Alter Ego des Autors, dessen historisches Verständnis selbst beschränkt war.

Er wurde im Juni 1898 als Erich Paul Remark in Osnabrück geboren und wuchs in einer konservativen, katholischen Arbeiterfamilie auf. Sein Vater war Buchbinder. Remarque war gut in der Schule und zeigte früh eine Vorliebe für Literatur.

Als im August 1914 der Krieg ausbrach, war Remarque sechzehn Jahre alt, und wie so viele Jugendliche in Europa schwamm auch er anfangs auf einer Welle patriotischer Leidenschaft mit. Er trat der Osnabrücker Jugendwehr bei, einer militaristischen Kadettenorganisation, die Kriegsspiele einübte, und sein erstes literarisches Werk erschien in der Zeitschrift dieser Organisation.

Remarque nahm ein Philosophie-Studium auf und engagierte sich in der „Traumbude“, einem Kreis junger Menschen um den Dichter und Maler Fritz Hörstemeier, in dem über Literatur, Musik und Kunst diskutiert wurde. Im November 1916 wurde Remarque – anders als sein fiktives Gegenstück Bäumer (der sich „freiwillig“ meldete) – zum Kriegsdienst einberufen.

Als Feldrekrut wurde er hauptsächlich hinter der Front beim Schanzenbau eingesetzt und nur selten in die offene Feldschlacht geschickt. Dennoch spricht vieles dafür, dass er mehrere Ereignisse, die er in „Im Westen nichts Neues“ schildert, selbst erlebt hat. Dazu gehört die Szene, in der er einen verwundeten Kameraden heldenhaft auf den Schultern in Sicherheit bringt, nur um festzustellen, dass der Mann inzwischen an einer weiteren Verwundung gestorben ist.

Zurück in Osnabrück, ließ Remarque 1919 sowohl patriotische als auch rebellische Gefühle erkennen. Einmal wurde er von der Militärpolizei verhaftet, weil er Medaillen trug, die er gar nicht verdient hatte. Später beschuldigte man ihn wegen seiner Rolle in einem Studentenprotest zu Unrecht, den Spartakus-Aufstand zu unterstützen.

Nach einer kurzen Ausbildung arbeitete Remarque als Volksschullehrer, quittierte den Dienst aber schon im November 1920 wieder, um sich dem Schreiben zu widmen. Er nahm verschiedene Aufträge an und schrieb auch für Zeitschriften und Hochglanz-Magazine, die sich mit Luxusartikeln befassten.

Zu einer Zeit, in der viele Deutsche nur mit Mühe Arbeit und Einkommen fanden, war Remarque die Ausnahme von der Regel. Er hatte Verbindungen zu einem äußerst wohlhabenden Personenkreis und fuhr einen Luxuswagen. 1925 zog Remarque nach Berlin um, wo er für das Journal Sport im Bild tätig wurde; im gleichen Jahr fand seine Hochzeit mit Ilse Jutta Zambona statt. In Berlin bewegte er sich in intellektuellen Kreisen und freundete sich mit Künstlern wie der Tänzerin und künftigen Nazi-Filmpropagandistin Leni Riefenstahl an.

Im Herbst 1927 schrieb Remarque in wenigen Wochen den ersten Entwurf für „Im Westen nichts Neues“ nieder. Weil seine Frau ihm untreu war, befand er sich in einer depressiven Phase. In einem späteren Interview sollte Remarque erklären, der Roman sei das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit den wahren Gründen für seinen Geisteszustand gewesen.

In seinem Roman traf Remarque genau die Stimmung, die in weiten Teilen seiner Generation vorherrschte. Der Krieg ließ sie nicht los, und die Wirtschaftskrise in Deutschland zerstörte das Leben von Millionen. Remarque ging anfangs davon aus, dass sich kein Mensch für sein Manuskript interessiere, und hielt es sechs Monate lang in seiner Schreibtischschublade verborgen. Erst als er es seinen engsten Freunden und seiner Frau zeigte, ermutigten diese ihn, es zu veröffentlichen.

Zunächst wurde der Fischer-Verlag auf den Roman „Im Westen nichts Neues“ aufmerksam, der schließlich Ende 1929 (im Ullstein-Verlag) erschien. Allein in Deutschland erreichte der Roman eine Auflage von anderthalb Millionen, und weitere hunderttausende Exemplare wurden im Ausland verkauft. Remarque fand sich im Mittelpunkt einer nationalen und internationalen Debatte.

Völlig unvorbereitet auf die Reaktion auf sein Werk, zog sich Remarque aus der Öffentlichkeit zurück, um an dem nächsten Roman, „Der Weg zurück“, zu arbeiten. Mit Ausnahme einiger kurzer Passagen in diesem neuen Werk reagierte er kaum auf die Verbalattacken der Nazis.

Zwei Jahre später, nachdem die Nazis sein Buch im Mai 1933 verboten und verbrannt hatten, verließ Remarque Deutschland und fuhr in die Schweiz, wo er eine Villa besaß. Er musste über Nacht fliehen, nachdem ihn ein Freund mit Verbindungen zu den Nazis gewarnt hatte, dass er in Gefahr sei.

Sein nächstes Werk, „Drei Kameraden“, der dritte Teil seiner Trilogie, die mit „Im Westen nichts Neues“ begonnen hatte, wurde erst 1936 veröffentlicht. Der Roman folgt dem Schicksal dreier Freunde, die im Berlin der späten 1920er Jahre eine Autowerkstatt betreiben. Es ist der schwächste der drei Romane. In erster Linie geht es darin um eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Aufstiegs. Wie schon in den ersten zwei Bänden, ist die Hauptfigur, Robert Lohkamp, ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, der in Bäumers fiktiver Kompanie gedient hat.

Remarques jüngere Schwester, Elfriede Scholz, wurde im Zweiten Weltkrieg von den Nazis verhaftet. Sie beschuldigten sie der „Wehrkraftzersetzung“ und ließen sie in Berlin-Plötzensee durch das Beil enthaupten. Im Gerichtssaal sagte der Richter zu ihr: „Ihr Bruder ist ja leider nicht erreichbar, – aber Sie, Sie entgehen uns nicht.“

Remarque schrieb in der Folge noch mehrere weitere Romane und Drehbücher, die meisten davon weniger bedeutend. Sehr oft kehrten sie zu den Fragen des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit zurück. Nach dem Krieg wurde er als deutscher Staatsbürger repatriiert, war aber im Wesentlichen von der deutschen Kultur isoliert, während fast alle seine Werke in den Vereinigten Staaten eine bedeutende Leserschaft gewannen. Er starb am 25. September 1970 in Locarno in der Schweiz.

„Im Westen nichts Neues“ hat seine Kraft bewahrt. Auch wenn der Roman die Triebkräfte des Ersten Weltkriegs nicht erklären kann, so hat doch selten ein Werk die zerstörerischen Auswirkungen der Schlachten auf die menschliche Psyche und Persönlichkeit so einfühlsam geschildert.

Die heutige internationale Situation gleicht in vielerlei Hinsicht der Zeit vor 1914. Journalisten und Künstler tun aber praktisch nichts, um die Bevölkerung vor den ernsten Gefahren zu warnen. So gewinnt Remarques Versuch, den Krieg so darzustellen, wie er ihn erlebt hatte, eine neue Bedeutung.

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