Hätte es nach den Erfahrungen mit den deutschen Grünen noch eines Beweises bedurft, dass die Grünen keine Alternative zu den rechtesten bürgerlichen Parteien darstellen, so haben ihn die österreichischen geliefert. In der neuen Regierung, die kommende Woche vereidigt wird, übernehmen sie nahtlos die Rolle der rechtsextremen FPÖ als Mehrheitsbeschaffer für eine menschenverachtende, unternehmerfreundliche und Law-and-Order-Politik.
Der frühere und neue Kanzler Sebastian Kurz habe „ein paar Tage nach Weihnachten tatsächlich ein kleines Wunder vollbracht“, kommentierte der Nachrichtensender ntv. „Er wird seine ÖVP in eine Regierung mit den Grünen führen – ohne von seinem rechten Kurs abzuweichen.“
Der 326 Seiten umfassende Koalitionsvertrag, den Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler am Donnerstag der Öffentlichkeit vorstellten, setzt in den Bereichen Wirtschaft, Steuern, Flüchtlingspolitik, innere Sicherheit, Aufrüstung und Sozialabbau die ultrarechte Linie der ÖVP-FPÖ-Koalition fort, die im vergangenen Mai wegen einem schmutzigen Korruptionsskandal auseinanderbrach.
Was Kurz als Vereinigung des „Besten aus beiden Welten“ und als Beweis dafür bezeichnet, dass man gleichzeitig „das Klima und die Grenze schützen“ könne, erweist sich bei näherem Hinsehen als Klassenkriegsprogramm, das sich gegen die Arbeiterklasse, gegen Flüchtlinge und gegen sozial Benachteiligte richtet – geschmückt mit einigen grünen Girlanden.
Gegen das äußerst vage Versprechen, dass Österreich bis 2040 klimaneutral sein werde, haben die Grünen einer rassistischen Politik zugestimmt – „konsequenter Kampf gegen die illegale Migration und den politischen Islam“, Kopftuchverbot für Schülerinnen, vorbeugende Sicherungshaft für sogenannte Gefährder, usw. –, die sie selbst im Wahlkampf noch heftig verurteilt hatten.
Alle Schlüsselministerien – Finanzen, Inneres. Äußeres, Verteidigung, Integration – bleiben unter Kontrolle der Konservativen. Die Grünen, die insgesamt vier von 14 Ressorts leiten – werden mit einem Superministerium für Klimaschutz, Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Energie und Innovation abgespeist, dessen Handlungsfähigkeit durch die vereinbarten Steuersenkungen und strikten Haushaltvorgaben allerdings eng begrenzt ist.
Zahlreiche bürgerliche Medien haben die schwarz-grüne Koalition in Österreich als Modell für ganz Europa und insbesondere Deutschland gepriesen. Nicht zufällig: Es verkörpert den Übergang wohlhabender städtischer Mittelschichten, die sich einst als links und fortschrittlich gaben, ins Lager der politischen Reaktion angesichts der weltweiten Verschärfung des Klassenkampfs.
ÖVP-Chef Kurz hatte bereits zu Beginn der mehr als drei Monate dauernden Koalitionsverhandlungen klargestellt, dass sich die rigide und unmenschliche Flüchtlingspolitik in der Alpenrepublik nicht ändern werde. Das Programm bezeichnet die Mechanismen zur Verteilung von Asylwerbern innerhalb der EU als „gescheitert“; Österreich werde diesbezüglich keine Initiativen mehr setzen. Aus Seenot gerettete Personen sollen von Mitarbeitern der EU-Grenzsicherungsagentur Frontex in Transitländer oder in ihre Herkunftsstaaten zurückgebracht werden. Auch der Aufbau eines Lagersystems in den Herkunftsländern soll überprüft werden.
Gleichzeitig rüstet die Regierung massiv den Staatsapparat auf. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das schon jetzt Befugnisse von Geheimdiensten und Polizei vereint, wird weiter ausgebaut. Es soll künftig wieder jährliche Extremismusberichte veröffentlichen.
Während die Grünen vorgeben, dies diene der besseren Beobachtung rechtsextremer Burschenschaften, richtet es sich tatsächlich gegen linke Gruppen und Bewegungen. Mit dem BVT wird eine Behörde gestärkt, die gerade in den letzten Jahren stark von rechtsextremen Kräften durchsetzt war und im Zentrum zahlreicher Skandale steht.
Auch die Polizei soll deutlich ausgebaut werden. Eine geplante „Personaloffensive“ sieht 2300 zusätzliche Planstellen und 2000 zusätzliche Ausbildungsstellen vor. Der Einsatz von Drohnen durch die Polizei soll zum Standard werden.
Bei der Überwachung im Internet und der Ausspähung privater Daten will die Regierung über die Pläne der Vorgängerregierung hinaus gehen. Im Innenministerium sollen „Cyber Cops“- Einheiten in einem „staatliches Cybersicherheitszentrum“ zum Einsatz kommen. Nachdem der flächendeckende Einsatz von Spähsoftware vom Bundesverfassungsgericht gestoppt worden ist, wollen ÖVP und Grüne weiter daran arbeiten, eine lückenlose Überwachung umzusetzen.
Rechtsextreme Kreise, die ihre Netzwerke ausbauen und, wie die österreichischen Identitären, Kontakte zu Rechtsterroristen wie dem Attentäter von Christchurch pflegen, bleiben weitgehend unbehelligt. Stattdessen will die Regierung stärker gegen den „politischen Islam“ vorgehen und eine Dokumentationsstelle dafür einrichten. Kultusgemeinden, die die Behörden der Verbreitung von Terrorpropaganda beschuldigen, sollen geschlossen werden können. Dieser Punkt ist wie viele andere eins zu eins aus dem Programm der FPÖ übernommen worden.
Auch die Einrichtung einer „Sicherungshaft“, die ohne hinreichenden Tatverdacht oder Gerichtsurteil verhängt werden darf, stammt aus der Feder der FPÖ und war von den Grünen zuvor noch kritisiert worden. Zuletzt hatte es in Österreich eine derartige Haft in der Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus gegeben.
Mit der inneren Aufrüstung bereitet sich die künftige Regierung auf heftige Klassenauseinandersetzungen vor. Beide Parteien stellen die Interessen der Wirtschaftselite in den Mittelpunkt ihrer Politik. Die geplanten Senkungen der Einkommens- und Unternehmenssteuern sind Geschenke an die Reichen und an Unternehmen, ebenso wie die Senkung der Körperschaftssteuer und die Anhebung des Gewinnfreibetrags auf Vermögen.
Die Maßnahmen zur Steuersenkung entsprechen bis in die Details jenen, die ÖVP und FPÖ vereinbart hatten, wie der Wiener Standard anmerkt. Hohe Einkommen profitieren von sinkenden Steuern, während Geringverdiener keinen Vorteil haben. Nach Angaben der Statistik Austria betrifft letzteres rund ein Viertel der unselbstständig Beschäftigten in Österreich.
Die Körperschaftssteuer soll von derzeit 25 Prozent auf 21 Prozent gesenkt werden. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer für große Vermögen, die die Grünen in ihrem Wahlprogramm gefordert hatten, kommt dagegen im Regierungsprogramm nicht vor. Neben einem ausgeglichenen Haushalt und einer maximalen Staatsschuldenquote von 60 Prozent strebt die neue Regierung in dieser Legislaturperiode auch eine Senkung der Kapitalertragssteuer an, um das Land für Spekulanten attraktiver zu machen.
Gleichzeitig geht der Angriff auf die Renten weiter. Künftig sollen nach deutschem Vorbild die Rahmenbedingungen für private Rentenvorsorge geebnet werden. Parallel wird die gesetzliche Rente beschnitten.
Auch das Regierungspersonal verkörpert diese rechte Politik. Der 33-jährige Kurz stand von Dezember 2017 bis Mai 2019 an der Spitze der Regierung, zunächst mit der sozialdemokratischen SPÖ, dann mit der ultrarechten FPÖ und in Zukunft mit den Grünen. Er hat innerhalb der konservativen Volkspartei einen stramm rechten Kurs durchgesetzt.
Ähnliches trifft auf den künftigen Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler zu. In den 80er Jahren war er Gründungsmitglied der Alternativen Liste Graz, einer Sammelbewegung aus Umwelt-, Friedens- und anderen linken Gruppierungen. Unter anderem war auch die pablistische Gruppe Revolutionärer Marxisten (GRM) ein Teil davon.
Wie ein großer Teil dieses Milieus vollzog Kogler innerhalb der Grünen eine rasante Rechtsentwicklung und bereitete die Partei auf die Regierungsübernahme vor. Frühere politische Forderungen wie Antimilitarismus, soziale Gerechtigkeit und Toleranz gegenüber Ausländern und Flüchtlingen wurden dabei über Bord geworfen.
Die Ministerien für Finanzen und Inneres werden von erfahrenen ÖVP-Politikern geführt, die als Hardliner auf ihrem Gebiet gelten. Gernot Blümel und Karl Nehammer haben beide angekündigt, den Kurs der ÖVP-FPÖ-Regierung fortzusetzen. Der künftige Außenminister Alexander Schallenberg, ein Berufsdiplomat, war bereits Mitglied der Übergangsregierung der letzten Monate. Der Parteilose gilt als „graue Eminenz der Außenpolitik“, verfügt über die besten Beziehungen in alle Parteien und gilt als enger Vertrauter von Kurz.
Das Integrationsministerium leitet Susanne Raab (ÖVP), die sich in den letzten Jahren als rechte Hardlinerin eine Namen machte. Die Juristin hat gemeinsam mit der FPÖ das Burkaverbot und das Islamgesetz zu verantworten. Ihre Nominierung gilt als Signal nach rechts und soll eine Fortführung der FPÖ-Politik garantieren.
Verteidigungsministerin wird Klaudia Tanner, bisher Direktorin des niederösterreichischen Bauernbundes ohne jeglichen Kontakt zu Verteidigungsfragen. Sie ist, wie alle ÖVP-Minister, Kurz treu ergeben und soll eine umfassende personelle und materielle Aufrüstung der Streitkräfte sicherstellen.
Für die Grünen übernimmt Leonore Gewessler das vergrößerte Umweltministerium. Sie hatte zuvor als Geschäftsführerin der NGO Global 2000 Kampagnen gegen Freihandelsabkommen und den Bau einer dritten Startbahn am Wiener Flughafen organisiert. Vizekanzler Kogler ist für Sport und Beamte zuständig.
Alma Zadic, die Kogler von der grünen Abspaltung Liste Pilz abgeworben hat, leitet künftig das Justizministerium. Die Partei des ehemaligen Pablisten Peter Pilz steht weit rechts und vertritt unter anderem extrem islamfeindliche Positionen. Im BVT-Untersuchungsausschuss half Zadic bei der Vertuschung der Praktiken des Verfassungsschutzes.
Das Sozial- und Gesundheitsministerium übernimmt der ehemalige Grundschullehrer Rudolf Anschober, der bereits in Oberösterreich in der konservativ-grünen Regierung gearbeitet und dort Kürzungen umgesetzt hatte.