Fast 32.000 Pflegekräfte und andere Beschäftigte des Gesundheitsunternehmens Kaiser Permanente in Südkalifornien, Oregon, Washington und Hawaii werden ab nächsten Montag in den Streik treten. Sie protestieren damit gegen unsichere Personalausstattung und Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Außerdem kämpfen sie gegen Pläne, ein Zwei-Stufen-Lohnsystem einzuführen, nach dem alle nach 2022 eingestellten Arbeiter ein Drittel weniger Lohn erhalten würden als die aktuell beschäftigten.
Das Gesundheitsunternehmen aus Oakland, das dieses Jahr vermutlich seinen Rekordprofit vom letzten Jahr in Höhe von 6,4 Milliarden Dollar übertreffen wird, bietet den Arbeitern eine Lohnerhöhung von beleidigenden zwei Prozent an, ursprünglich sogar nur ein Prozent. Die Alliance of Health Care Unions, ein Bündnis aus zehn bei Kaiser Permanente tätigen Gewerkschaften, fordert eine Erhöhung von vier Prozent, die noch immer deutlich unter der derzeitigen Inflationsrate von 6,2 Prozent liegt.
Am 30. September liefen die Tarifverträge für die 52.000 Beschäftigten aus. Mitte Oktober hatten mindestens 35.000 Geburtshelfer, Physio- und Ergotherapeuten, Pflegekräfte, Assistenzärzte und andere Berufsgruppen fast einstimmig für einen Streik gestimmt. Seither haben sie zunehmend ihre Frustration über die Verzögerungstaktik der Gewerkschaft zum Ausdruck gebracht, die es dem Management ermöglicht, Tausende von Leiharbeitern einzustellen, um die Auswirkungen eines Streiks abzuschwächen.
Während die Gewerkschaften versuchen, noch in letzter Minute einen Deal auszuhandeln, sind die Arbeiter entschlossen, einen uneingeschränkten Kampf zu führen. Auch andere Schichten der Arbeiterklasse drängen auf einen gemeinsamen Streik, u.a. haben zehntausende andere Kaiser-Beschäftigte für nächste Woche ein- bis fünftägige Solidaritätsstreiks angekündigt. Insgesamt könnten fast 100.000 Arbeiter gegen den Gesundheitskonzern streiken.
Die Service Employees International Union-United Health Workers (SEIU-UHW), die nicht Teil der Alliance of Health Care Unions ist, hat 58.000 Hausmeister, Kantinenmitarbeiter und andere schlecht bezahlte Krankenhausbeschäftigte zu einem Streik am 18. November aufgerufen. In Nordkalifornien wollen am 18. November weitere 2.500 Apothekenbeschäftigte einen einwöchigen Streik beginnen, gefolgt von einem eintägigen Streik von 107 Psychotherapeuten am 19. November.
In Stockton (Kalifornien) befinden sich 700 stationäre und biomedizinische Techniker bereits seit fast zwei Monaten im Streik gegen Kürzungen ihrer Reallöhne und gegen Tarifvertragsklauseln, die es Kaiser erlauben würden, Techniker in Einrichtungen in anderen Counties zu schicken, statt Personalprobleme zu lösen.
Der bevorstehende Streik ist Teil einer wachsenden Welle von Arbeitskämpfen im Gesundheitswesen in den USA und weltweit. Weitere Beispiele von November und Oktober sind:
· Ein zweitägiger Streik von 400 Beschäftigten des McKenzie-Willamette Medical Center in Springfield (Oregon)
· Ein fünftägiger Ausstand von 350 Arbeitern des Sutter Delta Medical Center in Antioch (Kalifornien)
· Ein 35-tägiger Streik von 2.500 Beschäftigten des Mercy Hospital in Buffalo (New York), das dem Unternehmen Catholic Health gehört
· Am 3. November traten 1.000 Arbeiter des Cabell Huntington Hospital in West Virginia in den Streik
· Am 8. November nahmen 350 Arbeiter den Streik bei Sutter Health in Antioch (Kalifornien) wieder auf; im St. Vincent Hospital in Worcester (Massachusetts), das dem Krankenhausbetreiber Tenet gehört, setzen mehr als 700 Beschäftigte ihren achtmonatigen Streik fort
In Großbritannien hat eine große Mehrheit der hunderttausenden Beschäftigten des National Health Service (NHS) den Vorschlag der Tory-Regierung von Boris Johnson abgelehnt, ihre Löhne für 2021 nur um drei Prozent zu erhöhen. Die Mitglieder der beiden größten Gewerkschaften stimmten mit 90 bzw. 91 Prozent dagegen. Die Reallöhne der Beschäftigten im Gesundheitswesen sind durch die Austeritätsmaßnahmen der Labour- und Tory-Regierungen nach dem Finanzcrash von 2008–09 um bis zu 20 Prozent gesunken.
Angesichts von steigenden Infizierten- und Todeszahlen haben sich in Sri Lanka etwa 90.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens in mehr als 1.100 staatlichen Krankenhäusern an Massenprotesten und teilweisen Streiks für besseren Schutz gegen Covid-19 sowie für höhere Löhne beteiligt. Auch in Deutschland, Portugal, Kenia, Pakistan und Kanada fanden Streiks im Gesundheitswesen statt.
Die Beschäftigten des Gesundheitswesens standen im Kampf gegen die Pandemie an vorderster Front und haben aufgrund der kriminellen Reaktion der kapitalistischen Regierungen einen schrecklichen Blutzoll entrichtet. Bis Mai 2021 starben laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit mindestens 180.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens. In den USA sind laut dem Guardian und dem Kaiser Health Network bis April 2021 mehr als 3.600 Beschäftigte des Gesundheitswesens, darunter mindestens 400 registrierte Pflegekräfte, an der Krankheit gestorben.
Die millionenschweren Besitzer der Krankenhauskonzerne haben Pflegekräfte und andere Beschäftigte als „Helden“ gelobt, sie aber dennoch ohne Schutzausrüstung in unterbesetzte und überfüllte Covid-Stationen geschickt. In den ersten Monaten der Pandemie protestierten die Beschäftigten bei Kaiser mehrfach gegen den Mangel an Schutzausrüstung und legten bei der kalifornischen Arbeitsschutzbehörde 2.500 Beschwerden im Zusammenhang mit Covid-19 ein.
Im Gesundheitswesen müssen die Beschäftigten weiterhin 12 Stunden am Tag in unterbesetzten Einrichtungen arbeiten. Laut einer Umfrage der American Association of Critical-Care Nurses vom September glauben 92 Prozent der Intensivpflegekräfte, die Pandemie habe sie so erschöpft, dass sie ihre Berufslaufbahn verkürzen wird. 67 Prozent fürchten den Umgang mit Covid-Patienten, weil er ihre Familien gefährdet; 66 Prozent erwägen nach ihren Erfahrungen mit der Pandemie den Beruf aufzugeben.
Die Vorstände bei Kaiser und anderen Unternehmen sehen ein enormes Profitpotenzial, wenn sie „überbezahlte“ Pflegekräfte loswerden und durch unterbezahlte neue Kräfte ersetzen, denen sie noch mehr Arbeit aufbürden können. Gleichzeitig beziehen die Vorstände von „gemeinnützigen“ Krankenhausketten weiterhin hohe Gehälter. Laut den jüngsten Zahlen hat Kaiser-Vorstandschef Gregory Adams im Jahr 2019 6,2 Millionen Dollar Gehalt und Aufwandsentschädigungen bezogen, sein Vorgänger Bernard Tyson 16 Millionen. Mindestens 30 Vorstandsmitglieder haben mehr als eine Million Dollar verdient.
Seit Beginn der Pandemie war die größte Sorge von Demokraten und Republikanern nicht der Schutz von Menschenleben, sondern der Schutz der Unternehmensprofite. Gemäß dem von beiden Parteien unterstützten CARES-Gesetz erhielten 20 große Krankenhauskonzerne, darunter Kaiser, Tenet, HCA und Providence, Bundesmittel in Höhe von mehr als fünf Milliarden Dollar, obwohl sie zusammen über Geldreserven in Höhe von 100 Milliarden verfügten. Die Subvention für Kaiser in Höhe von 500 Millionen Dollar löste einen so großen öffentlichen Protest aus, dass Vorstandschef Greg Adams ihre Rückgabe ankündigte, abgesehen von den 11,8 Millionen Dollar für die Tochtergesellschaft Maui Health System.
Obwohl die Medien unablässig behaupten, die Pandemie sei vorüber, steigen die Fallzahlen in Kalifornien und anderen Bundesstaaten wieder an. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen wissen, dass die Zahl der Infektionen und Todesfälle im Winter wieder steigen wird. Ihr Kampf für sichere Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne und Gesundheitsversorgung ist untrennbar mit dem Kampf für die Eliminierung der Pandemie und die Verteidigung von Millionen Menschenleben verbunden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Stärke der Arbeiterklasse gegen die Biden-Regierung sowie die Demokraten und Republikaner auf Bundesstaats- und kommunaler Ebene mobilisiert werden. Diese haben die Wirtschaft zu früh wiedereröffnet, um Profite statt Menschenleben zu schützen.
Die Welle von Arbeitskämpfen im Gesundheitswesen muss kombiniert werden mit einer breiteren Bewegung der Arbeiterklasse für die vorübergehende Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Betrieben, für allgemeine Tests, Kontaktverfolgung und Quarantäne sowie Massenimpfungen, bis das Virus eingedämmt und eliminiert ist. Gleichzeitig muss das Einkommen aller betroffenen Arbeiter und Kleinunternehmer geschützt werden.
Die United Nurses Associations of California/Union of Health Care Professionals (UNAC/UHCP), die Oregeon Federation of Nurses and Healthcare Professionals (OFNHP), die United Steelworkers (USW), die SEIU, die United Food and Commercial Workers und andere Gewerkschaften der Krankenhausbeschäftigten lehnen jeden Kampf ab, der ihre lukrativen Beziehungen mit den Gesundheitsunternehmen und den beiden Parteien des Großkapitals gefährden würde.
Bei Kaiser wurde diese Einbindung der Gewerkschaft in die Managementstruktur bereits in den Neunzigerjahren durch die Labor Management Partnership institutionalisiert. Auf der Website der LMP heißt es, sie sei auf Vorschlag der Gewerkschaften gegründet worden, um eine „traditionelle Herangehensweise“ – d.h. Streiks – „und eine Kampagne gegen KP, die die Organisation letztlich schädigen könnte“, zu vermeiden.
Aus diesem Grund ist es für einen erfolgreichen Kampf gegen Kaiser Permanente wichtig, dass sich die Beschäftigten dem wachsenden nationalen und internationalen Netzwerk der Aktionskomitees anschließen, das ihnen eine echte Mitsprache und Führung im Kampf gegen die Sabotage der korporatistischen Gewerkschaften bietet.
Der Arbeitskampf bei Kaiser ist Teil der größten internationalen Streikwelle in den USA und weltweit seit Jahrzehnten. Sie wiederum wird angetrieben vom explosionsartigen Anwachsen sozialer Ungleichheit und den Versuchen der herrschenden Klasse, die Arbeiterklasse für die soziale und wirtschaftliche Katastrophe bezahlen zu lassen, die sie selbst mit ihrer kriminellen Reaktion auf die Pandemie verursacht hat.
Der Kampf für ein Ende der Pandemie und zur Verteidigung des Lebens und der Lebensgrundlagen der Arbeiter ist ein Kampf gegen den Kapitalismus und erfordert einen Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, darunter auch die Umwandlung von Kaiser, Tenet und anderen Gesundheitskonzernen in öffentliche Versorgungsbetriebe im demokratischen und kollektiven Besitz der arbeitenden Bevölkerung.