Schriftsteller Salman Rushdie in New York angegriffen

Als der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie am letzten Freitag bei einer Literaturveranstaltung in Chautauqua im Westen des Bundesstaates New York ein Interview geben wollte, stürmte ein Mann auf die Bühne und stach mehrfach auf Rushdie ein.

Der Schriftsteller erlitt lebensbedrohliche Verletzungen an Hals, Arm und Leber. Er wurde im Krankenhaus mehrere Tage lang künstlich beatmet. Das Beatmungsgerät wurde jedoch vor kurzem wieder entfernt, und er soll mittlerweile mit dem Krankenhauspersonal sprechen können. Er wird das Attentat vermutlich überleben, aber möglicherweise ein Auge verlieren.

Der Grund für den scheußlichen Anschlag auf den bekannten 75-jährigen Schriftsteller ist vermutlich sein Roman Die satanischen Verse von 1988 über Mohammed, den Propheten und Gründer des Islams, und seine Versuchung durch den Teufel. Islamische Fundamentalisten betrachten den Roman als blasphemisch. Nach seiner Veröffentlichung sprach der schiitische Geistliche Ajatollah Ruhollah Chomeini, Führer des Iran nach der Revolution von 1979, eine Fatwa aus – ein religiöses Urteil, das Muslime dazu aufrief, Rushdie zu ermorden.

Die Behörden haben den mutmaßlichen Angreifer als Hadi Matar (24) identifiziert, einen amerikanischen Staatsbürger, der in New Jersey lebt. Offenbar hatte Matar seinen Anschlag geplant. Er hatte im Vorfeld ein Ticket für die Veranstaltung gekauft und war mit dem Bus dorthin gefahren.

Matar ist Sohn libanesischer Einwanderer, und laut Darstellung der Medien war seine Facebook-Seite mit Bildern islamisch-fundamentalistischer Führer bestückt, u.a. mit Bildern von Chomeini. Am Samstag erschien er vor Gericht und wurde wegen versuchten Mordes und anderer Straftaten angeklagt. Er plädierte auf „nicht schuldig“.

Chomeinis Fatwa hatte damals eine enorme internationale Wirkung. Im Iran und in Pakistan demonstrierten hunderttausende gegen die Veröffentlichung der satanischen Verse. Rushdies Übersetzer ins Japanische wurde 1991 ermordet und sein Übersetzer ins Italienische im gleichen Jahr schwer verwundet. Im Jahr 1993 wurde sein norwegischer Herausgeber dreimal angeschossen. Bei einem Mordanschlag auf Rushdies Übersetzer ins Türkische wurden in einem Hotel in Sivas in der Zentraltürkei 37 alevitische Muslime getötet. Diesem Massaker gedenken Aleviten bis heute.

Die großen Buchhändler in den USA unterbanden faktisch den Vertrieb des Romans in den USA. Die imperialistischen Mächte nutzten die Ereignisse aus, um antimuslimischen Chauvinismus zu schüren und ihre Kriegspläne gegen den Iran zu forcieren.

Rushdie musste untertauchen und führte jahrelang fast ein geheimes Leben. In jüngerer Zeit ist er als Teil der Literaturszene von New York City und Sprecher für verfolgte Schriftsteller in Erscheinung getreten. Bei der Veranstaltung in Chautauqua gab es keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen, um Rushdie zu schützen.

Das islamistische Regime in Teheran hat die Fatwa zwar während seiner Verhandlungen mit den imperialistischen Mächten in den letzten zehn Jahren heruntergespielt, sie aber nie aufgehoben.

Die wesentlichen politischen Fragen, die hinter der Verfolgung Rushdies stehen, sind jedoch wieder aktuell geworden. Die Massen im Iran und dem Nahen Osten werden weiterhin vom amerikanischen Imperialismus bedroht. Viele Staaten der Region wurden seit 1989 von den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie anderen Mächten geplündert, u.a. durch den Golfkrieg 1991, den Irakkrieg 2003, der die soziale und physische Infrastruktur des Landes zerstörte, die Luftangriffe auf Libyen, die islamistische Milizen an die Macht brachten, und die Intervention in den syrischen Bürgerkrieg auf der Seite islamisch-fundamentalistischer Rebellen seit 2014. Muslime in Amerika und Europa wurden ständig Opfer von Diskriminierung und Gewalt.

Die jüngste Medienberichterstattung über angebliche Anschläge des Iran auf das Leben des regimekritischen Journalisten Masih Alinejad in New York City und des imperialistischen Kriegstreibers John Bolton deuten auf immense Spannungen und die Tatsache hin, dass die USA den Iran weiterhin als Hindernis in der Region und als Hemmnis für ihre Kriegskampagne gegen Russland und China betrachten.

Doch der feige Anschlag auf Rushdie dient in keinerlei Hinsicht den Interessen der Arbeiterklasse und der armen Landbevölkerung im Nahen Osten oder dem Iran, und ebenso wenig den Interessen der Immigranten in Nordamerika und Europa. Das iranische Regime ist weiterhin ein reaktionärer bürgerlicher Staat, der der Arbeiterklasse feindselig gesinnt ist. Er strebt – wie die anderen Staaten der Region – ständig Kompromisse mit den imperialistischen Mächten an. Der islamische Fundamentalismus wurde auf der ganzen Welt von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern benutzt, um die Arbeiterklasse nach religiös-kommunalistischen Gesichtspunkten zu spalten.

1989 veröffentlichte die Workers League, der Vorläufer der Socialist Equality Party in den USA, angesichts der Massenproteste gegen die Satanischen Verse im Bulletin – einem gedruckten Vorläufer der World Socialist Web Site – eine Erklärung, in der sie Rushdie verteidigte und die Fatwa ablehnte. Darin hieß es u.a.:

„Die Workers League verurteilt nachdrücklich die Morddrohungen des iranischen Chomeini-Regimes gegen den bekannten britischen Schriftsteller Salman Rushdie. Wir rufen die internationale Arbeiterbewegung auf, sich mit Rushdie zu solidarisieren, zu dessen Ermordung ein krisengeschütteltes bürgerlich-nationalistisches Regime aufgerufen hat...

Unsere unermüdliche und anhaltende Verteidigung des Irans gegen imperialistische Provokationen, die auf den strategischen Interessen des revolutionären Proletariats und der Entwicklung des Klassenkampfs im Iran basiert, impliziert weder eine Unterstützung für die Politik Chomeinis, noch ist sie darauf reduzierbar. Die wirtschaftliche Grundlage seines Regimes ist durch und durch kapitalistisch, und die Politik der theokratischen Herrscher hat im Kern den Interessen der iranischen Bourgeoisie gedient.“

Genau wie damals beklagen auch heute die Führer der imperialistischen Mächte die Verfolgung von Schriftstellern und versuchen, sich als Verteidiger der Meinungsfreiheit zu inszenieren. Figuren vom Kaliber des französischen Präsidenten Emmanuel Macron – dessen Regierung undemokratische und immigrantenfeindliche Gesetze unterstützt und den islamischen Geistlichen Hassan Iquioussen verfolgt ­– oder des britischen Premierministers Boris Johnson – der für tausende Tote durch Covid-19 verantwortlich ist – haben sich in Erklärungen hinter Rushdie gestellt. Der allseits verhasste Johnson erklärte, er sei „erschüttert“, dass Rushdie angegriffen wurde, „als er ein Recht ausübte, dessen Verteidigung wir niemals aufgeben dürfen“.

US-Präsident Joe Biden erklärte, er stehe an der Seite Rushdies, der „durch seine Weigerung, sich einschüchtern oder zum Schweigen bringen zu lassen, für wesentliche universelle Ideale steht – Wahrheit, Mut, Widerstandskraft“.

Man kann sich kaum eine abstoßendere Zurschaustellung von Heuchelei vorstellen. Biden, Johnson und Konsorten haben selbst eine Fatwa gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange ausgesprochen, der im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gefoltert wird und auf seine Auslieferung in die USA wartet. Dort wollen ihn die amerikanischen Behörden für den außergewöhnlichen Mut vor Gericht stellen, den er bewiesen hat, als er der Welt die Wahrheit über den mörderischen Charakter der US-Intervention im Irak und Afghanistan enthüllt hat.

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