Friedensaktivist wegen Kritik an deutscher Kriegspolitik in der Ukraine verurteilt

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat im Januar den Friedensaktivisten Heinrich Bücker verurteilt, weil er sich in einer öffentlichen Rede gegen die deutsche Kriegspolitik in der Ukraine wandte. Das Urteil ist ein massiver Angriff auf die demokratischen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Es erinnert an die Verfolgung von Antimilitaristen in der Weimarer Republik, die sich – wie Carl von Ossietzky – gegen die Aufrüstung der Reichswehr wandten.

Bücker ist Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) sowie der Linkspartei. Er betreibt in Berlin das COOP Anti-War Café, in dem regelmäßig antimilitaristische Veranstaltungen stattfinden. Am 22. Juni 2022 hielt er am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park eine Rede zum 81. Jahrestag des Überfalls von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion, in der er die Zusammenarbeit der deutschen Politik mit ehemaligen Nazi-Kollaborateuren in der Ukraine verurteilte und Verständnis für die Sichtweise des russischen Präsidenten äußerte.

Heinrich Bücker während seiner Rede zum 81. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion [Photo by Screenshot AntikriegTV]

Der Richter am Amtsgericht Tobias Pollmann verurteilte Bücker deshalb zu einer Geldstrafe in Höhe von 2000 Euro, ersatzweise 40 Tage Freiheitsstrafe. Sein kriminelles Vergehen nach § 140 Strafgesetzbuch habe darin bestanden, „ein Verbrechen der Aggression (§ 13 Völkerstrafgesetzbuch) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich in einer Versammlung gebilligt zu haben“.

Das Urteil erging im Strafbefehlsverfahren, das keine mündliche Verhandlung mit Anhörung des Angeklagten und Zeugenvernehmung vorsieht. Der Angeklagte kann nach Erlass des Strafbefehls binnen zwei Wochen Einspruch erheben, was Bücker Berichten zufolge getan hat. Tut er das nicht, gilt der Strafbefehl als rechtskräftiges Urteil, Rechtsmittel sind dagegen dann nicht mehr möglich.

Im Strafbefehl heißt es, Bücker habe in seiner Rede „dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine“ zugestimmt, „um dessen Rechtswidrigkeit Sie wussten“. Zum Beleg wird ein längerer Abschnitt aus der Rede zitiert, deren gesamter Wortlaut hier dokumentiert ist.

In dem zitierten Absatz wendet sich Bücker gegen die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften in der Ukraine:

Mir ist unbegreiflich, dass die deutsche Politik wieder dieselben russophoben Ideologien unterstützt, auf deren Basis das Deutsche Reich 1941 willige Helfer vorfand, mit denen man eng kooperierte und gemeinsam mordete. Alle anständigen Deutschen sollten vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, der Geschichte von Millionen ermordeter Juden und Abermillionen ermordeter sowjetischer Bürger im Zweiten Weltkrieg, jegliche Zusammenarbeit mit diesen Kräften in der Ukraine zurückweisen. Auch die von diesen Kräften in der Ukraine ausgehende Kriegsrhetorik müssen wir vehement zurückweisen. Nie wieder dürfen wir als Deutsche an einem Krieg gegen Russland in irgendeiner Form beteiligt sein. Wir müssen uns zusammenschließen und uns diesem Irrsinn gemeinsam entgegenstellen.

In diesem Zusammenhang fordert er Verständnis für die russische Sichtweise:

Wir müssen offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen, und warum die überwiegende Mehrheit der Menschen in Russland ihre Regierung und ihren Präsidenten darin unterstützen. Ich persönlich will und kann die Sichtweise in Russland und die des russischen Präsidenten Wladimir Putin sehr gut nachvollziehen. Ich hege kein Misstrauen gegen Russland, denn der Verzicht auf Rache gegen Deutsche und Deutschland bestimmte seit 1945 die sowjetische und danach auch die russische Politik.

Wie und weshalb Bücker damit der Invasion Russlands „zustimmt“, führte das Berliner Amtsgericht mit keiner Silbe aus. Die Aufforderung, die Gründe für etwas zu verstehen und nachzuvollziehen, ist etwas anderes als Zustimmung. Sonst wäre die Arbeit von psychiatrischen Gutachtern ebenso unmöglich, wie die von Historikern, Soziologen, Mediatoren oder sogar von polizeilichen Ermittlern. Jegliches Bemühen, das Handeln von anderen Menschen zu verstehen, wäre Komplizenschaft.

Weil § 140 StGB empfindlich in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 Grundgesetz eingreift, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung hohe Maßstäbe gesetzt. Die Bestrafung wegen einer Äußerung ist schon dann rechtswidrig, wenn „die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind“. Dabei müssen die Gerichte „ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung“ beachten.

In welchem Kontext sich Bücker äußerte, hat das Amtsgericht selbst eingeräumt: Er wandte sich auf einer Gedenkveranstaltung zum Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gegen einen erneuten Krieg Deutschlands gegen Russland und die Unterstützung eines Regimes, das sich kaum verhohlen in die Tradition der damaligen ukrainischen Verbündeten Hitlers stellt.

Dass dies keine Übertreibung ist, unterstrich die Rada, das Parlament der Ukraine, nur wenige Tage, bevor Richter Pohlmann seinen Strafbefehl unterzeichnete.

Anlässlich des Geburtstags des faschistischen Massenmörders Stepan Bandera veröffentlichte die Rada ein Bild von Walerij Saluschnyj, dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, unter einem Porträt von Bandera. Bandera wurde mit den Worten zitiert: „Der vollständige und endgültige Sieg des ukrainischen Nationalismus wird erst errungen sein, wenn das russische Imperium nicht mehr existiert.“ Die Rada fügte hinzu: „Wir kämpfen derzeit gegen das russische Imperium. Und die Leitlinien von Stepan Bandera sind dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte gut bekannt.“

Seit Beginn des Kriegs hat die Bundesregierung die Ukraine nach eigenen Angaben mit Waffenlieferungen im Wert von 2 Milliarden Euro unterstützt. Für 2023 sind bereits weitere 2,2 Milliarden fest eingeplant. In den Medien und im offiziellen Diskurs wird jede Kritik an dieser Kriegspolitik unterdrückt. Selbst die Forderung nach einer Verhandlungslösung gilt als Verrat.

Vor diesem Hintergrund sagte Bücker in einer vom Gericht nicht zitierten Passage: „Alle mühsam aufgebauten freundschaftlichen Beziehungen [zwischen Deutschland und Russland] drohen jetzt abzureißen, ja, sie werden potentiell zerstört.“ Und er forderte, „für eine gedeihliche, vernünftige und friedliche Nachbarschaft mit Russland in Europa einzustehen“.

Das Amtsgericht hat Bücker verurteilt, weil er für Frieden mit Russland eintrat und die Unterstützung des rechten, antirussischen Regimes in der Ukraine ablehnte. Daraus die Zustimmung zu einem russischen Angriffskrieg herzuleiten, darauf können vermutlich nur deutsche Richter und Staatsanwälte kommen.

Neben der „Billigung“ eines Verbrechens erfordert eine Verurteilung nach § 140 StGB auch, dass diese „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Dass dies der Fall sei, begründete das Amtsgericht in einer verschwurbelten und kaum verständlichen Sprache so:

Ihre Rede hat – wie Sie jedenfalls billigend in Kauf nahmen – angesichts der erheblichen Konsequenzen, die der Krieg auch für Deutschland nach sich zieht, der Drohungen seitens der russischen Staatsführung konkret gegenüber Deutschland als NATO-Mitglied für den Fall der Unterstützung der Ukraine und nicht zuletzt angesichts der Präsenz Hunderttausender Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, das Potential, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen.

In verständliches Deutsch übersetzt, heißt das: Wer die deutsche Kriegspolitik kritisiert, erschüttert das Vertrauen in den Staat und hetzt die Bevölkerung auf. Deshalb muss er bestraft werden.

Bücker eine „Störung des öffentlichen Friedens“ vorzuwerfen, ist offensichtlich absurd. Er warb in seiner Rede um ein friedliches Miteinander mit Russland und warnte vor der Rehabilitierung von faschistischem Gedankengut.

Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) lehnen den Krieg, den Deutschland und die Nato in der Ukraine gegen Russland führen, kategorisch ab. Sie hegen deshalb keinerlei Sympathien für das Putin-Regime, das die Interessen der russischen Oligarchen vertritt und sich auf die reaktionärsten Traditionen des russischen Nationalismus stützt.

Doch darum geht es beim Urteil gegen Bückner nicht. Es soll vielmehr jede Opposition und jeden Protest gegen den deutschen Militarismus einschüchtern und mundtot machen. Es reicht aus, der Dämonisierung der gerade als Feind markierten Nation entgegenzutreten und für ein „Verständnis“ und „friedliche Nachbarschaft“ einzutreten, um sich strafbar zu machen. Das Urteil muss deshalb zurückgewiesen werden.

Der Strafbefehl gegen Bücker reiht sich in immer neue Angriffe auf demokratische Rechte ein. In Berlin wurde am 8. Mai letzten Jahres, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, das Zeigen der sowjetischen Fahne – unter der nicht zuletzt Auschwitz befreit wurde – an sowjetischen Ehrenmälern polizeilich verboten.

Kurz darauf folgte das Verbot aller palästinensischen Demonstrationen zum Nakba-Tag. Wenige Monate später verschärfte der Bundestag den Volksverhetzungsparagraphen; nun droht jedem eine Strafe, der angebliche Kriegsverbrechen eines gerade dämonisierten Landes in Frage stellt.

Das Berliner Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht haben abgesegnet, dass die Sozialistische Gleichheitspartei vom Verfassungsschutz bespitzelt und als „linksextremistisch“ verleumdet wird, weil sie „für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ streite.

Die SGP hat diesem Angriff auf demokratische Rechte den Kampf angesagt und gegen die skandalösen Urteile Verfassungsbeschwerde eingelegt. Dies sei „von größter politischer Bedeutung“, betonte die SGP, „denn Regierung und Gerichte wollen ein Exempel statuieren. Angesichts des Stellvertreterkriegs, den die Bundesregierung auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung gegen Russland führt, der umfassendsten Aufrüstung seit Hitler und heftigen Angriffen auf die Arbeiter durch Inflation, Lohnraub und Massenentlassungen soll jeder mundtot gemacht werden, der gegen diese aggressive Klassenpolitik auftritt oder sie auch nur beim Namen nennt.“

Das bestätigt sich mit dem Vorgehen gegen Bücker.

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