Um vier Uhr früh am Freitag, den 10. März, trat das gesamte Bodenpersonal der Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld in den Streik. Praktisch alle Verbindungen wurden gestrichen. In Tegel fielen einschließlich der Frachtflüge 466 Verbindungen aus, in Schönefeld waren es über zweihundert.
Dem Streik gingen Warnstreiks in Berlin und an andern Flughäfen voraus. Anfang März hatten fast 99 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Berliner Bodenbeschäftigten in einer Urabstimmung für den unbefristeten Streik gestimmt. Die Gewerkschaften Verdi und IG Bau wollen jedoch nur eintägige Streikaktionen durchführen. Sie fordern eine Lohnerhöhung von einem Euro pro Stunde und die Einführung von „Erfahrungsstufen“, die je nach Dauer der Beschäftigung zu einer Lohnanhebung führen.
Viele Arbeiter sind der Meinung, dass die Forderungen eigentlich viel zu bescheiden seien. Sie arbeiten in der Gepäckabfertigung, dem Check-In, der Reinigung, dem Terminal-Busverkehr und beim Beladen, Betanken und Enteisen der Maschinen. Fast alle arbeiten im anstrengenden Schichtdienst, viele von ihnen in Wind und Wetter auf dem Rollfeld.
Die Bodenbediensteten gehören zu den absoluten Niedrigverdienern; sie erhalten heute Löhne zwischen neun und elf Euro brutto die Stunde. Diese Tätigkeiten, die früher zum öffentlichen Dienst gehörten und entsprechend bezahlt wurden, sind heute auf Dutzende Tochterfirmen, Dienstleister und Leihbetriebe aufgesplittert – mit der Folge, dass die Arbeitslöhne und -Bedingungen seit Jahren ständig verschlechtert werden.
„Wir haben eine höhere Forderung erwartet“, sagten Erkan und Hamid in Tegel, zwei Arbeiter der Gepäckabfertigung, die seit sieben, bzw. acht Jahren im Schichtwechsel arbeiten. Ihre Tätigkeit, die im Keller des Flughafens stattfindet, ist körperlich anstrengend. Ihre erste Gehaltserhöhung haben sie nach vier Jahren erhalten. Damit verdienen sie heute gerade mal 10,30 Euro brutto pro Stunde.
„Jetzt sind die Arbeitgeber noch nicht einmal bereit, einen Euro pro Stunde mehr zu bezahlen“, so die zwei Arbeiter. „Mit diesem Lohn ist es praktisch unmöglich, die laufenden Kosten für Miete, Strom etc. zu zahlen und eine Familie durchzubringen.“ Die Kollegen wollen auf jeden Fall so lange streiken, bis mindestens die jetzigen Forderungen durchgesetzt seien.
„Einige Kollegen, die bei Leiharbeitsfirmen arbeiten, bekommen sogar nur 8,70 Euro für die gleiche Arbeit“, berichten Erkan und Hamid. Ein weiterer Arbeiter bestätigt, dass der Einstiegslohn in seinem Bereich bei gerade mal 9,20 Euro liege.
Der Ausstand ist Teil einer anhaltenden Streikwelle an den europäischen Flughäfen. Diese Woche hatten bereits Fluglotsen in Südfrankreich und Flugbegleiter von British Airways in London die Arbeit niedergelegt. Die nationalen Gewerkschaften führen aber jeden Streik einzeln durch und isolieren die Beschäftigten eines Flughafens oder einer Fluggesellschaft systematisch von allen andern, um die Streiks unter Kontrolle zu halten.
In Deutschland trennen die Gewerkschaften den Arbeitskampf in Berlin von den Streiks an andern Flughäfen, obwohl sie zurzeit Verhandlungen über Tarifverträge des Bodenpersonals auch in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Köln/Bonn, Leipzig und Dresden führen.
Allein auf deutschen Flughäfen sind etwa dreißigtausend Arbeiter im Bodendienst beschäftigt, das Bodenpersonal der einzelnen Airlines nicht mitgerechnet. Anstatt alle Arbeiter gemeinsam aufzurufen, organisieren die deutschen Gewerkschaften jeden Streik einzeln, so dass sich die Unternehmerverbände und Flughafenbetreiber darauf einstellen und Streikbruch organisieren, bzw. die Flüge nach Dresden und Leipzig und auf die Bahn umlenken können, um die Auswirkungen möglichst gering zu halten.
Was nach Unvermögen aussehen mag, ist bewusste Strategie. Die Politik des Verdi-Bundesvorstands hat sich ausdrücklich die „Stärkung des Luftverkehrsstandorts Deutschland und Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit“ zum Ziel gesetzt. Das haben die Verdi-Betriebsräte der deutschen Verkehrsflughäfen auf ihrer letzten bundesweiten Jahreskonferenz festgelegt. Zu dieser Konferenz im April 2016 hatte Verdi auch Vertreter der Konzerne und der Regierung eingeladen. Das Ziel der nationalen Wettbewerbsfähigkeit hat zwangsläufig zur Folge, dass die Löhne der Konkurrenzfähigkeit der Flughäfen und Fluggesellschaften geopfert werden.
Verdi ist für die katastrophalen Zustände an den Flughäfen mitverantwortlich. Ihre Gewerkschaftsfunktionäre tragen seit 25 Jahren die Ausgründungen und den Personalabbau mit und haben auf jeden neuen Vertrag ihre Unterschrift gesetzt. In Frankfurt sind ihre Funktionäre gerade dabei, mit dem Bodenverkehrsdienst der Fraport AG eine weitere Ausgründung zu organisieren. Das Verdi-Führungspersonal sitzt in allen Aufsichtsräten der Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften, und die ihm nahestehenden Parteien – die SPD, die Linke und die Grünen – haben als verantwortliche Landes- und Kommunalpolitiker den öffentlichen Dienst seit Jahren systematisch dereguliert.
„Euer Streik ist berechtigt!“ rief an diesem Freitag Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei Die Linke, pathetisch vor den streikenden Arbeitern in Tegel. Der frühere Verdi-Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart betonte, dass er selbst mit Leib und Seele Gewerkschafter sei. Was er hingegen verschwieg, ist die Rolle, die Die Linke in Berlin schon zum zweiten Mal im Berliner Senat spielt. Die Flughafengesellschaft, die die Flughäfen Tegel und Schönefeld betreibt, ist zu je 37 Prozent im Besitz des Berliner Senats und der brandenburgischen Landesregierung. In beiden sitzt die Linkspartei. Der Rest gehört dem Bund.
Riexinger rechnete in Berlin-Tegel vor, dass Bodenbedienstete, die einen Stundenlohn von elf Euro brutto haben, sicher sein können, dass in Zukunft Altersarmut auf sie wartet. Was er nicht sagte: Für die Arbeitsverhältnisse in Berlin ist zurzeit die Senatorin für Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (Die Linke), verantwortlich. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB). Weiter sitzen in diesem Aufsichtsrat die Betriebsratsvorsitzenden der FBB und der Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH (BFG), Claudia Heinrich und Peter Lindner, sowie mehrere weitere Verdi-Funktionäre.