Am Dienstag begann der landesweite britische Eisenbahnerstreik, zu dem die Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) aufgerufen hatte. Weitere Streiks sind für den heutigen Donnerstag und für Samstag geplant. Der Bahnverkehr ist voraussichtlich die ganze Woche stark eingeschränkt. Arbeiter der Londoner U-Bahn traten ebenfalls in den Streik.
Die World Socialist Web Site, die die Streikenden auffordert, Zuschriften zu schicken, veröffentlicht fortlaufend Live-Updates vom Streik.
An den Streikposten herrschte am Dienstag eine kampfbereite Stimmung vor. Viele Arbeiter schilderten die Auswirkungen der steigenden Lebenshaltungskosten, der ständigen, zermürbenden Überstunden und sozialen Kürzungen auf ihr Leben. Sie berichteten von Plänen für brutale und gefährliche Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen bei der Bahn.
Viele Streikende haben erkannt, dass der Kampf gerade erst begonnen hat. Sie forderten umfassendere Aktionen bis hin zum Generalstreik. Sie wiesen darauf hin, dass auch andere Arbeiterschichten kampfbereit seien. Der Hashtag #RailStrikes war auf Twitter den ganzen Tag über Trend, und Tausende weitere benutzten die Hashtags #GeneralStrike und #GeneralStrikeNow.
Diese Stimmung bringt die Arbeiterklasse auf Kollisionskurs mit der konservativen Regierung, die versucht, den Widerstand zu unterdrücken. Die Tories reagierten auf die Streiks, indem sie alle Drohungen der letzten Wochen wiederholten und darauf bestanden, dass dies ein entscheidender Kampf sei. Verkehrsminister Grant Shapps wies in Interviews mit BBC und Sky News die Forderungen der RMT und der Labour Party nach Verhandlungen zur Beendigung des Streiks zurück.
Shapps betonte, auch die Labour-Regierungen unter Tony Blair und Gordon Brown hätten nie mit streikenden „Feuerwehrleuten und Postangestellten“ verhandelt. Die Regierung werde stattdessen die Gesetze ändern, damit die Unternehmen Leiharbeiter als Streikbrecher einstellen könnten. Die Regierung sei nach wie vor entschlossen, ein Gesetz zu erlassen, das während eines Streiks einen Mindestbetrieb zwingend vorsieht – wodurch Arbeitskämpfe wirkungslos würden.
Kay Burley von Sky News äußerte Verständnis für das Angebot der RMT, den Streik zu beenden, und fragte Shapps: „Warum krempeln Sie nicht die Ärmel hoch und setzen sich diese Woche mit den Gewerkschaften an einen Tisch, damit wir nicht noch zwei weitere Streiktage bekommen?“
Die Tatsache, dass Kay Burley die Vorschläge der RMT unterstützt, verdeutlicht die Furcht in Teilen der herrschenden Kreise, dass die Eisenbahnerstreiks eine breitere Bewegung der Arbeiterklasse auslösen könnten. Sie haben verstanden, dass die RMT keineswegs ein „unversöhnlicher Gegner“ ist.
Dies bestätigte der stellvertretende Generalsekretär der RMT, Eddie Dempsey, unverzüglich, als er dem Independent erklärte: „Vieles von dem, was die Regierung erzählt, ist haltlos übertrieben und hetzerisch. Sie wollen gar keine Einigung (…) Sobald wir diese Einigung bekommen, werden die Streiks abgebrochen.“ Danach lobte er das Management von Network Rail und die Bahnbetreiber, die sich, wie er sagte, „anständig“ und „angemessen“ verhalten hätten.
Der Vorstandschef von Network Rail, Andrew Haines, erklärte gegenüber Times Radio, er sei am Dienstagabend sehr kurz davor gewesen, mit der RMT eine Einigung über ein „glaubwürdiges Paket für die Kollegen“ auszuhandeln. Dieses habe „Arbeitsplatzreformen in der Art beinhaltet, die auch der Steuerzahler unterstützen kann. Wir waren ganz knapp davor.“
Nur die Unnachgiebigkeit der Tories hat die RMT von einem faulen Ausverkauf abgehalten. Premierminister Boris Johnson bekräftigte seine Entschlossenheit, die Eisenbahner zu besiegen. Auf einer Kabinettssitzung warnte er hinsichtlich der Ukraine vor „Kriegsmüdigkeit“ und betonte, das Vereinigte Königreich werde „standhaft“ bleiben, und die Haushaltsdisziplin müsse gewahrt werden. Das heiße auch, die geplanten Reformen in der Eisenbahnbranche und anderen Bereichen durchzusetzen. „Und die Gewerkschaftsbarone müssen sich mit Network Rail und den Bahnbetreibern zusammenzusetzen und sich an die Arbeit machen.“
Das Land müsse „sich darauf einstellen, dass der Kurs gehalten wird (…) Diese Regierung wurde gewählt, um die schwierigen Dinge zu erledigen.“
Der Großteil der britischen Presse stellte sich hinter Johnson und seine Bestrebungen, die Eisenbahner zu besiegen und ein Exempel für die gesamte Arbeiterklasse zu statuieren. Die Daily Mail schrieb: „Würden die Eisenbahnbosse und die Minister kapitulieren, wären zweifellos ähnliche unverschämte Lohnforderungen im ganzen öffentlichen Dienst die Folge.“
Der Telegraph forderte staatliche Unterdrückung: „Die Regierung hat eine Mehrheit von 80 Sitzen und könnte damit schon morgen Notstandsgesetze einführen. Sie sollte auch verhindern, dass die Streikenden ihre Verluste durch Überstunden ausgleichen. Es wird Zeit, hart durchzugreifen.“
Die Times verlangte: „Die Regierung muss standhaft bleiben“, und Premierminister Boris Johnson „muss zeigen, dass er bereit ist, das Nötige zu tun“.
Die Labour Party bekräftigte den ganzen Tag über ihre Ablehnung des Bahnstreiks und klagte, die Tories hätten ihn provoziert, obwohl sie doch mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten könnten, um ihn zu beenden. Diese Position vertraten sowohl die Rechte unter Sir Keir Starmer als auch die Überreste der Corbyn-Linken.
Nur eine Handvoll Labour-Abgeordnete sowie der ehemalige Parteichef Jeremy Corbyn, der mittlerweile einen Sitz als unabhängiger Abgeordneter einnimmt, ließen sich an den Streikposten sehen, nachdem Starmer sie am Dienstag angewiesen hatte, sich fernzuhalten. Die meisten, die es dennoch taten, gehören zu Corbyns schwindender Anhängergruppe, zum Beispiel seine ehemalige Schatten-Innenministerin, Diane Abbott, der Vorsitzende der Socialist Campaign Group, Richard Burgon, der ehemalige Schattenkanzler, John McDonnell, und der ehemalige Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft NUM, Ian Lavery. Andere, zum Beispiel der Vorsitzende von Scottish Labour, Anas Sarwar, waren ebenfalls vor Ort, weil sie fürchten, dass Starmer den noch verbliebenen Rückhalt von Labour in der Arbeiterklasse völlig zerstören könnte.
RMT-Generalsekretär Mick Lynch beschwor Starmer und „sein Team“, Labour könne „auf der Welle des Widerstands schwimmen“ und die Streiks unterstützen. Unite-Generalsekretärin Sharon Graham erklärte: „Wir erwarten, dass Labour-Abgeordnete die Arbeiter mit Worten und Taten verteidigen (…) Es ist an der Zeit, sich zu entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen. Auf der Seite der Arbeiter oder auf derjenigen der üblen Bosse?“
All diese Rhetorik, ob von den Gewerkschaften, der „Labour-Linken“ oder sogar von Teilen der Blair-Rechten, soll lediglich die bittere Pille eines Ausverkaufs über den Verhandlungsweg versüßen, was sie alle anstreben.
Im Streik der Eisenbahner gibt es – wie in allen laufenden oder bevorstehenden Arbeitskämpfen – drei unterschiedliche Seiten: Da ist einmal die Mehrheit der herrschenden Klasse unter Führung von Johnson, der die Streiks mit Gewalt unterdrücken will. Zum zweiten sind es die Gewerkschaften und ihre Unterstützer in der herrschenden Klasse, die eine friedliche Kapitulation fordern. Ihnen gegenüber steht die Arbeiterklasse, die einen Weg sucht, für ihre Interessen zu kämpfen.
Die Arbeiter führen einen Zweifrontenkrieg. Johnsons Tories können auf den ganzen Staats- und Medienapparat zurückgreifen, und die Gewerkschaften verlassen sich auf ihren bürokratischen Apparat und ihre Freunde in der Labour Party. Um diese Hindernisse zu überwinden und zu siegen, braucht die Arbeiterklasse ihre eigenen Organisationen und ihr eigenes Programm: Notwendig sind Aktionskomitees in allen Betrieben, die für Lohnerhöhungen über der Inflationsrate kämpfen und alle Angriffe auf Arbeitsplätze, Renten und Arbeitsbedingungen zurückschlagen werden. Sie werden für den Sturz dieser verhassten Regierung kämpfen.
Die World Socialist Web Site ruft all ihre Leser und alle Arbeiter dazu auf, sich noch heute mit uns in Verbindung zu setzen, um die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees aufzubauen.