Die Kampagne gegen die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ dient dem Aufbau eines Polizeistaats

Seit Wochen hetzen Politiker und verschiedene Medien gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“. Keine Unterstellung ist dabei zu weit hergeholt, keine Verleumdung zu abwegig, keine Forderung nach Verfolgung zu maßlos.

Das Ziel ist durchsichtig: Friedlicher Protest, ziviler Ungehorsam und andere Formen des Widerstands sollen kriminalisiert und eingeschüchtert werden. Die Kampagne gegen die „Letzte Generation“ dient dazu, einen Polizeistaat aufzubauen, in dem die Sicherheitskräfte Oppositionelle in Präventivhaft stecken und die Justiz legitimen Protest mit jahrelangen Gefängnisstrafen ahndet.

Straßenblockade der "Letzten Generation" am Berliner Hauptbahnhof [Photo by Stefan Müller / wikimedia / CC BY 2.0]

In Bayern wird dies bereits praktiziert. Dort hat die Polizei Anfang des Monats zwölf Klimaaktivisten in Vorbeugehaft gesperrt, weil sie sich auf dem Stachus, einem zentralen Platz, festklebten und den Verkehr für 90 Minuten behinderten. Zwei von ihnen sollen mindestens 30 Tage, möglicherweise aber auch 60 Tage hinter Gittern bleiben.

Die Polizei stützt sich dabei auf das Polizeiaufgabengesetz, das die regierende CSU gegen massiven Widerstand 2017 verabschiedet und 2018 erweitert hat. Zehntausende waren damals auf die Straße gegangen, um das Gesetz zu verhindern. Es gibt der Polizei das Recht, Personen in Vorbeugehaft zu nehmen, die sie verdächtigt, „eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ begehen oder fortsetzen zu wollen.

Für die Vorbeugehaft ist kein konkreter Tatverdacht, ja in den ersten 30 Tage noch nicht einmal eine richterliche Anordnung erforderlich. Erst wenn die Präventivhaft um 30 Tage verlängert wird, muss ein Richter zustimmen. Ursprünglich sah das Gesetz sogar vor, dass sie beliebig oft zu einer „Unendlichkeitshaft“ verlängert werden kann. Erst nach massiven Protesten, wurde sie auf zwei Monate beschränkt.

Dabei ist juristisch umstritten, ob das Festkleben auf der Straße überhaupt eine strafbare Handlung, eine Nötigung darstellt. Nach Ansicht von Experten, würde ein Strafverfahren gegen die Klimaaktivisten vermutlich eingestellt.

Die Einführung der Präventivhaft war mit der Gefahr islamistischer Attentate begründet worden. Sogenannte „Gefährder“ sollten festgenommen werden können, bevor sie einen Anschlag begehen. Nun wird sie, wie damals viele gewarnt hatten, gegen Klimaaktivisten eingesetzt, deren einziges „Verbrechen“ darin besteht, mit friedlichen Mitteln den Autoverkehr zu blockieren.

Es ist offensichtlich, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, um jede Art von Protest und Widerstand zu kriminalisieren – Arbeiter, die ihr Werk besetzen, um die Stilllegung oder den Abtransport von Maschinen zu verhindern; die Blockade von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete; Widerstand gegen Neonazi-Aufmärsche; usw.

Während die bayrische Landesregierung Klimaaktivisten hinter Schloss und Riegel sperrte, brachte die Opposition im Bundestag einen Gesetzesantrag ein, der dafür sorgen sollte, dass sie jahrelang dort bleiben. CDU und CSU wollten die Paragrafen gegen Nötigung, Sachbeschädigung und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr so verschärfen, dass auf Straßenblockaden bis zu fünf Jahre und auf die Beschädigung von Gemälden, die bisher eine Geldstrafe nach sich zog, mindestens drei Monate Gefängnis stehen.

Der Antrag scheiterte schließlich an der Regierungsmehrheit. Die Debatte im Bundestag zeigte aber, dass es auch unter den Ampel-Abgeordneten viel Unterstützung für eine solche Gesetzesverschärfung gibt.

Während der CSU-Abgeordnete Alexander Dobrindt gegen die „Klima-RAF“ geiferte (die Rote Armee Fraktion hatte in den 1970er Jahren mehrere führende Politiker und Wirtschaftsvertreter ermordet) und die AfD das Verbot der Klimaschutzorganisation forderte, ereiferte sich die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, eine ehemalige Polizistin: „Die gefährlichen Aktionen der sogenannten Letzten Generation sind klimapolitisch kontraproduktiv, sie sind rechtsstaatlich hochproblematisch.“

Der Bundestagsdebatte war eine üble Medienkampagne vorausgegangen, die eine Aktion der „Letzten Generation“ für den tragischen Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin verantwortlich machte, die von einem schweren Betonmischfahrzeug überrollt worden war.

Eine Straßenblockade der Klimaaktivisten mehrere Straßen vom Unfallort entfernt hatte einen Stau ausgelöst, in dem ein Spezialfahrzeug stecken blieb, das den Betonmischer zur Rettung des Opfers anheben sollte. Die Medien, angeführt von der Bild-Zeitung, stellten den Fall so dar, als sei die Straßenblockade ursächlich für den Tod der 44-jährigen Frau, und zahlreiche Politiker stimmten in das Empörungsgeschrei ein.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte im AfD-Stil: „Der Rechtsstaat lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen. Die Polizei hat meine vollste Unterstützung, wenn sie durchgreift gegen selbsternannte Klimaaktivisten, die seit Wochen mit völlig inakzeptablen Aktionen andere Menschen in Gefahr bringen.“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte, auch Gefängnisstrafen für die Klimaaktivisten seien möglich. Die Gewerkschaft der Polizei brachte ein Verbot der Gruppe ins Gespräch.

Auch Berliner Lokalpolitiker entfesselten eine maßlose Stimmungsmache gegen die „Klimachaoten“. So verfassten die SPD-Abgeordneten Florian Dörstelmann und Tom Schreiber, die in der Abgeordnetenhaus-Fraktion für Recht und Inneres zuständig sind, eine Pressemitteilung, in der es heißt: „Wer mit seinen Taten sehenden Auges die Gefährdung von Menschenleben billigend in Kauf nimmt, handelt mit Vorsatz, und zwar auch mit Vorsatz im Hinblick auf ein mögliches Tötungsdelikt! Ein solches Handeln ist schlicht kriminell, menschenverachtend zynisch und durch keine noch so wichtigen Ziele gedeckt.“

Ähnlich äußerten sich Innensenatorin Iris Spranger und die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (beide SPD). Der Tagesspiegel meldete am 11. November, die Berliner Generalstaatsanwaltschaft prüfe den Straftatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch die „Letzte Generation“.

Im Nachhinein stellte sich die ganze Kampagne als Verleumdung heraus. Die Süddeutsche Zeitung zitierte aus einem dreiseitigen internen Vermerk, der vom ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes in Berlin unterzeichnet war. Danach spielte der Stau keine wesentliche Rolle bei der Versorgung des Opfers. Die Notärztin vor Ort, auf deren Schreiben sich der Vermerk stützt, hatte lange vor der geplanten Ankunft des Spezialfahrzeugs entschieden, dieses nicht einzusetzen und den Betonmischer aus eigener Kraft wegfahren zu lassen.

„Zur Frage der technischen Rettung hat die Notärztin klar geäußert, dass sie sich auch bei der Verfügbarkeit von anderen technischen Möglichkeiten durch Rüstwagen oder Kran sofort für diese Methode entschieden hätte“, heißt es in dem Vermerk, aus dem auch die Welt ausführlich zitierte.

Doch selbst wenn die verspätete Ankunft des Spezialfahrzeugs eine Rolle gespielt hätte, kann man schwerlich die Klimaaktivisten dafür verantwortlich machen. Nach dieser Logik müsste jedes falsch geparkte Lieferfahrzeug, jede Demonstration und jeder andere Zwischenfall, der in der chronisch verstopften Hauptstadt zu einem Stau beiträgt, für die Folgen in Haftung genommen werden.

Wenn jemand „sehenden Auges die Gefährdung von Menschenleben billigend in Kauf nimmt“, dann ist es der rot-rot-grüne Senat, der seit Jahren bei den Berliner Rettungskräften hunderte Stellen unbesetzt lässt, Verkehrskontrollen zurückfährt und Radwege kaum ausbaut.

Auch die Berliner Justiz verfolgt die Klimaaktivisten mit Ingrimm. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat inzwischen 266 Strafbefehle wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gegen Klimakleber erhoben, so die Süddeutsche Zeitung am 8. November. Sieben davon sind gerichtlich bestätigt worden.

Inzwischen hat allerdings ein Berliner Richter anders entschieden. Im Fall einer Klimaaktivistin, die dreieinhalb Stunden lang eine Kreuzung in Friedrichshain blockierte, urteilte er, dass dies völlig legal sei. Das Festkleben der rechten Hand am Asphalt sei weder Gewalt noch Nötigung.

Auch das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel sei nicht „verwerflich“. Die Klimakrise sei dramatisch, es bestehe eine „objektiv dringliche Lage bei gleichzeitig nur mäßigem politischem Fortschreiten unter Berücksichtigung namentlich der kommenden Generationen, wie dies auch durch das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich angemahnt werden musste“.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Beschwerde eingelegt, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass es vor der höheren Instanz Bestand haben wird.

Das Vorgehen gegen die Gruppe „Letzte Generation“ gibt einen Eindruck, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Herrschenden gegen Widerstand vorgehen werden, der ihre Interessen wirklich gefährdet. „Letzte Generation“ vertritt äußerst beschränkte politische Forderungen, die das kapitalistische Profitsystem, die Ursache der Umweltzerstörung, nicht in Frage stellen: Ein generelles Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, ein bundesweites 9-Euro-Ticket.

Die Gruppe wendet sich nicht an die arbeitende Bevölkerung, die von den verheerenden Folgen des Klimawandels am meisten betroffen ist, sondern an die Regierungen. Mit spektakulären Protestaktionen, die möglichst viel Medienaufmerksamkeit erhalten, will sie diese unter Druck setzen. Zu ihren Forderungen gehört ausdrücklich auch ein Gespräch mit der Bundesregierung.

Die Gruppe entstand vor einem Jahr, als Aktivisten während der Bundestagswahl im Regierungsviertel einen Hungerstreik durchführten. Sie forderten ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen und „Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise“.

Inzwischen ist „Letzte Generation“ mit ähnlichen Gruppen in anderen Ländern vernetzt, die neben Straßenblockaden auch spektakuläre Angriffe auf Kunstwerke und andere kostbare Objekte durchführen, die, wie die WSWS in einem früheren Artikel aufzeigte, „in mehrfacher Hinsicht fehlgeleitet und reaktionär“ sind.

Kritik an den Methoden von „Letzte Generation“, die einer Verbindung von Verzweiflung über das verheerende Ausmaß der Klimakrise und politischer Fehlorientierung entspringen, rechtfertigt aber nicht deren Verfolgung durch den Staat. Im Gegenteil, ihr demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung und Protest muss energisch verteidigt werden.

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