Am Montag reichte der Mack Trucks-Arbeiter Will Lehman beim gerichtlich bestellten Aufseher eine formelle Protestnote gegen die US-Gewerkschaft UAW ein. Dies stößt unter Automobilarbeitern auf begeisterte Resonanz. Arbeiter zeigen sich sehr verärgert über die zutiefst undemokratischen Praktiken, mit der die Gewerkschaft die Wahlbeteiligung bei der ersten Direktwahl von UAW-Spitzenämtern unterdrückt hat.
Lehman – Kandidat für das Amt des UAW-Vorsitzenden – machte deutlich, dass das Wahlergebnis, demzufolge der langjährige Bürokrat Shawn Fain und der amtierende UAW-Vorsitzende Ray Curry im nächsten Monat in die Stichwahl gehen sollen, nicht als legitimer Ausdruck des Willens der Automobilarbeiter angesehen werden kann. Der Gewerkschaftsapparat hatte die Wahlbeteiligung systematisch unterdrückt, was dazu führte, dass nur etwa 9 Prozent der 1,1 Millionen aktiven und pensionierten UAW-Mitglieder ihre Stimme abgegeben haben.
Die Gewerkschaftsfunktionäre waren entschlossen, möglichst viele Mitglieder von der Stimmabgabe auszuschließen und stellten deshalb nahezu keine Informationen über die Wahl, die Kandidaten oder die Stimmabgabe zur Verfügung – trotz der enormen Ressourcen eines Apparats, der über ein Nettovermögen von fast 1 Milliarde Dollar verfügt. Wie die Protestnote betont, steht das Fehlen jeglicher Werbung für die Gewerkschaftswahl in scharfem Gegensatz zu den enormen Summen, die die UAW im November ausgegeben hat, um verschiedene Kandidaten der Demokratischen Partei bei den Kongresswahlen zu fördern. (Der vollständige Text der Protestnote ist hier zu lesen.)
Als eine Zeitarbeiterin im Stellantis Warren Truck Montagewerk in den Vororten von Detroit von Wills Protestnote erfuhr, sagte sie: „Ich bin voll dafür. Ich bin froh und stehe zu 100 Prozent hinter ihm. Ich hoffe, wir können eine Neuabstimmung durchführen.“
„Heute hat die UAW im Werk Kalenderhefte verteilt. Wenn sie das können, warum sind sie dann nicht herumgegangen und haben die Leute zum Wählen ermutigt? Warum haben sie den TPT-Arbeitern [befristete Teilzeitbeschäftigte] nicht gesagt, dass sie wählen können? Ich habe nur gelacht: Ihr gebt Kalender aus, aber habt den Leuten nicht gesagt, dass sie wählen können, und sie nicht dazu ermutigt, zu wählen. Morgen werden sie kostenlose T-Shirts verteilen!“
Im November hatte Lehman eine Klage eingereicht, in der er eine Verlängerung der Wahlfrist um 30 Tage und ernsthafte Maßnahmen seitens der UAW zur Wahlinformation der Arbeiter gefordert hatte. Die Klage wurde vom Richter mit fadenscheinigen technischen Begründungen abgewiesen.
In der an den Aufseher versendeten Anfechtung des Wahlergebnisses fordert Lehman, dass „die Stimmzettel neu ausgegeben und eine neue Wahl abgehalten werden sollte“ oder alternativ „die Namen aller Kandidaten in die ‚Stichwahl‘ aufgenommen werden sollten. In jedem Fall müssen dieses Mal angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, dass die Gewerkschaftsführung die Wahl unterdrückt, und um sicherzustellen, dass alle Mitglieder von der Wahl Kenntnis haben und wählen können“.
„Mein Mann hat einen Stimmzettel bekommen, aber ich nicht. Ich habe einen angefordert, aber er kam zu spät, um noch wählen zu können“, sagt eine Arbeiterin, die seit acht Jahren im Stellantis-Jeep-Komplex in Toledo (Ohio) arbeitet. Sie schloss sich Wills Anfechtung der Wahl an und fügte hinzu: „Es ist eine Schande, dass Arbeiter kein Wahlrecht hatten. Mehrere Leiharbeiter in meinem Team haben auch keinen Stimmzettel erhalten, und es war nicht einfach, auf der Website des gerichtlich bestellten Aufsehers einen zu bestellen.“
Eine Vollzeitkraft bei Warren Truck sagte, sie unterstütze die Einlegung einer offiziellen Protestnote. „Wir müssen das versuchen, es sollte eine faire Wahl geben, bei der die Dinge auf die richtige Weise gemacht werden.“
„Viele Arbeiter wussten nicht, dass es eine Wahl gab. Als ich sie nach der Wahl fragte, sagten viele: ‚Welche Wahl?‘ Ich musste ihnen erklären, dass eine Wahl stattfindet. Ich selbst habe nur davon erfahren, weil mir jemand etwas darüber gesagt hat.“
„Das wurde von der UAW absichtlich gemacht. Sie haben die Zwischenwahlen zum Kongress im November sehr propagiert, wir haben viele Mailings bekommen. Aber ich wusste nicht einmal, dass ich überhaupt einen Stimmzettel für die UAW-Wahl bekommen sollte. Als ich zum ersten Mal von der Wahl hörte, kannte ich weder das Datum noch die Art und Weise, in der sie abgehalten wurde. Ich dachte, wir würden im Gewerkschaftshaus wählen gehen. Ich wusste nicht, dass der Stimmzettel mit der Post kommen sollte und dass ich mich darum kümmern musste.“
Die Arbeiterin sagte, die UAW-Funktionäre hätten keine große Wahlbeteiligung gewollt, weil „sie nicht bereit für Veränderungen waren“: „Sie wollten nicht hinausgedrängt werden. Solange sie die Leute nicht über die Wahl informieren, gibt es keine Opposition. So läuft es auch in den UAW-Ortsverbänden. Sie regen sich sogar auf, wenn jemand versucht, zu kandidieren. Es gab Einschüchterungsversuche. Jemand schreibt einen Brief, in dem er den gegnerischen Kandidaten verleumdet. Es wird hässlich.“
Die offizielle Protestnote, die Lehman einreichte, enthielt eine Umfrage, die von mehr als 100 UAW-Mitgliedern in 55 verschiedenen UAW-Ortsverbänden zurückgesandt wurde. Aus ihr ging hervor, „dass die überwältigende Mehrheit der Ortsverbände sich absichtlich geweigert hatte, Maßnahmen zu ergreifen, um die Mitgliedschaft über die Wahl zu informieren, und sich absichtlich geweigert hatte, ihre E-Mail- und Verteilerlisten zu aktualisieren“.
Die Jeep-Arbeiterin kommentierte den Kontrast zwischen den veralteten und schlampigen Methoden, mit denen die UAW-Bürokratie ihre Mitglieder über die Wahl informierte, und dem modernen Kommunikations- und Versandsystem, mit dem die Gewerkschaftszentrale Solidarity House bei den Zwischenwahlen am 8. November für die Demokraten warb:
„Wir bekommen immer Wahlmaterial von der UAW nach Hause geschickt, aber mir haben sie nicht einmal einen Stimmzettel für die Gewerkschaftswahl geschickt. Das war kein Problem meiner Adresse. Mein Mann und ich haben unsere Adressen gleichzeitig aktualisiert, als wir umgezogen sind. Aber er hat einen Stimmzettel bekommen, ich nicht.“
Ein Beschäftigter von GE Aerospace in Ohio sagte: „Wenn sie für die Stimmzettel nicht dasselbe System verwendet haben wie für die Wahlunterlagen für die Zwischenwahlen, dann ist das Wahnsinn. Eine Wahl sollte eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Aufgabe einer Gewerkschaft sein. Aber in meiner Gewerkschaft herrschte absolute Funkstille. Hätte ich nicht eine E-Mail von Will Lehmans Kampagne erhalten, hätte ich nicht gewusst, dass eine Wahl stattfindet.“
„Es hätte einen riesigen Rummel um die Wahl geben müssen, aber es kam nichts von der Ortsgruppe oder der UAW-Zentrale.“
Ein Autoteilearbeiter aus Indianapolis (Indiana) fügte hinzu: „Ich wusste bereits, dass die Gewerkschaft so etwas Zwielichtiges abziehen würde. Deshalb habe ich immer wieder vermutet, dass sie nicht mit allen ehrlich sind. Die UAW will niemandem Macht übertragen, der nicht Teil dieses Apparats ist. Sie haben die Tatsache unterdrückt, dass eine Abstimmung stattfindet.“
„Sogar der vom Gericht eingesetzte Aufseher ist ein Schwindel. Sein einziger Zweck war, dass sie sagen konnten, sie haben etwas unternommen, aber das haben sie nicht geschafft. Denn bei über 1,1 Millionen UAW-Arbeitern haben nur 103.000 gewählt? Neun Prozent! Und Will hat ausgesagt, dass Arbeiter nicht wussten, dass es eine Wahl gab, dass sie keinen Stimmzettel erhalten haben.“
„Die Wahl muss rückgängig gemacht und korrekt wiederholt werden. Wenn sie sagen, dass sie es tun werden, würde ich ihnen trotzdem nicht trauen. Sie haben bewiesen, dass man ihnen nicht trauen kann. Alle ihre oberen Handlanger sind ins Gefängnis gegangen oder wurden angeklagt.“
Ein Ford-Rentner in Ohio sagte: „Ich bin froh, dass Berufung eingelegt wurde. Wahlbeeinflussung erfordert Kreativität – wenn die UAW etwas noch nicht gemacht hat, dann hat es noch niemand gemacht. Historisch gesehen geht es bei den Wahlen immer darum, wer die Stimmzettel zählt. Ich weiß es zu schätzen, dass ihr diesen Wahlvorgang kritisch verfolgt. Das Ganze hängt wie eine dunkle Wolke über der UAW, und das zu Recht. Bei dem Dutzend UAW-Leuten, die verurteilt wurden, stellt sich die Frage, wie viele von ihnen nicht erwischt wurden.“
Zu Wills Forderung nach dem Aufbau von Aktionskomitees, um die Macht vom UAW-Apparat auf die Arbeiter in den Betrieben zu übertragen, sagte die Jeep-Arbeiterin aus Toledo: „Das ist eine gute Idee, und die Leute bei Jeep würden sie umsetzen. Diese Fabrik ist der Geldbringer für Stellantis und wir sind in einer mächtigen Position. Wenn wir sie bestreiken, würde das Unternehmen lahmgelegt und in die Knie gezwungen werden. Sie sind bereits zwei Monate mit den Bestellungen für Jeep Cherokees im Rückstand.“
Unter Bezugnahme auf die jüngste Ankündigung von Stellantis, 1.350 Arbeiter im Montagewerk Belvidere (Illinois) auf unbestimmte Zeit zu entlassen, sagte sie: „Sie versuchen, uns vor dem Vertrag im nächsten Jahr zu terrorisieren; das sagen wir schon seit Langem. Sie glauben, dass sie einen weiteren schlechten Tarifvertrag durchsetzen können, indem sie drohen, kein neues Nachfolgemodell ins Werk zu bringen. Aber wir müssen kämpfen.“
In Bezug auf die Notwendigkeit, die Automobilarbeiter mit breiteren Teilen der Arbeiterklasse zu vereinen, sagte sie: „Mein Ex-Mann hat früher bei Norfolk Southern gearbeitet. Die Eisenbahner haben seit drei Jahren keinen Tarifvertrag mehr, und es ist eine Schande, dass der Kongress sie gezwungen hat, einen Vertrag zu akzeptieren, den sie abgelehnt haben. Diese Leute haben während Covid gearbeitet und die Eisenbahngesellschaft wollte uns weismachen, dass die Arbeiter nichts zu den Gewinnen beitragen. Das ist lächerlich. Wenn sie streiken würden, gäbe es einen kilometerlangen Stau von Sattelschleppern, um Autos aus unserem Werk zu transportieren.“
Ein Arbeiter der Zulieferindustrie fügte hinzu: „Was würde passieren, wenn die gesamte UAW sagen würde: Entweder ihr macht es, oder wir streiken alle auf einmal? Genau das sollte passieren. Die allgemeine Bevölkerung ist angewidert von der Art und Weise, wie die Unternehmen und die Regierung die Dinge handhaben, und wir haben es satt, und es wird aufhören. Wir können sie in die Knie zwingen. Die Menschen haben es einfach satt.“
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