Zensur im Internet: Ein Interview mit WSWS-Redakteur Andre Damon

Das folgende Interview, das ursprünglich auf TK News veröffentlicht wurde, führte der Journalist Matt Taibbi. Er ist Redakteur für das Rolling Stone Magazin und wurde mit dem National Magazine Award ausgezeichnet. Er ist Autor mehrerer kritischer Bücher zu zeitgenössischen Themen.

Im Oktober berichtete die New York Post, dass mehrere Social Media Accounts von Hunter Biden, Sohn des designierten US-Präsidenten Joe Biden, blockiert wurden. Roger Waters, Lead-Sänger von Pink Floyd, protestierte am 15. November aufgrund eines ähnlichen Vorfalls gegen Twitter, fand in den Medien aber kaum Aufmerksamkeit. Es ging um Folgendes:

Wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen von Twitter (siehe Erklärung unten), wurde der Account der IYSSE, (Jugend- und Studierendenbewegung der Sozialistischen Gleichheitsparteien) gesperrt. Nach neun Tagen wurde die Sperre wieder aufgehoben, was in Zeiten zunehmender Zensurmaßnahmen des Internets eine kleine Sensation gewesen sein dürfte.

Weniger überraschend war allerdings, dass eine weitere Organisation, die mit der World Socialist Web Site in Verbindung steht, ebenfalls einer „inhaltlichen Moderation“ zum Opfer gefallen ist. Was neue Formen der Zensur und Einschränkungen der Redefreiheit anbelangt, so erfüllte die WSWS in den letzten vier Jahren mehrfach dieselbe Funktion wie früher für Bergleute der mitgeführte Kanarienvogel: ein Frühwarnsystem für heraufziehendes Unheil.

Erst im Mai 2019 wurden viele Amerikaner auf diese Art der Moderation aufmerksam, als sich einige Social Media Plattformen zusammenschlossen und die Accounts von Persönlichkeiten wie Alex Jones und Milo Yiannopolis verboten. Schnell verbreitete sich die Legende, dass ausschließlich rechte Inhalte von solchen Zensurmaßnahmen betroffen wären. Doch es war die WSWS, die bereits lange vorher Alarm schlug und darauf aufmerksam machte, dass progressive linke Webseiten zunehmend durch inhaltliche Moderation eingeschränkt werden. Bereits im August 2017 wandte sich die WSWS mittels eines offenen Briefes an Google und forderte, dass das Unternehmen diese sowie andere Websites von seiner „schwarzen Liste“ nimmt.

Wie viele andere alternative Nachrichtenseiten auch, stellte die WSWS zwischen 2016 und 2017 einen starken Rückgang ihrer Besucherzahlen fest. Besonders nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wurden die Rufe nach der Eindämmung sogenannter „Fake News“ immer lauter. Entschlossen, diesem Rückgang auf den Grund zu gehen, führte die WSWS eine Reihe von Analysen durch. Die Ergebnisse waren derart eindeutig, dass sich Zeitungen wie die New York Times des Themas annahmen. In ihrem offenen Brief an Google beschrieb die WSWS die nicht nachvollziehbaren Veränderungen von Suchergebnissen, die den Inhalt der Webseite betrafen:

Hatten Google-Suchen nach „Leon Trotsky“ im Mai dieses Jahres noch 5893 Impressionen (Links zur WSWS in Suchergebnissen) ergeben, zeigte dieselbe Suche im Juli keine einzige Impression für die WSWS, die Internet-Publikation der internationalen Bewegung, die 1938 von Leo Trotzki gegründet wurde.

Die WSWS stellte einen Zusammenhang zwischen den Zensurmaßnahmen und dem „Project Owl“ her, einer von Google im Jahr 2017 gestartete Initiative, um „minderwertigen Content“ aus seinen Sucherergebnissen zu verbannen. Als ich etwa ein Jahr später bei Google anrief, da ich eine Story zu einem ähnlichen Thema schreiben wollte, erklärte man mir, der Begriff der „Zuverlässigkeit“ von Inhalten sei Bestandteil eines Lernprozesses, um Informationen richtig zu gewichten. Mir wurde erklärt, dass mich eine vorangegangene Suche nach dem Begriff „Baseball“ vielleicht zunächst auf eine Seite der lokalen Kreisliga geführt hätte. Nun würde mich eine erneute Suche direkt zur US-amerikanischen Major Baseball League führen.

Ausschlaggebend ist allerdings, dass Google seinen Nutzern alternative Quellen nun vorenthielt – ein Artikel der New York Times über Trotzkismus würde in den Suchergebnissen nun sehr viel weiter vorne platziert, als einer der weltweit führenden Online-Zeitung der internationalen trotzkistischen Bewegung. Um auf alternative Websites zu gelangen, die alle einen starken Rückgang ihrer Anfragen über Google verzeichneten, müssten die Suchanfragen auf den Punkt formuliert werden.

Die WSWS zählte viele der weiteren linken Publikationen auf, deren Suchanfragen zurückgingen: alternet.org verzeichnete einen Rückgang um 63 Prozent, commondreams.org um 37 Prozent, democracynow.org um 36 Prozent sowie truth-out.org um 25 Prozent usw. Auch die Suchanfragen für WikiLeaks gingen um 30 Prozent zurück, obwohl sich die internationale Presse damals über eine mögliche Beeinflussung des Wahlkampfs in den Vereinigten Staaten durch Russland die Finger wundschrieb.

Seither war die WSWS eine der wenigen größeren Publikationen in den USA, die sich regelmäßig mit derartigen Zensurmaßnahmen beschäftigte. Dabei wurde häufig auf verfassungsrechtliche Prinzipien verwiesen, was in traditionellen „liberalen“ Publikation seltsamerweise oftmals fehlte. Damit hat sich die WSWS bei verschiedenen Social-Media-Plattformen als unliebsamer Kritiker einen gewissen Bekanntheitsgrad erarbeitet. Erst kürzlich verwies der Geschäftsführer von Google, Sundar Pichai, in einer Senatsanhörung auf die WSWS, als der Republikaner Mike Lee aus Utah ihn dazu aufforderte, eine „bekannte Person oder Organisation“ aus dem linken Spektrum zu nennen, die er zensiert hatte.

TK News führte ein Interview mit Andre Damon, Autor und Redakteur der WSWS, um mehr zu den Hintergründen über die Zensurmaßnahmen zu erfahren:

TK: Vor kurzem gab es einen Vorfall, der den Twitter-Account der International Youth and Students for Social Equality betraf. Können Sie erklären, was passiert ist? Hatte die WSWSbereits in früheren Jahren Probleme mit Twitter?

Damon: Am 11. November sperrte Twitter ohne jede Erklärung den Account der International Youth and Students for Social Equality (US). Die IYSSE ist die Studierendenorganisation der Sozialistischen Gleichheitsparteien auf der ganzen Welt und mit der World Socialist Web Siteverbunden.

Als wir Twitter anschrieben und die Entsperrung des Accounts forderten, erhielten wir nur eine vage Antwort, in der angedeutet wurde, dass die IYSSE offenbar mehrere Accounts betreibt. Wir antworteten, dass die IYSSE offiziell anerkannte Hochschulgruppen auf der ganzen Welt hat, darunter an der New York University, der University of Michigan und der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie mit mehreren Sitzen im Studierendenparlament vertreten ist. Jede dieser Hochschulgruppen hat legitimerweise eine eigene Social-Media-Präsenz.

Twitter führte also einen lächerlichen Vorwand an, um die Sperrung des Accounts zu rechtfertigen. Diese Zensurmaßnahme stieß auf eine Menge Opposition. Der Mitbegründer von Pink Floyd, Roger Waters, und das weltweit bekannte Modell Andrea Pejić sprachen sich gegen die Zensur aus, genau wie Dutzende weitere User. Neun Tage später gab Twitter den Account wieder frei, abermals ohne eine ernsthafte Erklärung.

TK: Wann hat sich die WSWS zum ersten Mal mit Zensurmaßnahmen, der Moderation von Inhalten – oder wie auch immer man es nennen möchte – in den Sozialen Medien auseinandergesetzt? Wie würden Sie das bezeichnen? Betrifft die verstärkte inhaltliche Moderation den ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten, der die Redefreiheit garantiert?

Damon: Es ist Zensur und steht definitiv im Zusammenhang mit dem ersten Zusatzartikel der Verfassung.

Im Juli 2017 stellten wir fest, dass die Zahl der Besucher, die über Suchanfragen bei Google auf unsere Website gelangten, um mehr als 75 Prozent zurückgegangen war. Wir wandten uns an die Betreiber anderer Websites und Experten für Suchmaschinenoptimierung. Dabei stellten wir fest, dass die WSWS eine von über einem Dutzend linker Webseiten war, deren Suchverkehr ebenfalls eingebrochen war.

Auf der Suche nach einer Erklärung stießen wir auf einen Blog-Beitrag von Ben Gomes, damals zuständig für die Sucharchitektur bei Google, in dem er ankündigte, dass das Unternehmen Änderungen an seinem Algorithmus vornehmen wird, um sogenannte „Fake News“ einzudämmen. In dem Beitrag hieß es, Google werde eine kleine Armee von Testpersonen anheuern, um Suchergebnisse zu überprüfen und zu bewerten. Die Tester wurden angewiesen, jede Suche, die zu „alternativen Standpunkten“ führte, als schlecht zu bewerten. Das System wurde intern „Project Owl“ genannt und später auch in der Öffentlichkeit als solches bekannt.

Es stellte sich heraus, dass der Rückgang des Suchverkehrs auf der WSWS und auch auf anderen linken Websites durch diese Änderung des Google-Algorithmus verursacht worden war.

Das Vorgehen von Google war das Ergebnis einer weitreichenden und zudem parteiübergreifenden Kampagne, die allerdings von den Demokraten und ihren Vertretern in den Medien angeführt wurde. Es wurde behauptet, die soziale Opposition innerhalb der USA sei aufgrund ausländischer Beeinflussung entstanden, insbesondere durch Russland. Um diese angebliche Beeinflussung zu stoppen, sei es notwendig, die Opposition, die die Russen versuchen „anzuheizen“, zu zensieren.

Bei verschiedenen Anhörungen in Washington forderten führende Demokraten wie Mark Warner und Adam Schiff immer wieder, dass Google, Facebook und Twitter linke Inhalte zensieren. Dabei handelte es sich einen klaren und eklatanten Verstoß gegen den ersten Verfassungszusatz. Dieser besagt, dass der Kongress keine Befugnis hat, die Meinungsfreiheit einzuschränken. In diesem Fall forderte der Kongress Privatunternehmen dazu auf, genau das zu tun. Gleichzeitig drohte er, sie zu regulieren oder Geldstrafen zu verhängen, sollten sie sich nicht daran halten.

Im August 2017 schickte die WSWS einen offenen Brief an die Führungskräfte von Google und forderte, „dass Google die undemokratischen Veränderungen, die es seit April beim Ranking der Suchergebnisse und beim Suchalgorithmus vollzogen hat, rückgängig macht.“ Im Januar 2018 riefen wir zur Bildung eines „internationalen Bündnisses gegen Internetzensur“ auf.

In seinem Antwortschreiben bestritt Google jegliche Zensurmaßnahmen, gab jedoch keine Erklärung für das Vorgehen. Umso bemerkenswerter ist, dass Google-CEO Sundar Pichai diesen Monat eingestanden hat, dass die WSWS tatsächlich zensiert wird.

Senator Mike Lee fragte Pichai: „Können Sie mir eine bekannte Person oder Organisation mit einer linksliberalen Ideologie nennen, die Sie zensiert haben?“ Dieser antwortete: „Wir hatten Compliance-Probleme mit der World Socialist Review [sic], einer links orientierten Publikation.“

Damit bestätigte sich alles, was die WSWS in ihrer Kampagne gegen die Zensur des Internets gesagt hatte.

TK: Welche anderen Social-Media-Plattformen haben versucht, die Inhalte der WSWS zu regulieren?

Damon: Die World Socialist Web Site wurde ohne Begründung sowohl aus r/politics als auch aus r/coronavirus, zwei große Unterforen der Plattform Reddit, verbannt. Letzteres ist besonders empörend, da wir die Position der WHO [Weltgesundheitsorganisation] – dass die Ausbreitung von Covid-19 eingedämmt werden kann – von allen Nachrichtenwebsites am konsequentesten vertreten haben. Die New York Times hat über ein Dutzend Artikel von Thomas Friedman veröffentlicht, in denen für eine Herdenimmunität plädiert wird – sprich, das Virus ungeachtet der Gefahren für Leib und Leben in der Bevölkerung wüten zu lassen. Und das alles auf Grundlage von Behauptungen pseudowissenschaftlicher Quacksalber.

Außerdem hat uns auch Facebook wiederholt daran gehindert, Veranstaltungen zu erstellen. Der letzte Vorfall betraf ein Event mit der Bezeichnung „Trumps Wahlkomplott und die Gefahr einer Diktatur“. Als wir der Veranstaltung einen allgemeineren Namen gaben, konnten wir sie auf Facebook posten.

TK: Warum hat sich die WSWSdazu entschieden,ausführlich über das „1619 Project“ des New York Times Magazines zu berichten, und wie reagierten die Social-Media-Plattformen darauf?

Damon: Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum die WSWS zum „1619 Project“ Stellung bezogen hat: Zum einen, weil es sich um Geschichtsfälschung handelt. Die beiden großen demokratischen Revolutionen – der Kampf für die Unabhängigkeit 1775 bis 1783 sowie der Bürgerkrieg 1861 bis 1865 – werden verdreht, obwohl sie zu den fortschrittlichsten Ereignissen der Weltgeschichte zählen. Und zum anderen, weil der politische Zweck des Projekts darin besteht, eine Politik des rassistischen Kommunalismus zu fördern.

Die Autoren des „1619 Project“ behaupten fälschlicherweise, dass die Revolution, die zur Gründung der Vereinigten Staaten führte, dazu diente, die Sklaverei aufrecht zu erhalten und auszuweiten. Hier wird die Geschichte gezielt gefälscht.

Der politische Zweck des „1619 Project“ beruht auf der ebenfalls falschen Behauptung, dass Afroamerikaner für ihre Befreiung „alleine kämpften“. Damit soll die Klassensolidarität zwischen weißen und schwarzen Arbeitern geschwächt werden. Es ist eine grundlegende und unbestreitbare Tatsache, dass Hunderttausende Weiße aus den Nordstaaten, viele von ihnen Handwerker, Bauern oder Gewerbetreibende, ihr Leben im Bürgerkrieg geopfert haben. Sie alle kämpften unter dem Banner der Schlachthymne der Republik: „Als Befreier sterben wir“.

Dies beweist, dass es möglich ist, eine Bewegung der Arbeiterklasse zu schaffen, in der verschiedene Ethnien, Religionen und Nationalitäten vereint sind. Die Losung der Marxisten, die auf das Kommunistische Manifest zurückgeht, lautet „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ und nicht „Rassen aller Ländern, bekämpft euch!“

Die WSWS hat in Zusammenarbeit mit den weltweit führenden Historikern, die zur amerikanischen Revolution und zum Bürgerkrieg forschen, die zentrale Prämisse des „1619 Project“ als vollkommen falsch entlarvt.

Im November vergangenen Jahres hat die WSWS Interviews mit Gordon Wood, James McPherson, James Oakes, Victoria Bynum und Clayborne Carson veröffentlicht. Diese Historiker widerlegten die Behauptung, die amerikanische Revolution sei ein Aufstand zur Verteidigung der Sklaverei gewesen. Sie stellten außerdem klar, dass weder sie noch einer ihrer Kollegen, die ebenfalls führenden Spezialisten auf dem Gebiet sind, jemals zum „1619 Project“ konsultiert wurden.

Unsere Berichterstattung über das „1619 Project“ offenbart den eigentlichen Zweck der Zensur des Internets. Google behauptet, dass seine Zensurmaßnahmen darauf abzielen, „zuverlässige“ und „originäre“ Inhalte zu fördern, während „alternative“ Standpunkte zurückgestuft werden sollen.

Es gibt keine Berichterstattung zum „1619 Project“, die „zuverlässiger“ wären als die Interviews der WSWS mit den genannten Historikern. Wood und McPherson gelten allseits als führend auf dem Gebiet der amerikanischen Geschichte, und die Interviews mit ihnen haben dazu geführt, dass Tausende weitere – sowohl befürwortende als auch ablehnende – Artikel über das „1619 Project“ geschrieben wurden.

Im Gegensatz dazu beruhte das „1619 Project“ darauf, genau jene „zuverlässigen“ Quellen abzulehnen, die die Autoren nie konsultiert haben.

Es stellt sich also die Frage, warum man bei einer Google-Suche nach dem „1619 Project“ erst auf die dritte Ergebnisseite klicken muss, um auch nur auf einen Artikel der WSWS darüber zu stoßen. Warum werden die Interviews mit Wood und McPherson nicht angezeigt?

Die Antwort ist, dass die Zensurmaßnahmen von Google nichts damit zu tun haben, die User dabei zu unterstützen, „zuverlässige“ Quellen zu finden. Sie dienen einzig und allein dazu, Inhalte, die sich gegen das politische Establishment in den USA richten, zurückzustufen und solche, die damit im Einklang stehen, zu fördern.

TK: Bisher waren von den Zensurmaßnahmen eher Konservative wie Alex Jones oder die Anhänger der Q-Bewegung betroffen. Sie sagten, dass das eigentliche Ziel der inhaltlichen Moderation darin bestehe, linke Kapitalismuskritik zu unterdrücken. Halten Sie es für möglich, dass das Vorgehen gegen bekannte Konservative dazu dient, die Maßnahmenbei Liberalen in ein besseres Licht zu rücken? Oder sehen Sie da noch ein anderes Motiv?

Damon: Die World Socialist Web Site geht nicht davon aus, dass die Zensur von Faschisten ein wirksames Mittel zu ihrer Bekämpfung ist. Es verleiht nur ihren falschen Behauptungen Glaubwürdigkeit, sich gegen das Establishment zu richten. Die Faschisten erhalten hochrangige Unterstützung von der Finanzoligarchie, vom Staat, der Polizei und vom Militär. Sie zu zensieren macht sie letztlich stärker.

An der Berliner Humboldt-Universität führt die IYSSE eine studentische Kampagne gegen rechtsextreme Professoren an, die im Lehrbetrieb eine führende Rolle spielen. Dazu zählt beispielsweise Jörg Baberowski, der im Spiegel sagte, „Hitler war nicht grausam.“ Die rechte Presse in Deutschland griff uns an, weil angeblich versuchen, Baberowski und andere zu „zensieren“. Das stimmt so aber nicht. Wir führen diesen Kampf, in dem wir Studierenden und der Bevölkerung mitteilen, was diese Leute tatsächlich machen, sagen und wofür sie stehen! Wir bekämpfen den Faschismus, indem wir die Wahrheit darüber aussprechen und seine Verbindungen zu den höchsten Ebenen des Staates aufdecken.

Das eigentliche Ziel von Zensur sind immer Linke.

TK: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen alldem und der langen Tradition, linke Standpunkte in den USA zu unterdrücken?Oder liegt dem ein anderes Motiv zugrunde?

Damon: In den USA gibt es eine lange Tradition des Antikommunismus. Die meisten Argumente, mit denen Zensurmaßnahmen gerechtfertigt werden, stammen aus der McCarthy-Ära oder den Zeiten der John Birch Society. Oder auch von Anhängern der Rassentrennung in den Südstaaten, die behaupteten, dass Schwarze mit den Jim-Crow-Gesetzen zufrieden wären, wenn nur „Agitatoren von außen“ nicht ständig Ärger schüren würden.

TK: Wie antworten Sie, wenn man zu Ihnen sagt, dass Privatunternehmen das Recht haben, auf ihren Social Media Plattformen zu tun, was sie wollen?

Damon: Nun, von einem rechtlichen Standpunkt ausgesehen, haben Privatunternehmen nicht das Recht, zu tun was sie wollen. Ein Restaurantbesitzer kann einen Gast nicht aufgrund seiner Hautfarbe aus seinem Restaurant werfen. UPS kann nicht sagen, dass sie ein Paket nicht zustellen, weil sie mit der politischen Ansicht ihres Kunden nicht übereinstimmen. Die Technologieunternehmen bieten eine unverzichtbare soziale Dienstleistung an, dasselbe gilt für private kommunale Abfallentsorger und private Paketzusteller. Sie haben nicht das Recht, Menschen aufgrund ihrer politischen Ansichten zu diskriminieren.

TK: Haben Sie in letzter Zeit festgestellt, dass es in den USA zu einer Veränderung in der Einstellung zur Redefreiheit gekommen ist? Welche Haltung nimmt die politische Linke in dieser Frage ein?

Damon: Nach meinen Erfahrungen fühlt sich die amerikanische Arbeiterklasse den Prinzipien der Meinungsfreiheit sehr stark verpflichtet.

Bei der wohlhabenden oberen Mittelschicht sieht das schon wieder anders aus. Seit Jahren unterstützen sogenannte pseudolinke Parteien und Organisationen eine Hexenjagd nach der anderen gegen kulturelle und intellektuelle Persönlichkeiten, setzen eine Anklage mit einer Verurteilung gleich und geben sich erst zufrieden, wenn Karrieren zerstört sind. Den rechten Charakter solcher Kampagnen kann an den Angriffen auf Roman Polanski ablesen, dessen brillanter Film über die Dreyfus-Affäre von bürgerlichen Feministinnen und Antisemiten gleichermaßen verurteilt wurde.

Ihre Leser, die mit den Inhalten der WSWS nicht vertraut sind, werden erleichtert sein zu erfahren, dass wir von Anfang an gegen die #MeToo-Kampagne aufgetreten sind und Persönlichkeiten wie Polanski, Louis CK und Kevin Spacey verteidigt haben.

TK: Hat die Ära der „inhaltlichen Moderation“ bereits ein politisches Erbe?

Damon: Durch die Covid-19-Pandemie wurde deutlich, dass die Unterdrückung von Informationen eine Frage von Leben und Tod ist. Bob Woodwards Interview mit Donald Trump, in dem der Präsident sagte, er habe versucht, die Bedrohung durch das Virus „herunterzuspielen“, obwohl seinem Kabinett und dem Kongress aufschlussreiche Informationen über die drohende Katastrophe vorlagen, deutet auf eine weitreichende Verschwörung hin, Wissen über die Pandemie zu unterdrücken.

Jeder Arbeitsplatz ist ein Mikrokosmos dieser landesweiten Verschwörung. In den Autofabriken wird den Arbeitern nicht mitgeteilt, wenn ihre Kollegen an dem Virus erkrankt sind, was eine Kontaktverfolgung unmöglich macht.

Wir bemühen uns weiterhin, dieser Vertuschung mit der WSWS entgegenzutreten. Sie ist Dreh- und Angelpunkt für Arbeiter, um sich über die Bedrohung, die von Covid-19 ausgeht, zu informieren, Ausbrüche in Fabriken nachzuverfolgen und ihre Reaktion darauf zu koordinieren. Für Arbeiter gibt es keine vergleichbare Ressource, insbesondere im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten.

Die Entscheidung darüber, was wahr und was falsch ist, was gesagt werden darf und was nicht, liegt nicht bei Unternehmen, die nur Interesse an ihrem Profit haben. Arbeiter müssen über die tatsächliche Situation informiert werden. Dazu muss man den Arbeitern Zugang zu den Informationen bieten, die sie wissen wollen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

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