Die Berliner Regierungskoalition von SPD, Linkspartei und Grünen ist erst seit gut drei Monaten im Amt. Doch in vielen Bereichen wächst die Wut auf ihre rechte Politik. Am Montag führte der Bau eines großen Containerlagers für Flüchtlinge auf dem Tempelhofer Feld zu heftigen Protesten auf einer Bürgerversammlung.
Die für die Flüchtlingsunterbringung zuständige Sozialsenatorin der Linken, Elke Breitenbach, hatte in einen Theatersaal in Berlin-Neukölln eingeladen, um Fragen zum Bau am Rand des ehemaligen Flughafenfelds zu beantworten und ihn zu rechtfertigen. Eine Unterbringung in Blechcontainern, beschönigend Tempohomes genannt, sei „besser als in Turnhallen und Flughafenhangars“, erklärte Breitenbach in ihrer einleitenden Stellungnahme. Hier gebe es wenigstens „Privatsphäre“.
Ganz anders sehen dies die Anwohner, Flüchtlinge und ihre Helfer, die in den Saal strömen. „Neuer Senat – Alte Politik!?“ steht auf zahlreichen Schildern, die sie der Sozialsenatorin entgegenhalten, und im Saal prangt ein Transparent: „Integration statt Ghetto“.
Seit Anfang Februar laden emsige Bagger Container auf einem großflächigen und eingezäunten Gelände neben dem Vorfeld des ehemaligen Tempelhofer Flughafens ab. Ein Stück des Tempelhofer Felds, das laut dem Volksentscheid von 2014 nicht bebaut werden darf, fällt dieser Maßnahme zum Opfer. Insgesamt werden 976 Container für jeweils vier bis sechs Personen aufgestellt. Ab Sommer sollen bis zu 1140 Flüchtlinge einziehen, darunter die noch rund 550 Menschen, die zurzeit in den Flughafenhangars hausen müssen. Laut Breitenbach handle es sich „nur um eine vorübergehende“ Unterbringung bis maximal drei Jahre. Ende 2019 laufe der Vertrag aus.
Schon jetzt, nachdem die ersten Reihen des Containerlagers stehen, vermitteln sie dem Spaziergänger einen schockierenden Eindruck von Lagerbaracken. Schatten spendende Bäume gibt es nicht, über den Blechhütten ohne Luft und Licht wird im Sommer die Sonne gnadenlos brüten und im Winter der eisige Wind pfeifen.
„Wie können wir im Winter heizen“, fragt eine geflüchtete Frau aus Afghanistan, die schon seit einem Jahr in den Flughafenhangars leben muss und mit weiteren Frauen zur Versammlung gekommen ist. „Wie soll eine Familie in einen solch kleinen Raum passen? Dürfen wir Besucher empfangen? Und warum ein Zaun? Man wird unsere Kinder wie gefangene Tiere im Zoo anstarren.“ Diese Frauen sind nicht überzeugt, dass die Tempohomes eine große Verbesserung gegenüber den Hangars darstellen.
Die rot-rot-grüne Koalition, die die Linkspartei als Wende zu einer menschenwürdigeren Flüchtlingspolitik angepriesen hatte, setzt mit dem Bau eines Flüchtlingsghettos die Politik der Großen Koalition fort. Direkt verantwortlich dafür ist nun die Linkspartei selbst.
Sozialsenatorin Breitenbach rechtfertigt sich: „Ein Ghetto ja, es gibt Zäune – aus kriminaltechnischen Gründen“, sagt sie. „Schöner Wohnen sieht anders aus“, gibt sie zu, aber die Hangars und die ICC-Messehalle seien schlimmere Ghettos.
Elke Breitenbach hat die Fähigkeit, soziale Unterdrückung in etwas Fortschrittliches umzudichten, in der rot-roten Koalition gelernt. Sie war 2002 bis 2003 persönliche Referentin der damaligen PDS-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, die die Harz IV-Gesetze der Schröder-Regierung bis aufs Komma genau gegen Arbeitslose durchsetzte.
Man habe keine andere Wahl, betont Breitenbach, immer wieder unterbrochen von Pfiffen und empörten Zwischenrufen. Man müsse vorübergehend auf „Tempohomes“ zurückgreifen, auch wenn man das nicht wolle und dies sehr teuer sei. Jedoch lebten noch weit über Zehntausend geflüchtete Menschen in „prekären Verhältnissen“, in Turnhallen und anderen Notunterkünften. Die Linke bevorzuge zwar eine Unterbringung in Wohnungen, diese seien aber nicht so leicht zu finden. Wohlweislich erwähnt Breitenbach nicht die Politik des rot-roten Senats, der Tausende Sozialwohnungen an Spekulanten verkauft und damit die Wohnungsnot gefördert hatte.
Die Schönfärberei der Containersiedlung durch die linke Sozialsenatorin und die weiteren Vertreterinnen auf dem Podium, darunter die Bezirksbürgermeisterinnen Angelika Schöttler (SPD) und Monika Herrmann (Grüne), stoßen auf Unmut und Hohngelächter. Ein paar Claqueure der Linken, verteilt im Saal, bleiben mit ihrem Beifall auf verlorenem Posten.
Staatssekretärin Dr. Sudhof (SPD), ebenfalls auf dem Podium, unterstreicht die „prekäre“ Wohnsituation von Flüchtlingen in Berlin anhand eines Schaubilds: Danach seien im Februar 2017 in Berlin noch 15.900 Menschen in Notunterkünften untergebracht gewesen, während im übrigen Deutschland dies nur noch für 4.100 Menschen zutraf.
Die Zahlen sprechen für sich. Sudhof, die als Finanzbeamtin schon unter Dieter Glietsch gedient hatte, hätte die katastrophale Flüchtlingspolitik in Berlin nicht plastischer unterstreichen können, für die die SPD an der Spitze des Berliner Senats seit Jahren verantwortlich ist. Glietsch war ehemals Polizeipräsident der rot-roten Koalition und wurde von der Großen Koalition unter Leitung des immer noch Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) als Flüchtlingsmanager eingesetzt.
Zur Einquartierung von Flüchtlingen in die Tempelhofer Hangars hat man noch Glietschs Worte auf der Bürgerversammlung Anfang 2016 im Ohr: In der Not müsse man die eigenen Mindeststandards „nach unten verschieben“, dies sei aber nur vorübergehend. Nicht anders klingen heute die Worte der rot-rot-grünen Senatsvertreter zu den Tempohomes.
Die größte Wut schlägt an diesem Abend der Linkspartei entgegen, die nach der Wahl einen sozialen Politikwechsel und die bessere Integration von Flüchtlingen angekündigt hatte und eine Bebauung des ehemaligen Flugfeld verhindern wollte. Einige Teilnehmer liefern sich mit dem Podium einen heftigen Wortwechsel über den Standort der Container abseits vom Vorfeld der Flughafenhangars. Sie äußern den Verdacht, dass der Senat für das Vorfeld andere Pläne hat und die Bebauung des Tempelhofer Felds durch die Hintertür einleitet.
„Ich habe euch gewählt, weil im vergangenen September Linke, Grüne und Piraten versprochen haben, sie würden das Tempelhof-Gesetz nicht ändern“, ruft eine Frau aufgebracht. „Und jetzt sitzt ihr Linken da oben und setzt die Politik der SPD um! Für mich ist das ein klares Indiz, dass es hier um etwas anderes geht als um eine ernstgemeinte Lösung der Flüchtlingskrise.“
Angesichts der aufgeheizten Stimmung im Saal ergreift schließlich der Sprecher der Linken aus Neukölln, Moritz Wittler, das Wort. Wittler steht der pseudolinken Strömung Marx21 nahe, die in dem Neuköllner Bezirksverband stark verankert ist. Wie für die Pseudolinke typisch, hebt er unter Beifall zu einer radikal klingenden Kritik an der „Genossin“ Sozialsenatorin an: „Es ist unmöglich, Genossin, wie Du hier mit den Bürgern umgehst, wie Du hier den Kopf für die falsche Politik der SPD hinhältst“, und: „Ich verlange und erwarte von dieser unserer Regierung, dass sie sich mit den Mächtigen der Stadt anlegt.“
Wittler demonstriert, welche Schlüsselrolle Marx21 wie auch andere pseudolinke Gruppen in der jetzigen Situation spielen: Sie dienen als Blitzableiter und üben Kritik an der Politik der Linken, um die wachsende Opposition wieder der rot-rot-grünen Koalition unterzuordnen. Schon nach der Wahl spielten sie dieses doppelte Spiel: Die Neuköllner reichten zum Sonderparteitag der Linken eine Resolution ein, die die Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen ablehnte – nur um im nächsten Atemzug zu erklären, sie wollten, falls sie erwartungsgemäß nicht durchkämen, die neue Regierung kritisch unterstützen.
Die Stimmung im Saal kocht hoch, als schließlich die neue Parteivorsitzende der Linken in Berlin, Katina Schubert, aufsteht und Sozialsenatorin Breitenbach zu Hilfe eilt. Sie erklärt das Publikum in zynischer Weise für dumm. Es habe wohl noch nie gehört, dass man in einer Koalition Kompromisse machen müsse, doziert sie.
Als Teilnehmer empört rufen, der „Kompromiss“ bedeute, Flüchtlinge in ein eingezäuntes Ghetto zu sperren, versteigt sich Schubert zur Erklärung: „Neukölln ist eine Hochburg der Rechtsradikalen. Wir müssen die Geflüchteten vor Anschlägen schützen.“
Elke Breitenbach, sichtlich nervös, schlägt in die gleiche Kerbe: Man müsse die Container einzäunen und bewachen, um zu wissen, wer sich alles auf dem Gelände aufhält. „Und wer mich hier anpöbelt, gegen den kann ich auch zurückpöbeln“, attackiert sie ihre Kritiker.
Die Linke zeigt immer offener ihr wahres Gesicht in der Flüchtlingsfrage. Sie unterstützt ein solches Ghetto nicht, weil es keine besseren Möglichkeiten gäbe. Im Gegenteil: Eine Integration durch Wohnungen inmitten der Berliner Bevölkerung ist nicht gewollt. Das rot-rot-grüne Bündnis strebt im Einklang mit den neuen Asyl- und Abschiebebeschlüssen von Bundesregierung und Bundesrat danach, massenhaft Flüchtlinge in sogenannte „freiwillige Rückkehrmaßnahmen“ zu zwingen.
Es ist an der Zeit, dass Arbeiter und Jugendliche die Verteidigung der geflüchteten Menschen unabhängig von der Linkspartei und ihren pseudolinken Anhängern organisieren.