Für die reichste Schicht der Gesellschaft war 2020 ein Jahr steigender Gewinne und der Anhäufung von persönlichem Reichtum in einem nie zuvor gesehenen Ausmaß. Die Milliardäre der Welt steigerten ihr ohnehin schon gewaltiges Vermögen allein von April 2020 bis Juli 2020 kollektiv um mehr als ein Viertel (27,5 Prozent) und erreichten eine Rekordsumme von insgesamt 10,2 Billionen Dollar.
Laut einem neuen Bericht von Americans for Tax Fairness (ATF) und dem Institute for Policy Studies (IPS) wuchs das Gesamtvermögen der US-Milliardäre in den ersten neun Monaten der Corona-Pandemie um 1,064 Billionen Dollar, ein Anstieg von 36 Prozent. Zum Vergleich: Dieser Vermögenszuwachs – also nicht das Gesamtvermögen dieser Personen, sondern nur das Geld, das sie in den ersten neun Monaten des Jahres verdient haben – ist größer als die Summe, die es kosten würde, jedem der rund 330 Millionen Menschen in Amerika einen Konjunkturscheck von 3.000 Dollar auszuhändigen.
Zu den profitabelsten Bereichen gehörte die Gesundheitsbranche. Ein im Oktober veröffentlichter Bericht des Vermögensverwalters UBS und des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers stellt fest, dass die Milliardäre in der Gesundheitsbranche ihr Vermögen zwischen dem 7. April und dem 31. Juli um 36,3 Prozent vermehrt haben. Sie haben ihr Gesamtvermögen von 402,3 Milliarden Dollar auf 548 Milliarden Dollar steigern können. Die Gesundheitsbranche liegt nach der Tech-Industrie an zweiter Stelle, was den Zuwachs bei den Milliardärsvermögen angeht.
Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die ZeitschriftForbes eine neue Studie, aus der hervorging, dass mindestens 50 Kapitalisten der Gesundheitsbranche aus 11 verschiedenen Ländern im Jahr 2020 in die Riege der weltweiten Milliardäre aufgestiegen sind.
Wer sind diese frischgebackenen Milliardäre und wie viel Vermögen horten sie? Hier einige Beispiele:
* Uğur Şahin ist ein in der Türkei geborener deutscher Mediziner und CEO von BioNTech, dem Unternehmen, das mit Pfizer zusammen den Impfstoff entwickelt hat. Şahins Nettovermögen beträgt heute 4,2 Milliarden Dollar (3,4 Mrd. Euro). Die Aktien von BioNTech notieren momentan bei 101,63 Dollar, ein Plus von 614 Prozent seit dem Ende des ersten Handelstags im vergangenen Jahr. Das Unternehmen ist mehr als 24 Milliarden Dollar wert.
Trotz seines Milliarden-Vermögens ist Şahin nicht der Hauptnutznießer von BioNTechs Aufstieg an den Märkten. Thomas und Andreas Strüngmann, deutsche Zwillinge und frühe Investoren in das Unternehmen, haben in diesem Jahr durch ihre Beteiligungen ihrem Nettovermögen jeweils über 6,5 Milliarden Euro hinzugefügt. Sie waren bereits vorher Milliardäre und besitzen jetzt jeweils etwa zehn Milliarden Euro.
* Stéphane Bancel ist französischer Staatsbürger und CEO des in Massachusetts ansässigen Biotechnologie-Unternehmens Moderna. Bancel ist in diesem Jahr um 4,8 Milliarden Dollar reicher geworden, was ihm ein Nettovermögen von 5,3 Milliarden Dollar beschert.
Anfang 2020, als er zum ersten Mal Milliardär wurde, besaß Bancel etwa neun Prozent des Unternehmens. Als die Aktien des Unternehmens mit der Nachricht über den Vertrag für einen Impfstoff um mehr als 550 Prozent stiegen, verkaufte er Moderna-Aktien im Wert von etwa 40 Millionen Dollar, die er selbst oder ihm zugehörige Investmentfonds hielten.
Forschungsvorstand Tal Zaks hat Aktien im Wert von rund 60 Millionen Dollar verkauft und Generaldirektor Stephen Hoge im Wert von mehr als 10 Millionen Dollar.
* Der explodierende Aktienkurs von Moderna hat auch zwei andere in den Club der Gesundheitsbranchen-Milliardäre befördert: Harvard-Professor Timothy Springer (Nettovermögen 2 Mrd. $) und MIT-Wissenschaftler Robert Langer (Nettovermögen 1,5 Mrd. $). Springer und Langer waren Gründungsinvestoren von Moderna, dessen Aufstieg Springers anfängliches 5-Millionen-Dollar-Investment in rund 1,6 Milliarden Dollar vervielfacht hat.
* Sergio Stevanato aus Italien ist neuer Milliardär. Er hat sein Vermögen als Mehrheitsaktionär der im Privatbesitz befindlichen Stevanato Group gemacht, die Glasfläschchen für mehrere Dutzend Impfstoffe in aller Welt herstellt.
Das gemeinsame Merkmal fast aller Milliardärs-Vermögen im Gesundheitsbereich war der massive Anstieg der Aktienkurse. Als das Virus schnell global wurde, strömten die Anleger in Unternehmen, die sich mit der Entwicklung von Impfstoffen, Behandlungen, medizinischen Geräten und verwandten Bereichen beschäftigen. Gleichzeitig sorgten die Federal Reserve in den USA, die Zentralbanken in Europa und auf der ganzen Welt für den Anstieg der Aktienkurse, indem sie Billionen von Dollar in die Finanzmärkte pumpten.
Der Reichtum der Spekulanten schoss in die Höhe, als die Aktienkurse trotz oder gerade wegen der katastrophalen Lage der Arbeiter weiter stiegen. Die kapitalistische Wirtschaft konnte den historischen Kursanstieg der Aktienmärkte nur auf dem Rücken von Millionen von Arbeitern schaffen, die unter unsicheren Bedingungen in die Fabriken und an die Arbeitsplätze zurückgezwungen wurden.
Es dauerte nicht lange, bis sich für die Führungskräfte in der Gesundheitsbranche die Investitionen auszahlten. Laut einer Untersuchung von Business Insider haben Führungskräfte von Biotech- und Pharmafirmen, die an Covid-19-Behandlungen und -Impfstoffen arbeiten, durch den Verkauf von Aktien mehr als 1 Milliarde Dollar eingestrichen.
Pfizer-CEO Albert Bourla verkaufte 60 Prozent seiner Aktien an dem Tag, an dem das Unternehmen die hohe Erfolgsrate seines Impfstoffs bekannt gab. Der hoch profitable Aktienverkauf wurde damals von einigen Medien als „unmoralisch“ angeprangert. Die meisten kamen jedoch zu dem Schluss, dass die Aktion völlig legal gewesen sei.
Die Finanzialisierung der Gesundheitsbranche, die zur Entstehung dieser wachsenden Klasse von Milliardären im Gesundheitswesen führte, hatte sich schon lange vor der Covid-19-Pandemie abgezeichnet.
Die Vermögenssteigerung bei den Gesundheitsmilliardären wird noch größer, wenn man die Gesundheitsbranche von Anfang 2018 mit der bis Ende Juli 2020 vergleicht. In diesem Zeitraum stieg das Gesamtvermögen von 1.690 Milliardären im Gesundheitswesen um 50,3 Prozent auf 658,6 Milliarden Dollar.
Ein noch breiter gefasster Überblick offenbart ein enormes Maß an Ungleichheit in den USA, dem reichsten kapitalistischen Land der Welt: Das Gesamtvermögen der US-Milliardäre war im März 2020 zwölfmal größer als ihr Gesamtvermögen im Jahr 1990.
Für diese Milliardäre und Multimillionäre wird 2020 als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem sie sich beispielsweise endlich die Privatinsel leisten konnten, von der sie lange geträumt hatten. Aber für Milliarden von Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt war 2020 von Massensterben, sozialem Elend und Leid geprägt.
Hunderte Millionen haben in diesem Jahr geliebte Menschen durch das Virus verloren. Die meisten der Sterbenden mussten sich am Telefon von Müttern, Vätern, Schwestern, Brüdern, Ehepartnern oder Kindern verabschieden. Millionen weitere verloren ihre Arbeit, ihre Krankenversicherung und die Möglichkeit, für ihre Familie zu sorgen. Für viele wird es als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem sie zum ersten Mal in einer Essensschlange anstanden, auf einen Arbeitslosenscheck angewiesen waren oder eine Zwangsräumung erlebten.
Jetzt, zum Ende des Jahres 2020, zeigt sich die Haltung der herrschenden Elite gegenüber der Notlage der Arbeiterklasse deutlich in dem soeben von Trump unterzeichneten sogenannten Konjunkturprogramm: ein Almosen von 600 Dollar für die Arbeiter.
Millionen von Arbeitern wird nur allzu deutlich, dass ihr Leben und ihr Wohlergehen vorsätzlich den Interessen der Wall Street geopfert wurden und noch werden. Immense Wut baut sich auf. Nichts wurde getan, um die Pandemie zu kontrollieren. Laut Vorhersagen, wird das Virus in den kommenden Monaten weitere Hunderttausende töten.
In gewisser Weise zeigen die ausufernden Gewinne der Großkonzernen in der Gesundheitsbranche und der explodierende persönliche Reichtum ihrer Top-Manager und Investoren besonders deutlich, dass es unmöglich ist, das Privateigentum an Industrie und Finanzen und die Produktion für den Profit mit Leben und Gesundheit der großen Bevölkerungsmehrheit zu vereinbaren.
Die Infrastruktur des Gesundheitswesens ist heruntergekommen und unterfinanziert. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen – Pflegekräfte, Hilfspersonal, Techniker, etc. – sind erbärmlich unterbezahlt und überarbeitet. Krankenhausmitarbeiter infizieren sich und sterben, weil sie keine zureichende Schutzausrüstung haben, weil die Krankenhäuser überlastet sind, weil Tests und Rückverfolgung fehlen und weil die Profitinteressen des Großkapitals eine Politik diktieren, die auf mörderische Durchseuchung hinausläuft.
Das omnipräsente Streben nach privatem Profit ist auch nicht mit dem international koordinierten Projekt zu vereinbaren, das nötig wäre, um jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind auf der ganzen Welt kostenlos, schnellstmöglich und so sicher wie möglich eine Impfung zu ermöglichen.
Aber die Kapitalisten im Gesundheitswesen scheffeln Geld wie Heu. Die Arbeiterklasse muss Maßnahmen ergreifen, um Leben zu retten. Dazu gehört es auch, das Vermögen der Healthcare-Milliardäre zu enteignen und ihre privaten Unternehmen in demokratisch kontrollierte Versorgungsbetriebe in öffentlichem Besitz umzuwandeln. Nur auf diese Weise – im Kampf für den Sozialismus – kann das volle Potenzial von Wissenschaft und Technologie im Interesse der Menschheit genutzt werden.