Seehofer plant Verschärfung des europäischen Asylrechts

Kurz bevor die Bundesregierung am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) Pläne für eine weitere Verschärfung der europäischen Flüchtlingspolitik vorgelegt.

Kernstück sind die Internierung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen und die Durchführung von Asylschnellverfahren. Seehofers Vorschlag für eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) hebelt das internationale Flüchtlingsrecht vollständig aus und perfektioniert die perfide Flüchtlingsabwehr der EU.

Syrische Bootsflüchtlinge aus der Türkei bei der Ankunft auf Lesbos, Griechenland, September 2015 (AP Photo/Petros Giannakouris)

Die Not der Flüchtlinge nimmt weltweit immer gewaltigere Ausmaße an. Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, gab das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) bekannt, dass sich die weltweite Zahl der Flüchtlinge in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Knapp 80 Millionen Menschen befanden sich 2019 auf der Flucht, fast zehn Millionen mehr als noch vor einem Jahr, so viele wie noch nie. Knapp 30 Millionen mussten ihr Herkunftsland verlassen und in einem anderen Land Zuflucht suchen.

Doch die Europäische Union versperrt diesen verzweifelten Menschen systematisch den Zugang. Weniger als 10 Prozent der Flüchtlinge, die weltweit neu hinzugekommen sind, haben es geschafft, in einem EU-Mitgliedsstaat einen Antrag auf Asyl zu stellen. Die EU-Statistikbehörde hat für das Jahr 2019 gerade einmal 600.000 Asylerstanträge registriert.

In diesem Jahr lieferte die Corona-Pandemie dann den Regierungen einen willkommenen Vorwand, die Grenzen zu schließen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres an den Mittelmeerküsten und Landgrenzen Europas nur noch rund 25.000 Ankünfte gezählt. Dennoch plant Seehofers Innenministerium, den Flüchtlingsschutz in Europa bis zur Unkenntlichkeit zu zerstören.

Begründet wird dies mit dem Scheitern des Dublin-Systems, nach dem das EU-Land, das ein Flüchtling zuerst betreten hat, für die Durchführung seines Asylverfahrens und seine Versorgung zuständig ist. Dieses System hat dazu geführt, dass die Grenzstaaten – und insbesondere Mittelmeeranrainerstaaten Italien, Spanien und Griechenland – überproportional viele Flüchtlinge aufnehmen und versorgen mussten. Gleichzeitig scheiterte eine Einigung über die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU am Widerstand von Staaten, die keine oder nur wenig genutzte Außengrenzen haben.

Als Lösung schlägt Seehofer nun einen dreistufigen Plan vor, der die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge radikal reduziert und die illegalen Praktiken an den EU-Außengrenzen legitimiert und in EU-Recht überführt. Der Plan soll während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember realisiert werden.

Im internen Programm der Bundesregierung für die anstehende Ratspräsidentschaft heißt es: „Unter anderem wollen wir verpflichtende Verfahren an den EU-Außengrenzen einführen, um Asylanträge im Rahmen eines Vorverfahrens frühzeitig zu kategorisieren, zu prüfen, und bei offensichtlich fehlender Schutzbedürftigkeit die Einreise in die EU zu verweigern.“

Erster Pfeiler des Seehofer-Plans ist eine „verpflichtende Vorprüfung von Asylanträgen an der Außengrenze der EU“. Für die Dauer dieser „Vorprüfung“ – eines Schnellverfahrens ohne Einhaltung international verbindlicher Standards – ist durch „notfalls freiheitseinschränkende Maßnahmen sicherzustellen, dass sich der Einreisewillige nicht der Vorprüfung entzieht“, heißt es im Papier des Innenministeriums.

Gemeint ist damit, dass die EU an den Außengrenzen riesige Internierungslager errichtet, in denen sich Flüchtlinge rechtlich noch nicht auf dem Territorium der EU befinden. Dort sollen sie inhaftiert und aussortiert werden, so dass nur wenige Zugang zu einem regulären Asylverfahren erhalten.

Mit dem perfiden Taschenspielertrick, die Internierungslager rechtlich außerhalb des Territoriums der EU anzusiedeln, unterläuft Seehofer die für die EU-Mitgliedsstaaten bindenden Standards bei Asylverfahren, wie sie u.a. in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sind. Für die Schnellverfahren wird nach Seehofers Plänen eine neu zu gründende Europäische Asylbehörde (EUAA) zuständig sein, während die europäische Grenzschutzbehörde Frontex die Aufgabe übernimmt, die aussortierten Flüchtlinge zu deportieren. Zu diesem Zweck soll sie massiv ausgebaut werden. Beide Behörden würden rechtlich in einer Grauzone agieren.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl hat die Pläne aus dem Innenministerium deshalb scharf kritisiert. „Wir lehnen Massenverfahren an den Grenzen ab“, sagte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Bei Asylverfahren an den EU-Außengrenzen könnten Betroffene weder eine anwaltliche Vertretung bekommen noch sei eine gerichtliche Überprüfung behördlicher Fehlentscheidungen möglich. „In Haftlagern wird der Rechtsstaat faktisch außer Kraft gesetzt“, so Burkhardt.

Zweiter Pfeiler von Seehofers Plan ist die Verteilung von Asylsuchenden mit bestandener Vorprüfung auf die Mitgliedsstaaten der EU. Da Ungarn, Polen, Tschechien und Österreich feste Quoten kategorisch ablehnen, hat Seehofer das Prinzip der „flexiblen Solidarität“ in sein Papier aufgenommen.

In Brüssel habe sich dafür die „griffige Übersetzung“ etabliert, dass „die einen Flüchtlinge nehmen und die anderen Pferdedecken liefern“, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Staaten, die sich weigern, auch nur einen Flüchtling aufzunehmen, sollen Polizisten und Grenzsoldaten entsenden, um Flüchtlinge an der EU-Außengrenze aufzuhalten. Die Grenzpolizisten und -soldaten aus diesen Ländern sind für ihre Brutalität beim Umgang mit Asylsuchenden berüchtigt.

Der dritte Pfeiler soll verhindern, dass Flüchtlinge aus dem Land, dem sie zugeteilt worden sind, in ein EU-Mitgliedsstaat ihrer Wahl weiterziehen. „Unterkunft und Sozialleistungen werden ausschließlich im zuständigen Mitgliedsstaat gewährt“, heißt es dazu in Seehofers Papier. Ein Asylantrag in einem anderen Mitgliedsstaat soll umgehend als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt und der Antragsteller in den zuständigen Staat zurückgeschoben werden.

Das in Seehofers Papier umrissene Verfahren deckt sich weitgehend mit den Plänen, die in der EU-Kommission vorbereitet werden. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wollte ursprünglich schon im März einen Entwurf für ein zukünftiges Europäisches Migrations- und Asylsystem vorlegen, der jetzt aber erst Ende Juni präsentiert werden soll.

EU-Kommissionsvizepräsident Margeritis Schinas hat aber kürzlich erklärt, dass EU-Behörden und EU-Regeln im neuen System vom ersten Moment an greifen würden, „damit wir sehr schnell unterscheiden können, wer für einen Asylanspruch in Frage kommt und wer nicht“. Die EU-Kommission bemüht sich wie Seehofer um eine Verschärfung der Flüchtlingsabwehr an den Außengrenzen.

Vieles von dem, was Seehofer und die EU-Kommission vorschlagen, wird in einzelnen EU-Staaten bereits praktiziert. Seehofer tritt im Wesentlichen für eine Kombination der unmenschlichsten Praktiken ein.

Die Internierung und Asylvorprüfung an den EU-Außengrenzen wird in den Hotspots auf griechischen Inseln, wie Moria auf Lesbos, praktiziert und hat zu katastrophalen Bedingungen in diesen Lagern geführt. Ein ähnliches Verfahren mit geschlossenen Flüchtlingslagern hat Deutschland mit den Anker-Zentren geschaffen.

Die Rücknahme aussortierter Asylbewerber ist Bestandteil des schmutzigen Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Die Zurückschiebung in den für das Asylverfahren zuständigen Staat wird bereits im Dublin-Verfahren praktiziert, und das Vorenthalten von Sozialleistungen ist gängige Praxis in vielen EU-Staaten. Zuletzt hat die griechische Regierung beschlossen, anerkannten Asylbewerbern keine Unterstützung mehr zukommen zu lassen, mit der Folge, dass immer mehr Flüchtlinge obdachlos werden und in den Innenstädten campen und betteln müssen.

Internierungslager und Vorprüfungen, die rechtlich außerhalb des EU-Territoriums stattfinden, gibt es in ähnlicher Weise bisher nur im Ungarn Viktor Orbáns. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Praxis jüngst als Verstoß gegen geltendes EU-Recht verurteilt. Die Verhältnisse im Lager bei Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze glichen einer Inhaftierung, befanden die Luxemburger Richter. Asylbewerber dürften aber nur inhaftiert werden, wenn vorher eine begründete Anordnung getroffen worden sei.

Das UNHCR äußerst sich ebenfalls besorgt darüber, dass sich die EU noch stärker gegen Flüchtlinge abschotten will. „Wir bitten die Länder dringend, ihre Grenzen nicht aufzurüsten“, heißt es in einer Mitteilung an die EU, die diese auffordert, internationale Verpflichtungen zu beachten.

Anlass waren Berichte über stark zunehmende Push-backs an den europäischen Außengrenzen. Die griechische Küstenwache geht danach gewaltsam gegen Flüchtlingsboote vor, zerstört die Luftkammern der Schlauchboote, baut den Motor ab und verdrängt die Boote aus griechischen Gewässern. Zudem sollen Flüchtlinge auf Rettungsinseln ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen worden sein. Anfang März hatten griechische Soldaten mit scharfer Munition auf Flüchtlinge an der Landgrenze zur Türkei geschossen und dabei mindestens drei Flüchtlinge getötet.

Die maltesische und die italienische Küstenwache haben ebenfalls die Rettung von Flüchtlingen im zentralen Mittelmeer verweigert und ihre Häfen für Flüchtlinge unter dem Vorwand der Corona-Pandemie geschlossen. Zudem charterten sie ein Fischerboot, um aufgegriffene Flüchtlinge wieder zurück in die unmenschlichen libyschen Haftlager zu deportieren. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Non-Refoulment-Gebot.

Griechenland hat Asylverfahren über Monate komplett ausgesetzt.

Die kroatischen Grenzpolizisten misshandeln systematisch Flüchtlinge, die nahe der Grenze zu Bosnien-Herzegowina aufgegriffen werden. Sie wurden geschlagen, beraubt und kürzlich sogar mit Farbkreuzen auf ihren Köpfen malträtiert. In all diesen Fällen wurde den Flüchtlingen das Recht, einen Asylantrag zu stellen, vorenthalten. Seehofers Plan wird solchen völkerrechtswidrigen Praktiken weiter Vorschub leisten.

Wie Hohn muss es da den Flüchtlingen vorkommen, wenn die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johannson und der Hohe Vertreter für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, anlässlich des Weltflüchtlingstags in einer Presserklärung behaupten: „Die Europäische Union bekräftigt ihre ungebrochene Solidarität mit den Millionen Menschen, die aus ihrem Land fliehen und bisweilen ihre Familien zurücklassen müssen, weil ihre Heimat nicht mehr sicher ist.“ Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, als diese dreiste Lüge.

Johannson und Borrell fahren fort: „Die EU setzt sich für die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention ein, die der Eckpfeiler für den Schutz von Flüchtlingen ist. Zudem setzt sie auf die Wahrung des Rechts auf Asyl und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, wie sie in der EU-Grundrechtecharta verankert sind. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass auch während der Coronavirus-Pandemie diese Grundprinzipien weiterhin weltweit gelten, damit die Bedürftigen weiterhin Zugang zu Verfahren für internationalen Schutz haben und Schutz finden können.“

Die Ereignisse der letzten Wochen – die gezielte Misshandlung von Flüchtlingen, die systematische Verweigerung von Asylverfahren, das Vorgehen gegen Flüchtlinge im Mittelmeer, die massenweise ertrinken – zeigen, dass genau das Gegenteil geschieht. Die Pläne Seehofers zielen darauf ab, den bereits vollzogenen Bruch des Völkerrechts zu legitimeren, zur allgemeinen EU-Praxis zu machen und die Abschottung Europas gegen Flüchtlinge zu perfektionieren.

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