Während europaweit die Zahlen der Infektionen mit Covid-19 durch die Decke schießen, entsteht eine internationale Massenbewegung gegen die staatliche Politik, die zu Masseninfektionen in den Schulen führt. Nachdem am Donnerstag die französischen Lehrer landesweit gegen die katastrophale Reaktion auf die Corona-Pandemie streikten, bereiteten die Schüler in Italien für Freitag einen landesweiten Ausstand vor. In der Masse der Bevölkerung herrscht große Unterstützung für Distanzunterricht und Opposition gegen den Unterricht in unsicheren Schulen.
In der Erklärung zum französischen Lehrerstreik, der in der Bevölkerung auf große Zustimmung stieß, wurde der Staat für das „riskante Spiel mit der Gesundheit“ kritisiert, das er mit der Lockerung der Test- und Isolationsmaßnahmen spielt. Laut den französischen Lehrergewerkschaften nahmen 75 Prozent der Grundschul- und 62 Prozent der Oberschullehrer an dem Streik teil. Etwa die Hälfte der Schulen in Frankreich blieb dadurch geschlossen. In den restlichen fand der Unterricht nur mit Notbesetzung statt.
Die französische Bereitschaftspolizei ging mit Gewalt gegen Schüler vor, die in einigen Städten zu Beginn der Proteste vor dem normalen Unterrichtsbeginn Blockaden vor ihren Schulen errichtet hatten. In Paris wurden vor der Colbert-Oberschule Schüler geschlagen und mit Elektroschockern angegriffen, vor der Hélène-Boucher-Oberschule wurden protestierende Schüler eingekesselt und zwei verhaftet. Ein Schüler wurde verwundet, als ein Polizeiauto vor einer Oberschule in Nantes durch eine Menge von demonstrierenden Schülern fuhr.
Die Demonstrationen begannen am frühen Nachmittag, nachdem im Verlauf des Vormittags in mehreren Schulen Versammlungen unter der Aufsicht der Gewerkschaftsfunktionäre stattgefunden hatten. Die Lehrer skandierten: „Unsere Schulen werden für ihre Profite geopfert.“ Sie riefen Parolen gegen Bildungsminister Jean-Michel Blanquer und sangen Lieder der Gelbwestenbewegung von 2018/19 gegen soziale Ungleichheit. Große Demonstrationen fanden u.a. in Marseille, Lyon, Toulouse, Bordeaux, Nizza, Grenoble, Chambéry und der Hauptstadt Paris statt.
In Paris versuchten Kandidaten für die bevorstehende Präsidentschaftswahl im April an der Spitze des Demonstrationszugs mitzumarschieren, darunter die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo von der Parti Socialiste (PS), der Abgeordnete der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), Fabien Roussel, und der „linkspopulistische“ Kandidat Jean-Luc-Mélenchon. Diese Parteien haben allerdings keinerlei linken Widerstand gegen die Duchseuchungspolitik von Präsident Emmanuel Macron organisiert. Mélenchons LFI hat im letzten Sommer sogar die Proteste der Impfgegner unterstützt. Angesichts dieses Verhaltens in der Vergangenheit reagierten Teile der Demonstranten feindselig auf den Auftritt der Kandidaten.
Ein Demonstrant rief, an Hidalgo gerichtet: „Es ist uns egal, ob Sie hier herumstolzieren.“ Ein anderer erklärte gegenüber France Info: „Anne Hidalgo und die PS haben das Bildungswesen nicht verteidigt. Jetzt sind die Lehrer und das gesamte Bildungswesen wirklich wütend. ... Anne Hidalgo ist mir egal.“
Auch in Italien fanden am Freitag Massenproteste statt. Die den Stalinisten nahestehende Schülergewerkschaft rief zu einem landesweiten Ausstand gegen die „gefährliche Rückkehr in die Schulen“ auf, nachdem am Montag die Ferien zu Ende gegangen waren. Zuvor hatten diese Woche die Schüler der Regionen Campania, Ancona, Ascoli und Sardinien durch Bildungsstreiks gegen die Rückkehr in die Schulen demonstriert. Ein Schüler erklärte gegenüber ANSA News: „Wir sind uns alle einig, dass Distanzunterricht schädlich für das Sozialverhalten und das Zusammenleben von Schülern ist, aber das Recht auf Gesundheit und Schutz vor Infektion ist jetzt wichtiger.“
Der Koordinator der landesweiten Schülerstreiks, Luca Redolfi von der UDS, erklärte bei der Ankündigung des Streiks an die Adresse der italienischen Regierung: „Nach fast zwei Jahren Pandemie ist es unzumutbar, dass die Schulen noch immer unvorbereitet sind. ... Die öffentlichen Verkehrsmittel und Klassenzimmer sind überfüllt, die Schulgebäude sind ungeeignet angesichts der Pandemie, es wird oft nicht getestet, es gibt keine Garantie auf N95-Masken, und das Kontaktverfolgungssystem ist zusammengebrochen.“
Obwohl die Forderungen nach Distanzunterricht in der italienischen Jugend äußerst populär sind, schloss sich Redolfi dennoch der Position der italienischen Regierung an: „Die Lösung kann aber nicht Distanzunterricht sein, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er nur ein Werkzeug für Notfälle ist.“ Dieses bankrotte Argument ignoriert die Tatsache, dass die Pandemie ein europäischer und globaler Notfall ist.
Diese Woche haben sich weitere zwei Millionen Menschen in Frankreich mit Covid-19 infiziert, 1,2 Millionen in Italien und eine Million in Großbritannien. Europaweit gab es insgesamt 7,7 Millionen Infektionen und 20.899 Todesfälle. Die Zahl der Infizierten steigt um 50 Prozent pro Woche, und laut einer Warnung der Weltgesundheitsorganisation könnte sich aufgrund der Regierungspolitik in den nächsten sechs bis acht Wochen die Hälfte der europäischen Bevölkerung mit Covid-19 infizieren. Alleine in Frankreich und Italien gibt es mehr als vier Millionen bzw. 2,2 Millionen aktive Fälle. Das bedeutet, dass gegenwärtig sechs Prozent der französischen und 3,6 Prozent der italienischen Bevölkerung mit Covid-19 infiziert sind.
Diese schrecklichen Bedingungen führen weltweit zu Protesten und Streiks, darunter den Protesten von Lehrern in Chicago, San Francisco, New York und Boston, und jetzt in ganz Europa. Die anfängliche Mobilisierung von Arbeitern und Jugendlichen widerlegt die Behauptungen, die Durchseuchungspolitik hätte in der Bevölkerung Rückhalt. Maßnahmen, die den Regierungen erlauben, kranke und infektiöse Arbeiter nach kurzer Isolation von nur fünf bis sieben Tagen zur Rückkehr an die Arbeit zu zwingen oder Schüler trotz einer massiven Infektionswelle zum Unterricht in überfüllten, infizierten Klassenzimmern, lösen massive Wut und Besorgnis aus.
Zwei Umfragen unter europäischen Schülern, die in diesem Monat erschienen sind, verdeutlichen dies noch weiter. Letzte Woche erklärten 78 Prozent von 10.000 Studenten der Pariser Universität Sorbonne, sie lehnten die Entscheidung der Regierung ab, sie für ihre Prüfungen zu Hunderten in großen Räumen zusammenzupferchen, wo sich das Virus verbreiten kann. Als die italienischen Schüler diese Woche aus den Ferien zurückkamen, führte das Lehrerportal Skuola eine Umfrage durch, laut der 69 Prozent aller Schüler einen Wechsel zu Distanzunterricht befürworten.
Die entscheidende Frage ist, welche politische Perspektive und Führung diese entstehende internationale Bewegung der Arbeiter und Jugendlichen braucht, um die Pandemie aufzuhalten und die Unterordnung von Gesundheit und Menschenleben unter das private Profitstreben zu beenden. Die behelfsmäßigen Mitigationsmaßnahmen und eintägigen Streiks, die die Gewerkschaften unterstützen, halten das Virus nicht auf, da es sich durch die Luft überträgt und sowohl Geimpfte als auch Genesene anstecken kann. Ebenso wenig werden sie die Regierungen zu einem Kurswechsel bewegen, die entschlossen sind, die Schüler und Arbeiter um jeden Preis in Schulen und Betrieben zu halten, damit die Profite für die Banken weiterfließen.
Die Alternative ist der Aufbau von Aktionskomitees in Schulen, Fabriken und Betrieben in ganz Europa und der Welt, unabhängig von den nationalen Gewerkschaftsbürokratien, um die Arbeiterklasse und die Jugend für einen weltweiten Kampf gegen die Corona-Pandemie zu mobilisieren. Dies erfordert einen politischen Kampf und die internationale Organisierung der vollen industriellen Stärke der Arbeiterklasse für die Schließung von Schulen und der nicht lebensnotwendigen Produktion sowie die Umsetzung einer wissenschaftlich begründeten Zero-Covid-Politik.
Ohne eine internationale Perspektive und ein internationales Programm besteht die Gefahr, dass das politische Establishment die eintägigen Streiks benutzen kann, um die Bevölkerung zu beschwichtigen und Maßnahmen zu verzögern. Tatsächlich darf sie keine Zeit verlieren, wenn sie ein weiteres Massensterben verhindern will. Das beste Beispiel dafür sind die Fraktionen der französischen Gewerkschaftsbürokratie, die von den Medien traditionell als „radikal“ dargestellt werden.
Am Donnerstagabend veranstalteten die französischen Gewerkschaften ein Notfalltreffen mit Blanquer und, per Videokonferenz, mit Gesundheitsminister Olivier Véran, der positiv auf Covid-19 getestet wurde. Blanquer versprach zusätzliche N95-Masken, Testkits und Vertretungslehrer als Ersatz für die erkrankten, machte aber deutlich, dass die Regierung nichts an ihrem Kurs ändern wird und sich weiter weigern wird, etwas gegen die Ausbreitung des Virus in Schulen zu unternehmen, etwa die Schließung von Klassen im Fall von Erkrankungen.
Die Funktionärin der Lehrergewerkschaft, Sophie Vénétitay, gab nach dem Treffen mit Blanquer an, dass die Gewerkschaften nur eine bessere Vermarktung der unzureichenden Maßnahmen von Blanquer fordern: „Es gibt einige Signale, aber wir brauchen mehr. Die Versprechen von heute Abend müssen eingehalten werden, weil wir schon zuvor lange Diskussionen ohne Ergebnisse hatten. Die angekündigten Diskussionen müssen stattfinden, und es muss Änderungen bei der Öffentlichkeitsarbeit geben.“
Auch die stalinistische Confédération générale du travail (CGT) hat einen weiteren eintägigen Streik für den 27. Januar angekündigt. Doch wenn nichts unternommen wird, werden bis dahin weitere zehntausende Menschen gestorben und Dutzende Millionen in ganz Europa an Covid-19 erkrankt sein.
Die Alternative ist, die unabhängigen Organisationen der internationalen Arbeiterklasse miteinander zu verknüpfen, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) aufzubauen und die Arbeiterklasse in einem politischen Kampf für ein Ende der Pandemie zu mobilisieren. Die Parti de l' égalité socialiste ruft die Lehrer, Jugendlichen und Arbeiter, die an der Teilnahme an solchen Komitees interessiert sind, mit der World Socialist Web Site Kontakt aufzunehmen.