Neues Energiesicherungsgesetz: Preisexplosion wird auf Arbeiterklasse abgewälzt

Am 22. Mai trat die vom Bundestag und Bundesrat beschlossene Neuregelung des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) in Kraft. Die Gesetzänderung ermöglicht es Energieversorgern, die massiv steigenden Kosten für Gas und Öl schonungslos auf die Arbeiterklasse abzuwälzen.

Der Krieg in der Ukraine habe die „angespannte Lage auf den Energiemärkten drastisch verschärft“, so die Bundesregierung. Zuvor hatte bereits die schnelle wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie – ein Ergebnis der skrupellosen Profite-vor-Leben-Politik der herrschenden Klasse, die unzählige Menschenleben gekostet hat – zu einem Anstieg der Großhandelspreise für Gas geführt.

Gaspipeline von Gazprom [Photo: Gazprom]

Die Gesetzesnovelle soll laut offiziellen Angaben dazu dienen, „die Krisenvorsorge zu stärken und im Ernstfall schnell handlungsfähig zu sein“. Die Sorge der Ampelkoalition gilt dabei den Profiten der Energieversorger, während Arbeiter neben den rasant steigenden Lebensmittelpreisen auch die explodierenden Energiepreise stemmen müssen.

Im Fokus der Neuregelung steht die Preisanpassungsklausel (§ 24 EnSiG). Der Passus erlaubt es Energieversorgern, Preiserhöhungen direkt an ihre Kunden weiterzugeben, sollte die Bundesnetzagentur eine „erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland“ feststellen. Voraussetzung dafür ist, dass die zweite bzw. dritte Stufe des „Notfallplans Gas“ aktiviert wird. Bereits im März dieses Jahres hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die erste Stufe ausgerufen.

Die Novellierung sieht zwar auch Eingriffsmöglichkeiten des Staates vor, wie die Schaffung einer digitalen Plattform, über die in Notfalllagen Gasmengen zugeteilt werden können. Im Extremfall können Energieversorgungsunternehmen auch unter treuhänderische Verwaltung gestellt oder sogar enteignet werden, was prompt Proteste aus der Energiewirtschaft hervorrief.

Tatsächlich sollen solche Maßnahmen vorwiegend gegen russische Energieunternehmen zum Einsatz kommen, wie Rosneft, das eine Erdölraffinerie im brandenburgischen Schwedt besitzt, oder Gazprom, dessen Erdgasanlagen in Deutschland unter einem technischen Vorwand bereits unter die Treuhand der Bundesnetzagentur gestellt wurden. Deshalb wurde das neue Gesetz auch als „Lex Gazprom“ oder „Lex Rosneft“ bezeichnet.

Im Zentrum des Gesetzes steht aber nicht die Enteignung der Energieunternehmen, sondern die Sicherung ihrer Profite auf Kosten der Verbraucher.

Das Gesetz ermöglicht es den Unternehmen, Preiserhöhungen mit nur einer Woche Vorankündigung über die gesamte Lieferkette bis zum Endkunden weiterzureichen. Damit sollen, so die offizielle Begründung, finanzielle Schieflagen der Energieunternehmen und kaskadenhafte Ausfälle der Energieversorgungsketten verhindert werden. Der Kunde hat zwar ein Kündigungsrecht, was ihm aber in einer allgemeinen Mangelsituation wenig nützen wird. Sinkt der Weltmarktpreis wieder, sind die Unternehmen dagegen nicht verpflichtet, die Preiserhöhungen zurückzunehmen.

Der FDP-Abgeordnete Michael Kruse jubelte während der Debatte im Bundestag von einem „Preissignal“, das bestehen bleiben müsse, „damit die entsprechenden Anpassungsprozesse möglichst effizient im marktwirtschaftlichen Sinne erfolgen können“.

Welche Auswirkungen die Preisanpassungsklausel auf Arbeiter haben wird, zeigt die Explosion der Großhandelspreise auf dem Gasmarkt: Derzeit kostet eine Megawattstunde Gas rund 95 Euro, im Vorjahreszeitraum lag der Preis noch bei 25 Euro – eine Steigerung von 380 Prozent. Bei einem Jahresverbrauch von 8.600 kWh muss mit mehr als einer Verdoppelung der Kosten auf 1.376 Euro gerechnet werden (durchschnittlich 16 Cent pro kWh). Vor der Corona-Pandemie (2019) waren es noch 520 Euro für denselben Jahresverbrauch gewesen.

Arbeiter und ihre Familien müssen also mit Mehrkosten gegenüber dem Jahr 2019 von 264 Prozent rechnen – eine Steigerung um satte 856 Euro pro Jahr. Eine weitere finanzielle Belastung droht außerdem durch die noch von der Großen Koalition eingeführte CO2-Steuer.

Die zusätzliche finanzielle Belastung können viele Arbeiter kaum noch bewältigen. Pflegehelfer beispielsweise verdienen im Monat ca. 1.700 bis 2.300 Euro brutto, Friseure erhalten einen Bruttolohn von 1.650 bis 2.100 Euro. Rund 850 Euro mehr im Jahr bedeutet für viele von ihnen Verzicht auf einen halben Monatsbruttolohn.

Viele andere, darunter Rentner und Studenten, leben bereits jetzt von der Hand in den Mund und müssen sich mit schlecht bezahlten Nebenjobs über Wasser halten. Die geplante Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober ändert daran nichts.

Die erste Fassung des Energiesicherheitsgesetzes stammt aus dem Jahr 1975. Es war eine Reaktion auf die Ölkrise 1973, als die OPEC-Staaten die Ölförderung drastisch senkten. Die Bundesrepublik zahlte 1974 für Erdölimporte knapp 23 Milliarden Mark (rund 12 Milliarden Euro) und damit fast 153 Prozent mehr als noch 1973. Schon damals hatte dies eine starke Rezession mit hoher Inflation, also eine Stagflation zur Folge. Die Arbeitslosigkeit stieg von 273.000 im Jahr 1973 auf mehr als eine Million zwei Jahre später.

Heute droht der Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland ebenfalls in einem wirtschaftlichen Stillstand zu enden. Die SPD-Abgeordnete Nina Scheer sagte in ihrer Bundestagsrede über die drohende wirtschaftliche und soziale Entwicklung: „Unternehmen verlieren ihre Produktionsmöglichkeiten“, und wenn diese nicht mehr produzieren können, „dann werden wir in schnellster Zeit eine große Arbeitslosigkeit zu beklagen haben“.

Die im Mai beschlossene Energiepreispauschale von 300 Euro, die alle Beschäftigten im September erhalten sollen, ist unter diesen Umständen noch nicht einmal der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Da die Pauschale versteuert werden muss, wird im Endeffekt nicht viel davon übrig bleiben. Empfänger von Arbeitslosengeld II erhalten im Juli eine Einmalzahlung von 200 Euro, wer Arbeitslosengeld I bezieht, erhält nur 100 Euro. Hinzukommen weitere, lächerlich geringe Sofortzuschläge für arme Familien, Asylbewerber sowie ein Kinderbonus. Rentner, die keine Einkommenssteuer bezahlen – und das ist die große Mehrheit –, gehen völlig leer aus.

Im Juli wird außerdem erstmals die Ökostromumlage (EEG) nach mehr als 20 Jahren entfallen. Dabei sollen Verbraucher bei den Strompreisen entlastet werden, die zuletzt ebenfalls stark gestiegen sind. Experten sind sich einig, dass die Strompreise durch die Abschaffung der Ökostromumlage nicht sinken werden, sondern dass ein starker Anstieg höchstens abgedämpft wird.

Während sich die Ampelkoalition bei der Neuregelung des Energiesicherungsgesetzes geschlossen zeigte und auch Die Linke dem Angriff auf die Arbeiterklasse zustimmte, enthielt sich die Union. Die AfD stimmte dagegen.

Die Union kritisierte die Preisanpassungsklausel. Dabei galt ihre Sorge nicht den überdimensionierten Preisen für die Verbraucher, sondern der Angst vor hitzigen Kämpfen der Arbeiterklasse. „Es könnte im schlimmsten Fall so sein, dass die Wirkung des neuen § 24 Energiesicherungsgesetz die eines Brandbeschleunigers ist,“ begründete der CSU-Abgeordnete Andreas Lenz die Enthaltung der Unionsfraktion. „Quasi soll ein Brand mit Benzin gelöscht werden; das funktioniert nicht. Es ist mit diesem Paragrafen letzten Endes immer noch ein hohes systemisches Risiko verbunden.“

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unterstützt die Neuregelung des Energiesicherungsgesetzes und damit die rasant steigenden Gaspreise für die Arbeiterklasse. „Das Ziel muss die Versorgungssicherheit und die Vermeidung von Energieausfällen für private Haushalte sowie Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen sein“, sagte Christoph Schmitz, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands.

Während der Krieg in der Ukraine seit rund 14 Wochen unvermindert tobt und bereits zahlreiche Todesopfer gefordert hat, werden die Konsequenzen für die Arbeiterklasse in Deutschland und auch weltweit immer deutlicher spürbar. Die deutsche herrschende Klasse befindet sich auf Kriegskurs und heizt den Konflikt durch Waffenlieferungen immer weiter an. Die Angst der Bourgeoisie vor massiven Protesten ist berechtigt, wie man derzeit besonders in Sri Lanka, aber auch an zahlreichen Streiks weltweit beobachten kann.

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