Hessische Landesbahn: Eisenbahner im unbefristeten Streik

Am 10. Januar, einem trockenen Winterdienstag, marschieren rund 200 Eisenbahner lautstark, bewehrt mit Trommeln und Pfeifen, durch das Frankfurter Bahnhofsviertel. Vier Wochen dauert bereits ihr unbefristeter Lohnstreik bei der Hessischen Landesbahn (HLB), mit dem sie sich gegen unhaltbare Zustände und schlechte Löhne wehren.

Eisenbahnerdemonstration durch das Gallusviertel, Frankfurt, 10. Januar 2023

Die Eisenbahner sind aus Siegen, Wiesbaden, Königstein, Alsfeld, Butzbach, Fulda, Kassel, Dreisa und Frankfurt-Griesheim gekommen. Sie gehören alle zu verschiedenen Betrieben der HLB, einer 100-prozentigen Tochter des Landes Hessen. Deren 1400 Beschäftigte erbringen tagtägliche Leistungen im Schienen-, Güter- und Personennahverkehr.

Die Streikenden kämpfen für ein „Ende der Bescheidenheit“, wie es auf einem Plakat heißt. Andere Slogans lauten: „Inflationsausgleich jetzt“, „Wir sind keine Mitarbeiter zweiter Klasse“ oder (bezüglich des Firmennamens HLB): „Haben Lebenshaltungskosten zu Bestreiten!“

Die Eisenbahner, Zugbegleiter, Triebfahrzeugführer, Mechatroniker und Werkstattmitarbeiter der Instandhaltung warten seit über einem Jahr auf eine angemessene Lohnerhöhung. Gleichzeitig sind sie infolge von Personalmangel gezwungen, regelmäßig Überstunden zu leisten, da der Konzern systematisch Personal abbaut. Der Zustand ist seit der Entwicklung des Ukrainekriegs unhaltbar geworden, und besonders die Sanktionen gegen Russland haben die Inflation maßlos angeheizt.

Die Arbeiter kämpfen für einen Lohn „auf Branchenniveau“ – so heißt es im Aufruf der Eisenbahn- und Verkehrs-Gewerkschaft EVG, die den Streik aktuell organisiert. Was die EVG darunter versteht, das zeigt ihre aktuelle Forderung von 6,8 Prozent Lohnerhöhung – verteilt auf zwei Jahre, versteht sich. Eine solche „Erhöhung“ würde auch bei voller Durchsetzung nicht reichen, sondern einer massiven Reallohnsenkung gleichkommen.

Wie ein junger Eisenbahner der WSWS sagt: „Diese Forderung ist ja ganz alt. Sie stammt noch aus 2021. Da müsste dringend jetzt eine Eins davor, dann wäre es etwa angemessen.“

Christian

„Die Arbeiterklasse finanziert ja alles“, sagt auch Eisenbahner Christian aus Dreisa, ursprünglich ein gelernter Krankenpfleger. „In unserem Land läuft gerade so vieles falsch“, fährt Christian fort. Er verweist darauf, dass das Land Hessen, dem die HLB gehört, eine CDU-Grüne Landesregierung hat. „Wir haben in Hessen einen grünen Wirtschafts- und Verkehrs-Minister, das ist Tarek Al-Wazir. Er müsste eigentlich einer klimafreundlichen Verkehrswende verpflichtet sein.“ Aber die Löhne der Eisenbahner seien dem Minister wohl egal.

Christian stimmt zu, dass die Grünen heute zur Kriegs- und Wirtschaftspartei geworden seien. In der Wirtschaft hätten, seiner Meinung nach, „die Lobbyisten“ viel zu viel zu bestimmen: „die Autolobby zum Beispiel, mit ihrer E-Mobilität. Dafür benötigt sie viel zu viele Ressourcen, als dass es klimafreundlich sein könnte.“

Kundgebung

Am Platz der Republik befinden sich in einer Seitenstraße die Büros der HLB-Zentrale. Dort versammeln sich die Streikenden an diesem Tag zur Abschlusskundgebung. Als Sprecher treten Betriebsräte, Vertreter des EVG-Vorstands, des DGB, der CDU-Gewerkschaft Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) und der Linken und SPD im Hessischen Landtag auf. Frank Hauenstein vom EVG-Vorstand verkündet: „Wir wollen die Lücken schließen, die die Inflation reißt.“

Die Arbeiter tragen ein Transparent mit der Aufforderung: „Salzmann, Kohle raus!“, gerichtet an den HLB-Geschäftsführer, Dipl.-Ing Veit Salzmann. Dieser hat die Gewerkschaft EVG in einer Presseerklärung wegen der Forderung nach 6,8 Prozent kritisiert.

„Die EVG streikt weiterhin und begründet dies damit, dass die HLB ihren Forderungen nicht nachgekommen sei“, schreibt Salzmann. „Diese stammen allerdings aus dem Jahr 2021 … Zum Streik aufgerufen hat die EVG erst jetzt, Ende 2022. Bei den Gehaltsforderungen beruft sich die EVG auf die aktuelle Inflation. Dabei geht es hier um die Tarifverhandlungen für die Jahre 2021/22.“

Das Schreiben ist nur so zu verstehen, dass Salzmann den Beschäftigten eine gewaltige Reallohnsenkung zumutet und nicht bereit ist, auf die aktuelle Inflation auch nur einzugehen. Er räumt ein, dass die Tarifverhandlungen für die bereits vergangenen zwei Jahre bis heute zu keinem abschließenden Ergebnis geführt hätten.

In seinem Schreiben bezieht sich Salzmann auf einen Abschluss, der vor einem Jahr mit der Konkurrenzgewerkschaft, der GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer), vereinbart worden war.

Die GDL, seit 2012 Tarifpartner der HLB-Unternehmen, hat am 13. Januar 2022 einen Tarifabschluss für die Tochter der Hessischen Landesbahn, die HLB Basis AG abgeschlossen, der – wie die Gewerkschaft sich lobt – „den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung trägt“. Dagegen kommt er die Arbeiter teuer zu stehen: Der Abschluss sah zum 1. Januar 2022 eine Lohn-„Erhöhung“ von gerade mal 1,5 Prozent vor, und eine weitere „Erhöhung“ von 1,8 Prozent ab dem kommenden März 2023!

Mit anderen Worten: Während die Inflation in einem Jahr über zehn Prozent geklettert ist, sollen die Eisenbahner mit einem Lohnzuwachs von 3,3 Prozent für zwei Jahre Vorlieb nehmen! Kein Wunder, dass die Arbeiter nun, da die Energie- und Lebensmittelpreise um 20 bis 50 Prozent angestiegen sind, auf die Barrikaden gehen.

An diesem Dienstag tragen die Streikenden auch ein Plakat mit der Aufschrift: „Alle Züge stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Dies ist eine richtige Feststellung, die ihre Kampfbereitschaft ausdrückt. Allerdings reicht bloße Kampfbereitschaft nicht aus. Notwendig ist ein politischer Schritt vorwärts. Der Streik kann nur wirksam werden, wenn die Eisenbahner sich von den Gewerkschaften EVG und GDL, vom gesamten DGB und den hinter ihm stehenden Parteien entschlossen abwenden. Sie müssen Aktionskomitees aufbauen, unabhängige Organe, die in der Lage sind, die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen und zu mobilisieren. Dafür kämpft die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees.

Nicht nur die GDL, auch die EVG ist voll und ganz der „Wirtschaftlichkeit“ der Eisenbahngesellschaften verpflichtet. So hat sie sich während eines erbitterten Lokführerstreiks im Sommer vor zwei Jahren auf die Seite der Bahn und gegen die GDL geschlagen. Kurz vor dem Streik hatte sie inmitten der Pandemie im Jahr 2020 einer Nullrunde mit faktischem Lohnverzicht zugestimmt.

Sowohl EVG wie GDL arbeiten seit Jahr und Tag hinter den Kulissen eng mit den Eisenbahngesellschaften zusammen. Sie sitzen in den Aufsichtsräten, wo sie reichlich Tantiemen kassieren, und sorgen dafür, dass die Arbeiterkämpfe den Kapitalinteressen niemals wirklich gefährlich werden.

Dies zeigt sich schon daran, dass die Gewerkschaftsfunktionäre problemlos die Seiten wechseln und hochbezahlte Vorstandsmitglieder werden können, wie der berüchtigte Norbert Hansen, der vom Gewerkschaftsvorsitzenden in den Bahnvorstand wechselte, oder der aktuelle Personalchef der Bahn Martin Seiler, der seine Karriere als Funktionär der Postgewerkschaft, später Verdi, begonnen hatte.

Die Probleme der Eisenbahner sind nicht auf Deutschland beschränkt. In Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten stehen die Kollegen bei der Bahn vor denselben Schwierigkeiten. In den USA waren 110.000 Eisenbahner streikbereit, als die Biden-Regierung intervenierte, Bahnstreiks untersagte und den Arbeitern eine bereits abgelehnte Vereinbarung erneut aufs Auge drückte. Dies konnte sie nur tun, weil die Bahngewerkschaften dem faulen Deal zustimmten.

Mehr als 500 amerikanische Eisenbahner wandten sich daraufhin einem unabhängigen Aktionskomitee zu, das Bahnarbeiter in Zusammenarbeit mit der World Socialist Web Site und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees ins Leben gerufen hatten. In einer Online-Versammlung verpflichteten sie sich in einer historischen Resolution, ihr demokratisches Streikrecht zu verteidigen und auf einem Tarifvertrag zu bestehen, der sowohl die gestiegenen Lebenshaltungskosten voll ausgleichen als auch die Bedürfnisse der Eisenbahner vollständig befriedigen würde.

Den amerikanischen Eisenbahnern haben sich auch Busfahrer aus Berlin in einer Resolution angeschlossen. Ihr Aktionskomitee BVG unterstützt die Forderungen der US-Kollegen und bekräftigt sie für sich selbst:

  • Verteidigung des Streikrechts und des Rechts der Belegschaft, demokratisch über geplante Tarifverträge abzustimmen;
  • ein Tarifvertrag, der die miserablen Arbeitsbedingungen wesentlich verbessert und die Löhne so weit erhöht, dass wir trotz der rasant steigenden Inflation unseren Lebensunterhalt bestreiten können;
  • Mehrheitsbeschluss der gesamten Belegschaft über den Tarifvertrag. Gewerkschaftsbürokraten sind nicht autorisiert, ihn zu unterzeichnen.

Ein neuer Aufschwung im Klassenkampf ist weltweit zu beobachten. Allein in Deutschland stehen in den kommenden Monaten Tarifverhandlungen für fast elf Millionen Beschäftigte verschiedener Branchen an. In einer ersten Runde fordern gerade 160.000 Beschäftigte bei der Deutschen Post AG ein Lohnplus von 15 Prozent, und im Februar beginnen Verhandlungen für knapp 120.000 Beschäftigte bei der Deutschen Bahn.

In all diesen Verhandlungen geht es darum, die Arbeiterinteressen nicht nur gegen die Konzerne und die Regierung, sondern auch gegen die staatstreuen Gewerkschaften durchzusetzen. Dafür ist es notwendig, ein starkes Netz von unabhängigen Aktionskomitees aufzubauen. Es ist der einzige Weg, die Löhne und Arbeitsplätze wirksam zu verteidigen.

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