Dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes von General Wojciech Jaruzelski, der der Restauration des Kapitalismus den Weg ebnete, ist der Klassenkampf in Polen wieder aufgeflammt. Am Montag traten mehr als 300.000 Lehrer in einen unbefristeten Streik. Es ist der erste nationale Lehrerstreik in Polen seit Jahrzehnten und eine der größten Arbeitsniederlegungen in Polen seit der massiven Streikbewegung gegen die stalinistische Diktatur in den Jahren 1980–81.
Der Streik bricht inmitten einer internationalen Welle von Kämpfen aus, in denen Lehrer bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und ordentlich ausgestattete Schulen fordern. Im letzten Jahr nahmen Tausende Lehrer in den USA an Streiks teil – die höchste Zahl seit Jahrzehnten. In den Niederlanden und Argentinien fanden im vergangenen Monat landesweite Lehrerstreiks statt, während die Lehrer in Frankreich, Tunesien, Marokko und anderen afrikanischen Ländern noch immer im Ausstand sind.
Die Lehrerstreiks sind Teil eines größeren Aufschwungs der internationalen Arbeiterklasse, auch in Mittel- und Osteuropa. Arbeiter der nationalen Fluggesellschaft LOT hatten zuvor zwei Wochen lang gestreikt; auch polnische Amazon-Arbeiter waren in den Ausstand getreten. In den letzten Monaten kam es zu Streiks von Auto- und anderen Industriearbeitern in Rumänien, Ungarn, Tschechien, Serbien und dem Kosovo sowie zu Massenprotesten gegen das so genannte „Sklavengesetz“ des rechten Regimes von Viktor Orbán in Ungarn, das die Arbeiter zwingt, unbezahlte Überstunden zu machen.
In Deutschland beteiligten sich im Februar Zehntausende Beschäftigte des öffentlichen Diensts an Warnstreiks gegen die katastrophale Lage an Schulen, unerträgliche Arbeitsbedingungen und miserable Löhne. Im März streikten Tausende Verkehrsarbeiter der BVG in Berlin und brachten die Stadt zum Stillstand. Am vergangenen Samstag haben 40.000 Menschen in Berlin gegen steigende Mieten protestiert und die Enteignung von Immobiliengesellschaften und Hedgefonds gefordert.
Die Bourgeoisie fürchtet, dass aus diesen Kämpfen eine sozialistische Bewegung in der Arbeiterklasse entsteht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung war entsetzt, als eine Umfrage ergab, dass die Mehrheit der deutschen Arbeiter und Jugendlichen die Forderung nach Enteignung unterstützt. Fassungslos kommentierte die FAZ, das Sprachrohr der deutschen Banken: „Knapp 30 Jahre nach dem Fall der Mauer wird die Karl-Marx-Allee [wo am Samstag auch die Demonstranten marschierten] so zum Pionier der Wiedereinführung des Sozialismus. Es lebe die Revolution.“
Die deutschen und europäischen Medien blenden die polnischen Lehrerstreiks praktisch vollständig aus, weil diese das offizielle Narrativ der Europäischen Union zunichte machen. Die Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistischen Diktaturen hat den Klassenkampf nicht dem Müllhaufen der Geschichte überlassen. Unter osteuropäischen Arbeitern gibt es sowohl eine tief verwurzelte Ablehnung der nationalistischen, auf wirtschaftlicher Autarkie basierenden Politik der stalinistischen Regime, die die Arbeiterklasse brutal unterdrückt haben, als auch eine brodelnde Opposition gegen die Folgen der kapitalistischen Restauration.
Im 20. Jahrhundert gehörte die polnische Arbeiterklasse zu den militantesten in Europa. Sie führte bedeutende Kämpfe gegen die sowjetische Bürokratie während des „Polnischen Oktobers“ von 1956, des Arbeiteraufstands im Dezember 1970 und der Massenstreiks von 1980, die auf der Lenin-Werft in Danzig begannen, sich über das ganze Land erstreckten und an denen über 400.000 Arbeiter teilnahmen.
Die Behauptung, dass die russische Oktoberrevolution von 1917 unweigerlich zum Stalinismus führte, ist eine Lüge. Sie wird durch die historische Tatsache widerlegt, dass es eine revolutionäre sozialistische Alternative gab, vertreten durch die Linke Opposition, die unerbittlich gegen das stalinistische Regime und für das Programm der sozialistischen Weltrevolution kämpfte, das die Grundlage für die Revolution der Bolschewiki bildete. Die Linke Opposition entstand in den frühen 1920er Jahren unter der Führung von Leo Trotzki, der 1938 nach dem Zusammenbruch und Verrat der stalinistisch geführten Komintern die Vierte Internationale gründete.
Die stalinistischen Regime in Osteuropa führten zwar in den späten 1940er Jahren eine bürokratische Enteignung des kapitalistischen Eigentums durch, waren aber nicht sozialistisch. Die vielen Kämpfe, die die Arbeiter in diesen Ländern gegen die stalinistischen Diktaturen führten, zeigten, dass es in der Arbeiterklasse eine objektive Grundlage für die Perspektive Trotzkis gab. Er forderte eine politische Revolution gegen die staatlichen Bürokratien als Teil eines erneuerten internationalen revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse für den Sozialismus.
Diese entscheidenden politischen und historischen Erfahrungen müssen verstanden werden, wenn die osteuropäische Arbeiterklasse jetzt erneut den Kampf aufnimmt. Die Arbeiter sind mit der Gefahr von Krieg und autoritärer Herrschaft in der gesamten Region konfrontiert. Deshalb geraten sie mit dem polnischen Lehrerstreik in direkten Konflikt mit den Kräften, die vor drei Jahrzehnten mit dem polnischen stalinistischen Regime zusammenarbeiteten, um den Kapitalismus wiederherzustellen.
Heute ist Solidarność eine offen rechte Bewegung, die mit der rechtsextremen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) zusammenarbeitet. Ihre Lehrervertretung war die einzige Gewerkschaft, die von Anfang an die Strafsanktionen der Regierung akzeptierte. Der Leiter der Lehrergewerkschaft von Solidarność, Ryszard Proksa, der auch Beamter der lokalen PiS-Regierung ist, verurteilte die Lehrer, die die Arbeit niederlegten, und drohte mit Vergeltungsmaßnahmen gegen streikende Gewerkschaftsverbände.
Die wichtigste polnische Lehrergewerkschaft ZNP strebt ein schnelles Ende des Streiks an. ZNP-Chef Sławomir Broniarz sagte, die Gewerkschaft wolle „dieses Feuer löschen“, also einen faulen Deal mit der PiS abschließen.
Nach vier Jahrzehnten bürokratischer Unterdrückung durch das stalinistische Regime, gefolgt von drei Jahrzehnten kapitalistischer Restauration, stehen die Arbeiter in Osteuropa vor einer Krise der Führung und Perspektive. Schon die elementarsten Aufgaben, um den Streik durchzuführen, erfordern den Aufbau neuer Aktionskomitees, die direkt von den Arbeitern selbst kontrolliert werden und unabhängig von den Gewerkschaften sind. Doch gerade aus der polnischen Geschichte muss die Lehre gezogen werden, dass die Rolle dieser Aktionskomitees in erster Linie davon abhängt, welche Perspektive ihre Führung vertritt.
Die zentrale Frage, die sich im Kampf gegen den Stalinismus in Polen stellte, war der Konflikt zwischen der trotzkistischen Perspektive, die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) verteidigt wurde, und der Perspektive der kleinbürgerlichen Pablisten, die sich vom Trotzkismus lossagten, das Programm der Vierten Internationale aufgaben und behaupteten, dass man die stalinistischen Parteien dazu drängen könnte, eine revolutionäre Rolle zu spielen.
Die Solidarność-Bewegung entstand aus einer echten, unabhängigen Opposition der Arbeiterklasse gegen den Stalinismus und organisierte auf der Höhe ihrer Macht 10 Millionen Arbeiter. Sie wurde jedoch einer rechten Führung untergeordnet, die nicht für eine politische Revolution gegen den Stalinismus, sondern die Wiedereinführung des Kapitalismus in Polen eintrat.
Dabei spielten Pablisten wie Jacek Kuroń eine wichtige Rolle. Kuroń ebnete Lech Wałęsa den Weg in die Führung von Solidarność, der diese schließlich leitete und dann zum Präsident der polnischen kapitalistischen Regierung aufstieg. Kuroń selbst nahm 1989 an den Gesprächen des Runden Tischs teil und war in den Jahren 1989–1990 und 1992–1993 Arbeitsminister –inmitten der kapitalistischen Restauration.
Drei Jahrzehnte kapitalistischer Herrschaft haben nicht zur Blüte der Demokratie und einem besseren Lebensstandard der Arbeiterklasse geführt, wie es die falschen Propheten der kapitalistischen „demokratischen Revolutionen“ in Osteuropa, einschließlich der Solidarność, versprochen hatten. Die kapitalistische Restauration hatte eine soziale Katastrophe für die Arbeiterklasse und den Aufstieg rechter und faschistischer Kräfte zur Folge.
Polen ist eines der ungleichsten Länder Europas. Eine aktuelle Studie mit dem Titel „Ungleichheit in Polen“ ergab, dass offizielle Zahlen „den Anstieg der Ungleichheit in den letzten 30 Jahren deutlich unterschätzen“. Sie kommt zu dem Schluss: „Zwischen 1989 und 2015 stieg der Einkommensanteil der obersten zehn Prozent von 23 auf 40 Prozent und der Einkommensanteil des obersten ein Prozent von 4 Prozent auf 14 Prozent.“
Polens extrem nationalistische PiS-Regierung verbreitet Kriegshetze und Antisemitismus. Sie hat Washingtons Eskalation der militärischen Spannungen mit Russland unterstützt und die Stationierung von Nato-Streitkräften in der Nähe der benachbarten russischen Enklave Kaliningrad begrüßt, die die andauernde Gefahr eines Konflikts zwischen Atommächten birgt.
Im vergangenen Jahr hat die PiS jede Erwähnung von Verbrechen der Polen an Juden während des Holocaust verboten. Seitdem wurden mehrere Historiker, die zu Antisemitismus und antijüdischen Pogromen in Polen forschen, entlassen. Anlässlich des polnischen Unabhängigkeitstages im vergangenen November marschierten prominente Staatsbeamte, darunter Premierminister Mateusz Morawiecki, Seite an Seite mit Faschisten aus Polen und anderen europäischen Ländern.
Die wachsende Opposition in der polnischen Arbeiterklasse gegen die Sparpolitik der PiS bestätigt die Analyse des IKVI. Im Unterschied zu den 1930er Jahren haben die rechtsextremen Bewegungen und Regierungen heute keine Massenbasis. Aber sie sind nicht weniger gefährlich, denn sie werden vom Staat, den etablierten Parteien und Medien sowie Teilen der Akademiker bewusst gefördert. Diese Kräfte reagieren damit auf die Bedrohung durch eine sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse. Die sich entwickelnde Bewegung der Arbeiterklasse muss bewusst vorbereitet werden. Das erfordert den Aufbau von Sektionen des IKVI in Polen und ganz Osteuropa, um den zunehmenden Kämpfen eine echte sozialistische Perspektive und Führung zu geben.