Coronakrise: In Krankenhäusern, Pflegeheimen und Betrieben wächst der Widerstand

Während die Bundesregierung für Banken, Großkonzerne und Superreiche ein sogenanntes „Corona-Hilfsprogramm“ im Umfang von 600 Milliarden Euro beschlossen hat, müssen die Beschäftigen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Betrieben, die für die Versorgung der Bevölkerung lebensnotwendig sind, unter katastrophalen Bedingungen arbeiten.

Überall fehlen elementare Schutzvorkehrungen, während gleichzeitig die Arbeitsbelastung unerträglich ansteigt. Statt von der Regierung Sofortmaßnahmen zu verlangen, hat das Robert-Koch-Institut (RKI) in der vergangenen Woche vorgeschlagen, die Quarantäne-Verpflichtung für das medizinische Personal zu lockern. Künftig soll nach einem ungeschützten Kontakt mit einem infizierten Patienten nicht zwingend Quarantäne eingehalten werden.

Das löste unter Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern einen Aufschrei der Empörung aus. Denn das bedeutet, dass der Virus sich in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ungehemmt verbreiten könnte.

Kurze Zeit später kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, die Arbeitszeitbestimmungen für Krankenhausbeschäftigte zu lockern. Vorher war bereits die Personaluntergrenze für bestimmte Stationen aufgehoben worden.

„Als Krankenschwester fühle ich mich richtig doll verarscht und weiß nicht mehr, was ich denken soll“, schrieb Nina Magdalena Böhmer aus Berlin auf Facebook. „Erst kein Material da, dann sollen wir weiterarbeiten nach Kontakt, jetzt das und dann sagt Spahn noch, es geht gar nicht ums Geld, der Beruf müsse einfach nur attraktiver gemacht werden. Ich frage mich, wie viel Bezug zur Realität diese Menschen eigentlich noch haben.“

In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel sagte Böhmer: „Der Pflegenotstand ist ja seit Jahren bekannt. Es gab Berichte, Talkshowdiskussionen, passiert ist nix.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich finde, das Gesundheitswesen darf nicht privatisiert sein. Ich finde es absurd, dass Stationen mehr Patienten aufnehmen, als sie eigentlich Kapazität haben, weil sie sonst kein Geld verdienen.“ Manchmal sei sie die einzige Fachkraft und müsse sich mit einem Pflegeschüler zusammen um 40 Patienten kümmern. Das könne man nicht anders bezeichnen als verantwortungslos.

LKW-Fahrer protestieren gegen menschenunwürdige Bedingungen

Wie das medizinische Personal werden auch Lkw-Fahrer häufig als „Helden der Corona-Krise“ bezeichnet. Sie sorgen dafür, dass die Regale in den Supermärkten immer wieder aufgefüllt werden können. Tag und Nacht sind sie unterwegs, verbringen ihre Pausen an den Autobahnen. Dabei werden die Bedingungen für ihre Arbeit immer schlechter, denn fast alles, was sie zur Versorgung und Hygiene brauchen, ist mittlerweile geschlossen.

In einem Bericht des NDR-1 Niedersachsen heißt es: „Wegen der Ausbreitung des Coronavirus sind auch auf den Rastplätzen an den Autobahnen die Restaurants dicht. Wenn überhaupt werden nur noch Snacks angeboten.“ Außerdem sei der Zustand der sanitären Anlagen häufig mehr als mangelhaft. „Es ist menschenunwürdig“, beklagt sich Lkw-Fahrer Bernhard Schumann im Gespräch mit dem Sender. „Vor Corona wurden wir respektlos behandelt, jetzt werden wir respektlos und menschenunwürdig behandelt.“

Auf die Behauptung des Wirtschaftsministeriums, eine Grundversorgung sei auf den Autobahnen weiterhin sichergestellt und der gewohnte Hygienestandard werde „selbstverständlich so weit wie möglich aufrechterhalten“, reagierte Schumann fassungslos.

„Das ist eine Klatsche für jeden Fernfahrer, der auf der Straße lebt“, sagt er. „Theorie und Praxis liegen da weit auseinander.“ Der Herr Minister könne ja mal mitfahren. Schumann fordert, dass die Duschen und Toiletten zumindest wieder regelmäßig grundgereinigt werden. Außerdem müsse an den Autohöfen und Raststätten dafür gesorgt werden, dass sich die Lkw-Fahrer besser vor dem Coronavirus schützen können.

Unter diesen Umständen fühle sich jedenfalls niemand als Corona-Held, so Schumann. „Wir sind ganz normale Lkw-Fahrer, die ihren Job machen. Und ob da nun einer steht, der klatscht oder ‚Danke‘ sagt, bringt uns auch nicht weiter. Wir wollen wieder menschenwürdig auf den Rastplätzen leben können.“

Flughafen-Arbeiter spricht von Skandal

Ein Mitarbeiter von FraCareServices erhebt schwere Vorwürfe und kritisiert den mangelnden Infektionsschutz am Frankfurter Flughafen, berichtet die Offenbach-Post-Online und zitiert ihn mit den Worten: „Die Zustände am Flughafen sind ein Skandal und nicht vereinbar mit den Pandemie-Regeln des Landes.“

FraCareServices ist ein gemeinsames Tochterunternehmen von Lufthansa und Fraport. Die etwa 800 Mitarbeiter kümmern sich um Passagiere, die besondere Hilfe und Unterstützung brauchen – seien es Ältere, Kinder oder Menschen mit Behinderung. Da gehört es unter anderem zu den Aufgaben, gehbehinderten Menschen zu helfen, was sich auch in Corona-Zeiten meist nicht ohne Körperkontakt bewerkstelligen lässt.

„Uns wird kein Desinfektionsmittel, kein Mundschutz zur Verfügung gestellt, nicht einmal Handschuhe bekommen wir“, kritisiert der Flughafen-Angestellte laut OP-Online. „Und das, obwohl wir natürlich häufiger Kontakt mit den Kunden haben – da ist es oft unmöglich, den vorgegebenen Abstand einzuhalten.“

Die Rollstühle müssten nach jedem Gast desinfiziert werden, doch „entsprechende Hinweise“ von Mitarbeitern und Betriebsrat würden von der Unternehmensleitung ignoriert. „Es gibt keinen Krisenstab, und es wird sich auch nicht an einen Pandemieplan gehalten.“

Wie in anderen Betrieben weist der Flughafenbetreiber Fraport die Vorwürfe zurück und erklärt, den Mitarbeitern stehe es frei, Mundschutz und Handschuhe zu tragen.

Der FraCareService-Mitarbeiter macht auf weitere gravierende Sicherheitsprobleme aufmerksam. „Es ist ein Unding, dass hier noch Maschinen aus dem Iran und anderen Risiko-Gebieten landen dürfen“, ärgert er sich. Die tägliche Ankunft von Fliegern aus Italien und China sei nicht mehr nachvollziehbar. Da herrsche oft auch weiterhin das übliche Gedränge, besondere Maßnahmen für Passagiere aus Risikogebieten habe er nicht beobachtet: „Weder wird bei der Ankunft Fieber gemessen, noch besonders auf den Sicherheitsabstand geachtet.“

Stahlarbeiter arbeiten immer noch

Auch bei Thyssenkrupp Stahl herrschen Wut und Unverständnis über die mangelnden Schutzvorrichtungen und Rahmenbedingungen. Im Stahlwerk lassen sich die meisten Vorgaben – insbesondere der Abstand zu den Kollegen – kaum umsetzen.

In der Facebook-Gruppe stößt die Nachricht, dass die Dortmunder Thyssen-Krupp-Tochter Industrial Solutions dem Gesundheitsamt der Stadt 38.000 OP-Schutzmasken und andere Schutzkleidung gespendet hat, nicht nur auf Unterstützung. Denn die meisten Stahlarbeiter in Duisburg haben keine Maske. Die Masken, die Industrial Solutions gespendet hat, stammen aus Werksbeständen und wurden vom Betriebsrat des Unternehmens übergeben.

Die Arbeiter sind äußerst besorgt. Denn dem gesamten Konzern ist von der IG Metall und dem Vorstand ein rigoroses Sparprogramm verordnet worden. Viele befürchten, dass die Krise genutzt wird, um den Abbau ihrer Arbeitsplätze zu beschleunigen.

Ein Stahlarbeiter bei Outokumpu, Krefeld, möchte anonym bleiben. „Aus eigener Erfahrung weiß ich,“ sagt er, „dass deutsche Unternehmen, die Corona-Pandemie ausnutzen, um auf Kosten ihrer Mitarbeiter Profit zu schlagen. Sie wollen von geschlossenen Konkurrenz-Fabriken im asiatischen Raum profitieren und lassen mit vollen Auftragsbüchern ihre Mitarbeiter sogar auf Mehrarbeit kommen, ohne Rücksicht auf deren Gesundheit.“

Er zählt sich selbst zur Risikogruppe und beklagt, dass es keine Desinfektionsmittel oder andere wirksamen Vorkehrungen gebe, um die Verbreitung von Corona zu unterbinden. Während die Hauptverwaltung leer sei und im Home Office arbeite, seien die Produktionsmitarbeiter „vogelfrei“. „Eine Zweiklassengesellschaft in den Betrieben.“

„Wir sind alle sauer, fühlen uns nach Strich und Faden betrogen. Selbst Risikogruppen müssen noch arbeiten. In einer Info steht, sie sollen mit dem Betriebsarzt sprechen. Das habe ich gemacht. Er hat mir geraten, Hände zu waschen und mich zu desinfizieren. Aber wir haben kein Desinfektionsmittel, auch keine Gesichtsmasken. Ich bediene Tastaturen, Telefone usw.“

Lebensmittel-Lieferdienst Picnic verschärft Ausbeutung

Während vielen Arbeitern Arbeitslosigkeit oder zumindest Kurzarbeit und damit große Gehaltseinbußen drohen, sind andere mit steigenden Anforderungen konfrontiert.

Nicht nur die Amazon-Geschäfte boomen und verschärfen die Arbeitsbelastung. Auch andere Lieferdienste profitieren von der Krise. Der niederländische Lebensmittel-Lieferdienst Picnic, der seit zwei Jahren auch in Deutschland eine Dependance hat, expandiert. Das Tochterunternehmen Picnic GmbH mit Sitz in Düsseldorf ist ein reiner Online-Supermarkt, es gibt keine Geschäfte. Per App bestellt und zahlt man die Produkte, die dann ins Haus geliefert werden.

Gestern hat das Unternehmen sein zweites Fulfillment-Center in Deutschland eröffnet, in der Ruhrgebietsstadt Herne. Die Kapazität des Unternehmens wird sich mehr als verdoppeln. Es wurde dabei von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens unterstützt.

Picnic beliefert inzwischen über 80.000 Kunden im Ruhrgebiet und am Niederrhein und beschäftigt dort über 1000 Menschen. In den letzten Wochen sind 200 neue Beschäftigte eingestellt worden. Die günstigen Angebote – niedrige Preise und kostenlose Lieferung – und damit die wachsenden Gewinne der Gesellschafter, gehen dabei zu Lasten der Beschäftigten.

Die WSWS erreichte eine Mail einer Beschäftigten, die für das Unternehmen im Ruhrgebiet arbeitet. Sie selbst wie die meisten ihrer Kollegen ist Studentin. Eingestellt ist sie über ein Zeitarbeitsunternehmen. Sie berichtet, dass Forderungen der Beschäftigten, sie selbst und vor allem die Kunden vor dem Coronavirus zu schützen, abgewiesen werden. Zwar sollen zukünftig auf jedem Elektro-Auslieferungswagen Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen, doch Atemschutzmasken werden nicht angeschafft. Dabei sind es gerade die Kunden, die geschützt werden müssten, weil sie meist zu Risikogruppen gehören.

Auch eine Erhöhung der niedrigen Löhne (10 Euro brutto Stundenlohn) wurde zurückgewiesen: Picnic sei nicht Amazon, in Deutschland ein junges Unternehmen usw. Mit anderen Worten: Die Geschäftsführung denkt nicht daran, ihr lukratives Geschäftsmodell für ein paar Euro an die Beschäftigten zu opfern, von der Gesundheit der Beschäftigten und der Kunden ganz zu schweigen.

In den USA haben sich bereits größere Proteste und Streiks bei Lebensmittel-Lieferdiensten und anderen Zulieferern, wie Instacart, Amazon und Whole Foods entwickelt. Gestern veröffentlichte die WSWS einen Aufruf der Socialist Equality Party zur Unterstützung dieser Kampfmaßnahmen.

Darin heißt es: „Es gibt keinen Grund, warum die Verteilung von Lebensmitteln und anderen wichtigen Gütern von Instacart, Amazon und anderen privaten Unternehmen betrieben werden sollte. Diese lebenswichtigen sozialen Dienstleistungen sollten stattdessen Teil einer zentral geplanten sozialistischen Wirtschaft sein, die auf die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse und nicht auf der Erzielung privater Gewinne ausgerichtet ist. Alle materiellen Ressourcen und menschlichen Kräfte der Gesellschaft müssen auf einer rationalen Basis zusammengeführt werden, um diese schreckliche Krankheit zu bekämpfen und darüber hinaus der Armut, sozialen Ungleichheit und Ausbeutung ein Ende zu setzen.“

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