In einer sozialen Katastrophe, die seit fünf Tagen anhält, sind in Texas bis zu 4,5 Millionen Menschen von Stromausfällen oder der vollständigen Unterbrechung ihrer Stromversorgung betroffen. Inmitten von Schneestürmen, die bis zur Hauptstadt Austin im Süden zu Temperaturen im einstelligen Fahrenheit-Bereich (-13 °C) geführt haben, stehen Millionen Menschen derzeit ohne Wärme da. Es handelt sich um den größten durch vorsätzliches Handeln der Stromversorger verursachten Blackout in der Geschichte der USA.
Nach Angaben des Electricity Reliability Council of Texas (ERCOT), der von der Industrie dominierten Koordinierungsstelle für die Stromverteilung, hatten in Texas‘ größter Stadt Houston am Mittwoch 1,4 Millionen Menschen keinen Strom. In Dallas, der zweitgrößten Stadt, war es ein Viertel aller Einwohner. Mindestens 21 Todesfälle wurden auf die Kombination von Winterstürmen und Stromausfällen zurückgeführt. Die Ursachen reichen von Verkehrsunfällen über Hausbrände bis hin zu Menschen, die von Kohlenmonoxid überwältigt wurden.
Die Ursache der Katastrophe ist kein tatsächlicher Mangel in der Stromerzeugung der Vereinigten Staaten. Im Gegenteil: Die Stromversorgung ist ausreichend und die Preise sind vergleichsweise stabil. Vielmehr ist diese soziale Tragödie das Produkt einer Reihe von Entscheidungen, die von privaten Unternehmen und Staatsbeamten getroffen wurden, die alle einem gemeinsamen Anliegen dienten: der Maximierung des kapitalistischen Profits.
Bereits im Februar vor zehn Jahren hatte ein katastrophaler Frost in Texas eine Stromkrise verursacht. Es folgten wissenschaftliche Untersuchungen und wiederholte Warnungen vor den möglichen Konsequenzen eines ähnlichen oder noch schlimmeren Ereignisses. Die aktuelle Krise, die sich inmitten der COVID-19-Pandemie entwickelt, ist keine „natürliche“ Katastrophe, sondern das Ergebnis der bewussten und kriminellen Weigerung der Verantwortlichen, diese Warnungen zu beachten.
Ein wichtiger Faktor besteht in der Entscheidung der texanischen Staatsbeamten, in Übereinstimmung mit der Doktrin der Republikanischen Partei den fortschreitenden Klimawandel nicht zur Kenntnis zu nehmen – trotz einer Reihe von klimabedingten Katastrophen, die den Staat heimgesucht haben, darunter Tornados, Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände. Am schlimmsten wütete Hurrikan Harvey, der im Jahr 2017 die Gegend um Houston überschwemmte, mehr als 100 Menschen tötete und Schäden in Höhe von schätzungsweise 125 Milliarden Dollar verursachte.
Es wird vermutet, dass der Klimawandel eine Hauptursache für die zunehmenden Ausbrüche des „Polarwirbels“ ist, mit denen extreme Kaltluft in Regionen transportiert wird, die in der Vergangenheit nur selten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt verzeichnet haben.
Doch es gibt weitere politische und wirtschaftliche Entscheidungen, die der aktuellen Krise zugrunde liegen. Texas betreibt ein eigenes Stromnetz, das von den großen nationalen Netzen der anderen 47 zusammenhängenden US-Bundesstaaten abgekoppelt ist. Die texanische Regierung hat sich für diese Politik entschieden, um die Autorität der Federal Energy Regulatory Commission (FERC) zu umgehen, die für die Überwachung staatsübergreifender Stromnetze zuständig ist. Die fehlende Verbindung zu den Nachbarstaaten bedeutet, dass das texanische System im Krisenfall nicht ohne weiteres auf externe Stromreserven zurückgreifen kann.
Eine solche Krise entstand in der Nacht zum Sonntag, als eine verheerende Winterkaltfront durch den Bundesstaat fegte. Die eisigen Temperaturen legten fast die Hälfte der Energieerzeugungskapazität des Staates lahm.
Während sich texanische Politiker auf den Rückgang der Wind- und Solarstromerzeugung konzentrieren – die um etwa vier Gigawatt (Millionen Kilowatt) gesunken ist – fand der weitaus größte Rückgang bei der konventionellen gasbetriebenen Stromerzeugung statt, die um mehr als 30 Gigawatt sank, weil die Temperaturen das Abpumpen von Erdgas aus den unterirdischen Speichertanks erschwerten. In einigen Kernkraftwerken gefror das Kühlwasser. Selbst veraltete Kohlekraftwerke mussten geschlossen werden, weil die Kohlebestände am Boden festfroren.
Die Frostwelle führte zu einem Anstieg des Energiebedarfs auf fast 70 Gigawatt, da die Einwohner von Texas ihre Häuser zu heizen versuchten. Doch die Versorgungsprobleme senkten die verfügbare Leistung auf weniger als 45 Gigawatt. Die Preise auf dem Energiemarkt – dem einzigen Weg, über den texanische Versorgungsunternehmen zusätzlichen Strom beziehen können – schossen am Montag von 22 Dollar pro Megawattstunde auf 9.000 Dollar in die Höhe.
ERCOT wies die Versorgungsunternehmen daraufhin an, die exorbitanten Kurzzeittarife nicht zu zahlen – was ihre Gewinne drastisch schmälern würde, da viele Kunden längerfristige Festtarife zahlen – und stattdessen umfassende Blackouts zu verhängen.
Die der Stromknappheit zugrunde liegende Abschaltung von Kraftwerken war selbst das Ergebnis des Profitstrebens. Es gibt kein technisches Hindernis dafür, Kraftwerke wetterfest auszulegen – unabhängig davon, ob sie mit Gas oder Kernkraft betrieben werden oder auf erneuerbaren Ressourcen wie Sonne, Wind und Wasser beruhen. Selbst in Sibirien, Kanada und Alaska werden derartige Anlagen betrieben.
Doch die Deregulierung der texanischen Energieversorger hatte zur Folge, dass die Investitionsentscheidungen über den erforderlichen Kälteschutz allein den Führungskräften der Unternehmen überlassen blieb – obwohl Kälteeinbrüche in den letzten zwei Jahrzehnten immer häufiger verzeichnet wurden. Derartige Gewinneinbußen lehnte man ab.
Zudem beschlossen die Behörden von Texas Mitte der 1990er Jahre, von den Versorgern nicht mehr zu verlangen, eine bestimmte Kapazitätsreserve für Nachfragespitzen vorzuhalten. In anderen Regionen Nordamerikas liegen diese Puffer bei 15 Prozent oder mehr. Doch Texas verfügte über keine Reservekraftwerke, die in der Krise hätten aktiviert werden können.
Als die Stromabstellungen begannen, trat der amerikanische Kapitalismus des Jahres 2021 mit all seinen Ungerechtigkeiten ins Rampenlicht. Texaner aus der Arbeiterklasse und Angehörige von Minderheiten leben in minderwertigen Wohnungen ohne Schutz vor unerwarteten Kälteeinbrüchen und ohne ausreichende Heizkapazität.
In Houston, der viertgrößten Stadt der USA, konnten die Bewohner die hellen Lichter der Wirtschaftszentren in der Innenstadt sehen, während sie im Dunkeln froren. Für arme Menschen, die auf Beatmungs- oder Dialysegeräte angewiesen sind, waren die Notaufnahmen der Krankenhäuser der letzte Zufluchtsort.
Wenn es um die offene Zurschaustellung von Klassendünkel geht, können es nur wenige mit der herrschenden Elite von Texas und ihren politischen Dienern aufnehmen. Der Bürgermeister von Colorado City, einer Kleinstadt im Westen von Texas, musste zurücktreten, nachdem er in den sozialen Medien gegen Bewohner wütete, die von der lokalen Regierung erwarteten, etwas gegen die Krise zu unternehmen. „Ich habe die Nase voll von Leuten, die auf der Suche nach verdammten Almosen sind“, erklärte er. „Die Stadt und der Landkreis, die Energieversorger und alle anderen Dienstleister schulden euch GAR NICHTS!“ Anschließend folgte eine Tirade gegen „sozialistisches Regierungshandeln“ und die Verkündung, dass die „Starken überleben und die Schwachen [untergehen] werden“.
Dies ist nicht nur die Meinung eines hinterwäldlerischen Reaktionärs. Der ehemalige texanische Gouverneur Rick Perry, der gerade eine vierjährige Amtszeit als Trumps Energieminister in Washington vollendet hat, erklärte am Mittwoch: „Wir Texaner würden auch noch länger als drei Tage ohne Strom durchhalten, um die Bundesregierung aus unseren Angelegenheiten herauszuhalten.“ Dieser millionenschwere Ignorant ist offenbar bereit, die Regulierung der texanischen Versorgungsunternehmen zu bekämpfen, bis auch das letzte Kind an Kälte leidet.
Der texanische Gouverneur Greg Abbott fand inmitten der Krise die Zeit, auf Fox News in der Sendung von Sean Hannity aufzutreten und der Solar- und Windenergie die Schuld an der Krise zu geben, obwohl er zugab, dass diese nur 10 Prozent der Stromerzeugung des Staates ausmachen.
Die Wahrheit ist, dass Texas mit einem fast doppelt so hohen Volumen wie das jedes anderen Staates der größte Stromerzeuger der Vereinigten Staaten ist. Jedes Defizit ist ausschließlich das Ergebnis der kriminellen Misswirtschaft der kapitalistischen Elite und ihrer politischen Frontmänner wie Abbott und Perry.
Die Unterordnung der Regierungspolitik unter die Interessen der Unternehmensprofite und die Vernachlässigung von Planung und Infrastruktur sind jedoch keine auf Texas beschränkte Phänomene. Sie sind vielmehr ein besonders krasser Ausdruck dessen, was im kapitalistischen Amerika die Regel ist. Die gleiche grundlegende Gleichgültigkeit und Inkompetenz – angetrieben von den gleichen wirtschaftlichen Interessen – hat auch die katastrophale Politik gekennzeichnet, mit der die Regierung auf die Covid-19-Pandemie reagiert hat und die bis heute eine halbe Million Menschenleben gekostet hat.
Die Installation der Biden-Harris-Regierung in Washington ändert daran nicht das Geringste. Wie die Republikaner verteidigt auch die Demokratische Partei das kapitalistische System, einschließlich der Energieproduktion und -verteilung auf der Grundlage des privaten Profits anstelle einer rationalen Planung. Die Demokraten haben gemeinsam mit den Republikanern die Deregulierung beaufsichtigt, um die Profite und das persönliche Vermögen der Wirtschaftselite zu steigern.
Für arbeitende Menschen kann nur ein sozialistisches System einen Weg nach vorne bieten, in dem die Energieressourcen als Teil einer Planwirtschaft verstaatlicht sind und auf eine Weise organisiert werden, dass sie Licht und Wärme als öffentliche Dienstleistung für alle Menschen produzieren.