Während täglich rund 300 Menschen an Covid-19 sterben und sich mehr als 200.000 infizieren, liefen am Wochenende in ganz Deutschland die letzten Schutzmaßnahmen aus. Die Bundes- und Landesregierungen treiben damit die Durchseuchungspolitik im Interesse der Profitwirtschaft auf die Spitze. Sie machen deutlich, dass keinerlei Einschränkungen die kapitalistische Profitmaximierung eingrenzen dürfen – auch wenn das täglich hunderte Menschenleben kostet.
Bereits am 18. März verabschiedete der Bundestag ein neues Infektionsschutzgesetz, das die Pandemiemaßnahmen nur noch auf einen sogenannten „Basisschutz“ reduziert, der aus Masken- und Testpflicht an wenigen Orten besteht. Den Bundesländern war es gestattet, eine zweiwöchige Übergangsregelung aus Maskenpflicht, 2G- und 3G-Regeln zu beschließen – was die meisten Bundesländer getan haben. Diese lief am 2. April aus.
Von nun an müssen Masken nur noch in Pflegeheimen, Kliniken und dem öffentlichem Nah- und Fernverkehr getragen werden. Weder in Geschäften, noch in Kitas und Schulen gilt eine Maskenpflicht. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wies Bildungsministerin, Yvonne Gebauer (FDP), die Schulen explizit an, keine Maskenpflicht mehr zu erlassen. Bei einer Inzidenz von teilweise über 2000 an Schulen kommt das einer regelrechten Durchseuchungspflicht gleich.
Das neue Infektionsschutzgesetz sieht zwar die Möglichkeit von schärferen Maßnahme in sogenannten „Hotspot-Gebieten“ vor. Doch auch diese Maßnahmen beschränken sich lediglich auf eine FFP2-Maskenpflicht in weiteren Bereichen, Abstandsgebote von 1,5 Metern in Innenräumen, sowie 3G- und 2G-Regelungen – alles völlig unzureichende Maßnahmen, wie die aktuelle Infektionswelle zeigt.
Zudem liegt die Entscheidung, wann eine Region als Hotspot gilt in den Händen der Landesparlamente. Und die winken ab. Bislang haben nur zwei Bundesländer – Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern erklärt – auf die Hotspot-Regelung zurückzugreifen. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein schlossen dies explizit aus.
Dabei ist sich die herrschende Klasse der Folgen ihrer Politik vollkommen bewusst. Eine besonders üble Rolle spielt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der als studierter Mediziner und Epidemiologe regelmäßig vor den Folgen der Durchseuchung warnt, die er dann selbst organisiert.
Am Mittwoch schrieb er auf Twitter: „Long Covid lässt zehntausende chronisch krank zurück, das macht keine Grippe. Wir haben keine Therapie. Selbst geimpfte Omicron Infizierte trifft das, daher Vorsicht.“ Und am Samstag erklärte er, das Risiko, sich zu infizieren, sei „selten höher gewesen als jetzt. Epidemiologisch wäre das Festhalten an der Maskenpflicht richtig gewesen. Es ging aber rechtlich nicht…“.
Dreister geht es kaum. Die „rechtliche“ Grundlage für das Ende der Maskenpflicht und aller anderen Maßnahmen hat die Ampel-Koalition selbst geschaffen. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, die „epidemische Notlage“ zu beenden. Wenn Lauterbach nun öffentlich Krokodilstränen über die Corona-Toten vergießt – „Das ist nicht akzeptabel. Das ist ein Flugzeugabsturz jeden Tag“, erklärte er jüngst – ist das an Heuchelei kaum zu überbieten. Es sind seine Toten und die der gesamten herrschenden Klasse.
Mit der jüngsten Entscheidung der Regierung werden zu den mittlerweile fast 130.000 Corona-Toten in Deutschland viele weitere hinzukommen. Die Situation ist außer Kontrolle und sowohl die Zahl der Infektionen, als auch die Zahl schwerer Verläufe nimmt rasant zu. Innerhalb einer Woche registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) 1,5 Millionen Infektionen. Die bundesweite Inzidenz liegt bei über 1500. 123 Kreise haben eine Inzidenz von über 2000, sieben Kreise sogar über 3000.
Die tatsächlichen Zahlen liegen jedoch noch weit darüber. Durch die Überlastung der Gesundheitsämter und mangels öffentlicher Testkapazitäten, gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer. Lauterbach selbst gab vor kurzem zu, dass die Infektionszahlen eigentlich „mehr als doppelt so hoch“ seien. Hinzu kommt, dass einzelne Länder, wie Baden-Württemberg oder Brandenburg, ihre Daten nicht an jedem Wochentag melden.
Die dramatische Durchseuchung zeigt sich auch im Höchststand von Krankschreibungen auf Grund einer Infektion mit dem Virus. Nach einer Auswertung des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung (BifG) waren z.B. in der Woche vom 13. bis 19. Februar 52.100 Menschen wegen eine Infektion arbeitsunfähig. Zu Spitzenzeiten der ersten Welle betrug die Zahl 25.100. Im Bundesschnitt können 139 von 10.000 Menschen aktuell nicht arbeiten.
Die herrschende Klasse, die durch den hohen Ausfall von Arbeitskräften ihre Profitmaximierung gefährdet sieht, ist zunehmend besorgt. Doch anstatt mit Schutzmaßnahmen zu reagieren, werden die Quarantäne- und Isolationsregeln weiter angepasst, um auch Infizierte und potenziell Infizierte zur Arbeit zu zwingen.
Bereits im Januar wurde die Quarantänezeit auf zehn Tage verkürzt mit einer Freitestmöglichkeit nach sieben Tagen. Nun sieht ein Regelungsentwurf von Bundesgesundheitsministerium und RKI, der am Mittwoch an die Bundesländer versandt wurde, vor, die Quarantäne für Infizierte und Kontaktpersonen sogar auf fünf Tage zu reduzieren. Dabei soll eine formelle Anordnung der Quarantäne durch das Gesundheitsamt entfallen. Die Quarantäne wird de facto also zur reinen Freiwilligkeit.
Wissenschaftler und Epidemiologen warnen vor den dramatischen Konsequenzen. „Die Infektionen [werden] dadurch auch wieder in die Schichten getragen werden, die sich bislang gut schützen konnten – in Pflegeeinrichtungen, Behindertenwerkstätten, also die vulnerablen Gruppen“, erklärte der Infektionsmodellierer Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie an der Uni Saarbrücken.
Schon jetzt gibt es einen Anstieg der schweren Verläufe, der den Mythos von Omikron als einer „harmloseren Variante“ widerlegt. Allein am Donnerstag mussten 2061 Menschen hospitalisiert werden. Die adjustierte Hospitalisierungsinzidenz liegt bereits bei knapp 15, was ungefähr 12.000 Hospitalisierungen pro Woche entspricht.
Auch die Intensivstationen füllen sich. Aktuell müssen 2332 Menschen intensivmedizinisch behandelt werden und jeden Tag kommen zwischen 200 und 300 Menschen neu auf die Intensivstationen. Der Anteil freier Intensivbetten liegt mit 9,4 Prozent bereits unter der 10-Prozent-Linie, die als Grenzwert für Reaktionsfähigkeit der Kliniken gilt und den man versucht nicht zu unterschreiten.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erwartet zudem einen noch stärkeren Anstieg der Zahl von Intensivpatienten. Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Auch auf den Intensivstationen werden wir in den kommenden Wochen wieder stärker steigende Patientenzahlen verzeichnen.“ Besonders problematisch seien auch die vielen Personalausfälle: „Drei von vier Krankenhäusern müssen Leistungen einschränken, weil Personal ausfällt. Das liegt an Infektionen, Quarantäne oder Betreuung von positiv getesteten Kindern“.
In der Bevölkerung gibt es eine breite Opposition gegen die Durchseuchungspolitik. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL ergab, dass eine klare Mehrheit die Corona-Lockerungen ablehnt. 65 Prozent halten die Aufhebung von bundesweit einheitlichen Maßnahmen für verfrüht. 69 Prozent finden, dass eine Maskenpflicht in den meisten Bereichen bestehen bleiben sollte. 61 Prozent halten die Einführung einer Impfpflicht für richtig, aber nur 16 Prozent glauben, dass diese von der Regierung auch tatsächlich eingeführt wird.