Inmitten der dramatischen Pandemieentwicklung in Deutschland hat eine Petition, die den „aktuellen Durchseuchungsplan“ der Regierung als „unverantwortlich und unsolidarisch“ bezeichnet, innerhalb von weniger als einer Woche mehr als 126.000 Unterschriften erhalten. Unter dem Schlagwort #WirWerdenLaut fordern hunderttausende Schüler, Lehrer und Eltern – unterstützt von Wissenschaftlern, Journalisten und über 100 Schülervertretern – ein sofortiges Ende der „Profite vor Leben“-Politik, die bereits Millionen Menschenleben gekostet hat und zur Herausbildung von neuen und gefährlicheren Coronavirus-Mutanten geführt hat.
„Ich stehe als Lehrerin jeden Tag an vorderster Front“, schreibt Martina N. aus Fulda zur Begründung ihrer Unterschrift: „Die Situation in den Schulen ist seit zwei Jahren unverändert, das ist eine der größten Sünden gegen die junge Generation.“ Sandra K. aus Freiburg erklärt: „Ich verstehe die Angst und die Sorgen der Schülerinnen und Schüler. Für so vieles ist ausreichend Geld da. Die Schulen, unsere Kinder und die Lehrer werden jedoch im Stich gelassen. Es ist nicht zu fassen.“
Sandrine H. schreibt: „Es wurde bewusst eine Infektion der Familien, Lehrer, Erzieher und Betreuer beschlossen. Wir schicken unsere Kinder zu Kindergärten und Schulen und zählen die Tage bis zur Infektion.“ Stefanie S. fügt hinzu: „Ich habe unterschrieben, um mein Kind (Risikopatient) vor der willkürlichen Durchseuchung zu schützen.“
Auch der Satiriker Jan Böhmermann unterstützte die Petition und erklärte: „Die Wirtschaft verlangt, dass Eltern ihre Kinder in Schulen und Kindergärten stecken wollen“.
Politiker und Medienvertreter lancierten hingegen eine üble Kampagne gegen die Petition und ihre Initiatoren, weil sie die wachsende Opposition gegen ihre Durchseuchungspolitik fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, der für seine reaktionären Tobsuchtsanfälle berüchtigt ist, verglich die kritischen Schüler bereits am Freitag mit „Klimaapokalyptikern“. Die Unterzeichner der Petition verunglimpfte Poschardt als „junge Angst- und Staatsstreber, die unter dem #Wirsindlaut ihre passiv-Aggression gegen die freiheitsliebende Mehrheit der Jugendlichen ausleben“.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Karin Prien (CDU) hatte angesichts der Resonanz auf die Petition auf Twitter zunächst Gesprächsbereitschaft vorgespiegelt, gleichzeitig jedoch einen Kommentar unterstützt, der den Unterzeichnern vorwarf, gemeinsame Sache mit Wissenschaftlern zu machen, die sich für eine „No-Covid“-Strategie aussprechen – als ob die Orientierung an der Wissenschaft etwas Anrüchiges wäre.
Gegenüber dem Privatsender RTL versuchte Prien sogar, die Forderungen der Petition auf den Kopf zu stellen und die Jugendlichen für einen Aufruf zur Durchseuchung sogar vulnerabler Gruppen zu missbrauchen: „Dass Kinder und Jugendliche jetzt lauter werden“, nachdem die Politik „die Interessen der Erwachsenen, und hier besonders der vulnerablen Gruppen“ wahrgenommen hätte, könne sie „sehr gut verstehen“. In Wirklichkeit haben Prien und die anderen Bildungsminister eine zentrale Rolle dabei gespielt, die Gesundheit der Kinder und der vulnerablen Gruppen gleichermaßen dem Profit der Konzerne zu opfern.
Besonders übel ist ein Kommentar von Katharina Riehl, der am Freitag in der Süddeutschen Zeitung erschien. Riehl attackiert all jene Schüler, Eltern und Lehrer, die „die angeblich politisch gewollte Durchseuchung der Kinder“ kritisieren. Dass Kinder „trotz täglich neuer Rekordinzidenzen in die Schule gezwungen würden, damit Mami und Papi schön arbeiten gehen können und in Deutschland die Fließ- und Kassenbänder nicht stillstehen“, sei „eine Legende“, behauptet die Autorin.
Wer erkläre, dass Kinder „dem bösen Kapitalismus zum Fraß vorgeworfen“ werden und kritisiert, dass Schulen als „Betreuungszentren für den Nachwuchs seiner Arbeitskräfte“ missbraucht würden, verbreite eine „Mär“ aus dem „linksliberalen Milieu“. Den inmitten der Pandemie erzwungenen Präsenzunterricht als „Erfüllungsgehilfe einer kapitalistischen Gesellschaft“ zu bezeichnen und eine „politisch verordnete Durchseuchungsstrategie zum Wohle der Wirtschaft zu beschwören“, sei „polemischer Quatsch“.
Auch Dieter Janecek, der als Bundestagsabgeordneter und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen stets aggressiv für die Beseitigung wichtiger Schutzmaßnahmen an Schulen eingetreten ist, leugnete auf Twitter eine „geplante Durchseuchung“ der Gesellschaft. Die „These, dass Schulen wegen der Wirtschaft offengehalten würden“, stellte Janecek in eine Reihe mit den rechtsextremen „Verschwörungstheoretikern der Querdenker“.
In Wirklichkeit hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) selbst wiederholt klargestellt, dass der Omikron-Durchseuchung der Gesellschaft ein präzise ausgearbeiteter Plan zugrunde liegt. Auf einer Pressekonferenz Ende Januar hatte Lauterbach erklärt, „der Plan“ bestehe darin, dass „die älteren Bevölkerungsgruppen“ nicht „überproportional“ von Covid-19 betroffen sein sollten: „Es läuft ungefähr so, wie wir es uns vorgestellt haben.“ Man habe sich bewusst dagegen entschieden, „jetzt zu stark die Kontakte zu reduzieren“.
In einem Papier der Kultusministerkonferenz (KMK) mit dem Titel „Präsenzbetrieb an Schulen trotz Omikron sicherstellen“ heißt es ganz unverblümt, „die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs“ sei „systemrelevant und darüber hinaus eine Grundlage für die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit“.
Kritische Schüler, Eltern und Lehrer, die sich gegen diese Durchseuchung zur Wehr setzen, als Angsthasen und gar als Verschwörungstheoretiker zu diffamieren, ist das jüngste Kapitel einer Medienkampagne, die versucht, berechtigte Kritik an der „Profite vor Leben“-Politik mundtot zu machen. Sie muss aufs schärfste zurückgewiesen und die mutigen Jugendlichen müssen verteidigt werden.
Um der Phalanx aus Parteien und Medien entgegenzutreten, müssen sich Schüler international mit Arbeitern zusammenschließen und eine globale Bewegung zur Eliminierung des Virus entwickeln.
In ihrem aktuellen Statement rufen die IYSSE zum Aufbau von Aktionskomitees für sichere Bildung auf, um den Kampf in die eigene Hand zu nehmen und die notwendigen Schutzmaßnahmen durchzusetzen. Die einzige Möglichkeit, die Durchseuchung zu stoppen, ist der internationale Kampf für „Zero Covid“. Das erfordert ein sozialistisches Programm, das die Leben und die Gesundheit der Bevölkerung vor die finanziellen Interessen der Unternehmen stellt.
Es ist wichtig, dass die #WirWerdenLaut-Petition schon jetzt zum Ausgangspunkt genommen wird, weitere Proteste und Streiks zu organisieren. Die Jugendorganisation „Fridays for Future Frankfurt am Main“ rief gestern alle Schüler und Unterstützer „zum Schulstreik am 11.02. um 14:00 an der Alten Oper“ auf.
„Seit zwei Jahren Pandemie werden Schulen vernachlässigt, während die Lufthansa mit Milliarden gerettet wird und alles dafür getan wird, die Wirtschaft am Laufen zu halten“, schreibt die Organisation auf Twitter. „In Schulen ist es aber anscheinend nicht mal möglich, flächendeckend Luftfilter anzuschaffen. Jeden Tag infizieren sich Menschen in unserer Klasse und unserem Umfeld – wie lange wollen wir das so hinnehmen? Ist unter der ständigen Angst vor Infektion eine Bildung überhaupt noch möglich? Wir sagen es reicht!“