Trotz der massiven Bemühungen der UAW-Bürokratie, die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen der Gewerkschaft zu unterdrücken, erhielt der sozialistische Kandidat Will Lehman die Stimmen von 4.777 Arbeitern. Das geht aus der inoffiziellen Endauszählung hervor, die am Freitagabend von einem gerichtlich bestellten Aufseher veröffentlicht wurde.
Von den 1,1 Millionen aktiven und verrenteten Gewerkschaftsmitgliedern wurden nur 103.495 Stimmen abgegeben. Die Wahlbeteiligung von 9 Prozent zeigt, dass das Ergebnis der Wahl illegitim ist und dass jede Führung, die daraus hervorgeht, in den Augen der gesamten Mitgliedschaft nicht den Hauch von Glaubwürdigkeit haben wird.
Der amtierende UAW-Präsident Ray Curry und der langjährige Bürokrat Shawn Fain erhielten jeweils weniger als 40 Prozent der Stimmen, d.h. weniger als 40.000 Stimmen, wobei Curry einige hundert Stimmen mehr erhielt als Fain. Keiner der beiden Spitzenkandidaten der Bürokratie hat es geschafft, die Unterstützung von auch nur 4 Prozent der gesamten Mitgliedschaft zu erhalten. Nach den Regeln kommen die beiden höchstplatzierten Kandidaten in eine Stichwahl, wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält. Doch keine Stichwahl kann legitim sein, wenn die beiden Kandidaten im ersten Wahlgang zusammen nicht annähernd 10 Prozent der Stimmberechtigten auf sich vereint haben.
Es ist offensichtlich, dass die überwiegende Mehrheit der UAW-Mitglieder nicht wusste, dass eine Wahl stattfand, oder nicht einmal einen Stimmzettel erhalten hat. Der UAW-Apparat und seine etablierte Führung hatten sich im vergangenen Jahr in einem Referendum gegen Direktwahlen ausgesprochen. Sie unternahmen nur den geringsten Aufwand, um Arbeiter darüber zu informieren – in der Hoffnung, die Wahlbeteiligung so weit wie möglich zu drücken und den Prozess auf die von ihnen favorisierten Kandidaten zu beschränken.
„Diese Wahl war eine Farce“, sagte Lehman gegenüber der WSWS.
„Eine Million Mitglieder haben nicht gewählt. Das liegt nicht daran, dass es ihnen egal ist, sondern daran, dass sie nicht wussten, dass eine Wahl stattfand. Die Wahlbeteiligung wurde auf ganzer Linie unterdrückt, aber jetzt hat sich sogar gezeigt, dass sich die UAW verschworen hat, fast die gesamte UAW-Mitgliedschaft unter akademischen Arbeitern an der Westküste an der Wahlteilnahme zu hindern, obwohl 48.000 UAW-Mitglieder gerade einen mutigen Streik gegen das System der University of California führen. Hierfür gibt es keine unschuldige Erklärung. Es rechtfertigt die Entscheidung meiner Wahlkampagne vor zwei Wochen, die UAW und den gerichtlich bestellten Aufseher zu verklagen, um die Wahlfrist zu verlängern und die Mitgliedschaft zu informieren. Die Entscheidung des Richters, meinen Antrag abzulehnen, hat sich als völlig illegitim erwiesen.“
In der Tat lag die Wahlbeteiligung in einigen UAW-Ortsverbänden mit tausenden von Mitgliedern bei einem Prozent oder weniger, während in zahlreichen anderen Ortsverbänden die Wahlbeteiligung unter 10 Prozent lag.
- Nach Angaben des UAW-Wahlleiters gab die UAW-Ortsgruppe 4123 mit über 11.000 Mitgliedern am California State University System nur 29 Stimmzettel ab - eine Wahlbeteiligung von nur 0,26 Prozent. Lehman erhielt 24 Prozent der Stimmen in diesem Ortsverband.
- UAW Local 4121 mit rund 9.000 Mitgliedern an der University of Washington reichte nur 72 Stimmzettel ein, was einer Wahlbeteiligung von 0,07 Prozent entspricht. Lehman erhielt 23 Prozent der abgegebenen Stimmen in diesem Ortsverband.
- Die UAW-Ortsgruppe 5810 hat 6.000 Stimmzettel an Postdocs und Forschende an der University of California verschickt, wo Arbeiter derzeit streiken. Berichten zufolge kamen nur 328 Stimmzettel zurück, was einer Wahlbeteiligung von 2,9 Prozent entspricht. Lehman erhielt 13 Prozent der abgegebenen Stimmen in diesem Ortsverband.
- Der UAW-Ortsverband 2865 – ebenfalls im Streik – erhielt 30.138 Stimmzettel, aber nur 921 Stimmen wurden abgegeben. Lehman erhielt 15 Prozent dieser Stimmen. Es gibt keine Erklärung dafür, warum insgesamt nur 36.000 Stimmzettel an die 48.000 streikenden UC-Arbeiter verschickt wurden.
Die Zahl der vom Aufseher ausgewerteten Stimmzettel ist im Vergleich zum nationalen Referendum im vergangenen Jahr, bei dem Arbeiter für die Einführung von Direktwahlen stimmten, um fast 30 Prozent zurückgegangen, d. h. um etwa 40.000 Stimmen. An dem Referendum nahmen rund 143.000 Mitglieder teil.
Trotz der Bemühungen der UAW-Bürokratie, die Wahlbeteiligung zu drücken, erhielt Will Lehman in einem breiten Spektrum von Betrieben große Unterstützung – darunter Autofabriken, Ersatzteillager, Hersteller von Schwer- und Militärausrüstung und Universitäten. Als Arbeiter der zweiten Lohngruppe bei Mack Trucks kandidierte er mit einem ausdrücklich sozialistischen und internationalistischen Programm. Er forderte die Abschaffung des korrupten, korporatistischen UAW-Apparats und die Übertragung der Macht an die Arbeiter.
- Bei der Ortsgruppe 677 im Lehman-Werk von Mack Trucks in Pennsylvania erhielt Lehman 151 Stimmen, 18,6 Prozent der abgegebenen Stimmen.
- Ortsgruppe 2069, das Volvo Trucks Werk New River Valley in Virginia: 67 Stimmen, d.h. 11,1 Prozent
- Ortsgruppe 600, Ford Dearborn Truck: 111 Stimmen, 2,9 Prozent
- Ortsgruppe 249, Ford Kansas City Assembly: 103 oder 5,7 Prozent
- Ortsgruppe 140, Stellantis Warren Truck: 85 Stimmen bzw. 8,4 Prozent
- Ortsgruppe 1268, Stellantis Belvidere Assembly in Illinois: 77 Stimmen, bzw. 6,9 Prozent
Lehman erhielt auch wichtige Unterstützung von vergleichsweise kleinen Betrieben, in denen Arbeiter im vergangenen Jahr Arbeitskämpfe führten. Bei den Ortsverbänden 180 und 807, den streikenden CNH-Arbeitern in Racine (Wisconsin) und Burlington (Iowa), erhielt Lehman 16 bzw. 15 Stimmen, d.h. jeweils etwa 11 Prozent der abgegebenen Stimmen. Beim Autoteilehersteller Ventra in Evart, Michigan – wo Arbeiter einen von der UAW befürworteten Ausverkaufstarifvertrag im Sommer mit 95 Prozent abgelehnt hatten – erhielt Lehman 11 Stimmen, 14 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Wie die WSWS bereits berichtete, erhielt Lehman Unterstützung von Arbeitern in der Rüstungsindustrie. Im Werk von General Dynamics in Lima (Ohio), das den M1A1-Panzer für das US-Militär herstellt, erhielt Lehman 8,2 Prozent der Stimmen. Bei AK Steel in Butler (Pennsylvania), wo Militärhubschrauber hergestellt werden, erhielt Lehman 12,4 Prozent, und im GE Aviation-Werk außerhalb von Cincinnati (Ohio) erhielt er 8,8 Prozent.
Auch unter den UAW-Mitgliedern an den Universitäten erhielt Lehman beträchtliche Unterstützung. An der New School in New York City – wo Lehman vor kurzem die Streikposten streikender Lehrbeauftragter besuchte – erhielt er 63 Stimmen oder 14,4 Prozent der abgegebenen Stimmen in einem Ortsverband, der auch Teilzeitlehrkräfte der New York University umfasst. An der University of Massachusetts Amherst erhielt er 23 Stimmen (13,5 Prozent), ebenso wie 23 Stimmen in Harvard (7,6 Prozent).
Es ist offensichtlich, dass Arbeiter in vielen Ortsverbänden nicht von Gewerkschaftsfunktionären, sondern durch E-Mails und Flugblattaktionen von Lehmans Kampagnenteam von der Wahl erfuhren. Die Bemühungen der UAW-Bürokratie, die Arbeiter uninformiert zu halten, fielen zeitlich mit einer regelrechten Nachrichtenblockade zusammen, sowohl in den nationalen Medien als auch in jenen Publikationen, die sich selbst als „links“ bezeichnen, wie etwa das Jacobin Magazine.
In den letzten Wochen hatte Lehman beim US-Bezirksgericht eine Klage eingereicht, in der er forderte, die UAW-Wahlfristen um 30 Tage zu verlängern und echte Maßnahmen zu ergreifen, um alle Arbeiter über die Wahlen zu informieren. Die Klage enthielt dutzende Erklärungen von Arbeitern und Angestellten, dass sie keinen Stimmzettel erhalten hatten, obwohl sie ihn mehrfach beim Aufseher angefordert hatten.
Die UAW-Bürokratie, der UAW-Aufseher sowie das Arbeitsministerium der Biden-Regierung lehnten die Klage mit dem Argument ab, Lehman sei nicht klageberechtigt. Der Bundesrichter stellte sich auf die Seite der UAW und des Aufsehers und wies die Klage ab, obwohl er Lehmans ernsthafte Kritik hinsichtlich der Art und Weise, wie die UAW die Wahl durchführte, anerkannte.
Die geringe Wahlbeteiligung spiegelt sowohl die Bemühungen des Gewerkschaftsapparats wider, die Wahlbeteiligung zu drücken, als auch die tiefe Entfremdung der einfachen Arbeiter von einer Bürokratie, die in den letzten 40 Jahren im Namen der Unternehmen brutale Angriffe auf Löhne und Sozialleistungen durchgesetzt hat.
Das Ausmaß der immensen Feindseligkeit der Arbeiter gegenüber dem UAW-Apparat kam in der Tatsache zum Ausdruck, dass die beiden von den Medien am stärksten als Favoriten gepriesenen Kandidaten Curry und Fain, die beide langjährige Mitglieder der Bürokratie sind, jeweils nur etwa 39.000 Stimmen erhielten. Das entspricht etwa 8 Prozent der gesamten wahlberechtigten Mitgliedschaft.
Das Votum von mehreren tausend Arbeitern in den USA für Lehman entlarvt dagegen alle reaktionären Mythen, dass die amerikanische Arbeiterklasse dem Sozialismus unrettbar feindlich gegenüberstehe. In Betrieben von Detroit über das ländliche Iowa und Virginia bis hin zu Kentucky, Tennessee und Ohio stimmten Arbeiter für einen bekennenden Sozialisten und Internationalisten und unterstützten seine Forderung, die Diktatur der Bürokratie zu beenden und die Macht in die Hände der Arbeiter in den Betrieben zu legen.
Die Kampagne von Lehman fand inmitten einer wachsenden Rebellion in der Arbeiterklasse statt, die er bewusst zum Ausdruck brachte. Angesichts explodierender Lebenshaltungskosten und unerträglicher Arbeitsbedingungen radikalisieren sich immer mehr Arbeiter auf der ganzen Welt und suchen nach einem Weg, sich zu wehren, von den laufenden Streiks von zehntausenden akademischen Beschäftigten bis hin zum mutigen Kampf von mehr als 100.000 Bahnarbeitern gegen die vereinten Kräfte der Konzerne und des kapitalistischen Staatsapparates.
In einer wachsenden Zahl von Betrieben und Arbeitsstätten haben Arbeiter begonnen, Aktionskomitees zu bilden, darunter das GM-Montagewerk in Flint, die Ford-Montage in Chicago, die Stellantis-Montage in Detroit, Mack, in der Eisenbahnindustrie und kürzlich an der Universität von Kalifornien. Diese aufkeimende Bewegung für die Rechte und Interessen der Arbeiterklasse muss nun fortgesetzt und erheblich ausgeweitet werden.