Vier-Tage-Woche: IG Metall plant nächsten Angriff auf Löhne und Arbeitsplätze

Die Gewerkschaft IG Metall will den rund 4 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie empfindliche Lohnkürzungen verordnen.

Vier Wochen nachdem IGM-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner gewarnt hat, in der Metall- und Elektrobranche seien 300.000 Arbeitsplätze in Gefahr, schlägt IGM-Chef Jörg Hofmann eine Vier-Tage-Woche mit heftigen Lohneinbußen vor. „Ich stelle den Vorschlag zur Diskussion, in der kommenden Tarifrunde eine Vier-Tage-Woche als Option für die Betriebe zu vereinbaren“, sagte er der Süddeutschen Zeitung am Wochenende.

Unternehmen wie Daimler, ZF Friedrichshagen und Bosch hätten erst jüngst kürzere Arbeitszeiten vereinbart. „Künftig sollte allen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie dieser Weg offenstehen.“ Dass damit massive Lohnkürzungen einhergehen, hatte Hofmann selbst schon angedeutet, in dem er nur von „einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten“ redete. Die Betriebe sollten selbst entscheiden können, in welchem Ausmaß und mit welchem Lohnausgleich die Arbeitszeit verkürzt werde.

Mit der Vier-Tage-Woche will Hofmann nicht die Folgen der Corona-Krise ausgleichen, die Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht, sondern sie sei „die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie“. Um den Konjunktureinbruch aufgrund der Corona-Pandemie abzufedern, sei die Kurzarbeit da, so Hofmann. Deren Bezugsdauer wird, wie von der IG Metall gefordert, von zwölf auf 24 Monate verlängert, kündigte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Wochenende an.

Für betroffene Arbeiter bedeutet dies, dass sie bis März 2022 mit erheblichen Einkommenseinbußen leben müssen, die durch die Tarifpolitik der IGM zusätzlich verschärft werden. Seit fast drei Jahren hat die Gewerkschaft Nullrunden bei den Löhnen abgeschlossen, so lange sind die Entgelttabellen nicht geändert worden.

Im Frühjahr 2018 war erstmals in einen Tarifvertrag die Wahlmöglichkeit „Zeit statt Geld“ vereinbart worden. Für die Dauer von zwei Jahren konnten Beschäftigte die Arbeitszeit auf 28,8 Stunden pro Woche verkürzen. Diese Reduzierung ging mit entsprechenden Lohnkürzungen einher, es gab nur einen minimalen Lohnausgleich.

Eigentlich sollten dann zu Beginn des Jahres neue Tarifverhandlungen stattfinden. Doch IG Metall und Unternehmen nutzten die beginnende Corona-Pandemie, um einen weiteren Lohnstopp bis Ende des Jahres zu beschließen.

Neben dem Lohnstopp enthielt der Tarifvertrag, den als erstes die IGM in Nordrhein-Westfalen abschloss, auch Regelungen zur Aufstockung des Kurzarbeitergelds von 60 (bei Eltern 67) auf 80 Prozent – und zwar auf Kosten der Betroffenen selbst. Die Aufstockung wird nämlich durch die „Abschmelzung“ von Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld finanziert. Eine ähnliche Regelung hatte die IG Metall schon während der Finanzkrise 2008/09 vereinbart.

Kommt jetzt noch eine 20-prozentige Arbeitszeitverkürzung ohne oder mit nur geringem Lohnausgleich hinzu, wird es für viele Arbeiter eng und gefährdet ihre Existenz.

In Medien, Politik und Wirtschaft traf der Vorschlag sofort auf Resonanz. Wirtschaftsvertreter stellten klar, dass es gar keinen Lohnausgleich geben werde. Die Absenkung der Arbeitszeit sei generell ein „sinnvolles Instrument“, sagte Bertram Brossardt, Chef des Verbands der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, gegenüber dem Handelsblatt. Das gelte allerdings nur „bei gleichzeitiger Absenkung der Lohnkosten“.

Der Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, sagte: „Die deutsche Wirtschaft erleidet gerade einen riesigen Produktivitätsschock. Eine Vier-Tage-Woche mit Lohnausgleich verschärft diesen Schock noch.“ Während die Bundesregierung mit ihren Corona-Programmen über eine Billion Euro auf die Konten der Unternehmen leitet, sollen die Beschäftigten also mit Lohnkürzungen dafür zahlen.

„Ich finde, das ist eine sehr vertretbare und gut überlegte Idee der Gewerkschaften“, sagte Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz der Bild-Zeitung dazu.

Lob kam auch aus den Reihen von Grünen und Linken. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping hatte sich bereits vor Wochen für eine 30-Stunden-Woche ausgesprochen. Nun erklärt sie, für den Vorschlag der IG Metall gebe es gute Gründe: „Die Erfahrung zeigt, dass Arbeitszeitverkürzung Beschäftigte glücklicher, gesünder und produktiver macht.“

An Zynismus ist dies kaum zu überbieten. Kipping weiß natürlich, dass mit der Arbeitszeitverkürzung nicht nur das Einkommen sinkt, sondern auch der Stress steigt. Ein „Kollege aus der Entwicklung“ bei Bosch, wo die Wochenarbeitszeit von August bis Ende des Jahres ohne Lohnausgleich um 10 Prozent verkürzt wird, berichtete der Linken-nahen Zeitung Junge Welt, die Arbeit werde „in seiner Abteilung nicht weniger“, sondern sie müsse „jetzt einfach in kürzerer Zeit erledigt werden“.

Ähnlich wie bei Bosch hat die IG Metall auch beim zweiten großen Autozulieferer ZF-Friedrichshafen und bei Daimler die Drohung des Arbeitsplatzabbaus genutzt, um Löhne zu senken. Bei ZF werden 50.000 Beschäftigten Arbeitszeit und Gehälter um 20 Prozent gekürzt. Zusätzlich müssen sie auf die tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 400 Euro verzichten. Dabei nimmt ZF seine Pläne nicht zurück, bis 2025 15.000 Arbeitsplätze abzubauen. Die Konzernspitze hat lediglich zugestimmt, bis 2022 den Arbeitsplatzabbau nicht über betriebsbedingte Kündigungen, sondern über Fluktuation, Altersteilzeit und Abfindungen umzusetzen.

Auch bei Daimler hat die IG Metall einen ähnlichen Deal abgeschlossen, der unter anderem ab Oktober die Arbeitszeit für ein Jahr um 5,71 Prozent senkt und die tarifliche Sonderzahlung in freie Tage umwandelt.

Die Technik, mit der Drohung von Arbeitsplatzabbau die Arbeitszeit zu verkürzen und Löhne zu senken, hat die IG Metall schon vor über 25 Jahren entwickelt. 1994 vereinbarte sie bei VW eine Vier-Tage-Woche (28,8-Stunden). Anlass war damals die Drohung von 30.000 Entlassungen. Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit führte zu einer 16-prozentigen Lohn- und Gehaltseinbuße.

Im Jahr 2006 hat VW die Vier-Tage-Woche dann wieder abgeschafft. Die Regelarbeitszeit wurde ohne entsprechende Lohnerhöhung auf 35 Wochenstunden erhöht. Für VW sind in dieser Zeit die Lohnkosten entsprechend gesunken. Die Gewinne der Aktionäre sind seitdem explodiert, genauso wie die Gehälter der Vorstandsetage – und der führenden Betriebsräte.

Auch in der Stahlindustrie – 2013 beim Thyssenkrupp-Stahlkonzern und 2017 bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann in Duisburg – nutzt die IGM Arbeitszeitverkürzungen, um Löhne zu senken. Die Unternehmensverbände werden durch diese Politik ermutigt, immer neue Kürzungen zu fordern.

Südwestmetall, der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg, hat erst im Juni mit der Gewerkschaft ein „Corona-Tarifpaket“ abgeschlossen. Es kürzt unter anderem bis Ende 2020 Spät- und Nachtzuschläge, ermöglicht die Verschiebung des Urlaubsgeldes um zwei Monate und verkürzt die Mindestruhezeit von elf auf neun Stunden.

Für Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall, sei das „enttäuschend wenig“, schreibt die Junge Welt. Die IG Metall müsse endlich „auf Flächentarifvertragsebene zulassen, dass Personalabbau und Einschnitte für die verbleibenden Beschäftigten gleichzeitig vereinbart werden können“.

Arbeiter stehen vor der Aufgabe, mit den Gewerkschaften und ihren gekauften Betriebsräten zu brechen, unabhängige Aktionskomitees zu bilden, sich international zusammenzuschließen und für ein sozialistisches Programm zu kämpfen. Wir rufen dazu auf, mit der WSWS Kontakt aufzunehmen, um über diese Fragen zu diskutieren und einen gemeinsamen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne zu organisieren.

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