Die Bundesregierung ist dabei, ihr politisches, wirtschaftliches und militärisches Engagement in Afrika massiv auszuweiten. Gegenwärtig bereist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einer hochrangigen Delegation Mali, Niger und Äthiopien.
Am Sonntag traf Merkel nach ihrer Ankunft in der malischen Hauptstadt Bamako mit Präsident Ibrahim Boubacar Keita zusammen. „Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass Mali stabilisiert wird und eine gute Entwicklung nehmen kann“, erklärte sie. „Uns ist wichtig, dass wir im Zusammenhang mit unserer Entwicklungszusammenarbeit und unseren militärischen Unterstützungsleistungen eine Kohärenz schaffen.“
In Wirklichkeit findet in Mali keine „Entwicklungshilfe“ statt, sondern ein Militäreinsatz, an dem die Bundeswehr mit gegenwärtig 650 Soldaten beteiligt ist. Merkel dankte in Bamako den deutschen Truppen im Einsatz und erklärte: „Als Erstes möchte ich ihnen danke sagen für ihren Dienst, denn dieser ist angesichts der ungewohnten Temperaturen und angesichts der klimatischen Bedingungen schon eine Herausforderung.“
Ein offizieller Bericht der Bundesregierung gibt offen zu, dass es sich in Mali um einen Kampfeinsatz handelt: „MINUSMA und französische Soldaten versuchen, den Norden Malis wieder unter die Kontrolle der Regierung in Bamako zu bekommen und kämpfen dabei auch gegen islamistische Gruppierungen“, heißt es darin. Deutschland ist neben MINUSMA an zwei weiteren Missionen in Mali beteiligt: an der EU-Ausbildungsmission EUTM und an einem Einsatz zur Ausbildung der malischen Polizei, die der Grenzsicherung dienen soll.
Am gestrigen Montag traf Merkel in der Hauptstadt von Niger, Niamey, mit Staatspräsident Mahamadou Issoufou zusammen. Die Kanzlerin kündige Unterstützungsgelder in Höhe von 17 Millionen Euro an, die vor allem in den „Kampf gegen Schleuser“ fließen sollen. Außerdem will Berlin die Streitkräfte des Landes zur angeblichen Terrorbekämpfung mit 10 Millionen Euro aufrüsten.
Wenige Tage vor Merkels Besuch hatte der deutsche Botschafter in Niger, Bernd von Münchow-Pohl, angekündigt, dass nach den USA und Frankreich nun auch Deutschland plane, einen Militärstützpunkt in dem westafrikanischen Land zu errichten. „Mit der Gründung einer deutschen Militärbasis für den Luftverkehr in Niamey soll die Mission der Minusma in Mali unterstützt werden“, wurde Pohl in den Medien zitiert. Deutschland sei „bereit, mehr in der Sahel-Region zu tun“ und „noch mehr Verantwortung zu übernehmen“.
Offizieller Anlass für Merkels Afrika-Reise ist die Eröffnung des sogenannten „Julius-Nyerere-Gebäudes für Frieden und Sicherheit“ in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Es dient der Afrikanischen Union als Hauptquartier und enthält sowohl einen Sitzungssaal wie ein Lage- und Einsatzzentrum für die Leitung von Militäreinsätzen. Das Gebäude hat Deutschland mit 30 Millionen Euro finanziert. Am heutigen Dienstag hält die Kanzlerin laut Angaben der Bundesregierung „eine Rede über die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur“.
Die offizielle Propaganda kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland in Afrika zunehmend Krieg führt und mit autoritären Regimes zusammenarbeitet, um Flüchtlinge schon in Afrika von Europa fernzuhalten und vor allem um seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auf dem bevölkerungs- und rohstoffreichen Kontinent durchzusetzen.
In einem Interview in der Zeit erklärt Merkel vor ihrem Abflug in bester deutscher Kolonialherrenmanier: „Nun können wir natürlich nicht die ganze Welt von einem Tag auf den anderen zum Besseren wenden. Aber wenn wir deutsche Interessen verfolgen wollen, müssen wir realistischerweise sagen, dass auch das Wohl Afrikas im deutschen Interesse liegt.“
Um wessen „Wohl“ und welche „deutschen Interessen“ es in Afrika geht, zeigen die aktuellen außenpolitischen Strategiepapiere der Bundesregierung und ein Blick in die Geschichte.
Merkels erste längere Reise nach Afrika seit 2011 wurde lange politisch vorbereitet. Sie ist Bestandteil der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außenpolitik. Nur wenige Wochen nachdem Präsident Gauck und die Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet hatten, verabschiedete das Kabinett im Mai die „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“. Diese lesen sich wie ein Strategiepapier des deutschen Imperialismus zur Ausbeutung des bevölkerungs- und rohstoffreichen Kontinents im 21. Jahrhundert.
Im ersten Teil der Leitlinien heißt es unter der Überschrift „Ausgangslage: wachsende Relevanz Afrikas für Deutschland und Europa“: „Potenziale Afrikas ergeben sich aus einer demographischen Entwicklung mit einem Zukunftsmarkt mit hohem Wirtschaftswachstum, reichen natürlichen Ressourcen, Potenzialen für die landwirtschaftliche Produktion und Ernährungssicherung aus eigener Kraft... Afrikanische Märkte entwickeln sich dynamisch und werden – über die Rohstoffwirtschaft hinaus – für die deutsche Wirtschaft ... zunehmend interessanter.“
Der zweite Abschnitt „Unser Engagement in Afrika“ fordert, „das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt“ zu stärken. Die Bundesregierung verfolge „den Anspruch, werte- und menschenrechtsbasiert, interessenorientiert, früh, schnell, entschieden und substanziell zu handeln“. Dazu gehörten auch militärische Interventionen. Die Bundesregierung wolle „ressortübergreifend … das gesamte Spektrum ihrer vorhandenen Mittel einsetzen, politisch, sicherheitspolitisch, entwicklungspolitisch, regionalpolitisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell“. (Hervorhebung im Original)
Seit der Verabschiedung des Papiers bemüht sich Berlin verstärkt, seine wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terror und der Bekämpfung von „Fluchtursachen“ in Afrika durchzusetzen. Bereits Anfang 2013 beschloss der Bundestag, die französische Militärintervention in Mali zu unterstützen und die Bundeswehr in dem Land zu stationieren. Seitdem wurde der Einsatz mehrmals ausgeweitet. Weitere deutsche Missionen laufen derzeit im Senegal, in Zentralafrika, am Horn von Afrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia, die ebenfalls alle verlängert oder ausgeweitet wurden.
Das Auftrumpfen der Bundeswehr in Afrika steht dabei genauso wie die Rückkehr des deutschen Militarismus nach Osteuropa und das Eingreifen der Bundeswehr im Nahen und Mittleren Osten in der Tradition deutscher Kolonial- und Großmachtpolitik. Als der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow am 6. Dezember 1897 in seiner berüchtigten Rede vor dem Reichstag für Deutschland als angeblich „zu spät gekommener Nation“ einen „Platz an der Sonne“ einforderte, meinte er damit vor allem den Erwerb von Kolonien in Afrika.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In der Folge konnte das deutsche Kaiserreich zwar nie zu den führenden Kolonialmächten Frankreich und England aufschließen, aber die sogenannten „deutschen Schutzgebiete“ bildeten zu Beginn des Ersten Weltkriegs das viertgrößte Kolonialreich der Erde. Darunter waren Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Deutsch-Westafrika (heute Togo, der Ostteil von Ghana, Kamerun, der Ostteil Nigerias, Teile des Tschad, der Zentralafrikanischen Republik, der Republik Kongo und Gabuns), Deutsch-Ostafrika (heute Tansania und Ruanda) und Deutsch-Witu (heute südliches Kenia).
Nachdem Deutschland seine Kolonien nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg hatte abgeben müssen, begeisterten sich Teile der deutschen Eliten unter Hitler erneut für ein deutsches Kolonialreich in Afrika. Es sollte als „tropischer Ergänzungsraum“ zu einem von Deutschland dominierten Europa dienen. Der damalige Direktor der Deutschen Bank und Leiter des Amtes Wirtschaft des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, Kurt Weigelt, brachte in einer Denkschrift vom Juli 1940 die Interessen des Dritten Reichs wie folgt auf den Punkt:
„Wirtschaftlich betrachtet sind von höchstem Wert die Länder an der Guineaküste. Ausgehend von unserem alten dortigen Besitz (Togo und Kamerun) bildet der Raum: Goldküste-Togo-Dahomey-Nigeria-Kamerun das ideale Kernstück eines deutschen Afrikabesitzes. Mit seinen weit über 30 Millionen Einwohnern ist dieses Gebiet nicht nur das Optimum des tropischen Ergänzungsraumes, sondern deckt bis auf wenige Ausnahmen (Kupfer) die nationalwirtschaftlich wichtigen Erfordernisse der Heimat.“
Und weiter: „Es kann holzwirtschaftlich durch Hinzunahme des französischen Kongogebietes noch vervollständigt werden, wodurch es zugleich in voller Breite an den belgischen Kongo grenzt, der währungs- und arbeitsmäßig angeschlossen u.a. auch die Deckung des Kupferbedarfs bringen würde. Auf dem Wege zu diesem Gebiet liegen die erwähnten Eisenerze von Conakry und Phospate des französischen Marokko (Sonderabmachungen) sowie flug- und marinetechnische Stützpunkte von Bathurst bzw. Dakar.“
75 Jahre nach dem Untergang Nazi-Deutschlands hält die herrschende Klasse Deutschlands die Zeit für gekommen, erneut aggressiv in den „Wettlauf um Afrika“ einzusteigen. Wie in der Vergangenheit wird dies nicht nur das Elend der einheimischen Bevölkerung verschlimmern, sondern auch die Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten selbst befeuern.
Das German Institute of Global and Area Studies (GIGA), ein Hamburger Forschungsinstitut, das u.a das Auswärtige Amt berät, bemerkte bereits 2014 einem Papier zur neuen deutschen Afrikastrategie: „Zunehmend wird der afrikanische Kontinent zum Schauplatz neuer geostrategischer Rivalitäten zwischen der Europäischen Union, China, den USA und anderen Führungsmächten wie Indien, Brasilien und der Türkei. Die deutsche Außenpolitik ist gehalten, die neuen Konstellationen und Herausforderungen zu reflektieren und sich gegenüber Afrika konzeptionell neu aufzustellen.“
Ein weiterer Faktor hinter der deutschen Offensive in Afrika ist die Angst Berlins vor einer revolutionären Erhebung der afrikanischen Massen. Das GIGA-Papier warnt: „Von Mauretanien bis zum Sudan gibt es seit Jahrzehnten ein tiefsitzendes Misstrauen gegen Verwaltungen und Gouverneure. Diese haben aus Sicht der Bevölkerung wenig bis nichts geleistet [...] Es gibt in den Dörfern des Sahel kaum Strom, kaum Straßen und die Bevölkerung ist – von wenigen Zirkeln der Elite abgesehen – vollständig verarmt und ohne Aussicht, jemals auch nur einen Job zu bekommen. Die Sahel-Region ist eine der ärmsten Regionen der Welt. Seit vielen Jahren warnen Experten vor sozialen Unruhen.“