Zwei Großbritannien: Die Grenfell-Untersuchung und die königliche Hochzeit

Am Montag nahm der staatliche Untersuchungsausschuss zum Brand im Grenfell Tower seine Arbeit auf. In den nächsten zwei Wochen wird er Zeugenaussagen von Freunden und Angehörigen der Opfer anhören. Der Brand vom 14. Juni 2017, der 72 Menschenleben forderte, ist eine der schwersten Katastrophen in der modernen britischen Geschichte.

Allerdings hielt keine einzige landesweit erscheinende Zeitung es für notwendig, auf ihrer Titelseite darüber zu berichten. Stattdessen setzten alle großen Medien am Montag ihre Rundum-Berichterstattung über die königliche Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle fort.

Schon am Sonntag hatten die zehn größten Zeitungen dem Thema mehr als 282 Seiten gewidmet, und die Daily Mail veröffentlichte zum Beispiel ein „prächtiges, 32-seitiges Souvenir-Fotoalbum“. Am Samstag hatte das Thema alle Kanäle beherrscht, und schon seit Wochen war der belustigten Öffentlichkeit jedes Detail mitgeteilt worden, von Markles Kleid über die Musik bis hin zu den Speisen und Getränke.

Dabei wurde immer wieder betont, dass die „Royal Wedding“ etwas ganz besonderes sei, und dass die Tatsache, dass Harry, der an sechster Stelle der Thronfolge steht, eine millionenschwere amerikanische Schauspielerin mit schwarzer Mutter ehelicht, ein entscheidender Wendepunkt im Leben Großbritanniens darstelle.

Zu diesem Zweck wurde übermäßige Aufmerksamkeit auf die sogenannte „blackness“ der Hochzeit gerichtet: Markle und die beiden Gäste, Serena Williams und Oprah Winfrey, wurden als Inspiration für junge schwarze Frauen und als Symbolfiguren des Wandels bezeichnet. Bischof Michael Curry, der eine Predigt über Sklaverei, Bürgerrechte und eine christliche „Revolution“ auf der Grundlage der Liebe hielt, war ein weiteres sogenanntes Highlight, auch wenn viele der versammelten Royals darauf mit kaum verhohlener Verachtung reagierten.

Doch trotz allen Geredes über „Zugehörigkeit“ und „Diversität“ war die Zeremonie nichts weiter als eine Versammlung der Reichen und Mächtigen. Nur 600 Gäste waren zur Feier im Windsor Castle eingeladen. Der Gesamtwert ihres persönlichen Vermögens liegt zwischen sechzehn und einundzwanzig Milliarden Dollar.

Das Vermögen der Queen wird auf umgerechnet 500 Millionen Dollar geschätzt; das von Prinz Charles auf 100 Millionen; die Prinzen William und Harry besitzen jeweils 40 Millionen Dollar; Prince Philip 30 Millionen; und die Herzogin von Cambridge, Kate Middleton immerhin zehn Millionen. Hinzu kommen Markles Freunde aus dem Promi-„Adel“, deren Vermögen diejenigen der britischen Monarchen teilweise sogar noch übertreffen, darunter Oprah Winfrey (2,8 Milliarden Dollar); George Clooney (500 Millionen Dollar), David und Victoria Beckham (450 Millionen, bzw. 300 Millionen Dollar) und Serena Williams (150 Millionen Dollar). Die begüterten Spitzen aus der Politik und der Finanz- und Immobilienbranche waren durch den ehemaligen Premierminister John Major (50 Millionen Dollar), Hedgefonds-Manager James Matthews (zwei Milliarden Dollar) und Hugh Grosvenor (9,5 Milliarden Dollar) vertreten; letzterer besitzt beträchtliche Teile des Londoner Stadtteils Mayfair.

Die Hochzeit selbst kostete etwa 32 Millionen Pfund, davon mindestens 30 Millionen aus Steuergeldern. Zu den restlichen Ausgaben von zwei Millionen Pfund gehörte u.a. Markles Hochzeitskleid von Givenchy, das 400.000 Pfund gekostet hatte.

Königin Marie-Antoinette soll auf die Ankündigung, die Bauern hätten kein Brot, geantwortet haben: „Dann sollen sie Kuchen essen.“ Am Samstag waren es die 200 reichen „Ehrengäste“, die Zitronen- und Holunderblütenkuchen im Gesamtwert von 50.000 Pfund verzehrten, was einem Stückpreis von 250 Pfund pro Portion entspricht.

Im krassen Gegensatz dazu steht das Verhalten der Politik seit dem Grenfell Tower. Die Regierung blockt weiterhin alle Forderungen ab, den Einsatz entflammbarer Außenverkleidung zu verbieten. Eine solche Fassade war am Grenfell Tower zum Brandbeschleuniger geworden und hatte aus einem Küchenbrand ein flammendes Inferno entfacht. Der Hackitt-Ausschuss hatte es sogar abgelehnt, ein Verbot zu empfehlen. Auch sollen die 400 Millionen Pfund, die für die Entfernung gefährlicher Fassaden von städtischen und genossenschaftlichen Wohnblocks vorgesehen sind, aus der sozialen Wohnraumfinanzierung abgezweigt werden.

Am gleichen Tag, an dem der Untersuchungsausschuss die Arbeit aufnahm, enthüllte die Sendung „BBC Panorama“, dass die Außenfassade des Grenfell Tower den Sicherheitstest nicht bestanden hatte. Für die Herstellung des Musters, welches sich für das Sicherheitszertifikat qualifiziert hatte, hatte der Hersteller Celotex zusätzliches Brandschutzmittel verwendet.

Diese Missachtung der Sicherheit von Menschen aus der Arbeiterklasse hatte entsetzliche Folgen. Das zeigte sich am Montag in den herzergreifenden Aussagen der Angehörigen von sechs Brandopfern.

Marcio Gomes beschrieb, wie es war, als er sein totgeborenes Kind in den Armen hielt. Es wurde entbunden, während seine Frau und seine beiden Töchter im Koma lagen, nachdem sie aus dem brennenden Gebäude geflohen waren. Er erzählte, sie hätten alles für die Geburt des Babys vorbereitet und sogar eine Botschaft an die Kinderzimmerwand gemalt. Der Tod des Babys habe sich „angefühlt, als wäre uns das Herz gebrochen… Er sollte mein Superstar sein.“

Die Familie von Mohamed Amied Nedap, der aus Afghanistan vor den Taliban geflohen war, spielte eine Aufzeichnung von Mohameds letzten Worten ab: „Lebt wohl, wir verlassen diese Welt jetzt, lebt wohl.“ Sam, der Sohn des 69-jährigen Joseph Daniels, erzählte: „Er hatte keine Chance, da herauszukommen. Das hätte nie passieren dürfen.“

Das ist das wahre Gesicht der britischen Gesellschaft, die von enormer Ungleichheit zerrissen wird. Mindestens 72 Angehörige der Arbeiterklasse sind in einem Gebäude erstickt und verbrannt, das man mit einer unsicheren Fassade verkleidet hatte, um ein paar tausend Pfund zu sparen. Und dies im reichsten Stadtteil Londons, wie die World Socialist Web Site kurz nach dem Brand erklärte. In Kensington and Chelsea, dem wohlhabendsten Viertel einer der reichsten Städte der Welt, leben nicht nur die königliche Familie, sondern auch mehrere parasitäre Oligarchen.

Hier befindet sich Prinz Harrys „Cottage“ auf dem Gelände des Kensington Palace, in das Harry und Meghan nach der Hochzeit fuhren. Derzeit denken sie über einen Umzug in das 21-Zimmer-Apartment des Herzogspaares von Gloucester und den Kauf eines Grundstücks im ländlichen Cotswolds nach.

Wie wir damals schrieben, wird man aufgrund dieser brutalen Demonstration der „Wirklichkeit der sozialen Beziehungen zwischen den Klassen“ in den kommenden Jahren „das politische Leben in Großbritannien in ,vor‘ und ,nach‘ Grenfell unterscheiden müssen“.

Doch die Kommentatoren betonen jetzt, nicht diese Tragödie, sondern der Prunk einer „multikulturellen“ königlichen Hochzeit definiere den aktuellen Zustand des sozialen und politischen Lebens in Großbritannien. Die Medien hoffen, „vor“ und „nach“ Grenfell durch das Narrativ „vor“ und „nach“ Meghan ersetzen zu können. Grenfell sollte ihrer Meinung nach am besten in Vergessenheit geraten.

Am deutlichsten wurde dies in einer Kolumne von Irenosen Okojie im Guardian. Sie schrieb: „Das Debakel im Grenfell Tower und die schreckliche Behandlung der Windrush-Generation stehen momentan im Zentrum der Debatten unter den ethnischen Minderheiten Großbritanniens ... Doch die Hochzeit scheint mir trotz ihrer Überfrachtung mit Pomp und Tradition immer noch ein radikaler Akt zu sein ... Ein Großbritannien, das auch fortschrittlich denken kann, wird einiges an Verständnis und Bewunderung erhalten.“

In diesen Worten äußern sich die Ansichten eines Teils des gehobenen Kleinbürgertums. Es ist vom Reichtum und Glanz ihrer superreichen Idole so fasziniert, dass es jeden Bezug zur Realität verloren hat und in der Ehe zwischen einem Juniormitglied des Windsor-Clans und einer afroamerikanischen Schauspielerin eine Art epochales Ereignis sieht. Aber ein solch banaler Unsinn wird auch durch endloses Wiederholen nicht weniger hohl.

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