Außenpolitische Wende 2.0: Steinmeier beerbt Gauck

Am Sonntag zog Frank-Walter Steinmeier (SPD) als neuer Bundespräsident ins Schloss Bellevue in Berlin ein. Der ehemalige Außenminister tritt damit die Nachfolge von Joachim Gauck an, der am Freitagabend mit einem Großen Zapfenstreich aus seinem Amt verabschiedet wurde.

Die Atmosphäre war gespenstisch. Vor den Augen des Berliner Polit-Establishments marschierten 400 Soldaten mit Stahlhelmen und Fackeln vor dem Schloss Bellevue auf. Anwesend waren unter anderem die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), der Generalinspekteur der Bundeswehr General Volker Wieker, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ sich durch ihren Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) vertreten, da sie zu Krisengesprächen in den USA war.

Wohl kaum eine Zeremonie hätte den Charakter von Gaucks fünfjähriger Präsidentschaft besser auf den Punkt bringen können als der Große Zapfenstreich. Er ist das höchste militärisches Zeremoniell der Bundeswehr und hat seine Wurzeln im preußischen Militarismus. Er geht in seiner heutigen Form auf den Großen Zapfenstreich zurück, der zu Ehren des russischen Zaren Nikolaus I. am 12. Mai 1838 in Berlin veranstaltet wurde. Danach wurde er in der preußischen Armee, dem deutschen Heer des Kaiserreichs und der Reichswehr der Weimarer Republik zelebriert, bevor er seinen Höhepunkt in der Wehrmacht des Dritten Reichs fand.

Gauck hat sich in seiner Amtszeit wie kaum ein anderer Bundespräsident für die Rückkehr des deutschen Militarismus stark gemacht. In seiner berüchtigten Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2013 forderte der ehemalige Pastor eine aktive und militärische Großmachtpolitik. „Unser Land ist keine Insel. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen“, mahnte er.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 verkündete er dann zusammen mit von der Leyen und seinem Nachfolger, dem damaligen Außenminister Steinmeier, die außenpolitische Wende. Er sinnierte über „die Rolle Deutschlands in der Welt“ und erklärte: „Wir Deutschen sind auf dem Weg zu einer Form von Verantwortung, die wir noch wenig eingeübt haben.“ Eine Drohung, die dann mit der Unterstützung des rechten Putschs in der Ukraine, der Nato-Aufrüstung gegen Russland und den Kriegseinsätzen in Mali, Syrien und dem Irak in die Tat umgesetzt wurde.

Was unter Gauck begann, soll nun unter Steinmeier fortgesetzt und intensiviert werden. Bereits in einem früheren Kommentar schrieben wir: „Um die neuen deutschen Großmachtphantasien umzusetzen, soll das Präsidialamt, das nach den Erfahrungen der Weimarer Republik vor allem eine repräsentative Funktion wahrnahm, wieder in ein politisches Planungs- und Machtzentrum verwandelt werden.“

Steinmeier steht wie kaum ein anderer Politiker für die Rechtswende der deutschen Politik in den vergangenen 20 Jahren. Als Chef des Bundeskanzleramts unter dem bislang letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder spielte er eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung der Agenda 2010 und den Hartz- Gesetzen, die Millionen in bittere Armut gestürzt haben. Von 2005 bis 2009 und dann erneut von 2013 bis 2017 war er Außenminister der Großen Koalition und damit neben Gauck und von der Leyen einer der Wegbereiter einer aggressiveren Außenpolitik.

Unter seiner Regie leitete das Auswärtige Amt einen sogenannten Review-Prozess der deutschen Außenpolitik ein, um den anhaltenden Widerstand der Bevölkerung gegen Krieg und Militarismus zu durchbrechen. Steinmeier veröffentlichte Strategiepapiere, die die Militarisierung Europas unter deutscher Vorherrschaft anstreben, und schwadronierte in unzähligen Reden und Artikeln von „Deutschlands neuer globaler Rolle“.

In einem Beitrag im Sammelband „Deutschlands neue Außenpolitik“, der von Wolfgang Ischinger zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz herausgegeben wurde, wiederholt Steinmeier sein Mantra, Deutschland müsse außenpolitisch „früher, entschiedener und substantieller“ eingreifen. Es gebe einen „schärfer werdenden Wettbewerb um die vermeintlich richtige gesellschaftliche Ordnung […] und um geopolitische Einflusssphären“. Mit „rechtzeitigen Weichenstellungen“ bei „der Gestaltung der künftigen Ordnung“ könne Deutschland dabei „oft mehr bewirken als beim späten Feuerlöschen“.

Mit anderen Worten: Um seine geopolitische und wirtschaftlichen Interessen gegen seine Rivalen durchzusetzen, muss Deutschland bereit sein, auch präventiv Krieg zu führen.

Welche weitreichenden Folgen das hat, unterstreicht ein weiterer Beitrag im Sammelband mit dem Titel „Außenpolitik als moralische Zerreißprobe“ von Jan Techau. Der Direktor des Richard C. Holbrooke Forum an der American Academy in Berlin beklagt, dass in Deutschland das „neurotische Bestreben ‚moralisch sauber‘ zu bleiben“ fast alle innen- und außenpolitischen Debatten durchziehe.

Dabei sei klar: „Wer in den Krieg zieht, der muss in der Regel den Tod von Menschen verantworten. Auch den Tod Unbeteiligter und Unschuldiger.“ Gerade „in Zeiten neuer strategischer Unsicherheit“ müsse „das Militärische [wieder] besonders hervorgehoben werden, nicht nur weil es Gesellschaften so harte Prüfungen abverlangt, sondern weil es letztlich die folgenschwerste und deshalb auch die anspruchsvollste, gewissermaßen die Krönungsdisziplin der Außenpolitik bleibt.“

Techaus abschließende Prognose ist eine Drohung: Deutschland werde in den kommenden Jahren „politisch und militärisch noch erheblich mehr leisten müssen“ und „mit außen- und sicherheitspolitischen Fragen“ konfrontiert sein, „von denen das Land heute noch nicht einmal zu träumen wagt. Womöglich noch nicht einmal in seinen Albträumen.“

Während die große Mehrheit der Bevölkerung über die aggressive militaristische Stimmungsmache, die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnert, schockiert ist, unterstützt die Linkspartei die neue deutsche Kriegspolitik. In einem Beitrag mit dem Titel „Nachhaltige Konfliktvermeidung“ versichert Stefan Liebich, der Obmann der Linkspartei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags: „Ja, Deutschland muss seine gewachsene Verantwortung in der Welt wahrnehmen.“

Ähnlich wie die Grünen 1998 bietet sich heute die Linkspartei an, die Rückkehr des deutschen Militarismus auf die Weltbühne mit „humanitären“ Argumenten zu beschönigen und als mögliche Regierungspartei gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. „Bei der zivilen Konfliktprävention muss sich Deutschland unter Rot-Rot-Grün vermehrt engagieren. Denn auch im Regierungsentwurf des Bundeshaushalts für 2017 gab es zunächst keinen Mittelaufwuchs für Krisen- und Katastrophenhilfe, dabei ist der Bedarf gestiegen,“ schreibt Liebich.

Er lässt dabei keinen Zweifel daran, dass die Linkspartei unter „Konfliktprävention“ und „Krisen- und Katastrophenhilfe“ auch den Einsatz des Militärs versteht. „Das bedeutet nicht, dass kein Soldat der Bundeswehr mehr im Ausland sein darf“, so Liebich. „Ein Einsatz wie im Kampf gegen Ebola oder zur Vernichtung von chemischen Waffen wie vor zwei Jahren im Mittelmeer ist nicht ausgeschlossen.“ Persönlich sei er „auch der Auffassung, dass nach einem entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrats, zum Beispiel bei einem drohenden Völkermord wie einst in Ruanda, im Einzelfall entschieden werden muss, ob und wie sich die Bundeswehr einbringt.“

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