Schulöffnungen setzen auf gezielte Durchseuchung der Kinder

In allen Bundesländern werden Schulen und Kitas in diesen Wochen wieder uneingeschränkt geöffnet. Mit dem Abbau oder der völligen Aufhebung aller Schutzmaßnahmen setzen die Landesregierungen dabei die Gesundheit von hunderttausenden Kindern und Jugendlichen aufs Spiel. Dies bestätigt, was die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei seit langem sagen: dass Lehrer, Eltern und Schüler den Schutz von Gesundheit und Leben in die eigenen Hände nehmen müssen.

Aus den Lageberichten des RKI geht hervor, dass die vierte Pandemiewelle mit der hochansteckenden Delta-Variante rasant an Fahrt gewinnt. Wie es dort heißt, steigen die Fallzahlen „wesentlich früher und schneller als im vergangenen Jahr, als vergleichbare Inzidenzen erst im Oktober erreicht wurden“. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche, deren Inzidenzwerte auf das Doppelte oder Dreifache der Gesamtbevölkerung ansteigen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO rechnet beim jetzigen Anstieg mit 236.000 zusätzlichen Toten in Europa bis zum 1. Dezember, wie ihr Direktor für Europa Hans Kluge mitteilte. Bisher sind in Europa 1,3 Millionen Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.

Dennoch öffnen die Schulen in den Bundesländern im Präsenzunterricht mit voller Klassenstärke, und auch die Kitas befinden sich in uneingeschränktem Regelbetrieb. In Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland endeten die Herbstferien am vergangenen Wochenende, in NRW vor zwei Wochen. In den nächsten Tagen folgen am 2. September noch Niedersachsen, Bremen und Sachsen-Anhalt, am 6. September Sachsen und Thüringen und schließlich, Mitte September, Baden-Württemberg und Bayern.

Zu den Bundesländern mit der höchsten Inzidenz unter Schülern gehört Berlin, wo die Ferien schon am 6. August endeten. Das Bundesland, in dem die SPD im Bündnis mit Linkspartei und Grünen regiert, weist unter den 15- bis 24-Jährigen eine Inzidenz von über 120 und unter den 5- bis 14-Jährigen sogar von über 200 auf. Die Zahlen haben sich seit Schulbeginn verdreifacht und seit Anfang Juli verzehnfacht.

Doch anstatt die Schulen zu schließen, um das Virus einzudämmen und die Kontaktverfolgung zu ermöglichen, beseitigt der Berliner Senat auch die letzten verbleibenden Schutzmaßnahmen. Ab dem 5. September soll selbst die Maskenpflicht im Unterricht fallen, und statt dreimal soll nur noch zweimal die Woche getestet werden. Drei Wochen nach Schulbeginn befinden sich nicht weniger als 94 Lerngruppen in Quarantäne. Insgesamt wurden schon über 1000 Schüler und 43 Lehrer positiv getestet.

Wie in allen Bundesländern ist auch in Berlin die Befreiung vom Präsenzunterricht nur noch mit ärztlichem Attest möglich. Ohne dieses wird das Fernbleiben als unentschuldigtes Fehlen im Zeugnis vermerkt. Das letzte Wort sollen die den Schulen beigeordneten Amtsärzte sprechen.

Wes Geistes Kind diese Berliner Amtsärzte sind, wird aus ihre neusten Vorgabe deutlich, die der Senat seinen Entscheidungen zugrunde legt. In dem Statement, das der Berliner Tagesspiegel veröffentlicht hat, verlangen die Amtsärzte, die Maßnahmen an ein „Leben mit dem Virus“ anzupassen. Sie sind der Auffassung, dass eine Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen unvermeidlich sei. „Ansonsten übersteigen die Kollateralschäden den Nutzen deutlich.“

Sie schreiben, dass „eine komplette Vermeidung von Covid-19 in diesen Altersgruppen unrealistisch“ sei. Sie erklären: „Die vorherrschende Virusvariante vom sogenannten Delta-Typ ist so ansteckend, dass mit einer sicheren Ansteckung der ungeimpften Kinder zwingend zu rechnen ist.“ An anderer Stelle schreiben sie: „Das Coronavirus ist sehr ansteckend und ubiquitär verbreitet. Politiker und Wissenschaftler haben Konsens, dass die Bevölkerung inklusive der Kinder sich mit dem Virus anstecken wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Auf dieser Grundlage fordern sie praktisch das Ende jeglicher Corona-Maßnahmen. Sie schreiben, das Handeln der Gesundheitsämter dürfe nicht mehr hauptsächlich durch die Nachverfolgung der Kontaktpersonen bestimmt werden. Auch solle niemand „außerhalb der haushalts- und haushaltsähnlichen Kontakte“ mehr isoliert werden.

Schließlich solle auch das regelmäßige Testen an den Schulen eingestellt werden, denn: „Bei hohen Fallzahlen in der Bevölkerung führen die Testungen in Schulen zwangsläufig zur Identifizierung von Fällen bei Kindern und Jugendlichen“. Das Isolieren ganzer Klassen in solchen Fällen bringe nur „Nachteile für die Inzidenzen im Herbst, in den diese dann verschoben werden“. Mit anderen Worten: Komplette Durchseuchung der Kinder, so rasch und vollständig wie möglich und ohne Kontrolle durch das Testen.

Diese Argumente, man müsse „mit dem Virus leben“ und die „Kollateralschäden“ überstiegen den Nutzen konsequenter Maßnahmen, sind lebensgefährlich und kriminell. Es sind die Argumente der äußersten Rechten, die seit Beginn der Pandemie Covid-19 mit einer Grippe verglichen und behaupten, nur bereits „Vorerkrankte“ seien gefährdet.

Sowohl in den USA wie in Großbritannien haben die letzten Wochen und Monate gezeigt, dass ernsthafte Erkrankungen auch unter Kindern dramatisch ansteigen. Sie sterben in immer größerer Zahl an Covid-19, und die Long-Covid-Folgen sind für ihr ganzes Leben verheerend. Gleichzeitig ist das Virus in der Lage, durch immer neue, ansteckendere Mutationen noch verheerendere Pandemien auszulösen.

Trotz alledem sind die Bildungspolitiker bereit, die von den Berliner Amtsärzten empfohlene komplette Durchseuchung umzusetzen. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Britta Ernst (SPD) nannte das Statement der Amtsärzte einen „sehr wichtigen Beitrag von führenden Wissenschaftlern“. Und sie freute sich: „Damit wird der Kurs, die Schulen offenzuhalten, unterstützt.“

Ernst ist brandenburgische Ministerin für Bildung und Jugend und Ehefrau des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Auch die Vizepräsidentin der Kultusministerkonferenz und Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), unterstützt diesen Weg, weil er „den Schülerinnen und Schülern so viel Normalität wir möglich ermöglichen“ werde.

In Berlin ist der rot-rot-grüne Senat nur zu gerne bereit, den Empfehlungen zu folgen. Die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie Sandra Scheeres hat stolz bekanntgegeben, dass die Berliner Schulen in Präsenzunterricht und die Kitas im uneingeschränkten Regelbetrieb geöffnet seien. Scheeres, die nicht nur SPD- sondern auch langjähriges Verdi-Mitglied ist, kündigte an, dass in Berlin die Maskenpflicht in der nächsten Woche fallen werde. Außerdem sollen künftig in den Schulen und Kitas bei einem Coronafall nicht mehr die ganze Kita- oder Lerngruppe in Quarantäne geschickt werden, sondern lediglich die infizierte Person.

Dem Beispiel folgen auch alle andern Bundesländer. Der thüringische Bildungsminister Helmut Holter (Linke) hat bereits die Abschaffung der Tests gefordert, um dann aufgrund massiver Kritik wieder zurückzurudern. In der Dlf-Sendung „Campus und Karriere“ rechtfertigte er dies am Montag einmal mehr mit der längst widerlegten Mär, dass „Kinder und Jugendliche nicht so schwer an Covid-19 erkranken“. Wichtige Schlussfolgerung für ihn sei, so Holter: „Wie lernen wir es, mit diesem Virus zu leben?“

Auch Thüringen hat schon die Regel eingeführt, dass bei einer bestätigten Infektion nur die infizierten Personen und unmittelbare Kontakte, nicht aber der Rest der Klasse und Schule in Quarantäne geschickt werden. Die Testpflicht wird an Thüringer Schulen zwar nicht komplett abgeschafft, soll aber nur noch auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. All dies liefert die beste Grundlage für eine Explosion von Fallzahlen unter Schülern mit dem Schulstart in der kommenden Woche. Bereits im letzten Schuljahr wies das Bundesland, das von der Linken regiert wird, fast durchgehend die höchste Inzidenz auf.

Besonders drastisch sichtbar sind die Folgen der Durchseuchungspolitik in Nordrhein-Westfalen, wo die Schulen seit dem 18. August offenstehen. Die Inzidenz unter den 15- bis 34-Jährigen beträgt jetzt knapp 200 und unter den 5- bis 14-Jährigen 420. Allein in der ersten Woche nach Schulbeginn hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt. Trotzdem wird im Bundesland, das der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet regiert, der Schulbetrieb unabhängig von den explodierenden Fallzahlen ausdrücklich in Präsenz weitergeführt.

Es ist völlig klar: Die einzig gangbare Strategie gegen die Pandemie, die in der globalen Ausrottung des Corona-Virus besteht, ist mit den Bildungspolitikern und Regierungen egal welcher Partei nicht zu machen. Diese Erkenntnis breitet sich unter betroffenen Lehrkräften, Eltern und Schülern aus.

Auf Facebook berichtet eine Lehrerin aus Baden-Württemberg, dem Land, in dem die Grünen den Ministerpräsidenten und die Kultusministerin stellen, die Schulleitung weise in einem Brief darauf hin, dass künftig außer den direkt positiv Getesteten keine Schüler mehr in Quarantäne geschickt werden sollten: „nicht einmal die Sitznachbarn. Und ja, Schulen bleiben unabhängig von jeder Inzidenz offen. Das lässt einen nur sprachlos zurück!“

Peppermint Petty schreibt auf twitter: „Können unsere Politiker allen Ernstes erwarten, dass sich Eltern wehrlos mit ansehen, wie ihren Kindern mutwillig Schaden in Form einer Durchseuchung zugefügt wird?“

Ava schreibt: „Die Kinder haben auf eine normale Kindheit verzichtet, um den Alten und Vorerkrankten zu helfen. Als Dank dürfen sie nun auch die Wirtschaft retten, indem sie sich schutzlos infizieren müssen.“

All dies mache sie „so unfassbar wütend“, schreibt eine weitere Twitterin. „Selbst unsere kinderlosen Nachbarn sind entsetzt, was man Kindern antut. Ich betone das, weil uns Menschen wie Frau Gebauer [FDP-Schulministerin von NRW] zu erzählen versuchen, nur überbehütende Helikopter-Eltern würden so denken.“

Eine Lehrerin aus dem Brennpunkt Berlin-Neukölln schreibt der WSWS: „Das Ganze ist eine Farce. Schüler dürfen die Maske in der Mensa und in den Pausen beim Essen oder auf dem Hof abnehmen. Sie sitzen und spielen ohne Abstand – wer kann es ihnen verdenken? Die Tests (bisher noch 3x wöchentlich) sind so unsicher. Jeder weiß: halbe Klassenstärke für Abstände, kleine Gruppen, ein besseres Lerntempo und weitere Maßnahmen würden nicht nur Leben retten, sondern könnten auch die Chancen der Kinder verbessern. Die Lernrückstände sind schlimmer als zuvor, aber nach 1,5 Jahren ist nichts passiert: keine Luftfilter, keine Digitalisierung! Wir sollen alles retten und werden samt den Familien verheizt.“

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, dem die Sozialistische Gleichheitspartei angehört, hat in einem Online-Panel mit ernsthaften Wissenschaftlern nachgewiesen, dass es möglich ist, das Virus durch eine konsequente, global geführte Ausrottungsstrategie zu beseitigen. Wir rufen alle Schüler, Lehrer und Eltern, sowie alle Arbeiter und WSWS-Leser dazu auf, die Initiative zu ergreifen und mit uns gemeinsam für sichere Bildung zu kämpfen. Registriert euch noch heute für den Aufbau von Aktionskomitees und tretet der Facebook-Gruppe des Netzwerks der Aktionskomitees für sichere Bildung bei!

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