Galeria Karstadt Kaufhof, der letzte große Warenhauskonzern Deutschlands, hat erneut eine Schutzschirm-Insolvenz angemeldet. Von den noch offenen 131 Kaufhäusern in 97 Städten sollen mindestens 43, eher 65 Filialen geschlossen werden. Dies bestätigt die Befürchtungen der heute noch 17.400 Beschäftigten, dass Galeria Karstadt Kaufhof zerschlagen wird und sich in einer Abwicklung auf Raten befindet.
Seit Jahren müssen Verkäuferinnen und Verkäufer, Logistiker und andere Mitarbeiter massive Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Errungenschaften hinnehmen. In einem ersten Schutzschirmverfahren, das im April 2020 begann, hat Galeria Karstadt Kaufhof bereits 4000 Vollzeitstellen gestrichen und 40 Filialen geschlossen.
Vor sieben Jahren, als der Multimilliardär René Benko Karstadt für einen symbolischen Euro geschenkt erhielt und kurz darauf auch bei Kaufhof einstieg, waren noch 37.000 Beschäftigte, mehr als doppelt so viel wie heute, in den Einzelhandelsfilialen beschäftigt. Im Jahr 2019 hat Benkos Unternehmensgruppe Signa den fusionierten Konzern komplett übernommen.
Zuletzt wurde im April 2020 die Corona-Pandemie als Vorwand genommen, um die Verkäuferinnen und Verkäufer, Logistiker und andern Mitarbeiter für die Krise bezahlen zu lassen. Heute ist es die Kriegssituation.
Der FAZ gegenüber nannte Vorstandschef Miguel Müllenbach „die geänderten Rahmenbedingungen seit Beginn des Ukraine-Krieges, die explodierenden Energiepreise, die historische schlechte Konsumstimmung“ als Grund für die Entscheidung. Es bedürfe „eines klaren Schnitts hin zu wirtschaftlich tragfähigen Strukturen“.
Allein in den letzten Monaten hat der Konzern aus Steuermitteln 680 Millionen Euro erhalten; im Januar 2021 zahlte der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) 460 Millionen aus, und im Januar 2022 noch einmal 220 Millionen Euro. Die Insolvenz als Schutzschirmverfahren hat den Vorteil, dass damit diese Gelder voraussichtlich nicht mehr zurückgezahlt werden müssen.
Auch verlieren die Beschäftigten in der Insolvenz einen großen Teil ihrer Rechte und Ansprüche. Die „finanzielle Rettung“ des Konzerns wird einem gerichtlich bestellten Sachwalter, dem Düsseldorfer Juristen Frank Kebekus, übertragen, während der Vorstand zusammen mit einem Insolvenzverwalter die operative Kontrolle behalten darf.
Als Insolvenzverwalter amtiert ein weiteres Mal Arndt Geiwitz. Er hat nicht nur seit zwei Jahren die bisherigen Entlassungen abgewickelt, sondern ist einigen Verkäuferinnen, die früher bei der Drogeriekette Schlecker tätig waren, noch von der Schlecker-Pleite her in unguter Erinnerung. Damals verloren fast 27.000 „Schlecker-Frauen“ ihre Arbeit.
Der heutige Galeria-Besitzer René Benko (45), ein österreichischer Immobilienmakler und Finanzunternehmer, verkörpert den Typus des gewissenlosen Aufsteigeroligarchen, wie er mehr und mehr die kapitalistische Wirtschaft dominiert. Benko gilt mit seinem Vermögen von 4,9 Milliarden Dollar als sechstreichster Österreicher und hat (ähnlich wie Elon Musk, der Twitter kaufte) die österreichischen Zeitungen Krone und Kurier erworben. Mit Politikern wie dem österreichischen ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterhält er undurchsichtige Beziehungen, und den ehemaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat er in seinen Signa-Beirat geholt.
Das Hauptinteresse Benkos richtet sich auf die Immobilien. Er kauft die Warenhäuser (wie beispielsweise auch die Globus-Märkte in der Schweiz) auf, weil er damit wertvolle Gebäude in bester Citylage vermarkten und gegebenenfalls mit Gewinn weiterverkaufen kann.
Das Einzelhandelsgeschäft kommt dabei erst an zweiter Stelle, und die Warenhäuser müssen ihre Verkaufsflächen für immer höhere Preise von den Immobilienbesitzern zurückmieten. Am Ende überleben nur die exklusivsten und profitabelsten Shops, und deren Angestellte müssen die Kosten für das Leasing durch immer härtere Ausbeutung selbst aufbringen.
Galeria-Vorstandschef Müllenbach, der auch im Management der Signa Retail GmbH sitzt, hat vor kurzem in einem Brief an die Mitarbeiter argumentinert, dass der Konzern ohne den neuerlichen Stellenabbau „auf absehbare Zeit nicht mehr profitabel zu betreiben“ wäre. Die einzige Alternative wäre dann die vollständige Insolvenz.
Weitere Wirtschaftsexperten sprechen bereits von mindestens doppelt so vielen Filialschließungen und Entlassungen: „Das Warenhaus hat eine Daseinsberechtigung, aber es benötigt ein großes Einzugsgebiet. Darum ist nur Platz für 50 bis 60 Filialen in Deutschland“, erklärt der Handelsexperte Jörg Funder von der Hochschule Worms. Das würde das Aus von mindestens 70 weiteren Kaufhäusern bedeuten.
Die Abwicklung auf Raten bedroht sowohl Existenz und Leben der Beschäftigten, als auch die Versorgung der ganzen Gesellschaft über den letzten großen Einzelhandelskonzern und seine zentral gelegenen Filialen. Schließlich ist längst nicht jede und jeder in der Lage, sich den kompletten Lebensbedarf über den Online-Handel zu beschaffen.
Aber um nicht nur lebendige und gut bestückte Kaufhäuser mit guter Beratung, sondern auch Löhne, Arbeitsplätze und Errungenschaften der dort Beschäftigten zu verteidigen, bedarf es der Mobilisierung der gesamten Galeria-Belegschaften und ihrer Unterstützung durch die Arbeiterklasse. Es bedarf eines sozialistischen Programms, das den gesellschaftlichen Bedürfnissen, nicht dem Profit der Aktionäre und Spekulanten dient.
Es bedarf vor allem der selbständigen Organisation der Belegschaft in Aktionskomitees, die von Verdi unabhängig kämpfen können. Denn die Gewerkschaft Verdi hat sich in den letzten Jahrzehnten als loyaler Juniorchef jedes neuen Vorstands und Kaufhausbesitzers erwiesen und der Belegschaft immer neue, immer brutalere „Sanierungskonzepte“ aufgezwungen.
Seit langem beziehen die Galeria-Beschäftigten keine tarifgerechten Bezüge, Urlaubs- und Weihnachtsgelder mehr. Allein bei der Komplettübernahme durch Benko 2019 drückte Verdi der Belegschaft einen Lohnverzicht in Höhe von 70 Millionen Euro aufs Auge, während 2000 Vollzeitstellen gestrichen wurden. Laut ihrer eigenen Schätzung haben die verschiedenen „Sanierungstarifverträge“, die Verdi jedes Mal als Krisenlösung und Zukunftssicherung verkaufte, dem Großkonzern bis 2020 über eine Milliarde Euro eingebracht.
Verdi hat die immer neuen Milliardäre – von Nicolas Bergruen über den Kanadier Richard Baker bis hin zu Benko –, die Galeria übernahmen, den Beschäftigten jedes Mal als Retter und „weißer Ritter“ verkauft. Und jeder neue solche „Retter“ hat der Belegschaft Milliardenkürzungen und Stellenabbau verordnet. Die Gewerkschaftsfunktionäre haben ihn jedes Mal mitgetragen und wurden dafür mit einträglichen Aufsichtsratsposten belohnt.
Wenn Verdi-Vorstandschef Frank Werneke jetzt erklärt: „Wir kämpfen mit den Beschäftigten um den Erhalt der Arbeitsplätze und Standorte“, dann muss das mit Verachtung zurückgewiesen werden. Er hat nicht die leiseste Absicht zu kämpfen.
Was Werneke unter „Kampf“ versteht, wird schon aus den darauffolgenden Worten seines Statements deutlich: „Wir verlangen, im Gläubigerausschuss vertreten zu sein. Wir haben zudem das Unternehmen zu Verhandlungen aufgefordert“, und: „Die Frage ist: Wo ist jetzt René Benko?“
Keine Frage: Mit einer derart unterwürfigen und defätistischen Haltung ist der sogenannte „Kampf“ von vorneherein zum Scheitern verurteilt.