Am Dienstag warnte die Weltgesundheitsorganisation/Europa offen vor den katastrophalen Folgen der Entscheidung der europäischen Regierungen, angesichts der massiven Omikron-Welle die Gesundheitsmaßnahmen und Richtlinien zur Isolation und Quarantäne zu lockern.
Der Direktor der WHO für Europa, Dr. Hans Kluge, bezeichnete die Omikron-Variante als „neue Flutwelle von West nach Ost, die über die Region hinwegfegt“. In der ersten Woche des Jahres 2022 habe es in den 53 Ländern der WHO-Region Europa, zu der die britischen Inseln, Skandinavien, die Europäische Union und die Länder der ehemaligen Sowjetunion gehören, über sieben Millionen neue Fälle gegeben. Er sagte weiter: „Mit Stand vom 10. Januar berichten 26 Länder, dass sich jede Woche über ein Prozent ihrer Bevölkerung mit Covid-19 ansteckt. ... [Omikron] entwickelt sich schnell zur dominierenden Variante in Westeuropa und breitet sich nun auf dem Balkan aus.“
Kluge warnte: „Bei dieser Tempo sagt das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) voraus, dass sich mehr als 50 Prozent der Bevölkerung der Region in den kommenden sechs bis acht Wochen mit Omikron angesteckt haben werden.“ Das würde bedeuten, dass sich alleine in der WHO-Region Europa 400 Millionen der mehr als 800 Millionen Einwohner infizieren.
Der Arbeiterklasse droht ein katastrophaler Gesundheitsnotstand, weil die verantwortungslose herrschende Klasse jeden Versuch, die Pandemie zu kontrollieren, als unerträgliche Einschränkung des Profitstrebens ablehnt. In Europa sind bereits mehr als 1,6 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben, und weitere Millionen leiden an Long Covid. Dennoch bereiten die europäischen Regierungen eine neue Katastrophe vor, mit einer neuen Welle des Massensterbens und verheerenden Erkrankungen durch einen beispiellosen Anstieg der Infektionen.
Bisher gibt es in Europa etwa 100 Millionen bestätigte Fälle von Covid-19. Jetzt warnt die WHO, dass es in den nächsten zwei Monaten viermal so viele Fälle geben wird wie in der gesamten bisherigen Pandemie.
Diese Zahlen sind so gewaltig, dass sie fast unvorstellbar erscheinen. Wenn zwischen 10 und 50 Prozent aller Corona-Patienten an Long Covid erkranken – je nach Definition von Long Covid –, würden in Europa Dutzende oder Hunderte Millionen Menschen an verheerenden Langzeitfolgen leiden und eine intensive Behandlung brauchen. Das würde die Gesellschaft ins Wanken bringen, da extrem viele Menschen für die Dauer ihrer Krankheit nicht arbeiten können, und es würde zu zahllosen schweren Erkrankungen und Todesfällen führen.
Die europäischen Regierungen behaupten fälschlicherweise, es gebe wegen der Impfungen „keine Korrelation mehr“ zwischen Infektionen und schweren Erkrankungen sowie Todesfällen, wie es der französische Gesundheitsminister Olivier Véran formulierte.
Tatsächlich würde eine so massive Omikron-Welle die Krankenhäuser, in denen ohnehin eine angespannte Lage herrscht, völlig überlasten. Bereits jetzt, bevor ein Großteil der erst vor kurzem Infizierten in den Krankenhäusern eintrifft, sind in Frankreich – einem Land mit einer relativ hohen Impfquote von 74,9 Prozent – 23.371 der 3,4 Millionen aktiven Fälle hospitalisiert und 3.969 benötigen lebenserhaltende Maßnahmen. Wenn man für die Prognosen der WHO ähnliche Maßstäbe anlegt, so würden in den nächsten zwei Monaten europaweit fast drei Millionen Menschen in Krankenhäusern liegen, und 500.000 davon bräuchten lebenserhaltende Maßnahmen.
Diese Situation würde bereits die Kapazitäten der europäischen Krankenhäuser übersteigen und zu einem massiven Anstieg der Covid-Todesfälle und anderer Krankheiten führen, da die Patienten in den überlasteten Einrichtungen nicht mehr versorgt werden können. Doch alles deutet darauf hin, dass die Krise sogar noch schlimmer werden könnte.
Der Covid-19-Expertenrat der Bundesregierung warnt in seiner zweiten Stellungnahme vom 6. Januar vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. „Ein hohes Patientenaufkommen kombiniert mit akutem Personalmangel“ könne „innerhalb von kurzer Zeit die allgemeine medizinische Versorgung in Deutschland gefährden“. Am Dienstag meldete das Robert Koch-Institut mit 80.430 Neuinfektionen den Höchstwert während der gesamten Pandemie in Deutschland.
Der medizinische Berater der polnischen Regierung, Andrzej Horban, warnte in der Zeitung Rzeczpospolita vor einem „Tsunami der Infizierten“. Er erklärte, die 12 Millionen ungeimpften Polen würden sich allesamt mit der neuen Variante infizieren, und fünf bis zehn Prozent von ihnen würden ins Krankenhaus kommen. Das bedeutet, in Polen müssten „etwa eine Million Menschen behandelt werden“. Selbst wenn sie nicht alle auf einmal, „sondern über mehrere Monate hinweg“ kommen, würde es die Krankenhäuser hoffnungslos überlasten. Horban fügte hinzu: „Wir würden wahrscheinlich 50.000 bis 60.000 Betten für Corona-Patienten brauchen. Und wo wir die Ärzte und das medizinische Personal finden sollen, davon will ich noch gar nicht reden.“
WHO-Direktor Kluge erklärte: „Ich mache mir auch große Sorgen, dass wir während des Vorrückens der Variante nach Osten ihr volles Ausmaß in Ländern erleben werden, in denen die Impfquoten langsamer steigen und es bei Ungeimpften schwerere Verläufe geben wird.“ Er äußerte außerdem seine Sorge wegen der Auswirkungen auf das Klinikpersonal und forderte „mehr Unterstützung für ihre psychische Gesundheit und ihr Wohlergehen“.
Die leitende WHO-Notfallexpertin für Europa, Dr. Catherine Smallwood, riet von der geplanten Lockerung der Gesundheitsschutzmaßnahmen ab. Sie erklärte: „Wir müssen noch sehen, wie sich Omikron in einer Situation entwickelt, in der weniger Menschen gegen Sars-CoV-2 geimpft sind. Und deshalb müssen wir den Ball flach halten, sehr vorsichtig sein und dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen, um die Strategie zu ändern und die Ausbreitung von Covid-19 zuzulassen.“
Die schrecklichen Prognosen der WHO müssen nicht zwangsläufig eintreten. Ein strenger Lockdown, gefolgt von Impfungen und Kontaktverfolgung zur Isolation der Kranken und zur Prävention der weiteren Ausbreitung des Virus können die Übertragungsketten unterbrechen. Doch die Umsetzung einer solchen Politik erfordert die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die völlig rücksichtslose Politik der kapitalistischen Regierungen Europas.
Die herrschende Klasse reagiert auf die explosionsartige Ausbreitung von Omikron mit einer Verschärfung ihrer Durchseuchungspolitik, die ganz offen kapitalistischen Profitinteressen Vorrang vor der Gesundheit und dem Leben von Millionen Menschen einräumt.
Überall in Europa verkürzen die Regierungen die Quarantänezeiten für Infizierte und Kontaktpersonen. Am Sonntag vor einer Woche kündigte die französische Regierung an, dass Corona-Patienten nur noch für höchstens sieben Tage isoliert werden müssen und nach fünf Tagen wieder arbeiten können, wenn ihre Viruslast mit unzuverlässigen Antigentests nicht nachweisbar ist. Großbritannien und Spanien hatten zuvor ähnliche Maßnahmen verabschiedet.
In Dänemark gibt es nicht einmal mehr eine Mindestzahl an Quarantänetagen nach einer Infektion. Infizierte können schon nach 48 Stunden ohne Symptome wieder an die Arbeit zurückkehren. Diese unwissenschaftliche Politik führt dazu, dass zahlreiche Infizierte und Erkrankte ihre Kollegen anstecken.
Am Freitag gab die deutsche Bundesregierung bekannt, sie werde die Quarantänezeit in Deutschland von vierzehn auf fünf bis sieben Tage verringern. Die amtierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), erklärte, man habe sich entschlossen, „alles zu tun, um die Schulen offen zu halten… denn Menschen brauchen gute Kinderbetreuung, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können“.
Die europäischen Regierungen reagieren auf Omikron, indem sie den letzten Anschein aufgeben, die Ausbreitung des Virus verhindern zu wollen. Am Montag kündigte der französische Premierminister Jean Castex eine Vereinfachung der Gesundheitsvorschriften in den Schulen an. Wenn ein positiver Fall in einer Klasse gemeldet wird, müssen die Eltern ihre Kinder nicht mehr mitten am Schultag abholen, sondern erst am Ende. Castex erklärte dreist, seine Regierung werde Schulen und nicht lebensnotwendige Betriebe ohne Rücksicht auf die Kosten an Menschenleben offen halten: „Wir werden die Schulen oder das Land nicht schließen.“
Die spanische Regierung forderte Änderungen der Melde- und Isolations-Vorschriften, um Covid-19 wie eine Grippe zu behandeln. Ministerpräsident Pedro Sanchez erklärte am Dienstag gegenüber dem Radiosender Cadena Ser: „Das ist eine notwendige Debatte. Die Wissenschaft hat uns die Antwort für unseren Selbstschutz gegeben. Wir müssen die Entwicklung von Covid-19 von einer Pandemie zu einer endemischen Krankheit bewerten.“
Solche Äußerungen sind beispielhaft für eine toxische politische Atmosphäre in der herrschenden Klasse, die dem Tod von Millionen Menschen mit gefühlloser Gleichgültigkeit gegenübersteht. Die Arbeiterklasse muss dringend in einer internationalen Bewegung zur Durchsetzung einer wissenschaftlichen Politik mobilisiert werden, um das Virus zu eliminieren und der verantwortungslosen Finanzaristokratie die Kontrolle über die Ressourcen der Weltwirtschaft zu entreißen.
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