Derzeit streiken Tausende Studenten an mindestens 55 britischen Universitäten gegen die Zahlung ihrer Wohnheimmieten. Es ist der umfassendste Mietstreik seit Jahrzehnten und die Proteste nehmen tagtäglich zu. Die Studenten wehren sich gegen die harten Belastungen, denen sie seit Beginn der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Insgesamt haben sich über 15.000 Studierende darauf verständigt, die nächste Miete für ihr Zimmer in einem Studentenwohnheim zurückzuhalten.
Die Proteste brachen bereits im vergangenen Semester aus, nachdem die konservative Tory-Regierung für die Wiedereröffnung der Wirtschaft sowie sämtlicher Bildungseinrichtungen trommelte. Sowohl britische Studierende als auch Studenten aus der ganzen Welt wurden aufgefordert, an die Universitäten Großbritanniens zurückzukehren. Als es daraufhin zu massiven Corona-Ausbrüchen an mehreren Universitäten kam, fanden sich tausende Studierende in erzwungener Selbstisolation wieder.
Immer mehr Universitäten mussten vollständig auf Online-Vorlesungen umstellen. Da dafür allerdings keine Vorbereitungen getroffen wurden, nahm die Qualität der Vorlesungen rapide ab. Es kam zu Problemen mit der WLAN-Verbindung, Studenten fehlte die technische Ausstattung, um an den Online-Vorlesungen teilnehmen zu können, und es war kaum möglich, ein persönliches Gespräch mit einem Dozenten zu führen.
Ebenfalls versäumten es die Universitätsverwaltungen, den Studierenden eine angemessene psychologische Betreuung anzubieten oder sie bei Quarantänemaßnahmen zu unterstützen. Berichten zufolge mussten einige Studenten hungern, da sie ihre Unterkunft nicht verlassen durften, pro Tag aber nur eine magere Mahlzeit erhielten. Mehrere Universitäten nutzten die Situation aus und verlangten von den eingesperrten Studenten Wucherpreise für minderwertige Lebensmittelpakete.
Mit welcher Verachtung die Studierenden behandelt werden, wird besonders an der University of Manchester deutlich. Mitten in der Nacht wurden Studentenwohnheime eingezäunt, und auf die Besetzung eines Wohnheims folgte ein Großeinsatz der Polizei.
Als sich daraufhin immer mehr Studenten weigerten, die Gebühren für Ihre Unterkünfte zu bezahlen, weiteten sich die Streiks aus. Proteste an der Bristol University und der University of Manchester führten dazu, dass ein Mietnachlass in Höhe von 30 Prozent gewährt wurde, der in Manchester für das gesamte erste Trimester galt. Studierende an Dutzenden weiteren Universitäten nahmen dies zum Anlass, ebenfalls zu Protesten aufzurufen.
Die Studierenden haben dabei landesweit ähnliche Forderungen aufgestellt: eine Reduzierung der Wohnheimmieten zwischen 30 und 50 Prozent, keine Konsequenzen für die Streikenden und ein verbessertes Angebot zur psychologischen Betreuung. Mehrere Streikgruppen haben Solidaritätsnetze zu den Universitätsmitarbeitern geknüpft, und sie fordern einen Kündigungsschutz für alle Mitarbeiter und Doktoranden.
Zu Beginn des neuen Jahres, als neue Lockdown-Maßnahmen in Kraft traten, forderte die britische Regierung die Studierenden dazu auf, nicht auf ihren Campus zurückzukehren. Folglich sollten die Studenten nun Miete für Zimmer bezahlen, die sie nicht nutzen dürfen. Dies befeuerte die Proteste erneut, da Mietverträge für Wohnheimzimmer in der Regel auf 12 Monate festgelegt sind. Es wurden keinerlei Maßnahmen beschlossen, um die Studierenden finanziell zu unterstützen oder Kosten zu erstatten. Die Regierung stellte für sämtliche „Härtefälle“ an den Universitäten lediglich 20 Millionen Pfund bereit.
Viele Studenten wurden dadurch in eine schwere finanzielle Krise gestürzt. Aufgrund der Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus mussten zudem notwendigerweise das Gastgewerbe sowie der Einzelhandel großflächig geschlossen werden. In diesen Branchen arbeiten oftmals junge Menschen, um sich ihr Studium finanzieren zu können.
Die Auswirkungen auf ausländische Studierende, die aus ärmeren Verhältnissen stammen, sind besonders gravierend. Sie sind auf Arbeit angewiesen, um die maßlos übertriebenen Studiengebühren für internationale Studenten (die im Schnitt zwischen 14.000 und 20.000 Pfund pro Jahr betragen) sowie ihre Miete bezahlen zu können. Eine gemeinsame Umfrage unter ausländischen Studierenden des Migrants Right Network und Unis Resist Border Controls ergab, dass mehr als die Hälfte mittelos ist oder Gefahr läuft, es zu werden. Das Newham Community Project im Osten Londons versorgt jede Woche 1.300 Studenten mit Lebensmittelpaketen.
Angesichts des massiven Widerstands haben sowohl Universitäten als auch private Anbieter von Studentenwohnheimen Rabatte und Einmalzahlungen in unterschiedlicher Höhe angeboten. Die Universität in Cambridge, das University College London und die Bristol University haben allen Studenten für die Wochen, in denen sie gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, eine volle Erstattung der Mieten angeboten. Allerdings sind derartige Angebote oftmals mit Vorbehalten verbunden. Studierende in Bristol erhalten beispielsweise keine Erstattung, wenn sie sich im Januar auf dem Campus aufgehalten haben – und sei es nur für eine Nacht, um persönliche Gegenstände abzuholen.
Andere Universitäten haben Teilerstattungen oder eine festgelegte Einmalzahlung vorgesehen. Die Queen Mary University of London bietet eine Ermäßigung in Höhe von 30 Prozent für das Semester an. Die Salford University und die Lancaster University zeigten ihr „Entgegenkommen“, indem sie allen Studierenden Zahlungen in Höhe von 1.200 Pfund bzw. 400 Pfund anboten.
Unite Student, ein privater Anbieter von Studentenwohnheimen, hat eine Ermäßigung in Höhe von 50 Prozent für die Wochen bis zum 14. Februar angeboten. Student Roost plant eine Erstattung der Mieten für sechs Wochen. Um diese zu erhalten, muss allerdings erst ein Antrag gestellt werden. Zwei weitere private Anbieter von Studentenunterkünften, Campus Living Villages und Sanctuary Students, kündigten in der Financial Times an, weiterhin volle Gebühren zu verlangen.
Die vermeintlichen Angebote der Universitäten und privaten Anbieter von Studentenwohnheimen decken in Wirklichkeit nur einen Bruchteil der ausstehenden Mieten ab. Studierende sind nach wie vor gezwungen, Millionen Pfund für Unterkünfte auszugeben, die sie nicht nutzen können. Noch nie zuvor wurde deutlich, welcher Ausbeutung Studierende in einem Hochschulsystem ausgesetzt sind, das vollkommen am kapitalistischen System orientiert ist.
1997 leitete die damalige Labour-Regierung eine „Reform“ der Hochschulen im ganzen Land ein, deren Umsetzung seit 2010 nochmals beschleunigt wurde. Seither sind Universitäten zu Unternehmen geworden, die eher daran interessiert sind, Gewinne aus den Studenten herauszupressen, als eine qualitativ hochwertige Ausbildung anzubieten. Dies gilt besonders für ausländische Studierende. Da sich die Universitäten heute fast ausschließlich aus Studiengebühren und Mieteinnahmen aus Studentenunterkünften finanzieren, ist ein erbitterter Wettbewerb um die Anzahl der Studierenden pro Universität ausgebrochen. Viele Hochschulen sind eng mit der Finanzwelt, privaten Investoren und Immobilieninvestoren verbunden.
Allein der Markt für Studentenunterkünfte wird in Großbritannien auf mehr als 50 Milliarden Pfund geschätzt. Im vergangenen Februar verkaufte die US-Investmentbank Goldman Sachs den Privatanbieter IQ Student Accommodation für 4,7 Milliarden Pfund an die Multi-Billionen-Dollar-Investmentgesellschaft Blackstone – die bis dahin größte private Immobilientransaktion in Großbritannien.
Noch bis vor Weihnachten sicherten die Universitäten ihre Einnahmen, indem sie die britische Regierung bei der Aufrechterhaltung des Mythos unterstützten, Studenten könnten inmitten einer tödlichen Pandemie „ohne Gefahr“ an die Hochschulen zurückkehren. Es hieß, dass dort keine Gefahr einer Masseninfektion bestehe. Nicht nur die Studierenden der Universitätsstädte im ganzen Land wurden dadurch einer enormen Gefahr ausgesetzt, sondern auch ihre Familien und Freunde. Die Versprechung, dass ein normaler Universitätsbetrieb aufrechterhalten werden könne, entpuppte sich als schamlose Lüge.
Zu Beginn des neuen Jahres, und damit auch des neuen Studienjahrs, nahm die Pandemie bisher unbekannte und vollkommen verheerende Ausmaße an. Spätestens jetzt fielen alle Versprechungen über eine sichere Rückkehr an die Uni wie ein Kartenhaus in sich zusammen, und die Ausbeutung wurde allseits offensichtlich. Es ist absurd, die Erhebung von Studiengebühren und Mietkosten für Wohnheime mit einem normalen Campusleben zu rechtfertigen.
Alle Sektionen der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) unterstützen die Mietstreiks der Studenten in Großbritannien. Wir fordern, dass die Kosten für das gesamte Studienjahr, einschließlich der Studiengebühren und Mieten, vollständig erstattet werden! Dafür müssen die Gewinne der Großkonzerne, die während der Pandemie astronomische Höhen erreicht haben, sowie die Milliarden, welche die kapitalistischen Regierungen an Großunternehmen und Banken gezahlt haben, zurückgefordert werden.
Dies ist allerdings nur der erste Schritt im Kampf gegen ein marktorientiertes Hochschulsystem. Wir fordern, dass alle Universitäten vollumfänglich öffentlich finanziert werden und jedem der kostenlose Zugang zu einer hochwertigen universitären Ausbildung ermöglicht wird. Studenten dürfen nicht länger als Goldesel großer Unternehmen herhalten!
Es ist notwendig, dass ein solcher Kampf unabhängig von der National Union of Students (NUS) geführt wird. Die Studentengewerkschaft hat nichts dazu beigetragen, die Mietstreiks zu organisieren oder auszuweiten. Erst im Nachhinein erklärte die NUS ihre Unterstützung. Einige Gewerkschaftsfunktionäre sprachen bei Online-Kundgebungen der Protestierenden, beschränkten sich aber darauf, die Regierung mittels Erklärungen und Petitionen zum Handeln aufzufordern. Nachdem es 2010 zu Massenprotesten gegen die Verdreifachung der Studiengebühren gekommen war, passte sich die NUS vollständig den Forderungen der kapitalistischen britischen Regierung an.
Deshalb müssen die Studierenden überall auf der Welt gemeinsam mit dem Universitätspersonal unabhängige Aktionskomitees an Hochschulen aufbauen, die für ein sozialistisches Programm eintreten und das Recht auf Bildung für alle verteidigen. Alle, die die Forderungen der IYSSE unterstützen, sollten noch heute Kontakt mit uns aufnehmen.